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IS. Juli I8S7 Nr. 162. Mittwoch. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Sonntags täglich Nachmit tag« für den folgende» TLg. DtiiWc Mgkmcint Zeitung. Preis für da« Bierteljahr I'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I» Zu beziehen durch alU Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Znsertionsgebükr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland LI BoM Westen, 11. Juli. DieVorgänge in Belgien werden, was namentlich die staatsrechtlichen und principiellen Fragen betrifft, in der Presse sehr verschieden und selbst von conservativcn Blättern ziemlich leicht und gewagt beurtheilt. Die belgische Verfassung stand bisher bei Vielen groß in Gunsten, weil sie ein bedeutendes Maß von Freiheiten nach allen Seiten gewährte und durch mehre Prüfungen glücklich hindurchschiffte, na mentlich aber von den Stürmen des Jahres 1848 nicht berührt ward. Man gab sich nicht die Mühe, das ganze Staats- und Verfassungsgcbäude genauer kennenzulernen und dje allmälige Entwickelung der Dinge sorg fältiger in ihren Ursachen und Wirkungen zu beobachten; mit dec nämli chen Oberflächlichkeit setzte man vielmehr auf Rechnung der belgischen „Musterverfassung", was den Umständen, den Berechnungen einer mächti gen Partei und der Persönlichkeit des Königs Leopold beizumesscn ist. Ei nem Werk, welches, seiner Richtung nach, freien Verfassungen sehr hold ist, entnehmen wir Folgendes: „Von welchem Gesichtspunkt man auch diese (die belgische) Verfassung beurlhcilen mag, das Eine muß immer zugegeben werden, daß sie eine große und in mehr als einer Rücksicht wichtige sociale und staatswissenschgftliche Bedeutung hat. Es ist ein Versuch von dem höchsten und allgemeinsten Interesse, dessen Erfolg reich an Belehrungen der verschiedensten Art sein wird. Die Idee des Staats findet sich hier in einer von der gewöhnlichen höchst abweichenden Weise aufgcfaßt, sein Wir kungskreis ist auf ein Minimum zurückgeführt, während der aller Elemente der Gesellschaft, die nicht Regierung sind, überdiemaßen ausgedehnt ist. Es fragt sich, ob ein solcher Zustand auf die Dauer bestehen kann, ob cs mit dem Grade politischer Entwickelung, aus dem das staatliche Leben in unserer Zeit sich befindet, überhaupt übereinstimmend ist, ein Maß von Freiheiten zu geben, die mit dem Bildungsgrade eines großen Theils der Bevölkerungen nicht im Einklang stehen und daher den wahren Bedürf nissen des Volks nicht immer entsprechen können. Es fragt sich, ob die Losung, welche die belgische Constitution den großen Controversen über das Verhältniß von Staat und Kirche, Preß- und Unterrichtsfreiheit gegeben hat, der wahren Natur dieser Institutionen und ihrer Beziehung zur Ge sellschaft entspricht. Wie auch die Antwort ausfallen möge, und sie muß verschieden sein nach den verschiedenen Ausgangspunkten der Beurtheilung, soviel ist gewiß, daß die Nation, welche die Lösung auf diesem Wege ver sucht, sich eine schwere Aufgabe gestellt hat, die aber eben ihrer Schmie- rigkeit wegen höchst bedeutsam ist und Thcilnahme und Aufmerksamkeit von Seiten aller Derer verdient, denen die Förderung des staatlichen Lebens überhaupt am Herzen liegt." Welche Antwort ist wol heute von Denen zu geben, welche sich, ohne alle Parteinahme und frei von Vorurtheilen, mit den obwaltenden Verhältnissen näher vertraut gemacht haben? Die Ver fassung von Belgien, deren Schwerpunkt nicht im Monarchen, der eigent lich nur ein Schattenkönig ist, sondern in den Kammern liegt, und nach der, trotz des Senats, doch eigentlich im Wesen nur das Einkammersystem wirksam, damit aber die