Volltext Seite (XML)
Voigtländischcr Anzeiger. Fünfundsechszigster Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Planen. Donnerstag. 132 s. November 1854. Jährlicher AbonnementSpretS für dieses Blatt, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 6 Ngr. — Die JnserttonSgrbührm werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Corpus-Zeile berechnet, größere Schrift nach Verhältnis des Raumes. — Der Stand der Dinge auf der Krim Es ist ungemein schwer, nur einigermaßen über die Lage dm Sachen vor Sebastopol ins Klare zu kommen. Die telegr. Depeschen eilen dem Zusammenhänge der Begebenhei ten voraus und sind so unzuverlässig, daß sie häufig einander widersprechen, selbst die offiziellen, die der Moniteur und das Petersburger Journal bringt, lasten das für die eigenen Streitkräfte Ungünstige weg, übertreiben die Nachtheile der Gegner, stellen die Worte auf Schrauben, übertreiben rc., so daß man selbst an diesen keinen sichern Anhalt gewinnt. Wir wissen heute noch nicht, wie stark die russische Armee mit den erhaltenen Zuzügen ist, da in Rußland, was nicht zu verargen steht, über diese Punkte tiefes Stillschweigen beobachtet wird. So viel scheint richtig, daß Menschikoff an der Alma 40,000 Mann Landtruppen hatte, die Flot. tenmannschaft in Sebastopol nicht gerechnet. Dort verlor er nach eigenen Berichten 4000 Mann, zog aber dafür den General Chomutoff aus Kertsch heran, ergänzte also da, durch ganz gewiß die Verluste an der Alma. Außerdem muß die am 6. October bei Perekop angelangte Ulanendivi sion, die am 12. Oct. Eupatoria erreicht halte, lange zu ihm gestoßen sein. Ferner steht außer Frage, daß Gen. Liprandi am 21. oder 22. Oct. vor Sebastopol angelangt ist, und so müssen mit diesen Zuzügen die Russen jetzt mindestens 60,000 Mann in und um Sebastopol haben, die Flottenmannschaft ungerechnet. Die Verbündeten stützen sich in Balaklava auf ihre Flotte und auf das Meer, auf welchem ihnen fast Alles zugeführt werden muß. Sie haben von da bis vor Sebastopol Schan zen aufgeworfen, die Verbindung zu erhalten. Nun konnte bei seiner Truppenmenge Menschikoff recht gut am 25. Oct. 30,000 Mann verfügbar machen und durch Liprandi mit diesem Haufen die Schanzen bei Balaklava angreifen. Dort, scheint es, haben die Engländer Haare gelassen, ja es ist wahrscheinlich, daß die Russen, was zur Zeit noch nicht wie der geschehen zu sein scheint, ihre Anfälle auf die Schanzen der Verbündeten mehr als einmal wiederholen und, wie es rm Kriege geht, bald mit blutigen Köpfen zurückgewiesen, bald auch mit Vortheil angreifen werden, zumal sie dUber- fluß an tüchtiger Cavallerie haben. Steht auch die englische Reiterei keiner andern nach, so sind doch die Regimenter schwach, noch nicht 500 Pferde, auch nicht so leicht und ohne große Verluste nach der Krim zu schoßen und dort zu er- halten. Zum Ueberfluß hat Menschikoff den großen Vor theil, daß die Verbündeten Sebastopol nicht ein sch ließen können, er dagegen von der Nordscite her seine ermüdete Mannschaft fortwährend ablösen, Kriegs- und Lebensbedarf zuführen, und mit starker Macht Ausfälle machen kann. Außerdem mag der Boden zur Laufgräbenanlage ganz un passend sein, so daß die Erdarbciten der Verbündeten sehr schwierig von Statten gehen. Nickt minder hatten die Rus sen in der Feste alles Material zur Hand, während es die Verbündeten weit her zu Schiffe schaffen mußten. Die russische Artillerie scheint durch Zahl — sie benutzt die Schiffs- kanvnen mit — zu ersetzen, was ihr an Geschick und durch Mangel an Vereinigung auf einem Punkte abgeht. Zu Lande können die Verbündeten nichts mehr beziehen, müssen Salz, Wasser, Lebensmittel für Menschen und Vieh, Kriegsmaterial — Alles von Varna und Eonstantinopel holen. Daher scheinen uns aller Wege die Russen im Vortheil. Was nun die Stärke der Verbündeten anlangt, so wa ren sie bekanntlich bei der Landung 62,000 Mann. Wie den Russen, kostete auch ihnen die Almaschlacht 4000 Mann. Man kann aber zuverlässig noch einige Taufend rechnen, die Krankheiten erlegen, wenn gleich dies von den Russen eben falls gelten dürfte. Wenn nicht Alles erlogen oder schmäh, lieh übertrieben ist, so sind sie seitdem auf gewiß 100,000 Mann gebracht worden, ungerechnet die Flottenmannschaft. Solch eine Ziffer dürfte allerdings genügend sein, zu gleicher Zeit gegen die Russen das Feld und die verschanzte Linie von Balaklava bis Sebastopol zu halten, und die Belagerung fortzuführen. Ucber das Hauptbombardement am 17. October scheint festzustkhen, daß russiscker Seits die Telegraphenbatterie und einige Forts, verbündeter Seits die französischen Schiffe, be sonders der „Karl der Große" viel gelitten haben, sowie daß das Bombardement am 18. durch das Aufstiegen von Pul vermagazinen unterbrochen wurde. Die Geldkosten eines solchen Bombardements mag man sich daraus berechnen, daß nach den Angaben täglich 16—20,000 Kugeln allein in die Feste geworfen werden, ein Schuß aus Wurfgeschütz durch, jchniltlich mindestens 3 — 4 Thlr. zu stehen kommt. Das Gefecht am 25. dürfte beiden Theilen viel Leute gekostet haben, war aber durchaus nicht entscheidend. In allen Fällen scheint der Kampf ein erbitterter, vielleicht andauernder zu sein und zu werben, da die Verbündeten Alles daran setzen werden, Feste und Flotte zu nehmen, die Russen, sie zu halten. Wir wissen nicht, ob außer den Wechselfällen des Krieges, Winter, Krankheiten und Stürme rc. noch be, deutende, vielleicht entscheidende Einflüsse üben werden. e i t « n A e n. Oesterreich. N .ch der ,,Ostd. P." ist aus Paris die te legraphische Meldung eingetroffen, daß der Ausschuß der