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Mittwoch. —- Rr. 48. 27. Februar 1888. Heinzig. Die Zeitung erscheint nm Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 1 Uhr ans gegeben. Deutsche Allgemeine Zeitung. Preis für das Vierteljahr I V, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. »Wahrheit und Recht, Freiheit und GesetzI» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpeditio» i» Leipzig (Querstraße Rr. 8). Znsertionsgebühr für de» Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. Preußen. ^Berlin, 26. Febr. Es ist nun der stenographische Be richt über di« Sitzung, in welcher der Graf Pfeil jene merkwürdigen Ge ständnisse ablegte, fertig geworden. Bei dem hohen Interesse, welches diese Geständnisse in ganz Deutschland erregt haben, glaube ich, Ihnen den er sten Theil der Rede des Grafen Pfeil, in welchem die betreffenden Confi- denzen enthalten sind, wörtlich mittheilen zu sollen. Zuvörderst wollen wir aber noch berichtigen, daß der Graf Pfeil nicht in Thüringen, wie wir neulich irrthümlich gesagt haben, sondern in Oberschleßen wohnt. ES han delte sich in der betreffenden Debatte bekanntlich um die §K. 12, 13 und 14 der Regierungsvorlage, in welchen gesagt ist, daß bei Verbrechen und Ver gehen im Amte die Rittergutsbesitzer in dieselben Strafen verfallen sollen, welche für dergleichen Fälle auch für die gewöhnlichen Staatsbeamten im Strafgesetzbuch bestimmt sind. Der Graf Pfeil sagte nun: „Meine Her ren!- Ich werde Ihnen eine äußerst ernste Rede halten, indem ich Ihnen die Verwerfung der §§. 12,, 13 und 14 empfehle. Es scheint mir durch- aus keine Veranlassung zu sein, die Ritterschaft der sechs östlichen Provin zen mit entehrenden Strafen zu bedrohen, im Fall sie ihren Verpflichtun- gen nicht nachkommen. Es mag sein, daß bisweilen Mängel in der Po- lizeiverwaltung da sind. Es kommt aber auch in Berlin vor, wo wir be kanntlich eine sehr gute Polizei haben, daß Gegenstände gestohlen und Leute erschlagen werden — dies kann also auch in Obcrschlesien stattfinden, und Manches würde vermieden werden, wenn wir ein ausgebildeteres System der Polizeiobrigkeiten hätten, welches uns fehlt. Nun, meine Herren, um die Gefahr der tz§. 12, 13 und 14 zu beurtheilcn, habe ich, wie ich glaube, ein Praktisches Mittel angewrndet; ich habe nämlich diese Paragraphen an meine eigene Polizeiverwaltung gelegt, und da finde ich denn, meine Herren, daß ich vielfach dagegen verstoßen und daß ich mich den schwersten Strafen ausgesetzt haben würde. Ich habe unter Andern, einmal, um einen sehr gefährlichen Aufstand zu unterdrücken, einen Menschen, von dessen juridi scher Unschuld ich überzeugt war, schließen und fünf Tage lang cinsperren lassen. (Heiterkeit auf der rechten, große Bewegung auf der linken Seite und mehrstimmiger Ruf: Hört, hört!) Ich muß bekennen, daß ich in einem andern Falle, wo ich allein eurer Masse von 10,000 Webern gegen überstand und die in Peterswaldau bedrohten Fabrikanten schützte, als ich bei dieser Gelegenheit von einem Einwohner meiner Güter öffentlich bedroht und insullirt wurde, daß ich diesen Menschen des Nachts verhaften ließ und ihn verurtheilte — weil ich Richter in meiner eigenen Sache war — zu acht Tagen Arrest. (Stimmen links: Hört, hört!) Ich habe ferner im vcrgan- genen Jahre erst das Verbrechen begangen, einen Menschen, der mir von einem tobten Pferde, das ich auf die Füchse als Luder (verzeihen Sie mir den jagdmännischen Ansdruck) geschlagen hatte, Fleisch abzuschnciden und es zu verzehren — wir hatten eine große Hungersnoth in der Gegend.... Meine Herren! Ich lese im ersten Absatz des tz. 12, daß mich dafür mehr jährige