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ZllMbnM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Lage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SV Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. ^148. Donnerstag, den 29. Juni 1882. "Waldenburg, 28. Juni 1882. Warum wenden sich deutsche Kapitalisten in so ungenügendem Maße der deutschen Industrie zu? Der Reichsgedanke an und für sich dürfte sich in Deutschland (trotz der in dieser Hinsicht wohl etwas fchwarzseherischen Aeußerungen des Herrn Reichs kanzlers) jetzt hinreichend befestigt haben; aber dazu, nach allen Kreisen unseres wirtschaftlichen Lebens hin seine Consequenzen zu ziehen und dieses unser wirtschaftliches Leben mit dein Geiste ruhigen Sicherheitsbewußtseins und mit dem vollen Gefühle nationaler Zusammengehörigkeit zu erfüllen, hat er einfach noch keine Zeit gehabt. Noch nicht 16 Jahre ist es her, daß das Zollbündniß zu einem unauf löslichen wurde, und wer sich jener Zeit noch erin nert, der wird auch wissen, mit welcher Heftigkeit und unter wie vielfachem Beifalle vor und auch noch nach diesem Zeitpunkte gegen die deutsche Zoll einigung in ihrer jetzigen Gestalt agilirt wurde. Lebt doch in nicht wenigen Kreisen unseres Volkes heute noch der Gedanke, daß es zweckmäßiger sei, mit Oesterreich oder aber mit Frankreich zollpolitisch verbunden zu sein, als mit dem übrigen Deutschland. Das Solidaritätsbewußtsein aller Gewerbetreibenden im deutschen Zollgebiet hat sich noch nicht genügend entwickeln können. Aber auch die wirthschaftliche Lage selbst, die Entwicklung unserer Industrie, die Ausgestaltung unserer Wirtschaftspolitik gegenüber dem jetzigen Gesammtbedürfniß, entsprechende Aus bildung unserer Verkehrswege und der hieran sich knüpfenden Beziehungen zum Auslande (man denke an die unaufhörlichen, hoffentlich jetzt endlich einem Abschlusse enlgegengehenden Reibereien mit Holland) — alles dies trägt noch derart den Charakter der Unfertigkeit, daß es wahrlich nicht zu verwundern ist, wenn der einheimische Geschäftsmann sich zu der Vorstellung von einer Gemeinsamkeit aller wirth- fchaftlichen Interessen, von einem großen, alles be fruchtenden Strome des nationalen wirthschaftlichen Lebens nicht emporzuschwingen vermag. Der In dustrielle selbst fühlt sich noch nicht hinreichend sicher innerhalb der heutigen staatsrechtlichen und mirlhschastspolitischen Zustände, und hat es noch nicht gelernt, der Festigkeit derselben in alle Zukunft ruhig zu vertrauen; wie soll da der Kapitalist dieses Vertrauen hegen? Nun kommt noch dazu die so überaus störende Art der wirlhschaftspolilischen Einflüße, diL seitdem über unsere gewerblichen Verhältnisse dahingegangen sind. Zuerst die Zeit der Unsicherheit bis 1870; dann der gewaltige Aufschwung der Gründungs periode; dann die schleichende Welthandelskrisis bis gegen Ende der 70er Jahre, bei uns noch zu- sammensallend mit rücksichtsloser Ausführung des Freihandelsprinzips; endlich die neue Zollpolitik und die wüthende Bekämpfung derselben seitens der frei händlerischen Parteien, wie soll da eine Industrie zu gesicherter, zukunftsvoller, auch für den Kapita listen vertrauenerweckender Haltung gelangen können? Unsere Industrie muß heute durchaus als eine ge- sammtdeutsche, als eine von der deutschen Zoll- und Wirthschastspolitik abhängige betrachtet werden. So lange sie sich in diesem großen nationalen Fahr wasser noch nicht zurecht gefunden und sich den Be dingungen desselben noch nicht vollständig angepaßt hat, und so lange der Gedanke nationaler Solidarität noch