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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.03.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120306013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912030601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912030601
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-03
- Tag 1912-03-06
-
Monat
1912-03
-
Jahr
1912
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De^ngr-Prel- sllr Lripzia »nd Vorort« d«rch mkr, Trägrr und Eorditror« 2»«t täoltch tn» Pau« gebracht:« PI. monatl^ r.70 Mk. »tenrliähkl. Bet ansern Fittal«« «. >a» »ahmestellen abarhoU: 7» Pt. «oaatl, L»»N. »t«r1«lstchrl. »,rch dl« Po»; .anerbalb Deutlchlond» und der deutsche« Kolonien vierleliährl. S,l>o Mk., monatl. 1.» Ml. ausfchl. Poltbeftellarld. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donaustaaten. Italien, Luiemdura, Niederlande. Nor wegen, Österreich »Ungarn, Nutzland, Schweben. Schwei, u Spanien. 2n alle« übrigen Swarrn nur direkt durch dt« Geschäftsstelle de» Blatte» erhältlich. Da» L«ip,tg,r la,«blatt erscheint 2«al täglich. Sonn» u. F«tertag» nur morgen». Lbonneinents.Nnnahine: Johanni«,ass« >, det unseren Trägern, Filialen. Spediteure« >md Annahmestellen, sowie Postämtern uud Briefträger«. Pt»1«l»»»ta»s»,i«t» 10 WMtr T llgMM s"692 lRachtauschlus» , s"«92 M.chta.Ichltch) Lel.-^nschl.114 8S3 Vel.-Änschl. k 14 89S (14894 o ( 14 894 Ämtsvkatt -es Aales »nd des Volizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen Prei- flr Snserat« «u, L«t„«g und Umgebmm dl« lsvalttge Petit,«»« S Pf dte Neklame» r«tl« l Mk. von auiwärt, »I Pf, Neklame« TÄ) Mk. Inserat« von Behärden im amt. lich«n Teil dt« P«ttt,»il« SO Pf P«schäft»an,«igen mtt Platzvorschrtft«» im Preis« erhöht. Rabatt nach Taril «eilagraebllhr Gesamt auslag« L Mk. o Tausend eikl. Postgebühr, Teildeila,e Höher. Fest«rt«ilt» Aufträge können nicht iurtlck- ,«,og«n werben. Für da» Erscheinen a« bestimmten Tagen und Plätzen wird kein» Garantie übernommen. Anzeige«-Annadm«: Iohanui.gag« det sämtliche« Filialen u. allen Annoncen» E,p«ditton«n de» In- und Au»landea Druä «ch Verla, »o« Fischer L Atirst« 2nhad«r: Paul Kürfteu. Prdattlon und Geschält»st«ll«: 2ohanni»gass« d. Haupt-Filial« Treidel: Seeftrah« ch t (Telephon «SW Nr. 120 Mittwoch, Sen S. Msr; lS!2. 106. Islirgany. Buhtagshalbrr erscheint die nächste Nummer Donnerstag früh. Unsere gestrige Abendausgabe umfaßt 12 Seiten, die vorliegende Morgennummer 28 Seiten, zusammen 40 Seiten. Das Wichtigste. * Der Reichstag setzte am Dienstag die zweite Beratung des Etats des Ministeriums des Innern fort. (S. bes. Art. S. 10.) * Die Sächsisch« Zweite Kammer beriet am Dienstag äusser dem Antrag der Fortschrittlichen Bolkspartei auf jährliche Einberufung des Landtags den sozialdemokratischen Antrag auf Ein führung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts. (S. bes. Art. u. Bericht S. 10.) * Das Aufklärungsgeschwader soll von Kiel nach Wilhelmshaven verlegt werden. (S. Pol. Umschau. S. 9.) * Frankreich plant die Entsendung eines Kriegsschiffes nach Mexiko. (S. Ausl. S. 9.) * Die Pariser Kraftdroschkenbesitzer lehnten die Bermittelungsvorschläge der Regierung ab. (S. Ausl. S. 9.) *Theateran zeigen siehe Seite 21 und 22. SumsnitSt unü Selbstmord. Uns wird geschrieben: Nach der Statistik des