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Beilage zu Nr. 186. HmbUM Tageblatt und Walden-UM AWM Sonntag, den 12.Auguft 1923. Von Zritz Resch. Doch wellen wir im Kreundeskreise Und Sas Und Und Vas V?ohi manchem Sie Hand das so anders worden alten Elternhaus. Doch schuf die Zeit so manchen handel Auf unsrer Lahn im Sturmgeöraus, wieder lauscht öedächtig--stille Ohr dem Heimatglocken-Liang, oll Sehnsucht rief die Helmatscholle Sie lieben Linder nah und fern Zu sich auf frohes Wiedersehen Und Viele kamen, herzlich gern. Na, unvergeßlich bleibt uns immer Sas liebe, goldne Linderland, Ser Heimat traute schöne Stätte, „V?o einstmals unsre Mege stand. Und Vieles ist Saheim — im V?o wir getanzt den Ringelreihen Sort unterm alten Eichenbaum, Sas Haar bekränzt mit bunten Llüten — So grüßt mich still der Lindertraum l streckt nicht mehr entgegen gute Mütterlein, werden wieder lebensjung, freudig schwelgt bei plauderstunden Herz nun in Erinnerung. V?o uns der Eltern heiße Liebe Treu hat behütet Tag und Rächt, ^Vo uns noch hat die goldne Sonne Ins sorgenfreie Herz gelacht. Sas längst — nach wohlerfüllten Pflichten — Ging zu der ew'gen Heimat ein. Im Tal der Mulde XVellen Rauschen Ser alten Eichen Zaubersang. XVir lieben dich, du Heimatscholle, Herzinniglich voll Sankbarkeit, V?ir bleiben dir getreue Linder — Gott segne dich zu aller Zeit! . . . Dresdner Brlef. —e. Dresden, am 9. August 1923. Trotz vieler Begebenheiten fand ich vorige Woche tat sächlich keine Worte mehr zum Briefschreiben. Das ist wahrlich kein Wunder. Gehts doch seit vierzehn Tagen drunter und drüber in der Geldentwertung und in der Preissteigerung ist alles auher Rand und Band. Da kann einem schon mal die Spucke ausgehen. Ja, wenn ich einen Posten als Straßenkehrer finden oder wenig stens „stempeln" gehen könnte. Dann möchte es noch gehen. Aber so? Ein großer Romanschriftsteller ver öffentlicht diese Plauderei „Nur kein Schriftsteller!" und kennzeichnet damit so recht unsre traurige Lage, gegen die diejenigen Arbeitslosen mit Unterstützung ja beinahe noch glänzend ist. Wer hätte das je gedacht? Und „umsatteln" ist nicht möglich, alle Versuche vergeblich. In letzter Zeit sind mir aus meinen Leserkreisen der verschiedensten Gegenden recht anerkennende Zuschriften über meine „Dresdner Briefe" zugegangen, teilweise mit gütig „freundlichen Einlagen" (wofür auch an dieser Stelle herzlichen Dank). Das gibt neuen Mut. Aber trotzdem, diese Geldentwertung und diese gewaltigen Preissteigerungen ließen mich bald keine Worte mehr finden und die Puste drohte auszugehen. Doch und den noch, — so habe ich mir dann gesagt —: wenn dir's ooch mal dreckig geht, weeßt nich wo dir's Köpfchen steht, nördlich oder südlich, bleib nur recht gemietlich! Und dabei wars hier am schönen Elbestrand in den letzten acht Tagen zeitweise ziemlich ungemütlich. Immer wieder leben neue Unruhen auf, mit denen jedoch nichts weiter erreicht wird, als daß Handel, Wandel und Ver kehr ins Stocken geraten. Doch was schadets. Die Hauptsache ist, daß der Mob auf seine Rechnung kommt, sich austoben kann. Wirkliche Arbeitslose sinds aber nicht. Halbwüchsige Burschen und junge Mädchen durch ziehen, just so wie an früheren Karnevalstagen, die Straßen, bilden an Straßenecken und auf Plätzen Grup pen, in denen mit Worten aufgereizt wird gegen alle Ord nung und Sitte, die größten Maulhelden und Schreier sind allemal die ersten die