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ÄMGkilU M AWn AmtzeitVg N^.5. zu Nr. 291 des .Hauptblattes. 1926. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. LandtaMerhandlunxen. 4. Sitzung. Dienstag, den 14. Dezember 1928. Präsident Schwarz eröffnet die Sitzung 1 Uhr 35 Minuten nachmittags. Ain RegierungStifche Ministerpräsident Heldt, Mini ster Müller (Leipzig) und Regierungsvertreter. Die übrigen Minister haben ihre Abgeordnetensitze ein genommen. AuS dem Vortrag der Eingänge ist ein Schreiben der Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung (Kampfbund aller Entrech eten) zu erwähnen, die bittet, künftighin als Abkürzung der Partei nicht mehr den Namen „Aufwertungspartei" zu wählen, sondern „Bolks- rechtspartei" (Lachen b. d. Soz. und Komm ), da das Hauptziel der Partei in der Durchführung des Bolks- rechtes besteht, womit dann gleichzeitig auch im Unter ziel die Aufwertungsfrrge ihre Lösung findet. Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung über den Antrag des Abg. Böttcher gemäß Art. 27 der Ver fassung gegen die provisorische Heldt-Regierung. (Drucksache Nr. 56.) Der Antrag Nr. 56 lautet: Der Landtag wolle beschließen: Die provisorische Heldt-Regierung hat nicht das Vertrauen des Landtags. Abg. Böttcher (Komm. — zur Begründung): Tie Kommunmische Fraktion hat einen Antrag eingebracht, der provisorischen Negierung das Mißtrauen aus- zuspreö en. Wir haben uns dieses parlamentarischen Hilfsmittels bedient, um die Parteien des Landtages zu einer politischen Stellungnahme zu zwingen, um als Partei selbst Gelegenheit zu haben, unsere eigene Stellring zu der Frage vor d.n Massen auszurollen und, ver anlaßt durch den Kuhhandel wegen der Regierungs bildung zwischen den einzelnen parlamentarischen Parteien, die Frage der Regierungsbildung in dieser Form zu stellen. Wir wollen verhindern, daß mit dem Mittel einer angeblich geschäftsführenden Regierung in Wahrheit oer Bürgelblock in Sachsen regiert. Die Ne gierung hat bei den verschiedenen wichtigen poli tischen Enticheidungen im Lande draußen durchaus ihre bisherige politische Linie des verhüllten Bürgcr- blockes weitergefühlt. Der Kuhhandel über die Regierungsbildung wird natürlich beherrscht von der Lage im Reiche, wo eben falls Verhandlungen über die Regierungsbildung im Gange sind, und die Rechtsparteien in Sachen wollen jedenfalls keine Vorentscheidung bei der Regierungs bildung in Sachsen treffen, bevor die Frage nicht end gültig im Neictre für die nächste Zeit gelöst ist. Es ist eine Tatsache, daß die SPD. dort jetzt mit Sturmschritt zur Großen Koalition eilt. Sogar die angckündigten Enthüllungen gegen den Reichewehr- minister Geßler und die Reichswehr will sie als Kompen- fationsobjckt parlamentarischen Kuhhandels nach dieser Richtung hur benutzen. Bisher bestand im Reiche die stille Koalition, die die Volksparter zum Aufstiegen gebracht hat durch die Rede des volksparteilichen Führers Scholz in Insterburg. Die Initiative zur Aufrollung der Regierungsfrage im Reich kommt aho nicht von der Sozialdemokratie, sondern von der schwerindustriellen Volkspartei, die durch diesen Vorstoß ihres Führers den Weg für den Eintritt der Teutschnationalcn in die Reichsregierung freimachen wollte. Die Deutichnationalon arbeiten ebenfalls sehr intensiv, um den Bürgerblock zustande zu bekommen. Die Grundlage der deutschnationalen und auch der sozialdemokratischen Politik in der gegenwärtigen Regierungskrise ist die Außenpolitik. Es ist charakteristisch, daß die Teutschnationalen und die Sozialdemokraten heute darin mit der Schwerindustrie Hand in Hand gehen. Tas hat der deutschnationale Führer Hötzsch sehr oft erklärt, daß die Außenpolitik die Deutsch- nationalen nicht mehr hindere, sich an der Reichsregierung zu beteiligen. Tie Deutschnationalen gaben die Locarno- Politik ermöglicht, die Deutschnationalen haben durch ihre Abstimmung im Reichstage die Auslieferung der Reichsbahn an die Dawes-Profitjäger ermöglicht, die Deutschnationalen sind von Etappe zu Etappe zurück- gcwichen von ihrem früheren außenpolitischen Stan> punkt. Die