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Nummer 225 — 25. Zayrqang Kmal wöch. Bezugspreis für Oktbr. 3.00 .R «inschl Bestellgelv. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petitzeile 80-8 Stellengesuche 28 L. Die Petitreklamezetle, 89 Milli. Meter breit. 1 -R Offertengebühren für Selbstabholer 20 L, bei Uebersendung dmch bie Post außerdem Portozuschlag. Tinzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. 15 GUchöstjicher Teil: I. Hillebranü in Dresden ÄicklMe Sonnlaq. 3. Oktober 1926 I« Fall« höherrr Vewalt erlischt jede Verpflichtung «>f Lieferung so»i« Erfüllung »nzeigenausträgen u. Leistung o. Schabenersaß. Für undeutl. u. d. Fern, ruf üdermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver. antwortung. Unverlangt eingesanbt« u. m. Rückporto nicht versehene Manuskripte werd. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion S—3 Uhr nachmittags. Hauptschristleit.: Dr. Joseph Albert, Dresden. Zuw«sier Lart Hrötschntr Schictzg. 0 LreSOeu /sillgs in «slULöli UMMlk?I Ol OlUlieig.Zgl IslsI IMZ II. ^ (SclihüstSfteUe, Druck niid Bering! Scaonia- Buchdrmkerel GmbH» DreSden-A. l, Pottersiratze 17. pernriii 2IVI2. Postscheckkonto Dresden I47S7 Bnnttonto: Dresdner Bank, Dresden Für christliche Politik un- Kultur .»edaktton der Eächslscheu Bolk-zettung TreSden-Wlsladt 1, Polierstrahe 17. Fernrns MIL >I»d 2IVI2. Der Arme von AWi Gibt es jemand unter uns, der würdig wäre, dein hei ligen Franz, dem Armen vau Assisi zum 700. Jahre seines Todes ein Gedenken zu widmen? Gibt es unter den Völ kern der Erde noch eins, das sich — wie jenes Italien des i3. Jahrhunderts — rühmen könnte, einen so großen Sohn sein eigen zu nennen, wie diesen? — Niemand ist da, der )as wahrhaft gebührende Wort zu finden wüßte, und keine Nation der Gegenwart mit all ihren Helden und Ahnen gestalten besitzt einen einzigen Menschen, der jenem gleich- zekommen wäre. Franziskus, der Sohn des Kaufmanns Bernardone in Assisi, wurde in einer Zeit geboren, die an Niedergang und Verfall um nichts der unsrigen nachstand. Hinzu kam aber noch, daß auch die kirchliche Hierarchie in das Ver derben der Welt hineingerissen war. Verschwendung und Wohlleben auf der einen und Not und tiefste Armut auf der anderen Seite. So war es kein Wunder, daß auch der reiche Kaufmannssohn sich dem Leben der Ueppigkeit er gab und mit Gelagen und Festen sich die Zeit vertrieb. Erst die Teilnahme an einem Feldzug gegen eine fremde Stadt, wobei er in Gefangenschaft geriet, brachte ihn auf andere Gedanken. Ein Jahr Kerkerhaft, das Unglück sei ner Freunde und das Elend, das sich ihm darbot. verwan delten völlig sein Gemüt. Und aus den: Wvhllebenden, aus dem Verschwender wurde der größte Mensch aller Zeiten, der Heiligste unter den Heiligen, der Aermste un ter den Armen. Es ist hier nicht der Ort, eine Biographie des Heiligen zu geben, uns interessiert vielmehr das Verhältnis die ses Mannes zu unserer Zeit. Wir ersparen uns darum eine Schilderung all jener Hindernisse und Leiden, die sich ihm entgegenstellten, bevor er in der Tat der wahr haft Geläuterte werden konnte — bevor er in höchster Ar mut durch Dörfer und Städte ging, immer hilfsbereit, immer gut und heiter und allen Glanz und Reichtum die ser Erde verachtend. Wäre Franziskus nicht arm geworden, märe er nur predigend wie so viele andere durch die umbrische Landschaft gezogen sein Name märe längst