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Amtsblatt für die kölliglichm und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu» Bra«« d» Freiberz 32. Jahrgang. . - — Erscheint ftden Wochentag Abends 0 Uhr für tXk Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom- - ^^«5 Freitag, dm 12. November. 188i». Vir Kampfweise der Römlinge. Wenn man sich heute die Lage des deutschen Ultra- montanismus vür Augen führt, kann man sich kaum der Ueberzeugung verschließen, daß derselbe den Höhepunkt seiner Macht bereits überschritten hat. Die Siegcsgewiß- heit, welche auf klerikalen Versammlungen und in den Organen der Partei zur Schau getragen wird, kann darüber nicht hinwegtäuschcn, daß die Ultramontanen heute weder nach oben noch nach unten hin den Einfluß geltend machen können, welcher sie noch vor einem Jahre zu recht gefürchteten Gegnern machte. Es geht langsam abwärts mit den Römlingen, aber es geht abwärts. Das Steinchen ist im Rollen. Wir brauchen nur an die allmälich sich entwickelnde Feindschaft zwischen Konservativen und Kleri kalen, welche bei der Präsidentenwahl im preußischen Ab- gcordnetcnhause ihren Ausdruck fand, ferner an die Ver stimmung der höchsten Kreise über das Fernbleiben vom Kölner Dombaufestc und an manche ähnliche Symptome zu erinnern; wir dürfen nur ins Gcdächtniß zurückrufcn, daß aus eine Aenderung der viel angefeindeten Falk'schen Ge setzgebung jetzt — 1'/* Jahre nach den Zolldebatten und der Hilfe der Ultramontancn — nicht die geringste Aus sicht vorhanden ist, und man wird zustimmen, daß cs bergab mit den Römlingen geht. Die Gründe für das Erbleichen ihres Gestirns liegen vielleicht ebenso sehr in der ganz natürlichen Erschlaffung, welche ein jahrelanger aussichtsloser Kampf gegen die be stehende Gewalt erzeugen muß, wie in dem Einflüsse, den die Mißgeschicke des Ultramontanismus in Belgien und Frankreich auch auf die deutschen Angelegenheiten haben müssen. Sie liegen aber mindestens in demselben Grade auch in schweren taktischen Fehlern, welche die ultramon tanen Führer begangen haben und die sich jetzt bitter rächen. Wer die Kämpfe der Kurie mit der weltlichen Macht auch nur einigermaßen aufmerksam studirt hat, der weiß, daß der Ultramontanismus dann immer am gefährlichsten war, wenn er sich vertrug, nicht wenn er zum Angriff blies. Gegen die ultramontanc Feindschaft konnte sich die weltliche Macht schützen, gegen die ultramontane Freundschaft half selbst die größte Vorsicht nicht. Wie ost ging das, was der Staat durch die Feindschaft gegen die Ultramontanen erkämpft, durch die spätere Freundschaft mit denselben wieder verloren! Gewöhnlich war der Ver lauf so, daß der Ultramontanismus, sobald er das Durch dringen seiner Ansprüche bezweifeln resp. aufgeben mußte, sich zum Friedensschluß bereit finden ließ; und zwar zu einem Frieden, bei dem er keines von seinen Prinzipien aufgab, aber durch welchen vermöge beiderseitigen Ent gegenkommens ein moäus rivsnäi vereinbart wurde, von dem aus er zu gelegener Zeit die früheren Forderungen erneute und durchsetzte. Konnte er nicht die ganze Hand erlangen, so nahm er einstweilen den kleinen Finger; aber hatte er erst diesen, so konnte man sicher sein, daß er den paffenden Augenblick erspähen würde, um die ganze Hand zu nehmen. Die Ultramontanen sind stets Real politiker in der vollen Bedeutung des Wortes gewesen, haben nie etwas zurückgewiescn, weil es ihnen nicht genug gewesen wäre; selbst die kleinsten Vortheilc nahmen sie dankbar entgegen und verschmähten aus Prinzipienreiterei nie eine Konzession, die ihnen gemacht wurde. Sie wußten jeder Lage die größtmöglichen Vortheile abzu gewinnen, waren wie Aale schmiegsam und biegsam, wie cs die Zeit eben mit sich brachte — das ist das ganze Gcheimniß ihrer Triumphe. Diese Taktik aber ist in der letzten Zeit, wie es scheint, eine andere geworden. Die Erbitterung, welche der Kultur kampf auf jener Seite hcrvorgcrufen, wirkte auf die Ent ¬ schließungen der Partei mehr ein, als für ihre Erfolge gut war. Allen Anzeichen