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Mit den drei folgenden Werken von Strawin sky, Mozart und Strauss stehen Vokalkompo sitionen verschiedener Genres, Stile und Be setzungen kontrastierend zueinander, die ne ben ihrer Bindung an geistliche bzw. weltliche Texte, neben chorischem oder solistischem, un begleitetem oder instrumental begleitetem Vortrag Unterschiede in einem wichtigen Ge staltungskriterium, nämlich dem der Rollen verteilung von Wort und Ton, aufweisen. In dieser Werkauswahl lassen sich leicht die un terschiedlichen Wirkungen verfolgen, die das durch den Text inhaltlich fixierte Stück erhält, kenn die Musik dem Wort gegenüber nur eine untergeordnete, gleichsam untermalende (Strawinsky — „Pater noster"), eine gegensei tig ausgewogene (wie etwa Mozarts „Ave ve rum") oder durch wesentlich ausgeprägteres Eigenleben (Strauss — Lieder) die dominie rende Funktion einnimmt. Igor Strawinskys „Pater noster" entstand 1926, gleichsam als Vorstudie zur „Psalmensinfonie", zunächst mit russischem, später auch mit unterlegtem lateinischen Text. In diesem kleinen Werk folgt der Rhythmus des homophonen Chorsatzes getreu dem Sprach rhythmus des Textes, einfachste harmonische Kadenzierungen, Assoziationen zur frührussi schen Diatonik weckend, sollen objektivierend wirken. Indem Strawinsky in die Anonymität feststehender liturgischer Musikformeln zurück tritt, bildet dieses beinahe unscheinbare Stück einen schroffen Gegensatz zu den vergleich baren, der russischen romantischen National schule verpflichteten Werken dieses Genres. Daß bei aller Reduzierung noch die Hand schrift des Verfassers spürbar bleibt, spricht für die Meisterschaft Strawinskys. wenige Monate vor seinem Tode komponierte Wolfgang Amadeus Mozart die Motette „Ave verum corpus“ („Ge- grüßet sei, wahrer Leib des Herrn"). Ähn lich wie Strawinskys „Pater noster" steht dieses Stück in zeitlicher und musikali scher Nähe zu einem chorsinfonischen Hauptwerk: dem unvollendet gebliebenen Re quiem. Allerdings gelang Mozart mit diesem kurzen Stück Musik ein Kunstwerk seltener Schönheit, das in seiner Ausgewogenheit von melodischer Erfindung und harmonischem Reichtum, in seiner volksliedhaften Schlichtheit, der dem Text angepaßten frei schwingenden, kunstfertigen Linienführung seinesgleichen sucht. Richard Strauss: 5 Lieder für Bariton und Orchester Heimliche Aufforderung (John Henry Mackay) Auf, hebe die funkelnde Schale empor zum Mund und trinke beim Freudenmahle dein Herz gesund. Dann lächle ich und dann trinke ich still wie du. Und wenn du sie hebst, so winke mir heimlich zu, und still, gleich mir, betrachte um uns das Heer der trunkenen Schwätzer — verachte sie nicht zu sehr. Nein, hebe die blinkende Schale, gefüllt mit Wein, und lass’ beim lärmenden Mahle sie glücklich sein. Doch hast du das Mahl genossen, den Durst gestillt, dann verlasse der lauten Genossen festfreudiges Bild und wandle hinaus in den Garten zum Rosenstrauch, dort will ich dich dann erwarten nach altem Brauch, und will an die Brust dir sinken, eh' du's gehofft, und deine Küsse trinken, wie ehmals oft; und flechten in deine Haare der Rose Pracht — o komm, du wunderbare ersehnte Nacht, o komm, du wunderbare ersehnte Nacht. Traum durch die Dämmerung (Otto Julius Bierbaum) Weite Wiesen in Dämmergrau; die Sonne verglomm, die Sterne ziehn, nun geh ich hin zu der schönsten Frau, weit über Wiesen im Dämmergrau, Tief in den Busch von Jasmin. Durch Dämmergrau in der Liebe Land; ich gehe nicht schnell, ich eile nicht; mich zieht ein weiches samtenes Band durch Dämmergrau in der Liebe Land, in ein blaues mildes Licht. Ich gehe nicht schnell, ich eile nicht; durch Dämmergrau in der Liebe Land, in ein mildes, blaues Licht. Morgen I (John Henry Mackay) Und morgen wird die Sonne wieder scheinen und auf dem Wege, den ich gehen werde, wird uns, die Glücklichen, sie