nicht alle geschäftlichen Kreise unseres Volkes durchdringt, so lange kann auch die Verwendung einheimischer Kapitalien für die Zwecke unserer ein heimischen Gewerbethätigkeit nicht den normalen Um fang erreichen, und so lange werden wir das trau rige Schauspiel erleben, daß unsere Industrie an Blut- d. h. Kapitalmangel krankt, während unseren Banken ungezählte Kapitalien dargeboten und Massen sauer ersparten Geldes in zweifelhafte ausländische Papiere gesteckt werden. Das ist ein Grund, aber nicht der einzige. Der Mangel an solidem und dabei doch freudigem Unter nehmungsgeiste, wie er wesentlich dadurch bedingt wird, daß wir keine Colonieen und in Folge dessen kein reges Interesse des ganzen geschäftstreibenden Publikums für unseren überseeischen Handel haben, spielt gleichfalls seine Rolle, denn auch zu geschäft lichem Unternehmungsgeiste muß der Mensch erzogen werden, und unser Volk ist bisher nicht zu solchem, sondern ist vielmehr zur Engherzigkeit und Kleinlich keit erzogen worden. Auch der Zustand unseres Handwerkerstandes ist wohl in Betracht zu ziehen. Es mag ohne weiteres zugestanden werden, daß jene geschäftlich so wünschenswerthen Uebergänge vom Handwerker zum Fabrikanten in Frankreich, England, Amerika eine größere Rolle spielen als bei uns; indessen ist dies zum Theil auf geschichtliche Ver hältnisse zurückzuführen, und zum Theil ist nichts daran zu ändern, daß die beste Kraft unseres Hand werkerstandes eben in seiner handwerklichen Beschrän kung und in der durch dieselbe bedingten organischen Zusammenfassung der Gewerbsgenossen zu liegen scheint. Solchen Verhältnissen wird immer gedient werden können, wenn man sie in möglichst gesunder, dem nationalen Wesen entsprechender Weise gestaltet, nicht aber, indem man eine Entwickelung begünstigt, welche unserer nationalen Art nicht zuzusagen scheint. Die Zauberformel für Zuführung deutschen Kapi tals zu deutschem Gewerbe lautet also: Festigung des Reiches als solches, Pflege Rs Gefühls der Zusammengehörigkeit, Ausbildung einer nationalen Wirthschastspolitik, Förderung eines gesunden Unter nehmungsgeistes und Pflege aller Formen, welche der nationale Geist annimmt. "Waldenburg, 28. Juni 1882 Politische Rundschau. Deutsches Reich. Eine im „Reichsanz." enthaltene Uebersicht der Einnahmen an Zöllen und gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern, sowie anderen Einnahmen im Reich für die Zeit vom 1. April d. I. bis zum Schluß vorigen Monats ergiebt, daß auch in diesem Zeitraum eine Steigerung der Einnahmen erfolgt ist, so bei den Zöllen von fast 4 Millionen Mark, bei den Stempelabgaben von etwa I'/2 Millionen Mark. Eine rechnungsmäßige Mindereinnahme bei der Rübenzuckersteuer von rund 10 Millionen Mark beruht anscheinend auf der Veränderung in den Einrichtungen für die Creditirung dieser Steuer. Die „Frkf. Ztg." will wissen, daß der königliche Erlaß an das preuß. Staatsministerium, wonach dem preußischen Könige monatlich eine Uebersicht über die Steuer-Executionen vorgelegt werden soll, vom Reichskanzler ohne jegliches Vorwissen des Finanzministers veranlaßt worden ist, welche Maß nahme Hauptursache für das Entlassungsgesuch Bit ters gewesen sein soll. Es hat sich auf Grund der letzten Reden des Fürsten Reichskanzlers eine agrarische Ver einigung gebildet, die unter dem Namen Partei Bismarck in den Wahlkampf treten will. An der Spitze dieser Partei sollen Graf Udo Stolberg, v. Mirbach u. a. stehen. Von verschiedenen Seiten wird, wie es heißt, an Anträgen zur Verbesserung der Geschäftsordnung des Reichstags, soweit sich