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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrinumerationS-Preis 22j Silbergr. (! THIr.) vierteljährlich, Z THIr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie, Magazi n für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Iägerstraße Nr. 28), so wie von allen Königl. Poß-A-mtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 79. Berlin, Donnerstag den 3- Juli 1845. Spanien. Spanien und der Katholizismus. Nach Edgar Quinet.") l. Die Kirche. Zwei Gründe waren eS, die mich nach Spanien gezogen haben. Ter eine war ein rein wissenschaftlicher. Die Literatur eines Volkes mag Gegen, stand des Privatstudiums seyn; um aber öffentlich über das Volk zu reden, muß man die Orte, die Denkmäler, die Dinge, die Menschen, welche deren fortlaufender Kommentar find, mit eigenen Händen berührt unv mit eigenen Augen gesehen haben. Um über die Züge der katholischen Könige sprechen zu können, muß man ihre Spur durch Gebirge und Schluchten hindurch verfolgt haben; man kennt Philipp II. nicht, wenn man das Escurial nicht gesehen. In den Moscheen von Toledo und von Andalusien begreift man erst, was noch von Muhammedanischcm in Calderon's Ehristenthum ist. Mein zweiter Grund war die Rothwendigkeit, in dem katholischen Reiche selbst die Lage der katholischen Kirche zu erforscheu. An Ort unv Stelle wollte ich jenem berufenen spanischen ReligionSeiser ins Antlitz schauen, ihn in der Nähe betrachten und unter seiner Asche suchen. Droht er wieder zu erstehen s Hat er den Lärm erweckt, den die theologischen Streitfragen im Norden machens Nimmt er das Bündniß der Reaktion an? Rüstet auch er sich etwa, den Geist des europäischen Südens zu binden ? Ich will sofort bemerken, daß die Uederzeugung, zu welcher ich über diesen Punkt gekommen bin, diese ist, daß die Masse der spanischen Geistlich keit noch keinen Begriff hat von der verwickelten Taktik der Priester im Norden. So viel spitzfindige Erörterungen, Bücher, Flugschriften über die Kirche haben etwas Abschreckendes für einfältige Leute, welche nicht lesen und die beinahe jedes Neue wie eine Ketzerei ansehen. Unter dem halb philosophischen Ge wände, welches die streitende Kirche bei uns anzieht, erkennen fic ihre alte Kirche nicht wieder; instinktmäßig mißtrauen sie so vielen neuen Waffen, die sie nicht zu handhaben wissen. Das Kruzifix und der Säbel, das find noch die natürlichen Waffen der Menge jener von Muhammed stammenden Christen; in allen anderen sehen fie eine Gefahr und eine Schlinge für den Glauben. Auch find fie bis auf diesen Tag völlig taub geblieben gegen den Ausruf fremder Theologen und Priester. Ist es Instinkt der Uebcrlieferung, ist cS volksthümlichc Hartnäckigkeit, das katholische Reich hat kein Vertrauen zu jener Bewegung des Rückschrittes, welche ihr zu sehr in Abstraktionen und Vernunftschlüffe verwickelt erscheint. Die neuen, der Kunst der Laien abge borgten Farben verwirren jene gewohnten der Inquisition; um Alles zu sagen, die spanische Geistlichkeit, bis jetzt weit entfernt, das innige Bündniß etwa der französischen anzunehmen, ist vielmehr sehr geneigt, diese im Verdacht von Neuerungen, von Philosophie, von Eklektizismus, von Pantheismus, von Doktrinarismus zu halten, wenn anders jene Worte schon über die Pyrenäen gedrungen sind. Was ist Spanien seit zwei und einem halben Jahrhundert? ES ist ein Land, welches dazu aufbchaltcn war, als Schauplatz der cntschiedendsten Er fahrung zu dienen über die Wirkung ultramontaner Lehren, wenn sie sich selbst überlassen sind. Jedes einzelne reactionaire Beginnen verschwindet vor dieser Reaktion eines ganzen McnschenstammeS. Im Angesicht des neuen Europa, des Protestantismus, der Philosophie, sammelt sich der Geist der Vergangenheit im sechzehnten Jahrhundert in Spanien und schlägt daselbst Wurzel; ein im Cirkus in die Enge getriebener Stier, beut er der Menge seine Stirn. Volk und König verstehen einander. Zwei Jahrhunderte lang, so schwört dies Land, soll kein neuer Gedanke, kein neues Gefühl seine Gränzen überschreiten; und dieser Eid wird gehalten. Auf daß die Lehren des UltramontaniSmus unv des Konziliums von Trient zeigen mögen, was sie ganz allein für das Heil der movernen Völker thun können, wird ihnen dies Land überlassen, schonungslos preisgegeben. Selbst Muham- med'S Engel wachen auf der Zinne der arabischen Thürme von Tolevo und der Alhambra, damit kein Strahl dcS neuen Wortes in die Umzäunung dringe. Scheiterhaufen werden bereitet für Jeden, der die Zukunft anrufen will. Sevilla allein rühmt sich, in zwanzig Jahren sechszchntausenv Menschen ver- brannt zu haben! Noch nicht genug. Dies so verschlossene Land mußte noch von einem großen Könige beherrscht werden, Philipp II., einer unerschütter- *) I/HItrLwoutüuiswv ou I'exlige rowmuo et la «oeists