Reisaus nehmen, wenn ein Stoßtrupp der Polizei anrückt. Die Bekanntschaft mit dem Gummiknüppel fürchten sie doch, aber heimtückisch und hinterhältig werfen sie mit Steinen und Holzknüppeln nach den Polizisten. Es gab manche Attacke auf dem Altmarkt und auf dem Postplah, am Hauptbahnhof und in der Prager- und Seestraße. Aber meist kommt doch die Polizei zu spät. Überall sammeln sich die auseinander getriebenen Radauhelden aufs neue zu kleinen Gruppen und ziehen nun ziel- und planlos hierhin und dahin. In der Regel ist ihre Absicht, hie besseren Lokale heim zusuchen, entweder die Räumung zu erlangen oder sonst Schaden anzurichten. Mit Steinen in den Taschen sind sie diesmal teilweise angerückt, hier und da nach den erleuchteten Fenstern von Cafes werfend. Das bekannte Cafk König kam am schlechtesten weg. Dort erhob sich ein förmlicher Steinhagel gegen die Fenster im I. Stock, hinter denen ahnunglos die „Reichen" saßen und schlecker ten und schlemmten. Die mögen nicht schlecht erschrocken sein, als plötzlich die Fensterscheiben klirrten und die Steine bis auf die Tische flogen, hier noch vieles Ge schirr zerschlagend. Gegen 30 große Fensterscheiben wur den hier zertrümmert und ein Sachschaden von Hunder ten von Millionen angerichtet. Eilig flüchteten die Gäste, die hier die vornehme Welt spielen, aber in dem Wirr warr „vergaßen" manche, ihre Zeche zu begleichen. Feine Gesellschaft! Innerhalb einer Viertelstunde war aller Lichterglanz erloschen und das stolze Last lag dunkel da, während sich draußen im Dunkel der Nacht die Attertäter zerstreut hatten und in ihre Schlupfwinkel ver krochen waren. Die herbeigerufene Polizei kam zu spät und sah nur noch die zerschlagenen Fensterscheiben und jagte nun, teilweise zu Pferde, die Pragerstraße hinauf. Am Hauptbahnhofe hatten ja unterdessen auch wieder verschiedene Ansammlungen und Übergriffe des Mob stattgefunden. Hier in der Nähe befindet sich eine städtische Gartenanlage, deren Einzäunung, aus gekreuzten Holz knüppeln bestehend, schon zweimal bei früheren Unruhen herausgerissen worden war und diese Knüppel zur Be waffnung der Unruhestifter dienten. Die Stadt hatte diese Einzäunung jetzt zum dritten Mal erneuert und lieferte somit nochmals dem Mob die Ausrüstung gegen die Polizei. Es ist garnicht möglich, die Einzelheiten alle zu schil dern, die sich bei den neuesten Unruhen zutrugen. Aber schon aus dieser kurzen Schilderung, die auf eigenen Beobachtungen beruht, kann man sich ungefähr ein Bild machen. Das ist mehrere Abende so gegangen und aus Furcht vor neuen Demolierungen schloß manches Kaffeehaus; so waren am Montag Abend am Altmarkt die hier gele genen vier Hauptkaffees geschlossen und lagen im tiefsten Dunkel, wo sonst das Licht so hell flutet und bunte Lam pen ein märchenhaftes Bild heroorzaubern. Einen seltenen Anblick bot am Sonntag Vormittag ein Zug, der sich von der Königsbrückerstraße über den Albertplatz durch die Kpnig Albert-Straße über die Carolabrücke nach dem Hauptpolizeigebäude zu bewegte. Auf fünf Lastautos waren die Teilnehmer einer aufgehobenen revolutionären Versammlung, Männlein und Weiblein, untergebracht. jDie Fahrräder, mit denen etliche zur Zusammenkunft > gefahrech lagen darauf verstaut. Den Zug eröffnete eine ! berittene Abteilung der Sipo, rechts und links der Autos Sipo und am Schluß wieder eine berittene Abteilung. Ein netter Sonntagsausflug. Erst am Nachmittag sind die meisten