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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerauonS Preis 22^ Sgr. <; Thlr.f vierteljährlich, 3 Thle. für das ganze Iabr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a z l n für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. StaaiS- Zeitung in Berlin in der Expedition lMohrcn-Straß« No. 34»; in der Provinz so >vie im Auslände bei den Wohllöbl. Pog-Aemtern. Literatur dcs Auslandes. 64. Berlin, Freitag den 29. Mai 1833. England. Charakteristiken, von Charles Lamb. °) l. Mein erster Abend im Schauspiel. Am nördlichen Ende von Croß-Court erhebt sich noch jetzt ein Portal, das einen höheren Anspruch aus Architektur macht, als die an deren Psortcn und Thüren in seiner Nähe, obgleich cs gegenwärtig selbst nur zur simplen Thur einer Druckerei dient. Bon der Lcdcmsamkell dieses alten Eingangs weiß der Leser, wenn er jung ist, nichts, ahnt nicht, daß cs die Thur des Parterre des alten Drurp, des Drnrv Earrick'S, und zugleich Alles ist, was von aller jener Herrlichkeit übrig geblieben. Nie gehe ich hindurch, ohne ein vierzig Jahre von meinen Schullern zu schütteln und mich in jenen Abend zurück zu versetzen, wo ich hindurch ging, um zum ersten Mal ein Schauspiel zu sehen. Es hatte Nachmittag angefangen zu regnen, und es ward be schlossen , ins Theater zu gehen (meine Acltern und ich), wenn der Regen aufhören würde. Mein Herz schlug, wahrend ich am Fenster stand und ängstlich auf den Laus der Gossen und die Pfühle in den Straßen Acht gab; denn wurde» die erst ruhig und minder bewegt, so mußte cS auch bald schön Wetter werden, das hatte man mir beige bracht. Ach, wie sehnsüchtig sah ich danach aus. Ich erinnere mich noch meiner Freude, als die tctztc» Tropfen fielen, und wie ich lief, cs anzumcldcn. Wir hatten FreibillctS, die mein Pathe F. nnS geschickt hatte. Er trieb einen Oelhandcl (jetzt Davies) an der Ecke von Feather-Stone- Building, Holbvrn. F. war ein Mann von großer Figur, ernst und pomphaft in seinen Reden und voll von Ansprüchen, die über seinen Stand hiuauSgingen. Er war damals häufig mit dem Schauspieler John Palmer zusammen, dessen Haltung und Gang nachzuahmen er sich viel Mühe gab; doch ist es sehr wahrscheinlich, daß John vielmehr die Manieren meines Pathcn beobachtete und studirlc. Er war auch mit Sheridan bekannt, der ihn öfters besuchte. ES war sein Haus, in Holborn, wohin ter junge Brinslch seine erste Frau, die schöne Maria Linlcy, die er aus einer Pension zu Bath entführt Halle, brachte. Meine Acllcrn waren gerade da (sie faße» an einem viereckigen Tische), als er Abends mit scinrm lieblichen Raube ankam. Bei solchen Bc- kannlschaslcn wird man cs wohl glaublich finden, daß mein Pathe, so eil er nur Lust Halle, sich damals cm Freibillct zum Drurv-Lanc Theater ausbiitrn konnte. Und in Wahrheit, ich habe ihn sagen hören, daß kicsc FreibillctS, kleine Zcilcl von BrmSlcp'S Hand, die einzige Remu neration gewesen, die er für Erleuchtung dcs Orchesters und der ver schiedenen Korridors des Theaters, die er mehrere Jahre lang besorg!, erhalten habe; indessen, er war mit dieser Art Bezahlung vollkommen zufrieden: die Ehre der näheren Bekanntschaft mil Sheridan, er bildete sich's wenigstens ein, galt meinem Pathe» mehr, als Geld. F. war der nobelste aller Oelbändler; ein gewisser