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Mittwoch. Nr. iss. 18 August 1888 «Wahrheit und Recht, Freiheit und GesetzI» Zu beziehen durch alle Postämter des Zu- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). MreiA für das Viertel jahr 1'/, Thlr.; jede ein zelne Nnmmer 2 Rgr. Bnserttonsgevühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. BetPziH. Di« Zeitung SM- Dtiitscht Mgmtuit Ztitmig Der Deutsche Bund und die LandesgeseHgebungen. n. ----Leipzig, 14. Attg. „Der Deutsche Bund ist ein völkerrechtlicher Ver tin der deutschen souveränen Fürsten und Freien Städte. — Dieser Verein besteht in seinem Innern als eine Gemeinschaft selbständiger, unter sich unabhängiger Staaten. — Der Umfang und dir Schranken, welche der Bund seiner Wirksamkeit vorgezeichnet hat, sind in der Bundesacte be stimmt; indem dieselbe die Zwecke deS Bundes ausspricht, bedingt und be grenzt sie zugleich dessen Befugnisse und Verpflichtungen. — Der Gesammt- heit der Bundesglieder steht die Befugniß der Entwickelung und Ausbil dung der Bundesact« zu, insofern di« Erfüllung der darin ausgestellten Zwecke solche nothwendig macht. Die deshalb zu fassenden Beschlüsse dür fen aber mit dem Geist der Bundesacte nicht im Widerspruch stehen, noch von dem Grundcharakter des Bundes abweichen. — Die BundeSversamm- lung übt ihre Rechte und Obliegenheiten nur innerhalb der ihr vorgczeich- ncten Schranken aus. Ihre Wirksamkeit ist zunächst durch die Vorschriften der Bundesacte und die in Gemäßheit derselben beschlossenen oder ferner zu beschließenden Grundgesetze, wo aber diese nicht zureichen, durch die im Grundvertrage bezeichneten Bundeszwecke bestimmt. — Der Gesammtwille de» Bundes wird durch verfassungsmäßige Beschlüsse der Bundesversamm lung ausgesprochen; verfassungsmäßig aber sind diejenigen Beschlüsse, die innerhalb der Grenzen der Competenz der Bundesversammlung .... ge- faßt werden." In diesen Sätzen der Wiener Schlußakte (Art. 1, 2, 3, 4, 9, 10) sind die allgemeinen Grenzen dec verfassungsmäßigen Competenz der Bun desversammlung vorgezeichnet. Es liegt schon in dem Begriffe eines „völ kerrechtlichen Vereins" und in der ausdrücklichen Bezeichnung der einzelnen Bundesstaaten als „selbständiger und unabhängiger", daß eine Einwirkung dieses Vereins auf die innern Angelegenheiten seiner einzelnen Glieder nur insoweit stattfinden darf, als dies der Zweck der Vereinigung unumgäng lich erheischt und al», eben um dieses Zweckes willen, die einzelnen Mit glieder selbst eine solche Einwirkung im Wege vertragsmäßiger Ueberrin- kunft zugestanden, somit ihre eigene Souveränität freiwillig beschränkt haben. Daraus folgt nothwendig, daß nur in den in der Bundesacte und andern ihr gleich geltenden organischen Grundgesetzen des Bundes ausdrück lich vorgesehenen Fällen eine Einwirkung der Bundesgewalt auf die innern Angelegenheiten der einzelnen Lander statthaft ist. Es folgt daraus ferner, daß, obzwar der Bundesgewalt die Befugniß einer Entwickelung der Bun desacte, also auch einer Erweiterung ihrer eigenen Befugnisse, zusteht, auch dies nur unter zwei Beschränkungen zulässig ist; einmal unter der, daß die zu fassenden Beschlüsse mit dem Geiste der Bundesacte nicht im Widerspruch stehen, also namentlich den obersten Grundsatz dieser, den völ kerrechtlichen Charakter des Bundes und die Selbständigkeit seiner Mit» glieder, nicht verletzen dürfen; fürs zweite aber unter der Bedingung, daß zu einer solchen