Zuchthausstrafe getroffen hätte. (Stimmen links: Was ist denn nun dem geschehen?) Ich gehe noch weitek. Ich habe vor einer Reihe von Jah ren einen jungen Burschen, der mehre Einbrüche und Fälschungen bei mir selbst begangen hatte, 30 Hiebe aufzählen lassen. (Heiterkeit rechts; Bewe gung links; Stimmen: Hört, hört!) Meine Herren! Es würde mich Ihr Gesetz dafür ebenfalls mit Zuchthausstrafe belegt haben." (Links: Ganz recht! Ganz recht!) So weit von den Bekenntnissen des Grafen Pfeil. Die Rechte hat sich gegen die Anschauungen des Grafen bekanntlich auf das bündigste verwahrt. Die Aufrichtigkeit dieser Verwahrung wollen wir nun zwar kei neswegs wegdisputiren, können aber andererseits doch auch nicht gut umhin, auf den, wie uns wenigstens scheint, etwas auffallenden Umstand aufmerk sam zu machen, daß, wie der stenographische Bericht es bezeugt, während auf der Linken aus Anlaß der Confidenzen des Grafen Pfeil nur Erstau nen und Entrüstung herrschte, auf der Rechten sich nur „Heiterkeit" zu er kennen gab, und daß ferner die Verwahrung von Seiten der Rechten erst dann erfolgte, als die Entrüstung der Linken durch die donnernde Philip pika des Abg. Wentzel bereits siegend durchgedrungen war. Dabei möchte ferner auch noch in Betracht zu ziehen sein, daß, nach den in den betref fenden Verhandlungen zur Sprache gekommenen weitern Thatsachen, die Abnormitäten der Graf Pfeil'schen Polizeiverwaltung gar nicht so vcr- einzelt dazustehen scheinen, als man, wenn man eines Bessern nicht be lehrt ist, wol anzunehmen geneigt sein möchte. Man höre nur. Der Abg. Harkort sagte: „Ich habe von Thatsachen gesprochen. Ich werde Ihnen nun Erfahrungen mittheilen, welche ich vor einigen Jahren, da- mals, als diese obrigkeitlichen Rechte und die Patrimonialgerichtsbarkeit noch in voller Fülle blühten, mir in Schlesien gesammelt habe. Ich machte eine kleine Reise nach Oberschlesien, und gleich beim Eintritt auf der er sten Station, Abends zwischen 10 und 11 Uhr kam der Wagen an, hörte ich einen großen Lärm auf dem Markte. Was war's? Der Bauer hatte sein Pferd auf offenem Markt angebunden und war in ein Haus getreten, inzwischen hatte sich der Dieb, aufgesetzt und war abgcritten. Ich komme nach Beuchen, dort lag Mittags um 12 Uhr, am Hellen Tage, ein Wa gen mit zwei Schimmeln im Graben. Der Knecht spannt die Pferde aus, eilt nach der Stadt und als er wieder zurückkommt, steckt der Karren im Dreck, aber die Schimmel waren weg. Der Dieb war längst abgezogen. Es kommt noch besser, ich fange klein an, warten Sie nur! (Heiterkeit. Ruf: Zur Sache!) Ja, ja! zur Sache, es wird auch zum Weinen kam- men. Ich besuchte einen sehr reichen Rittergutsbesitzer, dort kam die Rede auch auf die Polizei. Er antwortete mir: «Ja, die ist allerdings sehr schlecht, denn sie ist zu kostspielig. Im Dorfe hatten wir einen notorischen Dieb, er hatte Gott und alle Welt bestohlen, konnte aber nicht überführt wer den. Da haben die Bauern selbst die Justiz in die Hand genommen und den Kerl todtgeschlagcn, und cs hat nicht Henne noch Hahn danach gc- kräht.» Ich hatte mein Hauptquartier in Königshütte, Morgens um 5 Uhr fuhr ich nach Gleiwitz und sah unterwegs einen großen Zusammenlauf von Volk. Was war es? sie hatten eine Frau erschlagen, angeblich, weil sie ihren Mann vergiftet hatte. Das war VolkSjustiz, weil keine Polizei da war. Bei einer kleinen Excursion im Walde finde ich einen Knochenhau- fen. Ich frage, woher diese außerordentliche Erscheinung? und da wird mir geantwortet: «Sehen Sic, das ist der Platz, wo das gestohlene Vieh geschlachtet, vertheilt und auch theilweise verzehrt wird.»" Diese wahrh-ft entsetzlichen