Deutschen Reiches von 1911, S. 28, sind im Jahre 1909 im kleinen Königreiche Sachsen 1521 Selbstmorde vorgekommen s32 auf 100 000 Einwohner), im Verhältnis zur Gesamt einwohnerzahl wesentlich mehr als in Preußen, Bayern, Württemberg und Baden. Jeder sittlich ernst gestimmt« Vaterlandsfreund mutz über diesen Stand der Dinge sich betrüben, noch mehr sich entsetzen. Anwälte unseres Geschlechts, die für alle zutage tretenden sittlichen Schäden Entschul digungen wissen, werden natürlich auch hierbei mit ihren Tröstungen bei der Hand sein. Sie werden darauf Hinweisen, daß in Sachsen 320 Menschen auf den Quadratkilometer kommen, daß das Land hervor» ragend industriell ist, 34 Städte über 10 000 Ein wohner. darunter 4 über 100 000, besitzt usw. Der artig« Trostgründe können bei Ernstgesinnten nicht wohl verfangen. Die Tatsache, daß m der Selbst mordstatistik Sachsen-Loburg-Gotha, nächst ihm Sachsen-Altenburg und Bremen am ungünstig sten dastehcn, dagegen andere auch hochindustrielle und dichtbevölkerte Gegenden wesentlich günstiger, weist nachdrücklich darauf hin, daß hierbei noch andere Einflüsse walten, als die von der Statistik erfaß baren. Zugegeben werde, daß Anlässe, das Leben un erträglich zu finden, in Bezirken, wo große Menschen massen dicht zusammengedrängt leben, häufiger sich Minden, als in solchen mit überwiegend ländlicher und kleinstädtischer Bevölkerung. Aber von der Un lust am Leben bis zum verzweifelnden Hinwegwerfen desselben ist noch ein weiter Weg. Wird dieser von einer erschreckend großen Zahl beschritten, ohne daß in letzter Stunde noch Pflichtgefühl und Besonnen heit zwischen Vorhaben und Ausführung tritt, so wird der Tieferblickende den Hauptgrund dann suchen mögen, daß in dem betreffenden Landesteile der Glaube an eine Fortdauer nach dem Tode und eine im Jenseits abzulegende Rechenschaft in weiten Krei sen wankend geworden oder geschwunden ist. Der Verfasser versagt es sich, diese Eedankenreihe, so sehr sie ihm persönlich am Herzen liegt, hier weiter zu verfolgen. Er überläßt das anderen, Berufene- ren. Er beschränkt sich darauf, die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Gesamtheit der Bevölkerung an dem Umsichgreifen des entsetzlichen Krebsschadens, des Selbstmordes, mitschuldig sein möchte, und daran an- zutnüpfen. Ehedem, noch zur Zeit unserer Großväter, wurde der Selbstmord als eine schwere Versündigung gegen göttliche und menschliche Ordnung öffentlich gebrand- markt durch Verweisung an eine besondere Begräb nisstelle, Verweigerung des Ehrengeleites usw. Wir sind weit davon entfernt, jene Zeit uns zurückzuwün schen. Bei den jetzigen Verhältnissen, zumal den großstädtischen, könnten Abschreckungsmittel dieser Art nur zu argen Härten, und was noch schlimmer, zu empörenden Ungleichheiten führen. Unser nur allzu weichliches Geschlecht ist aber ent schieden in dar andere Extrem verfallen, den Selbst mord mit übermäßiger Milde zu beurteilen und zu behandeln. Daß man dem einzelnen Selbst mörder gegenüber die Pflicht der Nichtrichtens üot, ist sicher nur löblich, da niemand zu solchem Richter amte berufen und bei der Undurchdringlichkeit der dem Selbstmorde vorangegangenen Seelenvorgänge befähigt ist. Liegen im einzelnen Falle unzweifelhaft mildernde Umstande vor (wie erbliche Belastung, schwere Krankheit, Geistes- oder Gemütsstörung), müssen