feiner Anstand verließ ihn nie; die einfachsten Dinge oder Vorfälle wußte er in eine ciceronische Ausdruckswcisc zu fassen;' fast beständig batte er zwei La teinische Worte im Munde (und wie klingt das Latein, das von den Lippen eines Oclhändlers fließt!). Meine Studien haben mich später in den Stand gesetzt, diese beide» Worte zu korrigireu — richtig aus gesprochen würden sie: viee versa lauten; aber wenn ich sie heut im Seneca oder Varro läse, oder mir daraus vorspräche, sie würde» doch nicht solche» imponirenden Eindruck auf mich machen, wie in meiner Kindcrzcit, als sie die absonderliche Aussprache meines OheimS zu ein- svlbige» Wörtern zusammcnzog und eine A»l Englisch daraus machte, wie: verse verse. Durch seine stolzen Manieren und mit Hülfe die ser verstümmelten Sylben gelangte er, ach! (es war wenig genug) zu den eminentesten Ehren, die das Kirchspiel St. Andrew ertheilc» konnte. Er ist todt! und ich war wenigstens dieses Zeichen von Erkennt lichkeit seinem Andenken schuldig, einerseits für die ersten Theater- Billets (kleine wunderbare Talismane!), werthlose und auf den erste» Anblick unscheinbare Dingerchen, die mir aber mehr als die Paradiese des Orients aufschlossc»! Für'S andere setzte mich sei» Testament i» Besitz des einzigen ErundeigenthumS, das ich wein genannt in diesem Leben, — bei dem hübschen Dorse PuckcridgcS gelegen, durch welches die große Heerstraße geht, in der Grafschaft Herford. Als ich damals hinreiste, um cs in Besitz zu nehmen, und nun den Fuß auf meinen eigenen Grund und Boden setzte, schienen die gewichtigen Manieren des Testators auf mich übergehen zu wollen; gesteh' ich nur meine Eitel- *) Aus den des kürzlich verstorbenen, wegen selner geistvollen Aussprnchc viel geschätzten Schriftstellers. ' keit, ich vergrößerte meine Schrille, um mein Territorium von dreivicrtcl Morgen, mit srincm bequemen Häuschen in der Mitte, zu durchmesse», voll des Gefühls, das ei» Englischer Grundbesitzer empfindet, der zu sich sagen kann, daß zwischen Himmel und Erde, wo er seine Füße hinsctzt, Alles ihm gehört. Das Gul ist in klügere Hände übergegangcn, und cs würde nichts Geringeres als ein Acker-Gesetz dazu erforderlich sehn, cs mir gegenwärtig wicderzuschaffcu. Zu jener Zeil gab es FreibillctS zum Parterre. Verwünscht seh der Direktor, der Feind dcs oumlurt, der sie abschasste. Wir gingen also aus ein solches Billet hinein. Ich erinnere mich noch, wie wir in Reihe und Glied vor der Thür stehen mußten, nicht vor der, die noch jetzt übrig ist, sondern in einem Raume zwischen dieser und einer an deren inneren. O, wann werde ich wieder so warten! um mich her das Ailsschrcicn der Nonparcils, die unausbleibliche Zugabe bei einem Theater besuch in damaliger Zeit. Ebe» so erinnere "ich mich des fashionablcn Geschreis der damaligen Frnchthändlerinnc» des Theaters: „Suchen Sie sich was aus, Apfelsine», NonparcflS, Billets!" Als wir nun aber in s Innere gelangten, als ich den grünen Vor hang sah, der sür meine Phantasie einen ganzen Himmel verdeckte, der mir ausgchen sollte, ach, wie schlug da mein Herz, wie war ich alhem- loS vor Erwartung! Ich batte fchon etwas Aehnliches gesehen, auf dem Kupferstich von Rowe, der Shakespeare'» TroiluS und Cressida darstcllt, die Scene im Zelt mit dem Diomcd — und so oft ich das Blatt sehe, werden die