Stellung der Deutschnationalen ist erklärlich aus der Wandlung der ökonomisch-polltychen Situation in Deutschland. Die deutsche Industrie und das deutsche Finanzkapital sind im Begriff, sich auch außenpolitisch stärker imperialistisch zu orientieren. Das Entscheidende in der jetzigen Situation ist die Abkehr der deutschen Außenpolitik von der Politik von Rapallo und die absolute West-Orientierung. Die deutsche Regierung ist die Gefangene der tvestimperialistischen Mächte. Nach Rapallo kam da- System von Locarno, das da- neue Bündnis Europas gegen Sowjetrußland be deutet. Als eine weitere Etappe nach Locarno folgten in Thoiry die Abmachungen zwischen Stresemann und Briand, die da- Lavieren des deutschen Kapitals zwi schen dem französischen und demenglischenImtperiali-mu» bedeuten. In der letzten Sitzung des Völkerbund-rote» t» Genf hat sich die deutsche Diplomatie eine vollendete Niederlage geholt. Die Genfer Konferenz, von der heute Stresemann zurückkehrt, hat im vollen Umfange gezeigt, daß alle sozialreformistischen Phrasen über dre Bölkerbundspolitik nichts anderes sind als Opium für die Arbeiterklasse. Man kann die Interessen Ker Arbeiter schaft nicht wahrnehmen, indem man im Völkerbünde arbeitet, sondern die Interessen der Arbeiterklasse werden wahrgenommen, indem der Völkerbund bekämpft und zerstört wird'. Der Völkerbundsrat in Genf hat wiederum bewiesen, daß die Phrase von der Gleichberechtigung aller Nationen im Völkerbünde nichts anderes ist als ein Täuschungsmanöver der internationalen Diplomatie. Alles in allem kann man sagen, in Genf ist nicht für den Frieden gearbeitet worden, sondern es wurde für den Krieg gerüstet! Entscheidend in allen imperialistischen Fragen der Gegenwart ist natürlich wieder die Rolle der Sozial demokratie. (Abg. Liebmann: Jetzt kommen wir!) Die Sozialdemokratie führt in Deutschland eine bedingungs lose Unterstützung des Imperialismus. Das deutsche Kapital wird von der deutschen Sozialdemokratie nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch unter stützt. lAbg. Liebmann: Wir werden ja auch vom Ka pital dafür bezahlt!) Ein wesentlicher Teil der sozial demokratischen Führer wird selbst nach dem Urteil der „Leipziger Volkszeitung" wie im Falle Bauer, des ehe maligen Reichskanzlers, vom Kapital für die sozial- reformistische Politik bezahlt. Das sollte Herr Liebmann eigentlich wissen,daß das in seiner „Leipziger Volkszeitung" selbst gestanden hat. Die bedingungslose Unterstützung der imperialistischen Politik durch die Führer der zweiten Internationale ist auch auf deren letzten Luxemburger Konferenz zum Ausdruck gekommen. Es ist genau wie 1914: die jeweiligen Führer der Reformisten ihres Lan des unterstützen die jeweiligen Regierungen ihres Lan des. Alle Vertreter der zweiten Internationale im Völkerbund sind die Agenten des Sozialreformismus. Sie haben die Aufgabe, die neuen kriegerischen Kom plikationen und Konflikte vor der Arbeiterschaft zu ver- sch'eiern (Abg. Ferkel: Mensch, ist das ein Quatsch!) und, statt den Widerstand des Proletariats gegen den Jmperalismus zu organisieren, erleichtern sic ihm seine Unterwerfung! Das ist die Rolle der Sozialdemokratie. Das markanteste Beispiel liefern die „Enthüllungen" des „Vorwärts" über die angeblichen Sowjet-Granaten. Diese Vorwärts-Enthüllungen sin) ein Teil des 1914 von der reformistischen Presse in die Arbeiter hinein- getragenen Giftes, um den Kapitalisten den Krieg zu erleichtern. Ans jeden Fall und zusammengesaßt sind sie nichts anderes als Munition für die Koalitionspolitik der SPD. Heute ist es eben cm wichtiger Bestandteil der internationalen kapitalistischen und einer reformi stischen Politik, mit internationalen Fälschungen und gefälschten Dokumenten zu arbeiten, um das Volk besser betrügen zu können. Methode und Waffe sind aber so alt. daß sie heute ihre Wirkung auf die aufgeklärte Arbeiterschaft nicht mehr ausüben können. Kenn zeichnend ist, daß die berühmten Enthüller über die Sowjet-Granaten bis heute noch nicht die Namen der Schisse genannt haben, die angeblich die russische Muni tion