sie selbstverständlich gelten, wie sie von den Gerichten selbst Dieben, Totschlägern und Mördern zugute gerechnet werden. So viel aber auch schonende Milde im einzelnen Fall« geübt werde, so entschieden möchte anderseits die Verwerfung des Selbstmordes an sich als eines schweren Vergehens gegen den, der Las Leven gegeben hat, und gegen die menMiche Gefechcyast nusgesprochen werden. Leider geschieht das heutzu tage nur zu selten und mit zu wenig entschiedenem Nachdruck. Viele vermeiden es, >enes Theina über haupt zu berühren in übertriebener Rückgchtnahmc auf einzelne, deren Gefühle gescyont werden sollen. Wir sehen, welche Frucht solche Milde getragen hat. Nicht minder erschreckend als die große Zahl der Selbstmorde ist doch die Tatsache, daß sie gar häufig von ganz Jugendlichen, ja halben Kindern, um Nichtigster Anlage untren, verübt werden. Mil Entsetzen liest man oftmals, datz unreife Menschen linder wegen einer zu erwartenden häustichen Strafe, der Nichtversetzung in eine Höhere Schulklasse, de: Nichterfüllung eines heiß gehegten Wunsches, wohl gar eines Mißerfolges in der Liebe das ihnen anvertraute kostbare Gut des Lebens weggeworfen haben. Angesichts solcher und ähnlicher Vorkommnisse sollten doch alle Eltern, Lehrer und Erzieher und nicht nur sie, sondern alle, die ein Herz für ihr Volt und den guten Willen haben, die sittliche Weltord» nung ihrestsils kräftig zu stützen, es als heilige Pflicht anieheu, u;reu nesuule».llchen Av><hu -.vr dem Selbstmorde ver jeder Gelegenheit mu vollem Nachdruck ohne Scheu vor der Verletzung zarter Ge fühle zu bekunden. Selbst wenn man von der reli giösen Seite der Sache dabei ganz absieht, wird nach drücklich darauf hinzuweisen jein, daß der mit klarem Bewußtsein ausgeführte Selbstmord eine Tat sträf licher Selbstsucht ist. Anstatt oen Seinigen, der menschlichen Gesellschaft weiter nach dem Mage seiner Kräfte zu dienen, hinterläßt der Selbstmörder den ihm Nächststchcnden außer der Schande die leidige Sorge, das auszuglsichen, was er in Selbstsucht un ausgeglichen gelassen hat, das mit Opfern zu ordnen, was sie verstört und verwirrt vorfinden. Vor allem gilt es, den Selbstmord des Nimbus zu entkleiden, der ihn in unklaren Köpfen umfließt. Wenn die antite Philojophenjchule der Stoiker dem Weisen verstatter hat unter gewissen Umständen des Ledens sich zu entäußern, so hat sie dabei nur an außerordentlich« Fälle gedacht, in denen dieser sich behindert sieht, ein seinen Grundsätzen entsprechen des, seiner würdiges Leben zu führen. Im übrigen hat gerade jene heidnische Schule, die ost zur Ver teidigung des Selbstmordes herangezogen wird, ihre Jünger zum geduldigen Ausharren in Leiden aller Art und unerträglich erscheinenden Verhältnissen kräftigst angehalten. Unser Geschlecht, das nur zu geneigt ist, selbst mäßige Leiden und Erschwernisse des Lebens unerträglich zu finden und darob zu ver zweifeln, soll sich nur nicht auf jene heldenhaft ge sinnte Weisen des Altertums zu seiner Entschuldigung berufen. Wenn jemand z. B. jahrelang in Unzucht, Völlerei, Vergnügungssucht fröhlich dahinlebt, um schließlich durch einen Pistolenschuß der unvermeid» lichen Schande und dem Zusammenbruch seiner Existenz zu entgehen, so ist das alles andere als rit terlich und heldenhaft, es ist ruchlos und feige zu gleich. Offenbar gehört ein