nach war man in Rom ge willt, den alten Traditionen zu folgen und durch schein bares Nachgeben in einzelnen Punkten Zugeständnisse in wichtigeren Dingen zu erkaufen. Aber die Partei der Exaltirten erlangte die Oberhand ; man akzeptirte keine Abschlagszahlungen mehr, die vielleicht zu erreichen ge wesen wären; man verrannte sich, wie cs stets das Schick sal extremer Parteien ist, in eine unfruchtbare Negation. So kam es, daß man die günstige Lage, welche durch die Kirchengesetzvorlage der preußischen Regierung geschaffen wurde, nicht auszunutzen verstand, alle Friedensvcr- handlungen der Kurie mit dem preußischen Staate in s Stocken geriethen und man sich endlich zu dem schweren taktischen Fehler der „würdigen Zurückhaltung" vom Kölner Dombaufeste verleiten ließ, während man doch hätte wissen müssen, Welchen Werth der Kaiser persönlich auf diese Feier legte, und anderntheils, daß man die „würdige Zurückhaltung" bei der Vorliebe der Mafien für solche Festlichkeiten doch nicht werde in imponircn- der Großartigkeit durchführen können. So stehen die Klerikalen der preußischen Regierung heute nicht erfolg reicher gegenüber als vor zwei Jahren. Die Gunst der Ereignisse haben sie in dieser ganzen langen Zeit nicht auszunutzen verstanden und ihre Situation ist noch unge- müthlicher geworden als vordem. Denn zwei Jahre Kulturkampf länger haben die Kräfte der ultramontanen Partei natürlich nicht wenig beansprucht, ihre Führer abgespannt, ihr überall Opfer auferlcgt, welche um so fühlbarer werden, je weniger ihnen Erfolge zur Seite stehen. Mit alledem soll selbstverständlich nicht gesagt werden, daß der Ultramontanismus nun schon ein überwundener Gegner der Staatsgewalt wäre. Das hat noch gute Wege. Aber auf dem Rückzug ist er unzweifelhaft be griffen und das wird vielleicht bald noch viel stärker hcr- vortretcn, als bisher. Tagesschau. Freiberg, 11. November. Das preußische Abgeordnetenhaus nahm gestern den Gesetzentwurf über die Weichselstädtebahn in zweiter Berathung ohne Diskussion in seinen einzelnen Paragraphen an. Ferner wurde die Kreis- und Provin zialordnung für Schleswig-Holstein an eine durch sieben schleswig-holsteinische Abgeordnete zu verstärkende Kompe tenz-Kommission verwiesen. Die Berathung der Kreis- und Provinzialordnung für Posen, welche die polnischen Abgeordneten lebhaft bekämpften, wurde schließlich auf heute vertagt. — Die Provinzial-Korrespondenz kvnstatirt nach den ersten Lebenszeichen, welche die nationalliberale Fraktion nach der Sezession von sich gegeben, daß die versöhnliche und vermittelnde Richtung des Herrn von Bennigsen den Geist der Fraktion bestimmt. „Praktisch positive Politik zu treiben darf daher als die Aufgabe bezeichnet werden, welche sich die national-liberale Fraktion für die Zukunft gestellt hat." — Uebcr die Beziehungen Deutschlands zu Rußland wird der „Köln. Ztg. ge schrieben : Unser Verhältniß zu Rußland läßt jetzt manches zu wünschen übrig. Es liegt ja auf der Hand, day Deutschland sich nicht zu dem Zwecke mit Oesterreich ver bunden hat, um Rußlands Lieblmgswunsch, die Eroberung von Konstantinopel, möglichst bald in Erfüllung gehen zu lassen, und so können wir von Rußland keine herzliche Freundschaft mehr erwarten. Es ist klug genug, seine Mißstimmung nicht offen an den Tag zu legen, doch vcr- räth sich dieselbe in Kleinigkeiten. So klagt Rußland da rüber, daß jetzt, wo ein Krieg zwischen China und Ruß land auszubrechen drohe, deutsche Kaufleute die Chinesen mit Waffen und sonstigen Kriegsbedürfnissen versehen. Es ist freilich wahr, daß die deutschen Kaufleute in den chine sischen Häfen schon seit 20 bis 30 Jahren einen bedeuten den und einträglichen Handel mit Waffen treiben.. Durch die vielen Empörungen, Unruhen und Kriege ist in China das Bedürfniß nach vervollkommneten europäischen Waffen sehr groß. Was kann indessen die deutsche Regierung thun, um diesen Waffenhandel zu beaufsichtigen und zu beschränken? Die deutschen Kaufleute in China können ihre Waffen nicht blos bei Krupp und von Deutschland, sondern