diese auf Wahlprüfun gen bezieht, gearbeitet, damit nicht ferner eine be anstandete oder angegriffene Wahl Jahre zu ihrer Erledigung bedarf und zu Unrecht anwesende Abge ordnete an Berathungen und Beschlüssen theilnehmen. Die Zahl der angefochtenen Wahlen ist ja ohnehin nicht groß und ein beschleunigter Geschäftsgang sicher von Nöthen. Ueber dis deutsche Politik in der egyptischen Frage werden in dem französischen Gelbbuch meh rere Depeschen des französischen Botschafters Baron Courcelles in Berlin mitgetheilt. Diese Actenstücke lassen erkennen, daß Deutschlands Politik sehr klare, uneigennützige und den Weltfrieden fördernde Ziele verfolgt. Der sranzösische Botschafter in Berlin Lheilt unterm 16. Februar Herrn v. Freycinet mit: Fürst Bismarck hat in einer Unterredung vom 14. ganz von selbst die egyptische Frage zur Sprache gebracht. Sie ist der einzige Punkt, bemerkte er, der augenblicklich der Diplomatie einige Besorgnisse verursachen kann. Die Geschichte der letzten Wochen wiederholend, sagte er mir, er habe lebhafte Befürch tungen empfunden, als er Frankreich und England die Initiative eines Schrittes nehmen sah, die sie in eine isolirte Action in Egypten engagiren konnte, denn er sei persönlich überzeugt gewesen, daß eine unter solchen Verhältnissen unternommene Action Reibungen zwischen beiden Mächten herbeiführen würde, und daß ein Conflict, ja blos die Drohung eines Conflicts zwischen Frankreich und England eine für die Prosperität der ganzen Welt vernich tende Beunruhigung Hervorrufen müsse. „Da ich ihn," fährt der Botschafter fort, „an die Mittheilung an den Unter-Staatssekretär Busch erinnerte, welche jeden Gedanken an eine isolirte Action ausschließe, so gab der Fürst seine Zufriedenheit zu erkennen." Der französische Botschafter sprach dann von den Mitteln, um weiteren Verwicklungen vorzubeugen, worauf Fürst Bismarck bemerkte, nach seiner Ansicht sei das einfachste Mittel, um die Schwierigkeiten zu überwinden, dies, der Türkei die Fürsorge anzuver trauen, dieselben zu beschwichtigen. Aus Alexandrien ist in Berlin die telegraphische Meldung eingetroffen, daß der österr. Llohddampfer „Danae" am 25. mit 200 Deutschen, Schweizern und Rumänen, die sich aus Egypten flüchten, nach Triest abgegangen ist. Es verbleiben nun höchstens noch 200 Deutsche in Egypten, welche ihren dortigen Erwerb nicht ausgeben wollen und der Hoffnung zu leben scheinen, denselben auch in Zukunft unbehin dert betreiben zu können. Der „Reichs-Anzeiger" veröffentlicht die Namen der Verfasser derjenigen Concurrenzentwürfe des Neichstagsgebäudes, welche auf den Vorschlag der Jury angekaufl wurden und nennt, als in be stimmten Beziehungen ein besonders werthvolles Material für die Aufstellung des zur Ausführung bestimmten Bauplanes darbietend: Otto Wagner im Wien, Eisohr und Weigle in Stuttgart, Blunt- schli in Zürich, Hallier und Fitschen in Hamburg, Stammann und Zinnow in Homburg, Gorgolewski in Berlin, Schmieden und Speer in Berlin, Hoßfeld und Hinkeldey in Berlin. Aus den von der Con- currenz ausgeschlossen gebliebenen Entwürfen wurden ferner angekaufl diejenigen des Freiherrn v. Ferstel in Wien und Bühlmann's in München. Der „Reichsanz." veröffentlicht das Gesetz vom 23. Juni, betreffend die Abänderung des Zoll tarifs. Oesterreich. In Triest kam am 25. d. M. der Lloyddampfer „Minerva" mit 217, mittags „Hektor" mit 600 Flüchtlingen aus Egypten an. In Corfu halte ersterer 300, letzterer 400 Flüchtlinge ausgeschifft. Etwa 300 Ankömmlinge, welche aus Böhmen, Mäh ren und Schlesien stammen, begeben sich in ihre