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O GM G N A TIE? (TV V UV WA Unterhaltungs-Beilage der Sächsischen Volkszeitung Nr. 36 Sonntag den 4. September 16. Sonntag nach Migstrn. Evangelium: Jesus heilt am Sabbate einen Wassersüchtigen. Lukas 14, 1-11. Ter Sonntag, der Tag des Herrn, ist für den Christen vorerst ein Tag der Ruhe nach der Arbeit. Erholung nach den Mühen der Werktage, Stärkung des Geistes und des Körpers für alle Menschen, Stärkung des Leibes selbst für die Lasttiere war ein Hauptzweck des Sabbats, den Gott durch Moses ungeordnet hatte. Ter Name selbst spricht eS aus, und wie streng inan daran hielt, selbst den Schein einer Arbeit zu meiden, seht ihr aus dem Evangelium. Das Christentum erfaßt die Gesetze des Herrn im Geiste und in der Wahrheit, Uebertreibungen sind ihm ebenso fremd als eitler Buchstabcndienst: der Mensch ist nicht des Sabbat? wegen da. sondern der Sabbat des Menstbcn wegen, lehrt es mit den Worten des Heilandes. Aber es lehrt auch mit MosiS Worten: Sechs Tage sollst du arbeiten und deine Werke verrichten, am siebenten aber ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes, an dem sollst du nicht arbeiten, weder du noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Dich, noch der Fremde, der innerhalb deiner Tore ist. So lange man die Aussprüche der Schrift, auf deren Bestimmungen die Kirche ihre Kinder hinweist, mit frommer Ehrfurcht annahm, so lange die Stimme der Kirche selbst noch als heilig galt und unverletzlich, weil sie Gottes Stimme ist, und ein allgemein sich kundgebender christlicher Sinn in. jedem Auflehncn dagegen ein Auflehnen gegen den Höchsten erkannte, durfte nichts die Ruhe der Sonntagsfeier unter brechen. Schon am Vorabende, wenn die Töne der Vesper glocke verkündeten, daß der Tag des Herrn nahe sei, ver wandelte sich das Werktagsgetöse in eine allgemeine Stille. Ter Landmann kehrte heim von seinem Felde, der Hand werker schloß seine Werkstatt, der Beamte verließ sein Ar- leitsziminer. Die Familien versammelten sich um ihrcu Herd oder saßen nachbarlich vor ihren Häusern und Hütten. Man sah es, wie vom Kirchturm her die Zeit der Ruhe aus- gerufen worden, so ruhten nach sechs mühevollen Tagen alle Hände, und alle Herzen freuten sich des Tages, der da kom men sollte. Und kam er nun selbst, dieser Tag, welche feier liche Stille begrüßte ihn! Welche festliche Ruhe herrschte ringsumher! Nichts von dem gewöhnlichen Treiben und Drängen der Außenwelt. Handels- und Kramqeist hielten ihre Pforten geschlossen, ein frommer Glaube hätte ge fürchtet, durch Erwerbssucht an diesem Tage den göttlichen Segen zu bannen. Tie Berufsgeschäfte durch alle Stände und Klassen bis zur untersten hinab ruhten, selbst die Haustiere, die die Woche hindurch ihre Dienste geleistet, an diesem Tage zu beschweren, hätte für eine Sünde gegolten. Sogar die leblose Natur schien ein frommes Schweigen zu durchdringen, die Sonne selbst in einem anderen festlich heiteren Lichte zu strahlen, die ganze Schöpfung den Tag GotteS in Rübe zu feiern. Daß es jetzt nicht mehr so ist, braucht euch kaum be wiesen zu werden, und es wäre töricht, in unseren Tagen die Christen etwa vor einer pharisäischen Aengstlichkeit bei Be obachtung der Sonntagsruhe verwarnen zu wollen. Wird in der Regel der Sonntag zu Hebungen, zu Versammlun gen und Veranstaltungen mißbraucht, durch die man seine Werktätigkeit nicht stören lassen will, ob sic auch mit dem Zwecke des Sonntages im geraden Widerspruche stehen, so kann es nicht befremden, wenn der Leichtsinn oder der Eigennutz .der großen Menge darin eine Entschuldigung für die frechsten Verletzungen der Sonntagsfeicr finden: wenn viele von der Heiligkeit dieses Tages keine Ahnung mehr haben, wenn sie arbeiten und hantieren und reisen und Handel treiben wie an anderen Tagen: wenn sie die mögliche Stille durch geräuschvolles Lärmen unterbrechen: wenn sie ihr mitleidswertes Gesinde nie schcnungsloser her- umjagen als am Sonntage und denselben entweder gar nicht oder allenfalls nur durch einen gewissen äußeren Aufwand in ihrer Kleidung untersck-eiden, der demnach mehr als eine Folge der Eitelkeit als des Strebens ist, diesen Tag durch äußere Wohlanstäudigkeit auszuzeichnen. Wozu auch feiern: ist Arbeit nicht besser als Müßiggang? sagen sie, werde ich Gott beleidigen, wenn ich tätig bin? Es ist aber ein alte» und wahres Wort, was ich am Sonntage erwerbe, das stehle ich Gott, und niemand hat darum weniger, daß er des Sonntags feiert, wenn er die Woehe hindurch tätig ist. Der Sonntag, der Tag des Herrn, ist ferner ein Tag der Andacht nach der Zerstreuung. Niemals zwar soll dem Christen eine gewisse andäch tige Sammlung des Geistes fehlen, denn was er immer tut, soll er im Aufblicke zu Gott und in Beachtung des Zieles tun, für das er berufen ist. In diesem Sinne sagt auch der Apostel: Ihr sollet beten ohne Unterlaß! Aber wie störend tritt das Werktagslcben mit seinen zerstreuenden Sorgen Mühen und Anstrengungen oft in diesen höheren Verkehr. Zwar sollen wir jeden Tag mit frommer Andacht beginnen und mit frommer Andacht enden, aber daß wir den höchsten Tugendzweck niemals aus dem Auge verlieren, bedarf es kräftigerer und nachhaltigerer Ermunterungen, als die aus Privat- und häuslichen Andachten die meisten sich zu ent wickeln verstehen. Ihr sollt die Versammlungen nicht ver lassen, wie manche tun, sagt der heilige Paulus, sondern einander wechselseitig dazu ermahnen. Gemeinschaftlich sollen Christen die Geheimnisse ihrer heiligen Religion feiern, gemeinschaftlich das Heils- und Gedächtnismahl ihres Erlösers und Seligmachers genießen, gemeinschaftlich das Wort der Belehrung, Erbauung und des Trostes hören und einer den anderen erheben durch sein gutes Beispiel. Zu ihren gemeinschaftlichen Andachtsübungen hat die Kirche lcsonders den Sonntag bestimmt, denn eben dadurch sollen uir nach den Anordnungen des Höchsten den Tag des Herrn heiligen: dadurch haben ihn auch die ersten Christen als einen Tag Gottes geheiligt: dadurch auch unsere Voreltern, denen wir, fern davon, alles Gute nur in der Vergangenheit finden zu wollen, gleichwohl einen frömmeren Sinn nicht absprechen können. Bei ihnen verkündete den feierlichen Morgen dieses Tages jener erbauliche Ernst, der fromme Gemüter zu heiliger Andacht vorbereitet. Mit freudigem Herzen sab man bei den ersten Glockenklängen Eltern inmitten ihrer Kinder die Wohnungen verlassen und, das Gebetbuch in der Hand, dem Tempel des Herrn zuwandeln. Hohe und