Abänderung, beziehentlich Erweiterung der Bundesverfas sung „die Gesammthrit der Bundesglieder" ihre Zustimmung geben, also bei Fassung derartiger Beschlüsse Einstimmigkeit herrschen müsse. Zwar behält Art. 17 der Schlußact« der Bundesversammlung das Recht der „Auslegung" des Sinns der Bundesacle und der „Sicherung der richtigen Anwendung der Vorschriften dieser Urkunde" vor, und in einem besondern Beschlusse (vom 28. Juni 1832) hat der Bundestag erklärt, „daß zu einer Auslegung der Bundes- und der Schlußacte mit rechtlicher Wirkung nur allein und ausschließend der Deutsche Bund berechtigt fei, welcher dieses Recht durch sein verfassungsmäßiges Organ, die Bundesversammlung, aus übt". Allein dadurch wird in der allgemeinen Competenz deS Bundes nichts geändert, denn natürlich ist eine solche Auslegung der Bundesgrund, gesetzt (nach bekannten allgemeinen Rechtsprincipien) ganz an dieselben Be dingungen gebunden, wie eine Abänderung oder Entwickelung jener Ge setze, mit andern Worten, sie muß ebenfalls mit Stimmencinhelligkeit stattflnden und darf dem Geiste der Bundesacte und dem Grundcharakter deö Bundes nicht widersprechen. Sehen wir nun zu, in welchen Fällen die Grundgesetze des Bunde- eine Einwirkung desselben in die innern Angelegenheiten der einzelnen Län der festsetzen, so sind dies folgende: in der Bundesacle Art. 12: Einsetzung von Gerichten dritter Instanz in allen Bundesstaaten; Art. 13: Einführung landständischer Verfassungen; Art. 14: Vorbehalt gewisser Rechte für die ehemals Neichsunmittelbaren; Art. 16: Gleichstellung der christlichen Reli gionsparteien in Bezug auf den Genuß bürgerlicher und politischer Rechte; Art. 17: Feststellung der Rechte deS fürstlichen Hauses Thurn und Taxis in Bezug auf das Postwesen; Art. 18: Rechte, welche ihren Unterthancn zuzusichern die Bundesglieder übereingekommen sind; Art. 19: Regelung der Verhältnisse des Handels und Verkehrs sowie der Schiffahrt. In der Schlußacte, Art. 25: Erhaltung oder Wiederherstellung der Ruhe in den einzelnen Bundesstaaten im Fall einer Widersetzlichkeit der Unterthancn gegen die Regierung, eines offenen Aufruhrs oder gefährlicher Bewegungen in mehren Bundesstaaten; Art. 29: Justizverweigerung; Art. 53: Ueberwa- chung der Erfüllung der durch die Bestimmungen der Bundesacte den ein zelnen Bundesgliedern auferlegten Verbindlichkeiten, wenn sich aus hinrei chend begründeten Anzeigen der Betheiligten ergibt, daß solche nicht statt gefunden; Art. 54: Ucbcrwachung der Ausführung von Art. 13 der Bun- deSacte in allen Bundesstaaten; Art. 57: Festhaltung des Grundsatzes, daß die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staats vereinigt bleiben müsse; Art. 58: desgleichen, daß die im Bunde vereinten souveränen Für sten durch keine landständische Verfassung in der Erfüllung ihrer bundcs- mäßigen Pflichten verhindert oder beschränkt werden dürfen; Art. 63: spe- ciclle Ueberwachung der genauen und vollständigen Erfüllung der in Art. 14 der Bunbcsacte enthaltenen Bestimmungen in Betreff der ehemals Reichs unmittelbaren. Es läßt sich nun leicht erkennen, ob auf einen bestimmten Fall (wie z. B. den in Sachsen vorliegenden wegen des JagdrechlS) einer der ange führten Punkte Anwendung leide oder nicht. Nur dann, wenn Ersteres zweifellos stattfindct, ist eine Einmischung des Bundes in die innern An gelegenheiten eines Bundesstaats zulässig. Allgemeine Berufungen auf die Obcrherrlichkeit des Bundes sind ebenso wenig statthaft