vergessen. Franziskus aber schlug einen anderen Weg ein. Er wurde z u e r st s e l b st a r m , er wurde zuerst s e l b st e i n V e r- ächter der Eitelkeiten, des Glanzes und des äußeren Scheines — und erst dann begann er andere für diese selbe Idee zu gewinnen. In dieser Armut, in diesem völligen F o r t w e r f e n a l l e r A e n ß e r l i ch k e i t e n, aus der dann die große Bereitschaft für die notleidenden Menschen erwachsen konnte, beruht das Geheimnis der Popularität des Heiligen. Aber nicht etwa im Sinne einer Sensation, sondern dieIdee dieserArmut ist letz ten Endes Ausgangspunkt alles christlichen E r d e n l e b e n s s ch l e ch t h i n. Haben wir noch immer nicht begriffen, daß die heutige Welt nur deshalb so tief in die Not und den Verfall hineingeraten konnte, weil sie nicht zum Gedanken der Entsagung erzogen worden ist. Statt dessen aber zur Begehrlichkeit nach allen glitzernden Dingen der Großstadt, nach allem Prunk und Aufwand der Moderne. Und wir alle leb - tenin dieser Begehrlichkeit. Das gilt nicht allein für die Wohlhabenden, die Reichen, es gilt auch für die ärmsten Schichten. Man verachtete sein eigenes gutes Handwerk, weil es arm und bescheiden war, und sehnte sich nach den Palästen der Schlemmer. Und war der Weltkrieg nicht der Höhepunkt dieser Begehrlichkeit — wenn auch uur der Begehrlichkeit weniger einzelner Männer, in deremGeiste aber derGroßteilallerNntio- nenlebte? Es ist erstaunlich, mit welcher Raffinesse man immer wieder über diese Dinge hinwegredet, mit Pbnrisäer-Demiit an seine Brust schlägt und selbst die Schuld am Weltkrieg immer wieder einzelnen Um ständen und Völkern zuzuschieben sucht. Und weil wir vor 1914 nie das richtige Verhältnis zur Armut gefunden hatten, war auch jenes Ereignis wie der Weltkrieg nicht imstande, den größeren Teil des Vol kes eines Besseren zu belehren. Wieviel wirkliche Arme tragen ihr Los im Geiste der Verbitterung, und wieviel von den übrigen Klagen bei jedem Groschen, den sie dem Leidenden opfern, über die Zudringlichkeit der Bettler! Daß es Ausnahmen gibt, steht hier nicht zur Debatte. Uns interessiert der G e s a m t ch a r a k t e r unserer Zeit. Wieweit ist dieser Charakter von jenem Geist der frei willigen Armut des hl. Franz entfernt. Und doch ist nur der freiwillig Entsagende ein wahrer Christ und Mensch. Das soll für unser praktisches Leben, das an die Großstadt, an den Betrieb, an die Pünktlichkeit der Fabrik gebunden ist, nicht bedeuten, daß man sich mit Pariser Verrm,langen nach den Anlerredungen von Livorno und Thoiry — Die Gründe für die Annäherung Frankreichs an Deutschland Paris, 2. Oktober iDrahlliericht). „Chicago Tribüne" glaubt als Inhalt der Besprechungen von Livorno feststellen zu können, das; zwischen Chamberlain und Mussolini die Cinbeziehung Italiens in einen englisch-deutsch französischen Block besprochen worden sei. In Genf hätten Cham berlain und Briand über die Frage der denisch-sranzösischcn An näherung auf Rücksicht ans Europa gesprochen und seien zu dem Ergebnis gekommen, das; ans alle Fälle Italien in die Kombi nation einbezogen werden müsse, weil sonst der europäische Friede bedroht werde. Nach seiner Rückkehr nach Paris habe Briand dem italieni schen Botschafter in Paris Aufschlüsse über die Besprechungen in Thoiry gegeben und erklärt, das; die deutsch-französische Annähe rung nur der Teil eines großen Planes sei, der eine