ganz anderer Helden mut dazu, die Folgen törichten oder verwerflichen Handelns jahrelang ergeben zu ertragen, als in einer Stunde großer, wohl gar noch künstlich gesteigerter Aufregung seinem Leben binnen wenigen Minuten ein Ende zu machen „in seiner Sünden Blüte, unvor bereitet, die Rechnung nicht geschlossen", wie es in „Hamlet" heißt. Leider wird in unsrer Unterhal tungsliteratur der Selbstmord mitunter, wenn auch nicht gerade verherrlicht, so doch allzusehr als etwas in gewissen Lebenslagen nahezu Unvermeidliches be handelt. Erzählungen, wie die des wackeren, auf rechten Schweizers Ernst Zahn, der nachgerade eine ganze Reihe von „Helden und Heldinnen des All tags" vorgeführt hat, die mit nie erlahmender Ge» duld in widerwärtigsten Verhältnissen, auch in Un ehre und Schande aushaltcn, möchten mehr Nachfolge finden. Dazu möchte der Geschmack der Gebildeten sich mehr und mehr von Literaturwerken abwenden, die in der Schilderung von Jammer, Elend und Ver wirrung, aus denen schließlich ein Ausweg durch Selbstmord gesucht wird, rm Streben nach „Sensa tionellem" sich eine Güte tun. Der Verfasser dieser Auslassung, dem trotz seiner hohen Jahre noch ein warm empfindendes Herz für seines Volkes Wohl und Wehe wie für das des Eottesreiches auf Erden im Busen schlägt, kann nur wünschen, daß die in vorstehenden ausqestreuten Samenkörner der Warnung und Ermahnung auf recht empfänglichen Boden fallen. Gott walt's. Die Sache ist wichtig und ernst. Vx. Der gegenwärtige Stsn- -er volkslchulrekarm. (Von unserer Dresdner Redaktion.) (:) Dresden, 5. März. Die in den meisten Blättern erschienenen Berichte über die Beratung und Beschlüsse der zur Begutachtung des Volksschulgesetzentwurfs niedergesetzten außerordentlichen Deputation sind ihrer Fassung nach geeignet, durchaus irrtüm liche Vorstellungen über die Eigenschaft und Wir kung der bisherigen Beschlüsse jener Deputation hervorzurufen. Vor allen Dingen ist es eine völlig irrtümliche Ansicht, daß durch diese Beschlüsse bereits jetzt irgend etwas in der Sache entschieden sei. Die ganze Tätigkeit dieser wie jener Deputation besteht nicht in der Fassung von endgültigen Beschlüssen, sondern lediglich darin, die Stellungnahme der Deputa tion und ihrer Mitglieder zur Vorlage in Gestalt von Anträgen dem Plenum zu kennzeichnen. Aber auch solche Anträge sind, soweit sie wenig, stens von der betreffenden Gesetzesvorlage ab weichen, bis jetzt von der Deputation noch nicht endgültig beschlossen worden, da nach K 30 der Landtagsordnung vor Stellung derartiger An träge von der Deputation Regierungskoinmissare zuzuziehen und zu hören sind, eine solche Zu- zichung von Rcgierungskommissaren aber bis jetzt noch nicht erfolgt ist. Außerdem sind aber bei Depuiationsbcschlüssen die Beschlüsse der Mehrheit für die Minderheit auch nicht bin dend, vielmehr können die Beschlüsse der Minder heit ebenso dem Plenum der Kammer unter breitet werden und dort Annahme finden, wie die der Mehrheit. Alles das wird in den Zeitungsberichten über die Beratungen der außerordentlichen Depu tation verschwiegen und dadurch der Anschein erweckt, als ob über das Schicksal des Entwurfs des Volksschulgcsctzes bereits durch die bisheri gen Beschlüsse der Deputation so gut wie ent schieden sei. Wir glauben im Gegenteil mit ziem licher Sicherheit annchmen zu können, daß ins