Herrschaft des MajoritätSprincips desto bedenkli cher eingesetzt ist, hielt sich bisher, unter dem Einfluß des belgischen Volks- charakterS und der geographischen Lage, hauptsächlich oder lediglich dadurch, haß sie der klerikalen oder ultramontanen Partei zu ihren Zwecken und Pla nen noch immer taugte, vor 1848 wie 1848 und nach 1848. Diese Partei war es, welche den ersten Grund zur Trennung Belgiens von den Nieder landen legte (Treiben des Bischofs von Gent 1816 rc.) und, die Fehler her Regierung ausbeutend, die Trennung endlich durchsetzte; sie war es, welche, die liberale Partei, benutzend und überlistend, die Verfassung eigent- sich schuf; sie ist es, welche mit Hülfe der von ihr gewährten Freiheiten alltnälig nicht blos die Macht gewann, die sie jetzt besitzt, sondern auch den belgischen Staat dem Zustande eines „Religionsstaats" entgegenführte. Wie eS nur der Persönlichkeit des Königs, seiner Klugheit und Umsicht zu ver danken ist, daß bisher noch einigermaßen ein Gleichgewicht zwischen der libe ralen und klerikalen Partei bestand, so ist die neueste Wendung zu Gun sten der Freisinnigen einzig und allein dem allzu kecken und voreiligen Auf treten der Ultramontanen zuzuschreiben. Die Gefahr aber bleibt. Wie lägen die Dinge schon jetzt ohne jene Persönlichkeit? Wie wird es unter einem andern König werden? Sogar König Leopold wählte kürzlich den Ausweg des Schlusses der legislativen Session und sanctionirte neuerdings das Re- tzjme des MajoritätSprincips" unbedingt zum Nachtheil des Autoritätsprin- cips, indem er der Majorität rieth, von sich aus auf die Discussion über das WohlthäligkeitSgcseh zu verzichten. Belgien ist ganz katholisch. Man Lenke sich eine Verfassung wie die belgische z. B. in einem paritätischen Lande, wo die ultramontane Partei die-Majorität zur Verfügung hätte! Preußen. ^-7 Berlin, 13. Juli. Worin bestehen denn die großen Concessionen, welche Dänemark gemacht.hat? Die deutschen Mächte ha ben, in der Hauptsache, zwei Dinge gcfodert, einmal daß die Stände des Herzogthums Lauenburg keine geringer« Rechte haben sollten als die Hol steins, und zweitens, daß die holsteinischen Stände sich auch über das Ver hältniß Holsteins zu Dänemark, rcsp. zur Gesammtstaatsverfassung sollten aussprechcn dürfen. Das erste hat Dänemark zugegeben, das zweite eben falls, jedoch mit dem Beisatz: soweit es in der Kompetenz der holsteinischen Stände liege. Es ist in den letzten Tagen zwar mit großem Nachdruck gesagt worden, daß die über die dänische Note gemachten Veröffentlichun gen so ungenau seien, daß sich auf Grund derselben ein berechtigtes Rai- sonnement gar nicht anstelle« -lasse; der a«gedeutete Vorbehalt: „insofern es in ihrer (der Stände) Compctenz liege", ist indessen von allen Seiten, die sonst in dergleichen Dingen wohlunterrichtet zu sein pflegen, so über einstimmend hervorgehobcn worden, daß wir diesen Punkt denn doch wol ohne besonderes Bedenken glauben fcsthalten zu dürfen. Hat es mit diesem Vorbehalt nun seine Richtigkeit, so liegt es auf der Hand, daß derselbe, in Bezug auf die Interpretation, einen Doppelsinn hat. Von deutscher Seile wird man keinen Augenblick zweifeln, daß es in der Competcnz der holsteinischen Stände vollkommen liege, Alles zu sagen und zu beantragen, was zur Abwendung der die Selbständigkeit und die Rechte Holsteins be drohenden Gefahr nöthig erscheint; die Frage ist aber, wie enge die däni sche Negierung diese Compctenz, der Gesammtverfassung gegenüber, zieht. In der Form also können die deutschen Mächte vorläufig zufrieden sein; aber diese Form ist eben nur noch eine Form, die, wenn sie einen Werth haben soll, erst