ausgeladen haben. Tie preußische Polizei hat ja die Hafengewalt in Stettin und der preußische Polizei minister ist ein Sozialdemokrat, Grcczinski, früher der Innenminister Severing. Sic müßten doch konkrete Angaben über die Ausladung der Munition machen können! Bis heute ist von alledem nichts erfolgt. Bon dem ganzen Enthüllungsfeldzug ist nichts weiter übrig- geblieben als die seit Jahren bekannte Tatsache, daß die Junker-Flugzeugwerke in Rußland einen Konzessions- betrieb errichtet haben. Tie deutschen Arbeiter und Techniker, die infolge der Bestimmungen des Versailler- Raubverlrages brotlos wurden, haben dnrch die Junkers werke in Rußland eine zweite Heimat gefunden. Ich komme zu der anderen wichtigen Frage, zu den Rückwirkungen der imperialistischen Außenpolitik auf die innere Politik. Imperialismus ist immer Reaktion im Innern. Tie SPD. war gegen das Lutherkabinett in Opposition getreten, aber diese Opposition hat den Weg für alle reaktionären Vorstöße der deutschen Kapitalisten geebnet! Die SPD. ist mit der jetzigen Reichsregierung Marx nach dem Lutherkabinett in eine stille Koalition eingetreten, die nichts anderes als ihre feste Mitverant wortung an den Regicrungsfragcn ist. Sie hat mit der Regierung über die wichtigsten Gesetzesvorlagen vor Einbringung im Reichstage verhandelt, und ihre Führer haben in der Frage des Schmutz- und Schandgesetzes ocr Marx-Regierung freie Hand gelassen. Sie hätte hier die Möglichkeit gehabt, die stille Koalition zu kündigen. Aber sie haben es nicht getan, sondern weiter nut der Negierung verhandelt- erst durch den Fußtritt des Herrn Scholz sind sie auS der Koalition herausgestogcn, nicht durch eigene Initiative rind nicht aus dem Willen, den Kampf gegen die reaktionäre Politik der Reichsregierung aufzunehmen! Ihre Scheinopposition wird am besten charakterisiert durch die Tatsache, da» sie den kommuni stischen Mißtrauensantrag gegen den Schundminister vr. Külz nicht unterstützt haben. Sie wollte sich den Weg zur Großen Koalition eben nicht verrammeln, und wird ja bald mit Herrn vr.Külz zusammen in der Großen Koalition sitzen. Damit wird die Sozialdemokratische Partei Wegebereiter in der Bourgeoisie für eine noch reakionürere Politik gegen das Proletariat. Die kapitalistische Rationalisierung ist in Deutschland noch nicht abgeschlossen, sie geht weiter. Infolgedessen geht in Deutschland auch weiter der AuSscheidurws- prozeß von Arbeitskräften au» der Produktion. Mit anderen Worten, die Dauererwerb-losigkeit in Deutsch ¬ land wird wachsen und kann von der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt nicht mehr beseitigt werden. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Bor dem Kriege hatte die Massenerwerbslosigkeit periodischen Charakter, heute aber ist die Erwerbslosigkeit zur Dauere,werb-losigkett geworden. Tie deutsche Bourgeoisie wird keinen AuS- weg aus dieser Krise kennen als den, in einem neuen Weltkrieg eine neue Blutabzapfuug an der Ueberbevöl- kcrung Deutschlands vorzunehmen durch eine neue Vernichtung von Millionen von Arbeitern. In der sächsischen Industrie sehen wir jetzt auf dem Gebiete ver Rationalisierung neue Vorstöße auf der ganzen Linie, sowohl hier in Dresden in der Zigaretten- mduftrie, wie vor allen Dingen auch in der sächsischen Textilindustrie. Die Textilarbeiterinnen gehören zu der an, erbärmlichsten bezahlten Gruppe der Arbeiter schaft. Es wäre Ausgabe der sächsischen Regierung ge- wesen, hier von vornherein einzugreisen und eine Aus sperrung der Textilarbeiter unmöglich zu machen. Aber selbstver stündlich haben wir nicht die Illusion, daß diese Aufgabe von einer Regierung, deren Präsident mit Kommerzienräten Autofahrten veranstaltet, durchgefühlt wird. Auf dem Gebiete der inneren Reaktion sind die Vor gänge bei der Justiz, bei der Reichswehr, bei der Kuliur reaktion allgemein bekannt. Die nächste Etappe dec Innenpolitik in Deutschland ist die Niederrinung der letzten politischen Positionen, die die Arbeiterklass: leit der Revolution behauptet hat. Das Schmutz- unc> Schundgesetz ist die Bajuvar sierung von Gesamtdeutsch