besondere in den Beschlüssen der bisherigen Dc- putationsmehrheit sich noch mannigfache Wand lungen und zwar gerade auf den wesentlicheren Gebieten vollziehen werden. Insbesondere kön nen wir uns nicht denken, daß die für die Sache überaus ivcsentlichcn Beschlüsse, die der jüngst stattgefnndcne Gemcindetag in deutlichster Weise über die Möglichkeit einer ferneren finanziellen Belastung der Schulgemeinden gefaßt hat, für die Dcputationsmehrheit bei der Beantwortung der Frage nach Einführung der allgemeinen Volksschule, der Frage nach der Unentgeltlichkeit des Unterrichts uud andere, ohne bestimmenden Einfluß bleiben und nicht vielmehr in allen we sentlichen Punkten schließlich zur Annahme des Rcgierungsentwurfes führen sollten. Dss Gehalt -es Stastslekretärs gesichert. (Stimmungsbild aus dem Reichstage.) ÜI Berlin, 5. März. Di« Familie des Staatssekretäre Delbrück kann beruhigt sein: dem erwerbstätigen Haupt dieser Fa milie wird unzweifelhaft das Jahresgehalt wieder bewilligt werden. Abg. Oertel (Kons.) erklärte dazu die Bereitwilligkeit und auch Eothein (Vpt.i hatt« nichts dagegen. Im übrigen gehen be kanntlich die Ansichten beider Politiker meilenweit auseinander. Oertel, der eine Legislaturperiode dem Hause gefehlt hat, hielt heute mit prinzipiellen Darlegungen zurück. Er bot eine unterhaltende An sprache mit manchen scherzhaften Wendungen und setzte sich mit einer größeren Reihe von Einzelfragen, angesairgcn von der Zigeunerplage auf dem Lande bis hin zur Frauenbewegung, auseinander. Gotheln (Vpt.i dagegen rollte die Forderung des grundsätzlichen Freihandels aus und bekämpfte alle Eingriff« in das freie Spiel der Kräfte, die ihm gerade einfielen, wobei natürlich die Zölle eine Hauptrolle spielten. Er sah die günstige Wirkung der deutschen Schutzzollpolitik keineswegs als be wiesen an, sondern als ein« Frage, die der Unter suchung außerordentlich bedürftig sei. Er stellte sich außerdem dem ehemaligen Staatssekretär Dern- burg an die Seite, der auch eine großzügige Unter suchung über die Wirkung der Zölle auf die Preise der Lebensmittel verlangte. Der Gedanke, durch die Wissenschaft die Wahrheit zu finden und di« wirken den Kräfte der Volkswirtschaft zu belauschen, kann sympathisch genannt werden. Auch von Oertzen (Reichsp.), der dicht vor dem Redner saß, stimmte dem Gedanken zu. Da Eothein in exakter Weise — eben wegen des Mangels umfassender Unter suchungen — nicht nachweisen konnte, wie die wirt schaftlichen Dinge sich bei uns ohne Schutzzoll ent wickelt hätten, so wandte er sein Augenmerk der Zeit der Caprivischen Handelsverträge zu, wo die Schweinepreise gut gewesen seien, der Viehbestand und die Anbaufläche für Getreide und Kartoffeln sich vermehrt hübe. In der Frage des Schutzes der Arbeitswilligen enthüllte sich ein Gegensatz zwischen dem konservativen Redner und dem Staatssekretär. Herr Delbrück legte daher noch einmal ausführlich dar. wie er es meine. Wenn wir ihn recht verstanden haben, so will er nicht eine Aenderung der Gewerbeordnung, sondern eine Aenderung des Strafrechts. Im übrigen behandelte Delbrück in der heutigen dritten großen Rede hauptsächlich die Verhältnisse des Mittel standes und suchte glaubhaft zu machen, daß man der Regierung den Vorwurf der Untätigkeit gegenüber diesem Stande nicht machen könne. Der ländliche Mittelstand und der