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Ar. 42. Friedlich Georg Wiecks 1863. I'. Die Spielwaaren-Industrie Deutschlands. Auf allen Märkten der Welt, selbst in China, auf Plätzen, wohin sonst kein deutsches Fabrikat dringt. Eines ist da — deutsches Spiel zeug, sei es aus Thüringen oder Sachsen, aus dem Jsarkreis oder aus Schwaben. Und so wollen wir denn heut einmal eine Wande rung durch die hauptsächlichsten Spielwaaren-Fabrikationsorte oder vielmehr Kreise machen. Eine der berühmtesten Spielwaaren-Fabrikationsstätten ist das Meiningischc, vor Allem die Gegend von Sonneberg. In und um dieses Städtchen ist die Spielwaaren-Jndustrie von staunenswerther Lebhaftigkeit und beschäftigt Hunderte von anspruchslosen, fleißigen Händen. Sehen wir uns die regen gewerblichen Verhältnisse dieses kleinen Städtchens etwas genauer an, so gewahren wir eine so all seitige, bicnenähnliche Emsigkeit und Betriebsamkeit, wie sie sonst fast nur in dem, hinsichtlich seines industriellen Betriebes von uns bis jetzt unerreichbar gebliebenen England zu finden ist. Der Ur sprung der Sonneberger Spielwaaren-Jndustrie führt nach Angabe des Sonneberger Gewerbeblattcs auf das seit Alters her in diesem Fache berühmte Nürnberg zurück. In der Nähe von Sonneberg lie gen die Dörfer Judenbach, Stcinheide, Hüttengrund, Schwarzbach, Steinbach, Hämmern und Lauscha, welche sämmtlich mit dem Gewer bebetrieb Sonnebergs in enger Verbindung stehen. — Judenbach entstand nach jener Angabe vor alter Zeit durch die Vcrkehrsstraße von Nürnberg nach Thüringen; Lauscha durch zwei, wegen ihres Glaubens aus Böhmen vertriebene Glasmacher, welche hier eine musterhafte Glashütte anlegten. Da sich nun bei Sonneberg ein sehr tauglicher Schiefer fand, so rief dies zuerst eine ausgedehnte Fabrikation von Wetzsteinen in's Leben, welche sich bald später durch Auffindung noch besseren Schie fers zur Anfertigung von Schiefertafeln und zugehörigen Griffeln erhob, die jährlich nach Tausenden und Millionen zählen. In Judenbach entstand die älteste Holzschnitzerei von Buchenholz, womit sich die Anfertigung von Hausgerathcn, als Metzen, Salz büchsen, Spritzen, Schuster-und Lcuchtlpäucn vereinigte; später wur den au» Böttcherwaaren gefertigt; dann verbreitete sich der Industrie zweig nach Steinheide, wo man sich besonders der Fabrikation von Schachteln widmete. Bei dieser finden nicht nur die Männer, son dern auch die Weiber und Kinder derselben Familie Beschäftigung. Nicht lange und es verbreitete sich diese Industrie auch in andere nahe liegende Dörfer. Später siedelten sich Sonneberger Kaufleute in Nürnberg, Lübeck, Riga, Stockholm, Kopenhagen, London, ja sogar in Moskau an und dehnten dadurch die Handelsverbindungen ihrer Mutterstadt immer weiter und weiter aus. Schon 1735 sind als Sonneberger Handels artikel folgende bekannt: Schiefertafeln, Griffel, Wetzsteine, Spritzen, Gewürz-Schränkchen und Kästchen, Schachteln und Schächtelchen jeder Art und Größe, Salz-und Mchlfäßchcn, Schrcibzeuge, Nähpulte, Köfferchen, hölzerne Kinder-Degen, Flinten, Pfeifen, Kegelspicle, Klappern, Kukuke, Schnurren, Nußknacker, Spiegel, Hemdknöpfchcn, Bleistifte, Rahmen, Waudleuchter u. s. w. Später wurden auch viel kleine Spielkugelu von Muschelkalk gefertigt. Nm den gewerblichen Betrieb bei der Zunahme der Absatzwege »och lohnender zu machen, bildeten sich immer neue Fabrikationszweige aus, z. B. von Puppen, Thiercn, Papiermache-Arbeiten, kleinen Orgeln u. s. w.; selbst die Künste, die Malerei, Bildhauerei, das Modelliren, sowie die Mechanik, Physik und Chemie wirkten auf die Vervielfältigung und Verbesse rung der Arbeiten nicht unwesentlich ein. Wer hätte nicht einmal die ses oder jenes Spielzeug vorgefunden, über dessen sinnige Konstruk tion er staunen mußte. Wir erinnern z. B. nur an ein Beispiel, an jene Puppe, welche allein eine Treppe auf Stelzen herabgcht und sich bei jeder Stufe überschlägt. Jedes Jahr bringt tausendfach Neues und man begreift nicht, daß der Erfindungsgeist von so unerschöpflich erscheinender Fülle eigentlich ganz schlichten Leuten angchört, die um eine» im Ganzen doch ziemlich kargen Tagclohn arbeiten. Unter den erwähnten günstigen Verhältnissen ward die Fabrika tion in Sonneberg eine selbstständige und so vorzüglich und vielsci- i tig, daß die feineren, wie ordinären Fabrikate nach Amerika, Java und Australien einen ungemein ausgedehnten und im Ganzen auch lohnenden Absatz fanden. Wie groß die Verschiedenheit der Arbeiten ist, beweisen die Musterbücher, welche die Sonneberger Kaufleute ihren Reisenden mitgeben. In einem solchen Mustcrbricfe fand man 2546 verschiedene Gegenstände abgcbildct, und ein Sonneberger Musterlagcr zeigte nicht weniger als 16,000 Muster! Manche Ge genstände sind vorzüglich kunstvoll gearbeitet z. B. Schafe, Ziegen, Hunde in Lebensgröße, welche Geschrei und Gebell so ungemein täu schend von sich geben, daß cs von dem natürlichen sich wenig uAtcr- scheidct. Wie in anderen Gebieten, ;o ist auch hier die ArbcitSthci- luug bis zu ciucin hohen Grade durchgeführt. Daher jene stauuens- werthe Fertigkeit, zu welcher mau cS in solchen Arbeiten gebracht hat. Jeder kleinste Theil eines Gegenstandes hat seinen eigenen