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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration^ Preis 22j Sgr. Thlr.j vierteljährlich, 3 Thaler für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen Ser Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieser Beiblatt der Allg-Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in dec Expedition (Mohren-Straße Nr. Aj); in der Provinz so wie im Auslande bei Len Wvhllöbl. Post - Aemlern Literatur des Auslandes. »W" 2ä. Berlin, Mittwoch den 27. Februar 1833. Frankreich. DecazeS' Wirksamkeit während der Restauration.") l. Das Ministerium Dessolle. Der sechste Band der ,,Geschichte der Restauration'" ist in Be zug aufPic parlamentarischen Verhältnisse, die in ihrer weiteren Enl- wickelung den Sturz de« alteren Zweige« der Bourbonen herbciführlen, Ler reichhaltigste unter den bis jetzt erschienenen; er beginnt mit dem Abtrclcn de« Ministerium« Richelieu (1818), umfaßt die Ge schichte der Ministerien Dcssollc und Decazes und schließt mit der Ermordung de« Herzog« von Berry und dem zweiten Ministerium Richelieu. Diese an und für sich höchst wichtige Epoche der Ge schichte der Restauration gewinnt in Bezug auf die gegenwärtige» Verhältnisse noch dadurch ein besondere« Ziilcreffe, indem wir in'ihr zuerst die so verschieden bcurlheille» Doclrinair« an den öffentlichen Angelegenheiten Frankreichs thäligen Antheil nehmen sehen. Wir befinden uns im Herbste de« Jahre« 1818; der Herzog Y. Richelieu war noch auf dem .Kongresse in Achen; die Session der Kammern sollic im Dezember eröffnet und nach dem damaligen Wahl- Gesetze der siinfle Theil der Kammer erneuert werben. Da« Hcrail- nahen der Wahlen brachte die Parteien in Bewegung; die Journale waren durch die Ccnsur gefesselt, desto thätigcr waren die Parteien in den Broschüren, ihre Kandidaten zu empfehlen. Die Regierung deutete in den Mannern, die sic zu Präsidenten der WabkKvllcgien ernannte, deutlich genug an, daß sic Männer von gemäßigten Ge sinnungen wünsche, denn fast alle ihre Kandidaten gehörten dem roch- len und linken Cenlrum an; aber gerade diese waren es, welche von der rechten wie von der äußersten linken Seite verworfen wurden. Die ullraliberale Partei brachte in dem Journale Minerva sogc- nannte unabhängige Männer in Vorschlag, und Herr Etienne suchte in einem seiner Briese über Pari« zu beweisen, daß mau Dcpttlirlc von der Farbe der Herren Dupont v. d. Eure und Vovcr-dÄrgcnson wählen müsse. Die Royalisten ihrerseits zogen es, aus Haß gegen das Wahl- Gesetz und gegen eines der Mitglieder des Kabincl«, Herrn Decazes, vor, da, wo sic selbst keine Aussicht auf Sieg bei dem Wahl-Kampfe batten, den ultraliberalen Kandidaten zu unterstützen, um zu zeigen, daß das Wahl-Gesetz schlecht scy und die Monarchie zum Untergänge führen müsse. Die Minister crthcillen den Präfekten Befehl, ein wachsame« Auge aus die Wahlen zu haben und sowohl die Kandi daten der royalistischen wie die der liberalen Opposition wo möglich zu beseitigen, die confiittttionnellcn Kandidaten hingegen zu begünsti gen. Der Gras v. Artois hatte, als General-Oberst der National- Garde , in den Departement« eine Menge von Inspektion«-Comitt'S organisirt, durch die er einen dem Ministerium feindlichen Einstuß aus die Wahle» auszuübcn suchte; er mußte daher von diesem Posten entfernt werden, und e« gelang, durch einen geheimen vom Grafen Lain,' verfaßten Bericht den König zu bewegen, seinen Bruder, mit Beibehaltung de« Titels, jenes wtchtigen Postens zu entkleiden und dir National-Garde dem Ministerium de« Innern unlerzuordnen. Das Resultat der Wahlen war dadurch merkwürdig, daß fast gar keine Royalisten, sondern nur ministerielle und liberale Kandidaten in die Kammer kamen. Die bedeutendsten Namen waren Camille Jordan, v. Bondy, Girod vom Ain, V. Köratry, General v. Am- brugcac, Manuel, Chaband-Latour, General Lafayette und Ternaur- Von den beiden Letztgenannten ward der Erstere, der in seinem eigenen Departement, dem der Seine und Marne, durchgesallcu war, sonderbar genug, in dem royalistischen Departement der Sarthc, dem alirn Schäuplätzc der Vendöc-Kriege, gewählt; der Letztere trug in Pari«, nach mehrtägigem Wahl-Kampse, den Sieg über Benjamm Constant davon, indem ein Thcit der royalistischen Wäh ler die Slimmcn ans ihn übertrug Ein schlagender Beweis, daß das Resultat der Wahlen nicht den wahren Ausdruck der Gesinnun gen der einzelnen Departements lieferte, lag darin, daß Manuel gleichzeitig in den ultraroyalistischcn Departements der Vcndi'c und Ler Sarihe zum Deputirten ernannt wurde. Diese ausfallenden Er gebnisse und insbesondere die gänzliche Ausschließung der Royalisten von der äußersten rechten Seile beunruhigte» de» Herzog v. Ri chelieu. ,,Mit Schrecken", so schrieb er von Arben nach Paris, „scbe ich die Männer der hundert Tage in die Kammer kpmmcn und die Royalisten