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Wöchentlich «schein!» drei Nummern. Pränumeration«-Prei» 22j Silbergr. tj Alr.) viertcliahrlich, 3 Tdlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese- Literatur- Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. Staals-Zeitung (Friedrich-- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Au-lande bei den Wohllöbl. Post - Armier». Literatur des Auslandes. 27. Berlin, Freitag den 4. März 1842 Belgien. Gerlache über Karl V. Je nachdem die Grundsätze, die Stellung, die Interessen der verschiedenen Historiker verschieden sind, gestalten sich Helden und Ereignisse unter ihrer Fe der um. Wo ist die Wahrheit zu finden bei den oft so grellen Widersprüchen der einzelnen Darstellungen? Unparteilichkeit ist die erste Forderung, die man an den Historiker stellt, doch eine Unparteilichkeit, die sich bis zur Indifferenz gegen den geschilderten Gegenstand erhebt, ist unmöglich. Der individuelle Standpunkt des Historikers wird stets seinen Schriften eine eigenthümliche Färbung geben, doch dies kann unbeschadet der Wahrheit geschehen, sobald der selbe nicht die Gelegenheit sucht, in den dargestellten Ereignissen nur eine Grundlage für seine eigenen Gefühle, Ansichten und Grundsätze zu gewinnen. Die Geschichte des Königreichs der Niederlande von dem Präsidenten ves Cassationshofes in Brüssel, Herrn von Gerlache, von der vor kurzem die zweite Ausgabe erschienen, darf Anspruch darauf machen, unter den vorzüglich sten Werken, in denen diese Verleugnung der persönlichen Neigungen und Lieblings-Ideen herrscht, genannt zu werden. Sie behandelt die fünfzehn Jahre, während welcher das Reich der Niederlande bestand, schickt ihnen eine gedrängte Uebersicht der Haupt-Epochen der Entwickelung der Belgischen Kul tur voraus und giebt zum Schluß einen Abriß der Geschichte Belgiens seit der Revolution von 1830 bis zur Gegenwart. Wenige Werke, die Geschichte der Belgischen Revolution von Nothomb ausgenommen, haben sich in Belgien eines so glücklichen Erfolges erfreut. In der zweiten Ausgabe hat der Ver fasser besonders die Grundzüge der Belgischen Geschichte bis 1814 erweitert, und er behandelt hierin die Zeit Philipp's des Guten, Philpp's ll., Fcrdi- nand's und Jsabella's, Maria Theresia's und die Revolution von Brabant mit großer Vorliebe. „Bei Besprechung der Revolution im I6ten Jahrhun dert", sagt Herr von Gerlache, „hatte ich Karl V., dessen Politik zu so höchst widersprechenden Urtheilen Anlaß gegeben, und die man zum Verständniß der Regierung Philipp's II. und des ganzen lstten Jahrhunderts wohl durchschauen muß, mit viel Zu flüchtigen Zügen gezeichnet." Diesem Mangel ist gegen wärtig glänzend abgeholsen, und wir heben diesen, wie uns scheint, sehr ge lungenen Abschnitt hier zur Miltheilung heraus. „Am 24. Februar 1800 wurden Philipp der Schöne und Johanna zu Gent durch einen Sohn beglückt, den man bei uns Karl von Luxemburg nannte und der später unter dem Namen Karl V. über die ganze Erde bekannt wurde. Karl verlor seinen Vater im Alter von sechs Jahren : er wurde mit fünfzehn Jahren mündig gesprochen und empfing hiermit von Marimilian von Oester reich, seinem Vormunde, die Herrschaft über die Niederlande. Ein Jahr dar auf starb sein Großvater mütterlicher Seite, Ferdinand der Katholische, und Karl wurde in Folge des Wahnsinns der Johanna, seiner Mutter, König aller Spanischen Länder, die zum erstenmale unter einem Oberhaupt vereinigt wur den, König von Neapel und Sicilien und bereits Herr eines ansehnlichen Theiles der von Columbus neu entdeckten Welt. Im Jahr ISIS starb Mari milian , und Karl trat die reiche Erbschaft seines Großvaters väterlicher Seite an und wurde noch in demselben Jahre durch die Wahl der Deutschen Fürsten Kaiser von Deutschland. Um dieselbe Zeit triumphirte Cortez über Monte zuma, und einige Jahre später entdeckte Pizarro das mächtige Goldland Peru. Durch dieses Zusammentreffen außergewöhnlicher Umstände gestaltete sich das ungeheure Reich Karl's V., von dem man sagte, die Sonne gehe in ihm nicht unter. Und der Geist des Kaisers war der Stellung würdig, die von Gott ihm geworden. Die Geschichte Karl's V. ist die Geschichte Europa's in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Um ihn gruppiren sich als Verbündete oder als Feinde alle große Männer der Zeit: Soliman II., Franz l-, Heinrich VIII., Clemens VIl., Luther. Hatte Karl, der die Zügel so vieler Königreiche in den Händen hielt, der sich von so vielen Ereignissen umwogt sah, und dem man so große Fähigkeit einräumt, nun einen entschiedenen Plan in seinen politischen Unternehmungen, oder ließ er sich vom Strome der Ereignisse fortreißen und verfolgte nur selbstische Zwecke? Dies hört man oft fragen, und man ist über diesen Punkt noch durchaus nicht einig. Ich will versuchen, nicht durch spitzfindige Bcrmuthungen, sondern durch eine einfache Darstellung der Thatsachcn zur Aufhellung desselben beizutragen. Die Philosophen, welche die Reformation als den Beginn der höheren wissenschaftlichen Bildung betrachten, wollen