noch des positiven Inhalts bedarf. Wo soll dieser positive Inhalt nun hergeholt werden? Man hätte sich nach Kopenhagen wenden können um Mitthcilung der den holsteinischen Ständen zu machenden Vor lagen. Bis die Antwort eingetroffen gewesen wäre, würde aber ohne Zweifel die Zeit des Zusammentritts der holsteinischen Stände gekommen gewesen sein; daß die dänische Negierung sich auch dann mit den besten Versprechungen die nöthigen Auswege offcnzulassen gewußt hätte, ist gewiß auch nicht zu bezweifeln; endlich aber ist auch zu bedenken, daß es nicht bloS auf die dänischen Vorlagen ankommt, sondern vorwiegend auch aus die Anträge und Beschlüsse, die aus dem Schoose der Sländeversamm- lung hervorgehcn, und sodann in der entscheidenden Hauptsache auf das Verhalten der dänischen Regierung den von der Ständevcrsammlung zu fassenden Beschlüssen gegenüber. Ein nochmaliger Schritt in Kopenhagen mußte daher aus mehr als einem Grunde überflüssig erscheinen. Am Bunde vorzugehen dürfte unsern deutschen Diplomaten aber, für jetzt, sehr unzweckmäßig geschienen sein, denn Dänemark hatte die deutschen Federungen im Wesentlichen ja formell erfüllt, und wenn dieses formelle Entgegenkommen auch gar keinen positiven Werth hat, so hätte cs doch, wie man meint, vor dem Auslande das unschuldig angegriffene Lamm spielen und sagen können: Seht, ich bin willig und ganz entgegenkommend gewesen und dennoch läßt man mir nicht einmal Zeit, um mich mit den Ständen ins Reine zu sctzcn. Aus diesen Gründen scheint man beschlossen zu haben, zunächst einfach das Resultat der Verhandlungen der holsteinischen Stände abzuwartcn, um danach zu ermessen, ob und inwiefern die formellen Con- cessionen der dänischen Negierung auch einen positiven Boden gewinnen oder nicht und dem entsprechend dann das Weitere zu bestimmen. Wir glauben in Vorstehendem die^Situation ziemlich genau angedeutet zu haben. Kann man sich mit derselben auch nicht befreunden, so läßt sie sich doch erklärlich finden. Was dabei herauskommt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls aber hätten wir gewünscht, daß man auch von anderer Seite es vorgezogen hätte, es ganz einfach zu sagen, daß man, bei solcher Sachlage, ein vor läufiges weiteres Zuwartcn nicht für gut zu umgehen erachte, als die Si tuation auf den innern Werth der dänischen Conccssioncn zurückzuführen zu versuchen. Was diesen innern Werth betrifft, so kann er sich sehr leicht, wenn nicht höchst wahrscheinlich, in entscheidender Instanz als eine Seifen blase herausstellen. — Die Gerüchte von einer Zusammenkunft mehrer Monarchen in Potsdam circuliren jetzt wieder sehr stark. Daß die An kunft des Kaisers von Rußland demnächst bevorsteht, ist bekannt. Es heißt jetzt auch, daß der Kaiser von Oesterreich zu einem Gegenbesuch in kurzem in Potsdam eiiitrcffen werde. Daß der Kaiser Franz Joseph für den von unserm König in Wien abgcstattelen Besuch einen Gegenbesuch machen wird, ist gewiß kaum zu bezweifeln. Daß dieser Gegenbesuch aber schon so bald erfolgen werde, daß derselbe gleichzeitig auch mit einem Zusammen treffen mit dem Kaiser von Rußland verbunden sein werde, wie man cs hier behaupten will, das möchten wir vorderhand denn doch noch dahinge stellt sein lassen. Das Gerücht, welches von einer gleichzeitigen Hierher- kunft auch des Kaisers Napoleon spricht, möchten wir ebenso wenig ver treten. Aus der dermalige« politischen Lage der Dinge in Europa dürften sich gegen die Wahrscheinlichkeit eines solchen Monarchencongresscs über haupt starke Gründe folgern lassen. Immerhin aber ist Act davon zu neh men, daß die betreffenden Gerüchte wiederholt stark circuliren.