land. Ich erinnere an den Skandal mit dem Potemkin- Film und jetzt mit der Oberplüfstelle in München, die Nathan den Weisen verboten hat. Der Külzsche Nor- malmenfch wird in Zukunft die deutsche Literatur und Kunst beherrschen. Das Schund- und Schmutzgesetz >st außerdem ein Ausnahmegesetz gegen die Kommunisten, denn die Reaktionäre machen nicht Halt vor dem Ver bote künstlerischer Literatur, sondern werden ihr Haupt- augenmerk auf das Verbot der kommunistischen Presse richten. Jetzt will ich den Herren von der Deutschnationalen Fraktion Aufklärung geben, warum ich diese Sache im Neichsmaßstabe behandelt habe: Tie Landesregierungen in Deutschland sind die Werkzeuge zur Dura führung der reaktionären Reichspolitik! Deshalb legen wir vor der Arbeiterklasse so großen Wert darauf, die Zusammen hänge zwischen der Landesregierung und Reichspolitik aufzuzeigen. (Sehr richtig! b. d. Komm » Wichtig ist, daß der sozialdemokratische Partcivorstand auch in Sachsen die Große Koalition will. Tie Große Koalition in Sachsen gehört zum Komplex der Koali- tionsfrage im Reichsmaßstabe. So wie die sächstsc. c Sozial demokratie heute hier im Landtage vertreten rst,ist auchsie Anhängerin der Großen Koalition im Sinne ihres Berliner Parteitages. Sie hat das schon mehrfach dar gelegt, zuletzt bei der politischen Erklärung gegen die 23 im alten sächsischen Landtage. Tie Sozialdemokraten haben offen erklärt, daß uc für eine KoaUtionspolitik sind, nur müßte innerhalb des Rahmens dieser Koalition der Fortschritt der Temokratie und die Interessen der Arbeiterklasse gewahrt werden. Tas letztere ist unmö. lich, denn eine Negierung und eine Koalition, die von der Schwerindustrie und von der in peralistiichen Politik ab hängig ist, ist immer gezwungen eine reaktionäre Politik zu machen. ES ist nicht möglich, die Interessen der Arbeiter im Bunde mit den Kapitalisten wahrzunehmen. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Sobald eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und bürgerlichen Parteien zustande kommt, siegt stets das ökonomische Übergewicht der bürgerlichen Parteien (Sehr richtig! b. d. Komm ), iind die Sozialdemokratie wird nur zur Kulisse, zur Verdeckung der bürgerlichen Diktatur in Teutschland. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Tas ,st eine Lage, die wir in Deutschland schon immer gehabt haben, die aber heute wieder fix und fertig auf der Tagesordnung steht. Die deutsche Bourgeoisie will ihre neue imperialistische Außenpolitik, will ihre Kriegsvorbereitungcn gegen Sowjetrußland unter der Deckung der Großen Koalition durchführen, wozu die Sozialdemokraten die unmittel baren Wegbereiter und Helfershelfer sind. (Lachen b. d. Soz.) Ich frage aber nun die SPD. in Sachsen, was sie für die Arbeiter, für ihre Forderungen, die sie ja nach den Wahlen in einem Aufrufe verkündet hat, g tan hat. Sie hat sich beschränkt auf parlamentarische De klamationen, aber sie hat nicht im geringsten den Kampf für die Forderungen der Arbeiterklasse vorangetragen. Ihre parlamentarischen Scheingefechte werden von der Arbeiterklasse in vollem Umfange entlarvt, das beweist ja auch der Wahlausgang, und das beweist die fort- schreiteude Linksentwickelung der oeutschen Arbeiterklasse. Di: ASP im Landtage anderseits ist eine sozial- faschistische Partei. Niekisch, der Führer der ASP hält Sitzungen mit Stahlhelm, Werwolf und Jungdo ab. Tas zeigt ebenfalls vor der Arbeiterschaft sehr klar, wohin die Politik dieser Partei führt. Auch die Na tionalsozialisten wollen nicht als Anhängsel derDeutfchna- .twnalen ganz rechts sitzen, sondern ihrer Weltanschauung nach gehören sie neben die ASP im Landtage; dement sprechend sitzen die Altsozialisten und die Nationalisten treu und einmütigaufdenhinteren Schulbänken nebeneinander. Die ASP hat von der Bourgeo sie die Aufgabe, die Durchführung des Klassenkampfes in den Gewerkschaften zu verhindern. Die ASP-Führer in den Gewerk schaften sind nur möglich mit der Unterstützung der SPD, und die hat nichts getan, um ihre Entfernung aus den leitenden GewerkschaftSfunltionen durch-usetzen.