wieder freigelassen worden, während gegen 15 Personen, als sehr verdächtig der Teilnahme an den Demonstrationen am Tage vorher, weiter festgehalten wurden. Die grüne Polizei hat deshalb sehr energisch einge griffen, angeblich erbittert, weil mancher Kamerad erheb lich verletzt sein soll. Diese Erbitterung hat sich auch auf Neugierige und stille Beobachter erstreckt und bei manchen von diesen wieder, es mag dies Einmal offen ausge sprochen sein, ist eine bisher ungenannte Erbitterung gegen die Polizei entstanden. Gewiß, Neugierige erschweren das Eingreifen der Polizei. Aber wenn, wie wir es be obachtet haben, gegen harmlose Fußgänger, die ihr Weg zufällig im kritischen Augenblick an eine gefährliche Stelle führte, so vorgegangen wird, wie es z. B. auf der Pragerstraße geschehen ist, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese Polizei immer mehr Freunde ver liert. Die blaue Polizei handelte viel besonnener, aber diese berittenen Sipos gleichen manchmal einer Schar wildgewordener Reiter. Manch herbes und derbes Wort haben wir da von Leuten gehört, die durchaus nicht mit den Demonstranten harmonieren, im Gegenteil deren Treiben verurteilen. Sonst aber geht in Dresden alles seinen gewohnten Gang, trotzdem die Strahenbahnfahrt seit gestem 15,000 Mk. kostet und die Bierpreise verdoppelt sind. Die Aus stellung verlangt ja auch schon 20,000 Mk. für einen Tageseintritt und erhebliche Nachzahlungen für Dauer- und Vereinskarten. Ebenso sind die Eintrittspreise oei den staatlichen Sammlungen abermals ganz bedeutend erhöht worden. In der Gemäldegalerie beträgt z. B. jetzt der Eintrittspreis Montags 60,000, Mittwochs. Wenn edle Herzen bluten . . . . 38) Roman von Fr. Lehne. 1 Wiemanns jietkungs-Verlaa, Berlin W. <16 1922. ", Er neigte sich vor und sah forschend in ihr Ge- Gesicht. „Warum haben Sie sich verlobt, Monika?" fragte er plötzlich. Glühende Röte überzog ihr Gesicht, als er sie so unvermutet bei ihrem Vornamen nannte. Sie wußte gar nicht, daß er ihn üb^haupt kannte. Sie vermied seinen Blick, sah an ihm vorbei und preßte die Lippen fest aufeinander. „Man möchte doch auch gern ein eigenes 8°ieim haben und wissen, wohin man gehört!" sagte sie end lich, da sic auf seine Frage doch wohl «antworten mußte. „Ich habe ja niemanden, ich siehe ganz allein." „Einen Bruder haben Sie doch!" „Wir sind uneinig," sagte sie leise. „Wegen sei ner Fran und deren Bruder." Ta erfaßte ihn ein plötzlicher Gedanke. Lacher- lich, aber ein Strohhalm kann einem doch manchmal von Nutzen sein. Er faßte in seine.Brusttasche. _ „Fräulein Henning, ist Ihnen vielleicht diese Handschrift bekannt?" Damit reichte er ihr einen Brief. Sie warf einen jcheucn Blick darauf! „Sie scheint verstellt zu sein." , ' „Sehen Sie bitte genau hin! Es gibt doch so einzelne Buchstaben, die Verräter sein können. Uns ist da vor einigen Tagen ein anonymer Brief ins Hans geschickt worden, nach dessen Absender ich fahnde. Sie kennen doch so ziemlich die Handschriften der Her ren im Kontor." „Von denen ist es sicher keiner gewesen, Herr Markhoff," unterbrach ihn Monika. „Ich, — ich habe auch einen anonymen Brief bekommen, aber aus Druck buchstaben zusammengestellt." Sie fühlte sich verpflichtet, das zu sagen. Ah, das ist mir interessant. Vielleicht bringen Sie ihn mir morgen mit. Ich will die Sache weiter untersuchen." . „Las kann ich nicht — nein.' „Sie haben doch nicht die Unvorsichtigkeit be