allmälig ans derselben verschwinden." Ans dem sechsten Bande der ttstmcke üe l- reckaur-üao, p-c u» Uomwe Der Herzog v. Richelieu kehrte am 25. Nov. nach Parr« zurück; am 10. Dez. sollten die Kammer» eröffnet werde», und eS war für das Kabincl vor allen Dingen nölhig, sich über da« in der bevor stehenden Session zu befolgende System zu verständigen. Hierbei trat zwischen dem Herzoge Richelieu und Herm Decazes eine McimmgS-Vcr- schicdcnheil hervor, welche bald die Auflösung des Ministeriums hcr- beisührtc; der Erstere hielt eine Umschmrlzüng de« Wahlgesetzes im royalistischen Sinne für unumgänglich nolhwendig, wenn die Mo narchie vor dem Untergänge bewahrt werden solle, und wollte zu die sem Bchusc in der Depütirlcn-Kammcr eine aus der rechten Seite und dem rechten Cenlrum bcstchlndc Majorität sormircn; der Gras Decazes hingegen bestand daraus, daß das Wahlgesetz unangeta stet bleibe, und daß da« Ministerium sich auf den liberalen Theil der Kammer stütze. Mitten untcr diesen Spaltungen ward die Session eröffnet. Die Thronrede kündialc ein gemäßigt liberales System, zugleich aber auch Unterdrückung der Parteien an; die Pairs-Kammcr antwortete Lurch eine entschieden royalistische Adresse und appellirtc an die Königliche Gewalt zur Zügelung des rcvolu- tionnaircn Geistes, die Adresse der Dcputirtrn-Kammcr war im Wc- scrulichm cinc Paraphrase der Thronrede. Aber der Bruch im Ka binette, der inzwischen immer entschiedener ge worden war, ließ sich den Kammern nicht länger verhehlen, und nach, mehreren fruchtlosen Unterhandlungen und Versuchen einer rein royalistische» Combmalion »ahmen der Herzog von Richelieu und mit ihm die Hcrrcii Lain,', Roy, der erst vor kurzem an die Stelle de« Herrn v. Corvctto al« Finanz-Minister getreten war, Mok' und PaSguier ihre Ent lassung; der Graf Decazes, außer dem Kriegs-Minister Saint-Cvr, das einzige nicht ablrctmdc Mitglied des vorigcn Kabincl«, schlug dem Könige ein neue« Ministerium vor, speiche« am 29. Dez. in folgender Weise fcstgestclll wurde: der General Dessollc, Präsident des Ministcrraths, Graf v- Serre«, Großstegelbewahrer, Gras Dc- cazcs, Minister des Innern, Baron Portal, Marine-Minister, und Baron Loui«, Finanz-Minister. Wenn das vorige Ministerium sich auf das rechte Ccntrum ge stützt und sich durch die Doctrmair« dem linken Ccnttum genähert hatte, so stützte das neue sich auf da« linke doclrinaire Centrum, mit einer Tendenz znr äußersten Linken; indem c« diese Stellung in der Depulirtcn-Kammcr einnahm, entfremdete es sich da« rechte CcntnlM und bereitete dadurch eine Bereinigung zwischen diesem und der äußersten rechten Seite vor; noch abgeneigter machte e« sich die Paus-Kammer. Da« neue Ministerium bestand indessen aus talent vollen und rechtschaffenen Männer». Der Marquis Dessolle, Waf- fengefährtc Moreaus und au« der Schule, die vor der Macht Na poleon'« das Knie nicht beugte, hatte bei der erste» Restauration eine thälige Rolle gespielt und in der Konferenz bei dem Fürsten Taücyrand, welche die Rückkehr der Bourbonen vorbereitete, großen Einfluß ausgcübl. Er war kein Man» von umfassendem Geiste und großen Ansichten, besaß aber ei» licses Gefühl für Freiheit und Ehre; er war ein Mittler Charakter, wie man sic unter de» StaatSmänncrn selten trifft. General Dessollc halte da« Ministerium mit Widerstre ben angcnommm, weil cr fühlte, daß ihm jene Thätigkcil des Gei stes und jene Entschlossenheit abgingen, welche bei einem Premier- Minister so wesentliche Eigenschaften sind: er war cben so wenig Redner, wie der Herzog v. Richelieu, und dennoch üble sein Wort großen Einfluß aus eine Versammlung au«, weil man, wenn cr auch sich selbst bisweilen täuschte, doch nie den Verdacht gegen ihn hegen konnte, daß er Andere wissentlich täusche. Was die Verhältnisse zum Auslände betraf, so besaß cr besonders das Vertrauen des Kai sers von Rußland; auch von dem Könige von Preußen und dem Kacker von Oesterreich war cr gekannt mid halte sich ihr Wohl wollen erworben. Al« Ches de« GcncralstabeS der Pariser National- Earbc hatte General Dcssollc i» einigen Beziehungen mit dem Her zoge von Wellington gestanden. Bei Hofe hatte er wenig Emfinß, diesen überließ er dem Grasen Decazes. Herr v- Serres begann eben scine schöne parlamentarische Laufbahn; er war ei» grolle« Talent, welche« eine berathende Versammlung zu beherrschen wußlc. Als Staatsmann besaß Her- y. Scrre« weder Uiicrschütterlichc Festig keit cer Ansichten noch Beharrlichkeit in scinen Plänen und feinem Benehme»; er balle tiefes Gefühl und ließ sieb deshalb leicht von den Eindrücken hinreißen, die in einem vom RevoiulioiiSgeiste auf geregten Lande so mamugfach sind. Mair hat ihm Widersprüche in seinem politischen Leben vorgeworfm, und allerdings muß ihm die Geschichte diesen Vorwurf machen, aber einer Faclion gegenüber, die von 1819 an ihrc Amipaih'e gegen das Hau« Bourbon nicht mehr