deuisch-eng- lisch-sranzösische Interessengemeinschaft unter Ein schluß Italiens zum Ziele habe. Briand habe erklärt, daß It ü lien über alle Entwicklungen der Verhandlungen zwischen Paris und Berlin unterrichtet werden solle. — Auch die Schnidenfrage sei bei dieser Gelegenheit besprochen worden. „Matin" will wissen, das; der englische Botschafter Lord Creme, den Briand gestern abend empfangen hat, bestätigt habe, daß kein besonderes Abkommen zwischen Chamberlain und Mussolini ins Auge gefaßt worden sei. Jules Sanerwein. der Außenpolitiker des „Matin", weist darauf hin. das; nicht das deutsche Angebot hinsichtlich der Eisenbahnobligatianen maßgebend sei für den Entschluß. Frank reichs Politik zu ändern. Man müsse den Pint haben, sich die folgenden grundlegenden Tatsachen vor Angen zu halten: 1. Die französisch-englische Entente hat nicht die günstigen Ergebnisse gehabt, die man erwartete. Zwei Mächte zeigten sich unfähig, ihre Ansichten miteinander in Einklang zu bringen. Daraus ergibt sich eine große Bcunrnyigung für alle Nationen, für die diese Verständigung die einzige Richtlinie ihrer eigenen Politik war. 2. Inzwischen ist D e u t s ch la n d als Schuldner Gegenstand der allgemeinen Fürsorge geworden und hat sich wirtschaftlich und finanziell wieder erholt. Nichts kann verhindern, das; es ein- Rolle an der Seile Frankreichs und Englands spielt. 3. Die Politik, in allen Teilen Europas eine ständige Wache gegen Deutschland zu errichten, ist heute nicht mehr möglich, um so weniger, als Frankreich finanziell geschwächt, Italien uni) Rußland beunruhigt sind. 4. Die wirtschaftliche Annüher n n g zwischen den beiden Ländern, die der Natur der Dinge entspricht, hat begcm. neu und wird wahrscheinlich ausgezeichnete Ergebnisse haben. 5. Es ist nur möglich, das Problem der internationa len Schulden in Gemeinschaft mit dem Problem der Repa rationen, das heißt durch eine gemeinsame Aktion von Frankreich und Deutschland zu regeln. Das sind nach Ansicht des Anßcnpolitikcrs des „Matin" ge> niigend Gründe für einen Staatsmann, die Annäherung und die vorzeitige Räumung, die die Folge davon sei, zu rechtfertigen. Erweiterung -es Eisenkarlells? Wien. 2. Oktober. Im Oktober sollen Verhandlungen österreichischer, tschechischer und ungarischer Werke mit dem westeuropäischen Eisenkartcil wegen eines evcn. Inellen Anschlusses stattsinden. Auf die Alpine Mvntangcsell- schüft würde dies durch Aushören der Exportnnterbietnngen gün stig rnckwirken. Paris, 2. Oktober. Nach einer Meldung der „Chicago Tri büne" ans Washington hat Handelssekretär Hoover eine Untersuchung über den europäischen Eisenpakt angeordnet, um festznstcllen, ob die Abmachungen der europäischen Schwerindu strie eure Bedrohung snr den amerikanischen Handel darstellen. einem zu niederen Lohn, mit einer zu schlechten Arbeits weise in Lammesgeduld bescheiden müsse — durchaus nicht: was man im Interesse seiner Gesundheit und nicht zuletzt im Interesse seiner Familie, für die ein jeder ver antwortlich ist, verlangen kann, das soll man verlangen, aber man darf dabei nicht den G e i st vernachlässigen, in dem man all die Dinge behandelt und, wenn ein hartes durch die Zeit heraufbeschworenes Geschick es be dingt. auch ertrüg t. Wie weit aber jene non christlicher Auffassung entfernt sind, die zwar immer noch 10 Pfennig für de» Bettler übrig haben, ihn aber nur mit Verdruß und Murren ge ben. ist