Empfindungen jenes Abends in meiner Seele wieder wach. Die Logen, voll von vornehmen Dame» in. eleganter Toilette, spränge» damals über dem Parterre hervor, und die Pilaster, die bis aus den Boden gingen, waren mil einer glänzende» Masse, ich weiß nicht genau, was für eine, überzogen — mir kam es wie Fuckcr- kandi vor — aber nicht wie gewöhnlicher gemeiner, sonder» wie ein Zuckerkandi von ganz besonderer Art, aus einer ganz andere» Welt, herrlich und göttlich. Endlich wurden die Lampen im Orchester angezündct, „diese lieb lichen Aiirorcii!" Die Klingel auf dem Theater ertönte zum ersten Mal. Noch zum zweiten Mal mußte sie erschallen; aber meine Erwartung war zu mächtig gespannt. Ich schloß die Augen zu i» einer Art von Resignation und verbarg meinen Kopf in meiner Mutter Schooß. Da ertönte die Glocke zum zweiten Male, der Vorhang ging auf. Ich war erst sechs Jahr alt, und man spielte dcn Artaxerr'es. Ich hatte schon ein Bische» in die Universalgeschichte hincingcguckt, in den allen Theil, und es war der Persische Hof, der hier vor meine» Auge» stand; cs war also ei» Gemälde der Vergangenheit, das sich vor mir abrollen sollte; ich nahm kein sonderliches Interesse am Gang dcr Handlung, von deren Sinn ich ualürlich wenig verstand; aber ich hörte das Wort Darius und war mitte» im Propheten Daniel; alle meine Sinne waren in den dcs Gesichts untergegangen. Prächtige Kostüme, Gärten, Paläste, Prinzessinnen gingen an mir vorüber, ich sah keine Schauspieler; ich war sür den Moment in Persepolis, und das Idol des Feuers, der Gegenstand der religiösen Anbetung der Perser, batte mich fast zu seinem Dienst bekehrt; in meiner Ertast sah ich in diesen svmbolischcn Vorstellungen etwas mehr als das materielle Feuer. Für mich war" Alles Zauberei und Traum; — nur in meine» Träumen habe ich später ähnliche Lust empfunden. Nach dem ArtazerreS gab man Arlequin'S Einfall, und ich erinnere mich noch ganz deutlich, die Verwandlung dcr Magistrats-Personen in ehrwürdige alte Mütter chen erschien nur als ein ernstbastcS Beispiel bistorischcr Justiz. Ich glaubte an dcn Schneider, der seinen eigenen Kopf in der Hand trug, eben so fest und unbefangen, wie an die Legende des heilige» Dionys. Das zweite Mal, da ich in'S Theater kam, sah ich die «k tlxr Illanar. Mit Ausnahme einzelner Acußerlichkcitcn, haben sich nur »och ei» Paar schwache Spuren davon in meincm Gedächtnisse erhalten. Hierauf wurde eine Pantomime: das Gespenst des Lun gegeben, ei» satirischer Spaß, wie ich mir einbildc, gegen Rich, der kurz daraus starb. Aber in meine» damaligen Idee» (wie hätte ich in meiner kin dischen Gutmülbigkcit etwas für Satire halten sollen) schien mir Lun einem eben so fernen Altcrlbum anzugebörcn, wie Lud, der Siammvalcr der Arlequin'S; ich sah den alten Arlcquin aus seinem stummen Grabe erstehen, in seinem phantastischen Leichentuch, alle seine bunten Läppchen verblaßt, wie die Erscheinung eines verblichenen Regenbogen«. So, dachte ich, sind die Arlequin'S »ach ihrem Tode. Mein dritter Besuch im Schauspiel fand kurz darauf statt. Ma» spielte „den Lauf der Welt", und ich »ahm auf meiiicr Baut mit aller Gravität eines Richters Platz; ich erinnere mich noch sehr gut, daß die Vapeurs und die Assectatio» dcr guten Ladp Wishford den Effekt einer tragischen und feierlichen Leidenschaft aus mich machten.