in dem beständigen Feinde des Protestantismus nur einen Despoten sehen, der die freie Entwickelung des menschlichen Geistes aufzuhalten strebte. Die Französischen Schriftsteller zeigen fast alle einen Groll gegen den glücklichen Nebenbuhler Franz I. und den Sie ger von Pavia. Meine eigenen Landsleute endlich haben einen der größten Männer, den Belgien hervorgebracht hat, nur sehr schwach vertheidigt. „Karl", sagt Robertson in seiner Geschichte Karl's V., „war von unersätt lichem Ehrgeize erfüllt: obgleich die in seiner Zeit allgemein verbreitete An sicht, er habe das phantastische Projekt gehabt, ganz Europa zu einer Monar chie zu vereinigen, sich durchaus nicht erweisen läßt, so steht doch fest, daß die Begierde, sich als Eroberer auszuzeichnen, ihn allein in die ewigen Kriege stürzte, welche seine Länder aussaugtcn und ihm nicht Zeit ließen, für die Aus- bilvung der Künste, der Wissenschaften und der inneren Verwaltung Sorge zu tragen, für die Gegenstände, welche das Hauptziel eines Fürsten sind, der auf das Glück seiner Völker bedacht ist." Die Schrift Robertson's ist nichts als eine fortlaufende Anklage Karl's, in der sich die Leidenschaft tückischer Weise hinter scheinbarer Gründlichkeit und Unbefangenheit verbirgt. Die Autorität Robertson's hat auf den größten Theil der neueren Historiker ihren Einfluß geübt. Chateaubriand in seinen historischen Studien und Dewez in seiner allgemeinen Geschichte Belgiens fällen mit anderen Worten dasselbe Berdam- mungs-Urtheil. Um die Politik Karl's zu begreifen, muß man sich zunächst den Zustand Europa's in der Epoche, in der er auftrat, und die damals herrschenden Ideen vergegenwärtigen. Die Osmanische Macht war seit der Eroberung Konstan tinopels beständig gewachsen, und sie stand den christlichen Mächten gefährlich gegenüber. Als Franz I. sich um die Kaiserkrone bewarb, gelobte er, alle Kräfte Frankreichs und Deutschlands zum Kampfe gegen die Ungläubigen zu vereinigen. Doch seine Versprechungen machten auf die Wahlfürsten keinen Eindruck, indem sie mit Recht überzeugt waren, er werde seine Armeen viel mehr gegen Italien und die Niederlande führen. In der That waren Deutsch land, Italien und Spanien damals mehrfach höchst gefährdet. Angefeuert durch den doppelten Fanatismus der Verbreitung ihrer Religion und der Eroberung und angeführt durch den größten Mann, der auf ihrem Thron gesessen, standen die Türken aus dem Gipfel ihrer Macht. 1821 bemächtigte sich Soliman Belgrads und der wichtigsten Festungen Ungarns; im folgenden Jahre zwang er die Johanniter-Ritter, Rhodus zu verlassen; l SM besiegte er die Ungarn in der blutigen Schlacht von Mohacz, in der König Ludwig ll. fiel, Karl's Schwager, 1820 belagerte er Wien mit einem Heere von 280,000 Mann; die Belagerung wurde aufgehoben, doch Soliman kehrte bald mit einem noch größeren Heere zurück: Karl eilte mit 120,000 Mann zur Rettung Wiens herbei, und nur mit Mühe gelang es ihm, die Türken zum Rückzüge zu zwingen. Hätte Soliman, der allein eben so viele Truppen zum Kampfe stellen konnte, als die Europäischen Fürsten in Gesammtheit, gesiegt, so wäre vielleicht ganz Europa muhammedanisch geworden. (?) Auch fühlte Soliman sehr wohl, daß Karl V. als das Haupt der Christenheit und als sein alleiniger Gegner zu betrachten war; und während seine Armeen Deutschland bedrohten, zogen seine mächtigen Flotten, die Barbarossa befehligte, gegen die Küsten von Spanien, Italien und Sicilien und verwüsteten Städte und Felder. Mitten unter diesen Verwirrungen hatte in Deutschland die Reformation begonnen; sie sand zahlreiche Anhänger unter den Reichsfürsten, dem Volke und der Geistlichkeit, und diese große Umwälzung, deren ganze Bedeutung man zu ahnen anfing, griff in den Gang der politischen Ereignisse eben so störend ein, wie in den der religiösen. Wir betrachte» zunächst die Mittel, mit welchen Karl V. der wachsenden Macht der Osmanen entgegenwirkte. Im Jahre 1830 gab er den Johannitern Malta und stellte so eine der wirk samsten Schutzwehren der Christen gegen die Ungläubigen wieder her. Zwei Jahre später versammelte er ein mächtiges Heer, welches halb aus Katholiken, halb aus Protestanten bestand, die vereint gegen den gemeinsamen Feind vor Wien zogen. 1834 erwirbt er Tunis und bricht die Fesseln von 22,000 christ lichen Sklaven. 1841 belagert er Algier; seine Flotte und ein großer Theil seiner Armee werden durch einen furchtbaren Sturm zerstört; gleichwohl thut er Alles, was in seinen Kräften steht, um die Christenheit vor Seeräuberei zu schützen. Seine Diplomatie bleibt mit seinen Handlungen vollkommen im Einklang. In fast allen Verträgen mit Franz l. berücksichtigt Karl die Interessen der Religion. Er will, daß Franz der Verbindung mit den Ungläubigen und mit den Ketzern entsage. Unerschütterlich in dem steten Wechsel glücklicher und unglücklicher Ereignisse, behält er Ein Ziel im Auge: die Erhaltung des Ka tholizismus. Ich leugne nicht, daß hierbei politische Interessen mit einwirkten. Karl war Kaiser, und es galt, die Verbindung der verschiedenen Staate»