sogenannt« neue Mittelstand hätten es nicht so schlecht, wi« gerade der gewerb- liche. Auch diesen habe man nicht ohne Schutz ge lassen. Mehreren Maßnahmen, di« die Regierungen ergreifen wollten, habe der Reichstag sich versagt. Daß nicht Hopfen und Malz verloren ist, beweist die immer noch vorhandene Gesamtzunahme in hand werkliche» Betrieben, wenn freilich auch die Berufe der Schuhmacher, Seiler, Seifensieder, Goldschmiede, Uhrmacher und Töpfer zurückgehen. Vor Gothein hatte der neugewählt« Aba. Marquardt-Gis«nach, in dem die National liberalen einen sympathischen Vertreter d«s Hand- lungsgehilfenstandes gewonnen haben, sein« An trittsrede gehalten. Er bracht« di« Wünsche der An gestellten in frischer Weise zum Ausdruck. Daß er aus früherer Gewohnheit heraus an das Haus die Anrede richtete: Hochverehrt« Anwesende! lockt« natürlich die Fröhlichkeit de» stets zum Lachen auf gelegten Palaments hervor. Herr Marquardt würde aber unrecht tun, wenn er sich deshalb graue Haare wachsen ließe. . . Einberufung ües Lsnütsgs unü keichsiagswshlrecht lür üle Zweite Kammer. (Stimmungsbericht aus der Zweiten sächsischen Kammer.) X Wieder einmal ein Tag, gewidmet ausschließlich der Beratung sozialdemokratischer Wünsch. Ma. Schwager begründet mit pastoraler Eindringlich keit den Antrag auf alljährliche Einberu fung des Landtags. Seine Ausführungen über die diesbezüglichen Verhältnisse in Preußen und die dem gegenwärtigen Landtage z. B. vorliegenden wich tigen Vorlagen gehen zum Teil bei der großen Un ruhe des Hauses verloren. Uebcrhaupt kennzeichnet die „Aufmerksamkeit", die den Worten des Bericht erstatters „entgegcngebracht" wurde, von vornherein die Stellung des Hauses zum Anträge. Tie Begrün dung selbst war erfreulicherweise kurz, und so konnte der Minister des Inneren auch schneller, als man erwartet hatte, den ablehnenden Standpunkt der Regierung in längeren Ausführungen darlegen. Astt den verschiedentlich» Beratungen dieser Frage in der Zweiten Kammer sind keine Veränderungen ein getreten, die geeignet gewesen wären, den Stand punkt der Negierung zu verrücken! Bezeichnend für die Aufnahme des sozialdemokratischen Antrags bei der Regierung waren die zeitweilig von Humor durst», setzte und von der Heiterkeit des Hauses begleiteten Ausführungen des Ministers Grafen Vitzthum über die Konsequenzen, die sich bei Annahme deS An- träges sowohl für das Haus wie für — die Regierung ergeben würden. Im übrigen unterstützten und be gründeten die vom Regierungsvcrtreter verlesenen damaligen Erklärungen der verschiedenen Vertreter der bürgerlichen Parteien den Standpunkt der Re gierung zur Genüge. Ter Herr Minister hatte dann die Liebenswürdigkeit, sein Bedauern darüber aus- zusprcchen, daß er diesen Landtag mit einem so reichen Arbeitsmaterial hatte belasten müssen. Er versprach aber, sich zu bessern. Seine Ausführun- gen gipfelten in dem vorauszusehenden Ersuchen an das Haus, den Antrag abzulehnen. Dieser Bitte schloß sick auch die rechte Sette des Hauses tn einer vom Mg. Opitz verlesenen Er- klärung an, die verlangte, daß über den Antrag zur Tagesordnung übergeaangen werde. Tie Ab- geordneten Wappler und Jllge vermochten vor den inzwischen leer gewordenen Bänken irgendwelche neue Gesichtspunkte zur vorliegenden Frage nicht beizu bringen. Dagegen machte sich die Wirkung der Mo notonie