auch von England, Amerika u. s. w. beziehen. Die österreichische« Blätter bringen nähere Mit- thcilungcn über das vorgestern dort aufgetretene Erdbeben. In Wien manifestirte cs sich durch wiederholte Stöße mit auf- und abwärtsschwingender Bewegung. Es er streckte sich nach den Meldungen der Zentral-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus über den westlichen Theil der Balkanhalbinsel, über Bosnien, Dalmatien, Istrien, Kroatien, Kärnten, Steiermark, Niederösterreich und West-Ungarn bis zur mittleren Donau. Das Zentrum ist in Kroatien, bei Agram, zu vermuthen, denn dort äußerte cs sich am stärksten, es hatte die Dauer von zehn Sekunden und war der Beginn wirbelförmig mit nach folgenden Schwankungen in der Richtung von Nordwest- Ost: nach fünf Minuten folgte ein zweites und nach einer halben Stunde ein drittes Erdbeben. Nach dem ersten Stoß hüllte sich die ganze Stadt in eine Staubwolke, Rauchfänge, Dachziegel, Feucrmauern stürzten nieder und bedeckten die Gassen mit Schutt, mehrere Menschen wurden verwundet, einige todt, fast jedes Haus wurde mehr oder weniger beschädigt, der Schaden ist bis jetzt unberechenbar, doch groß. Schauerliche Szenen spielten sich im städtischen Spttale ab, wo alle Kranken die Betten verließen und jammernd das Freie suchten. Die Magnet nadel vibrirt unaufhörlich, das Barometer ist jedoch ein wenig in die Höhe gegangen. Der Schrecken, welcher noch auf allen Gemüthern lastet, sowie die bleiern schwere Temperatur und der tief umwölkte Himmel lassen neue Gefahren fürchten. Die Wenigsten denken daran, die kom mende Nacht im Bette zuzubringen, Alles drängt ins Freie, so wenig einladend dieWittcrung dazu ist. Die Bewegung schien von Norden gegen Süden zu sein. Das Korrcspondenzbüreau meldet: Fast jedes Haus ist beschädigt; auch sind Zu sammenstürze zu verzeichnen. Der Schaden ist ungeheuer. Bis jetzt sind dreißig schwere und leichte Verletzungen konstatirt. Banus Graf Pcjacscvich durcheilte sofort die Stadt und stellte sämmtlichc Regierungs-Ingenieure zur Verfügung; ebenso der Kommandircndc Philippovich. Der Magistrat verfügt Dclogirungen. Die Panik ist eine all gemeine. Der „Ungar. Post" zufolge wurde durch das Erdbeben in Agram die Kathcdralkirche durch große Sprünge sehr stark beschädigt; das bischöfliche Palais ist unbewohnbar, das Presbyterium stürzte zusammen, ebenso vier Kirchen und außerdem sind mehrere andere Gebäude theils cingestürzt, theils arg beschädigt. — In Wien ist am 8. November der Hofrath im Ackcrbauministerium Wilhelm von Hamm im 71. Lebensjahre gestorben. Derselbe erlernte die Landwirthschaft auf größeren Gütern in Hessen, studirtc diese Branche sodann in Darmstadt und bereiste hiernach Belgien, Frankreich, England und Norddeutschland. Später studirte er noch m Gießen Cameralia und Naturwissenschaft und ging >843 als Professor der Chemie und Landwirthschaft nach Hofwyl. 185: gründete er in Leipzig eine Fabrik für landwirth- schaftliche Maschinen, verlegte dieselbe 1855 nach Eutritzsch und leitete sie bis 1864. 1863 wurde H. in die zweite sächsische Kammer gewählt, wo er sich den Liberalen an schloß. Auf Grund seines Werkes: „Wesen und Ziele der Landwirthschaft" ward er 1867 als Ministerialrath und Chef des Departements der Landwirthschaft in das österreichische Ministerium für Handel und Volkswirth- schaft berufen und trat 1868 in das ncugegründete Ackerbauministcriuin. Er war während der letzten Zeit seines ruhigeren Wirkens eine sehr anregende Krakt auf agronomischem Gebiete, zugleich ein tüchtiger Chemiker in Anwendung aus Bodenkultur, deren edelstem Produkte, der Rebe, er sein in weitesten Kreisen berühmt gewordenes, interessant geschriebenes „Wcinbuch" gewidmet hat. Aus Ungarn wird gemeldet: Der Minister des Innern hat dem deutschen Theater-Direktor Müller die Abhaltung von Thefitervorstellungen im ganzen Lande, mit Ausnahme von Pest bewilligt. Gleichzeitig wurde dem Theater-Direktor Müller bedeutet, daß er sich bezüg lich der Abhaltung von Theatervorstellungen in Pest an