allzu einleuchtend. Es ist ein Charakteristikum unserer Zeit, daß wir bei jedem Werk, das wir tun. zuerst fragen: was verdiene ich dabei. Es gibt für die meisten Menschen kein entgeltlvses Tun. es gibt für die meisten nichts, was sie selbstlos i m D i e n st e B e - dürftiger zu tun bereit mären. Diese Selbstbegebr- lichkeit ist die Seuche unserer und aller Jahrhunderte: „Was verdiene ich dabei", steht am Anfang aller Tat. Als die Franziskaner zum ersten Mal nach Deutsch land kamen, gingen sie zu der Kolonie der Aussätzigen vor den Toren der Stadt Speyer. Sie wuschen ihre Wunden, gaben ihnen ihr erbetteltes und erarbeitetes Brot und pflegten sie wie ihre Freunde. Das mar etwas Unerhör tes. etwas, was die Einwohner nicht verstanden. — Was verstanden sie nicht? Daß diese Armen von Assisi etwas ohne Entgelt tun konnten. Ist es heute anders? Die Welt begreift es nicht, daß man ohne eigenen Nutzen dem Fremdling etwas Gutes tun kann. Sie versteht nicht einmal mehr, dem Fremden einen Gruß zu bieten, sondern rückt von ihm ab. Moderne Knlturformen sind so starr geworden, daß man sich im Eisenbahnzug. in der Elektrischen, im Restaurant gegen übersitzt, wie stemere Götzen — jeder auf seinen Titel, sei nen Rang, auf seine Nation bedacht, damit nur ja non keiner Seite die Götter seines Herzens gestört werden. Ganz zu schweigen von den einfältigen Gecken, jenen männlichen und weiblichen Harlekinen, denen nichts im Leben böher erscheint, als die Sorge um ihre leibliche Aeußerlichkeit. Wie soll diesen Menschenarteu in den Sinn kommen, sich auch einmal um das Wohl des anderen zu bemühen? — Und ist diese Volkserscheinuug nicht im Leben und Treiben der Parteien gleichfalls immer wieder zu finden? Was wollen die auf der Rechten und was die aus der Linken? Was will die Mehrzahl der scheinbaren Ver fechter und Hüter der Armut? Sie möchten ihre eigene Partei auf den Thron erheben, zur AI l e i n - Besitzerin der Macht machen, sie möchte» das. was sie bei anderen verdammen, für sich beschlagnahmen. Sie möchten den einen Vvlksteil über den anderen herrschen lassen. — Und auf der anderen Seite, der Rechten, ist es um nichts verschieden. Man will die Macht um der Macht willen, nicht um der G e s.a in t h e i t des Volkes in gleicher F ü r- sorge zu dienen. Und doch ist diese dienende Fürsorge an allen Menschen der einzig mögliche Weg. um zum Frie den untereinander zu kommen. Co herrscht hier der ideenlose Materialismus u. dort der Freibeuter„Liberalis- mus". Beide aber arbeiten wunderbar Hand in Hand, weil sie beide losgelöst sind van höheren Dingen. Der materialistische Marxismus, der zwar mit Recht dieArmut der Massen bekämpft, um ihnen ein besseres Las zu gestal ten, kennt gleichzeitig uur ein einziges Nut auf dieser Welt: Die Materie, den Lohn, das Geld. Alles andere ist Utopie, alles andere liegt über den Walken, nur für Schwärmer ausersonuen. Nichts Ideelles, über den Wert der täglichen Dinge Hinausragendes vermag diese Lehre den Massen zu geben. Was ist darum die Folge? Der Reichtum muß das einzig Erstrebenswerte wer- den. Das ist ganz konsequent. Denn wenn nichts außer den Dingen existiert, so bedeutet eine möglichst graßeFülle dieser irdischen Dinge höchste Glückseligkeit. So er träumt nian für sich das Land, das man den eigentlich Neichen mißgönnt. Egoismus, Neid und Korruption ste hen im Gefolge dieser Lehre. — Und wie herrlich spielt