der Jllgeschn Ausführungen außer im Hause selbst auch auf den Tribünen bemerkbar, wo cS u. a. auch ein bekanntes Mitglied der Ersten Kammer vorgezogen hatte, sich den überzeugenden Worten des sozialdemokratischen Redners durch ein freundliches Schläfchen zu entziehen. Tiefes Bild änderte sich auch nicht, als der Abgeordnete Günther im Namen seiner Partei für den Antrag eintrat und die Nn- Haltbarkeit des gegenwärtigen' Zustandes betonte, in- dem er die Zweckmäßigkeit der vorgeschlage- ncn Verfassungsänderung darzulegen suchte. Tie noch zum Worte gemeldeten drei weiteren Redner hatten ein Einsehen und verzichteten auf das Wort. Taß der fortschrittlich Antrag auf Ucberweisung des sozialdemokratischen Antrags an die Nechenschfts- deputation, entgegen der Forderung der Konservati ven, aus Uebergang zur Tagesordnung schließlich an- genommen wuroe, wirkte nach dem Vorhergegangenen überraschend. In seinem Schlußworte hatte der ?lbg. Schwager seiner Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß das Schicksal des Antrages im Hause mehr von persönlichen als sachlichen Gründen diktiert werde, eine Aeußerung, der leider nicht mehr entgegenge- treten werden konnte. Abg. Fleißner hatte den Auftrag, den zweiten Antrag auf Einführung des Rcichstagswahlrechts sür die Zweite Kammer zu begründen. Er tat dies mit einer derartigen Gründlichkeit und Breite, daß sogar die Regierungsbänkc plötzlich das seltene Bild voll ständiger Leere zeigten. Ter Antragbegründer schließt seine Rede mit der erfreulichen Versichrung, immer wieder mit seinem Anträge vor das Haus treten zu müssen. In seinen Ausführungen gegen die Sozialdemokratie zeichnete Abg. Nitzschke (Natl.) für die vorliegende Frage eine mittlere Linie, die wiederholt lebhaften Beifall des Hauses fand. Vor allem charakterisierte er tref- send den „Willen der Sozialdemokratie zu positiver Arbeit" durch eine eingehendere Erörterung ihrer Anträge, die alles andere ehr als diesen Willen zeigen. Abg. Nitzschke hatte einen guten Tag, be sonders, als er seine Darlegungen zusammcnsaßte in dem Satze: „Wir meinen, daß es in dem Staate am besten bestellt ist, in dem die Männer für gute Gesetze und die Frauen für gute Sitten sorgen." Eine kräftige Msuhr erteilte aber dann noch Abg. Schmidt- Freiberg der äußersten Linken. In einer persönlichen Bemerkung will er direkt die Sozial demokratie von der Mitarbeit am VcrfassungSgebaude ausgeschlossen wissen. Tas von ihm hierfür ange- führte Material zeigte trefflich die innere Nichtigkeit seiner Auffassung. Tamit wäre das Thema ge nügend erschöpft gewesen, wenn nicht Abg. Gün ther (Bpt.) es für nötig gefunden hätte, bei voll ständiger Interesselosigkeit des Hauses noch einige längere Ausführungen in persönlicher Sache zu machen. In seinem Schlußwort suchte Vizepräsi dent Fräßdork an der Hand einer NegierungS- statistik die Ungerechtigkeit des gegenwärtigen Wayl- moduS nachzuwcisen und entdeckte in dramatischer lebhafter Weise die nahesten und fernsten Ziele seiner Partei, reichlich gespickt mit versteckten und offenen Drohungen. Jedenfalls war diese offene Aussprache des Herrn Vizepräsidenten nach verschiedenen Rich, tungen hin von nicht zu unterschätzendem Werte. Brachten Sie die kleinen Inserat« in, „Lokal-Anzeiger" -er Abend-Ausgabe. —
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