wie eigenmächtige Schlußfolgerungen aus gewissen beliebig gedeuteten Sätzen des Bundes rechts. Wenn z. B. die Verfasser des Deputationsgutachtens der 1. Kam mer oder deren Parteigenossen in der Presse so schließen: der Bund hat zum Zweck die innere und äußere Sicherheit Deutschlands; die innere Si cherheit wird durch eine Rechtsverletzung gefährdet; die Aufhebung de- Jagdrechts war eine Rechtsverletzung, folglich muß der Bund um der in nern Sicherheit Deutschlands willen diese Aufhebung rückgängig machen — so leidet eine solche Schlußfolgerung nicht blos in ihren einzelnen Theilen an verschiedenen logischen Fehlern, sondern an dem allgemeinen Haupt- und Grundfehler, daß das Bundesrecht, als das Recht eines Staatenbundes, nicht eines Bundesstaats, überall die strikteste Auslegung der Befugnisse der Bun» dcsgewalt gegenüber den Einzelstaaten fodert, und daß die Grundgesetze deS Bundes ausdrücklich die Machtvollkommenheit der Bundesversammlung auf die in ihnen selbst speciell vorgesehenen Fälle beschränken. Deutfchlan Frankfurt a. M., 11. Aug. Dem Nürnberger Correspondenten wird von hier in Bezug auf die Gerüchte von bevorstehenden Reformen der Bundesverfassung geschrieben: „Es herrscht in den hiesigen Kreisen die entschiedene Ansicht vor, daß, bevor derartige Neformprojecte aufgefaßt werden könnten, die allgemeine politische Lage von den ernsten Wirren, «in welchen sie verkehrt und die möglicherweise zu den überraschendsten Resul taten führen dürften», befreit sein müsse." Preußen. F Berlin, 13. Aug. Das Aufhören der russischen Grenzsperre (denn als solche ist das bisherige russische Zollsystem wol anzusehen) gegen Preußen und Oesterreich, beziehungsweise Deutschland, wird von so vielen Seiten her in Aussicht gestellt, daß man sich wol der Hoffnung überlassen darf, dieselbe werde wirklich, wenigstens eine bedeu tende Modifikation derselben, Eintreten. Commerzielle und politische Motive nöthigen Rußland auch dazu. Denn ohne eine solche Nöthigung hätte sich dieses nicht dazu entschlossen. Indessen werden die deutschen Unterhändler gegen die russische Diplomatie auf ihrer Hut sein müssen. Wahrscheinlich wird Rußland den Traktat über Handelserleichterungen an der deutschen Grenze nur auf einen kurzen Zeitraum abschließen wollen, vielleicht auf drei Jahre, um mit der Wiederkehr des Friedens alsbald wieder zum Pro hibitivsystem zurückkehren und dem deutschen Handel den Osten von neuem verschließen zu können. Dann wäre aber die jetzige Handelserleichterung nur ein vorübergehender Vortheil für Deutschland, während die gegenwär tigen Umstände von der Art sind, daß geschickte Unterhändler einen dauern den Vortheil daraus für Deutschland ziehen können. Diese Angelegenheit steht nämlich so, daß Deutschland, nachdem es den Nachthett der russischen Sperre so lange getragen hat, ihn auch noch länger ertragen kann. Ruß» land dagegen sieht sich, wenn Deutschland sich ihm versperrt, rundum blockirt, folglich seinen Handel fast ganz vernichtet. Eine solche Gelegenheit, dasselbe zum Nachgeben zu nothigen, sollte sich Deutschland nicht entgehen lassen, denn sie dürfte sobald sich nicht wieder darbieten. Die deutschen Diploma ten müssen daher durchaus auf einem Zeitraum von mindestens zwölf Jah ren beim neuen Handelsverträge mit Rußland bestehen. Sie verlangen da- mit auch nur etwas Gerechtes. Denn hätte Rußland nicht den Wiener Traktat von 1815 über den freien Handel in Polen verletzt, so wäre der