wieder einen inmitten dieser sonnenatmenden Erde . . . und zu dem Strand, dem weiten, wogenblauen, werden wir still und langsam niedersteigen, stumm werden wir uns in die Augen schauen, und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen. Ich trage meine Minne (Karl Henckell) Ich trage meine Minne vor Wonne stumm im Herzen und im Sinne mit mir herum. Ja, daß ich dich gefunden, du liebes Kind, das freut mich alle Tage, die mir beschieden sind. Und ob auch der Himmel trübe, kohlschwarz die Nacht, hell leuchtet meiner Liebe goldsonnige Pracht. Und liegt auch die Welt in Sünden, so tut mirs weh, die arge muß erblinden vor deiner Unschuld Schnee. Zueignung (Hermann von Gilm) Ja du weißt es, teure Seele, daß ich fern von dir mich quäle. Liebe macht die Herzen krank, habe Dank. Einst hielt ich, der Freiheit Zecher, hoch den Amethisten Becher und du segnetest den Trank, habe Dank. Und beschwörst darum die Bösen, bis ich, was ich nie gewesen, heilig, heilig, ans Herz dir sank. Habe Dank. Joseph Haydns Sinfonie Nr. 104 D-Dur aus dem Jahre 1795 ist das letzte sinfonische Werk des Komponisten. Sie gehört zu der berühmten Reihe seiner zwölf soge nannten „Londoner Sinfonien", die durch die Englandreisen des Meisters zwischen 1791 und 1795 angeregt und für Londoner Abonne mentskonzerte geschrieben wurden. Diese Sin fonien bilden den Abschluß von Haydns sin fonischem Schaffen und stellen in jeder Be ziehung auch die Krönung dieses Schaffens dar. Sowohl in der geistigen und seelischen Vertiefung, in der Differenzierung der musika lischen Ausdrucksmittel als auch in der reifen souveränen Könnerschaft, mit der die klassi sche Form hier gemeistert wird, müssen sie als das Höchste gelten, was uns Haydn auf diesem Gebiet hinterlassen hat. In den „Londoner Sinfonien" hat er, obwohl gerade hier eine tiefe innere Durchdringung mit Einflüssen Sinfonik Mozarts zu spüren ist, doch seine gSJP eigene, endgültige Lösung des klassischen Stils erreicht. Die D-Dur-Sinfonie Nr. 104 beginnt mit einer kurzen, geheimnisvoll verschleiert verklingen den Adagio-Einleitung. Nach einer General pause setzt ein wenig klagend, elegisch das Hauptthema des Allegro ein, dessen motivi sches Material den Satz weitgehend trägt. Das zweite Thema gewinnt dagegen keine Bedeu tung für die musikalische Entwicklung der Durchführung und erscheint erst wieder in der Reprise. Trotz aller Ansätze zu kraftvoller Energie bleibt die Grundstimmung stiller Re signation, leiser Wehmut in diesem Eröffnungs satz vorherrschend. Als Variationssatz wurde das Andante angelegt; sein einfaches, lied haftes Thema ist von größter Innigkeit und Süße. Zwar kommt es in den zwischen die Va riationen eingeschobenen freien Zwischensät zen zu ungewöhnlich leidenschaftlich-erregten, dramatischen Ausbrüchen, ernsten, tief emp fundenen Episoden, aber immer wieder findet der Komponist schließlich doch zu den ruhigen, friedvollen Tönen des Hauptthemas zurück. Von Kraft und Sicherheit erfüllt ist das rhyd^ misch eigenwillige Menuett, dem ein liebl^B sanftes, zartes Trio folgt. Das Finale (Allegro spirituoso) entfaltet sich auf einem lebhaften, der kroatischen Volksmusik entlehnten Thema, das anfangs über einem dudelsackartigen Baß erklingt und bald zu einem turbulent-fröhli chen Treiben führt. Ein sehr gegensätzliches, lyrisch-kantables Seitenthema wird dem Haupt thema gegenübergestellt. Ausgelassenheit und Lebensfreude dominieren in dem nur bisweilen leicht melancholisch eingetrübten Satz, der das Werk strahlend heiter ausklingen läßt. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-phil. Sabine Grosse/Renate Wittig Die Einführung zu Zelenkas „Hypocondria“ schrieb Dr. Wolfgang Reich, zu den Werken von Strawinsky, Mozart und Strauss Johannes Winkler Spielzeit 1979/80 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-2-80 EVP —,25 M 5. ZYKLUS-KONZERT 1 979/80