gangen, ihn zu zerreißen?" „Nein, das nicht, aber —" „Warum wollen Sie ihn mir denn nicht zeigen? — Wegen des Inhalts? Nun, daß anonyme Briefe keine Liebeserklärungen oder Schmeichelworte enthalten, ist doch klar. Wie gesagt, es liegt mir daran, den feigen Schreiber zu ermitteln und vielleicht können Sie mir dabei helfen. Tenn der Brief kann nur von jemand herrühren, der hier bei uns orientiert ist, der vielleicht einen gewissen Neid auf sie, auf die Stellung hat, die Sie sich durch Ihre Tüchtigkeit und Ihren Fleiß errungen haben. Bitte, lesen Sie den Bries." Mit tränenumflorten Augen las sie. Und was sie las, war nichts Neues. Denn so ähnlich war auch der Inhalt des an sie gerichteten Schreibens. Und das sagte sie auch zu Robert Markhoff mit stockender Stimme. Nur mühsam konnte sie das Schluchzen zu rückhalten. Unsäglich qualvoll war ihr diese Erör terung. Er fühlte es. „Mein Gott, Fräulein Henning, seien Sie doch nicht so aufgeregt! Gegen solche Schlechtigkeiten der Menschen ist niemand gewappnet. Aber sagen Sie, haben Sie vielleicht eine Ahnung?" „Ja," sagte sie. „Einzelne Buchstaben sind mir nicht ganz unbekannt, wenn sie auch verstellt sind!" „So? Und wen meinen Sie?" „Aus dem Kontor ist es niemand. Ich habe den Bruder meiner Schwägerin im Verdacht: Leander Uh lig. Dem traue ich jede — aber auch jede Schlechtigkeit zu!" „Hm," meinte Robert. „Das kann möglich sein, denn den Burschen kenne ich auch, und neulich hatte ich ihm doch sehr scharf und deutlich meine Meinung gesagt. Ich werde die Angelegenheit einmal in dieser Richtung hin untersuchen lassen. Das heißt, wenn Sie aus Familienrücksichten doch lieber nicht —" „Nein, Herr Markhoff," entgegnete sie schnell. „Auf keinen Kall. Der Mann aekt mich nichts an. und Rücksichten auf meine Schwägerin —sie zuckt« die Achseln. „Also, Sie bringen mir dann morgen den an S« gerichteten Brief mit?" „Er ist aus Druckbuchstaben zusauunengesetzt," end gegnete sie errötend. „Sträuben Sie sich doch nicht so, Fräulein Hen ning! Sie stehen doch über solchen Gemeinheiten. Und hier ist jedes Hilfsmittel willkommen und wertvoll." Es war kurz vor drei Uhr. Das Personal kam, wodurch diese Unterhaltung beendet werden mußte. Robert und Monika nahmen ihre Plätze ein. Er konnte es sich aber nicht versagen, Otto Lade wig zu beobachten, und der freudig aufleuchtende, zärt- liche Blick, mit dem der Buchhalter das Mädchen be grüßte. entging ihm nicht. Und wieder ergriff ihn das wunderlich« Gefühl nein, er gönte dem Manne nicht diese- feine, schön« Geschöpf, ihm war es undenkbar, daß Monika einem andern gehörte, daß er sie nun bald nicht mehr sehen sollte. * , » Karl Ludwig Keilmann kannte seinen Freund Jo hann Robert Markhoff zu genau, als daß er eS für angebracht gehalten hätte, ihm die gewünschten Sum. men ohne weiteres vorzustrecken. Er war sehr ungehalten darüber gewesen, das Markhoff ihn trotz seiner direkten, eingehenden Fra- gen im Unklaren über seine Lage gelassen hatte. Groß artig hatte er nur von einer „vorübergehenden Kala- mität" gesprochen, „wie sie wohl überall mal vor- käme". Keilmann hatte aber die feste Ueberzeugung ge habt, daß sein alter Freund ihn direkt angeloaen hatte, und deshalb war er nicht geneigt gewesen, ihm zu helfen, so daß sie sich verstimmt getrennt hatten. Robert Markhoff junior hatte nun zur Verwun derung des alten Keilmann nochmals einen Versuch gemacht, ihn zur Hilfeleistung zu bewegen. folgt.)