Erfahrungen über die gutsherrliche Polizeiverwaltung hat Hr. Harkort also in wenigen Tagen zu machen Gelegenheit gehabt. Hr. Har kort steht mit solchen Erfahrungen aber durchaus nicht allein da. So wußte z. B. der Abg. Lette aus seiner früher« Stellung als Patrimonial- richter mitzuthcilcn, „daß die gutsherrliche Polizciobrigkeit an dem einen Orte einen gewaltsamen Diebstahl mit einigen Thalern bestrafte und diese an die Armenkasse zahlen ließ; das waren die chrcnwerthen Gutsbesitzer. An einem andern Orte wurde zur Buße für einen einfachen Diebstahl 25 Thlr. Strafe gefedert und bczahlt, und diese flossen in die Tasche des Gutsherrn — das war der nicht chvcnwerlhe Gutsbesitzer". Unsere Kreuzzeitung rcgistrirt jetzt einen Sieg nach dem andern, und die Aufhebung des Art. 42 ist es be sonders, worüber sie jubelt, nicht anders, als ob das ritterschaftlicke Utopia nunmehr gefunden wäre. Wir wünschen der Krcuzzeitung viel Vergnügen dazu und auch fernere gute Verrichtung; wie es aber mit diesen „Siegen" innerlich beschaffen ist, das mag der Unbefangene beispielsweise aus dem vorhin Gesagten ermessen. Es ist in der Presse von cincr russischen Depesche die Rede, in welcher Graf Nessclrode die größern auswärtigen Staaten von dcn Jnstruc- klonen, niit welchen die russischen Bevollmächtigten zur Friedcnsconfcrenz versehen worden, in Kenntniß gesetzt habe. Diese Instructionen bilden nach Dem, was wir über deren Inhalt erfahren, allerdings einen neuen Beweis für die Friedensliebe Rußlands; allein vor einem blinden Ueberschätzen die ser Friedensliebe in dem Sinne, daß Rußland etwa bereit wäre, auf Al- les, was auf Grund des fünften Punktes und der etwa noch sonstigen nä her fcstzusetzenden Interpretationen gefedert werden könnte, blindlings ein- zugehcn, muß doch gewarnt werden. Die russischen Instructionen sind nur in eventuellem Sinne gefaßt, und sie können auch nicht anders gefaßt sein, da Das, was noch zu erledigen bleibt, sich eben auf Dinge bezieht, über welche die nähern Eröffnungen der Westmächte noch abgcwartet werden müssen. Es ist demnach in den Instructionen hauptsächlich von den Älands- inseln und von Nikolajew die Rede. Was die Älandsinscln betrifft, so glaubt Rußland nicht einsehen zu können, daß die Nichtwiederaufbauung der Festungswerke von Bomarsund im allgemeinen europäischen Interesse liege; indessen wird weiter zu verstehen gegeben, daß Rußland auch dieses Opfer im Interesse des Friedens zu bringen bereit sein dürfte, wenn es absolut und als oonUitio 8ino <zu» non begehrt würde. Was Nikolajew betrifft, so ist Rußland nicht der Meinung, daß diese Stadt zu den Festungen des Schwarzen Meeres gerechnet werden könne; gleichwol will.Rußland bereit sein, sich im Interesse des Friedens zu verpflichten, daß aus Nikolajew kein Kriegs- Hafen mit einem Flottenarscnal geschaffen werden dürfe. Demnach solle Ni kolajew bleiben, wie cs jetzt eben ist. Ob England bereit sein wird, auf diese, wie uns scheint, etwas subtile Unterscheidung zwischen Kriegshafen und Landsestung einzugehcn, bleibt abzuwarten; wenigstens liegt es auf der Hand, daß der gegenwärtige Hafen von Nikolajew für alle maritimen Zwecke, welche von dieser Stadt aus verfolgt werden können, vollkommen genügen dürfte. Jedes Ansinnen auf eine Landcsabtrctung in Asien weist Rußland zurück, und auch der Gedanke, für dic Räumung des eroberten Paschalik von Kars in territorialer Beziehung einen Ersatz zu erlangen oder diese Räumung zur Compensirung einer von Rußland gefederten anderwciten Landcsabtrelung dienen zu lassen, ist, wie wir vernehmen, russischerseils noch keineswegs ausgegeben.— In der gestrigen Nummer der «Zeit» ist