mollerus. karr« 1844. lichen Seele, in der der Geist des Rückschrittes sich verkörpert. Selbst Titian'S und Rubens' Pinsel ist eS nicht gelungen, mit einem einzigen Sonncnblicke jene bleiche schreckliche Gestalt zu erhellen, jenes königliche Gespenst, den unbeugsamen Herrscher einer todesstarren Gesellschaft. Um dem Geräusch des neuen Lebens desto besser entgehen zu können, gründet dieser König seine Hauptstadt Madrid in einer Wüste; so viel er es vermag, führt er, schleppt er sein Volk in eine ThebaiS. Er selbst entflieht noch diesem Rest von Ge- räusch. Am Fuße der Felsen von Escurial sammelt er um sich vierhundert Mönche vom Orden des heiligen Hieronymus, die Tag und Nacht bemüht sind, ihn vom Lande der Lebenden zu trennen. Seine Zelle läßt er sich im Chor der Kirche bauen, am Fuße des Hochaltars in einer Vertiefung, wohin das Licht des Tages mit dem der Kerzen vermischt kaum durchzudringen ver. mag. In dieser Gruft wohnt er! Von dieser feuchten und dunkeln Gruft geht jener Geist des Rückschrittes aus, jenes eisige Wehen, das, sich fort« saugend dis in die äußersten Enden Spaniens, ein von der königlichen Schlange auSgehauchteS Gift, plötzlich den Schlag jenes großen castilianischen Herzens hemmt, das bis dahin so heiß geschlagen, in welches Arabien seine Gluth geworfen hatte. Dies dem Geiste Spaniens aufgedrückte Siegel war so stark, daß es un verändert die beiden letzten Jahrhunderte überdauert hat. Wie ist nun doch jene Maschine zertrümmert worben? Der französische Geist tritt dem Geiste des Rückschrittes in Spanien entgegen in den Kriegen Napolcon's I8V4 bis I8IZ; vas neunzehnte Jahrhundert kämpft gegen das fünfzehnte, Napoleon mit dem Schatten Philipp'S II. Die heilige Schaar verläßt die Klöster, das Kreuz in einer Hand, die Büchse in der anderen. In den Moscheen finden fie Muhammed's ÄriegSmuth wieder. Volk und Kirche besiegeln ihre mystische Vereinigung mehr als je in dem Blute von Saragossa. Die Mönche find Herren; fic haben die Feinde getödtet. Der von Philipp II. begonnenen RcaKion ist die Krone aufgesetzt worden; die siegreiche Kirche Spaniens braucht sich nur noch ihrer unangetasteten Herrschaft zu freuen. So scheint eS die natürliche Folge der Dinge. Allein gerade das Gegentheil geschieht. Spaniens Kirche, ganz freudetrunken nach Napoleon's Fall, geht unter in Spaniens Triumph. In der That, mitten in der allgemeinen Erregung wendet das Volk mit hunderttausend Stimmen sich an seine Kirche. „Spanische Kirche", so spricht eS zu ihr, „ich habe dich verthcivigt, ich habe dir den Sieg errungen, dich gerettet und gerächt. Während alle Völker andere Führer erwählt haben, bin ich dir treu geblieben. Nur dich hab' ich gewollt, nur dich gesucht, um ein neues Leben zu beginnen. Jetzt, da deine Feinde todt sind, sprich ein Wort für mich, ein einzig Wort des Lebens. Führe mich der Zukunft entgegen, von der die anderen reden, und die du allein besitzest. Ich bin nackt an Geist und Körper; kleide mich mit deinem Glanze. Kirche eines heiligen Dominikus, einer Theresia, eines Johann von Alcantara, sprich eines jener Flammenworte, die Wunder gebären, und welche sonst die Heiligen zu unseren Vätern sprechen konnten." Allein auf diese neuen dem Herzen des Volkes entsprungenen Reden blieb die Kirche stumm; sie begriff diese Sprache nicht einmal. Sie schloß ihre ehernen Pforten; sie verschwand wie von selbst in die Klöster, von wo kein Gebet, kein Seufzer ausging für diese nach Hoffnung dürstende Nation. In diesem Augenblicke begriff das spanische Volk, daß die Kirche und das Volk ein ganz geschiedenes Leben hätten ; cS setzte seine Hoffnung außerhalb jener; es trennte sich von ihr und suchte anderswo die Gegenwart und die Zukunft. Will man noch einen bestimmteren Grund für diesen Staunen erregenden Fall ver spanischen Kirche, er ist, unverhohlen gesagt, folgender. So lange der Krieg dauerte, hat der Klerus dem Geiste seines Landes und seiner Zeit ent sprochen. In der Schlacht wußten diese Männer wohl das Feldgeschrci des HaffeS und der Vertilgung zu rufen. Sie haben gefühlt, was cs Heiliges im Kampfe giebt, und deshalb sind sie zu ehren. Sie waren die Männer des alten Testaments, die Priester des Schlachtengottes, deck Allah und Jehovah, die für einen Augenblick unter demselben Banner vereint waren. Sie haben, wie im alten Testament, ihres Feindes Haupt an der Mauer zerschellt. DaS ist ihre Größe, daß sie mit der Feinde Blut ihre Kleider gefärbt. Als aber die Schlacht geendet war, da konnten diese an das Geschrei des HaffeS gewöhnten Lippen das Wort des Friedens und der Versöhnung nicht wieder finden. Sie hatten aus dem Kruzifix eine Guerillawaffe gemacht; in diesem Fluch verbreitenden Christus vermochten fie den Hirten der Welt nicht wieder zu erkennen. Man meint gewöhnlich, der Klerus sey gefallen, weil er seine Hände nicht