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Nr. 7». Donnerstag den Ä8. März LV07. v. Sayrgang» Sächsische WksMUiU Erichnnt täglich nnch«. mit ?l»S,mhm>- der Sonn- und ,^es»aae. «U*l>?V"is. Ä.ene.j , ^ Mhue «e,leU,r >jd'. Mr Oester. reA L Ii Sti d. Lei a.a Pustiiiistalie» l.,-ZeiNl»gsvreiSliste str 6^». ^^aumme^^^^Ae^stwu^Svrechstiiud-- ,, ,, 12 U»„. : j Ullabhmgiges Tageblatt für Wahrheit, Recht «.Freiheit Für das 3. Vierteljahr abonniert man auf die „Gachsische Bolkszeitung" mit der täglichen Roman- beilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise von 1.8« Alk. (ohne -ejikSzett) durch den Boten ins HauS 2.LP Ult. r Der Freisinn am Scheidewege. Freisinnige Abgeordnete reisen im Lande umh-er und rühmen sich, daß ihre Partei nunmehr das Zünglein an l er Wage bilde. Wir geben ohne weiteres zu, daß dies in die- len Fällen stimmt; wenn Zentrum, Polen und Sozialdemo kraten sich ablehnend Verhalten, dann gibt der Freisinn den Ausschlag. In den bisherigen Verhandlungen der Budget kommission hat sich dies auch klar gezeigt. Damit wächst die Verantwortung dieser kleinen Gruppe sehr, sie ist jetzt die „regierende" Partei geworden in eben dem Sinne, wie man es früher vom Zentrum behauptete; doch der Freisinn ist noch mehr, er ist auch „Regierungspartei" geworden, weil er seine neue Stellung lediglich dazu benützt hat, um Schlepperdienst für die Regierung zu leisten. Tr war der getreue Knecht Fridolin, der zu allem sein Ja sagte. Die eigenen freiheitlichen Forderungen hat er ganz vergessen oder lehnt sie wenigstens in die Ecke. Diese Entwickelung ist parteipsychologisch erklärlich; die tapferen Freisinnsmänner haben nie viel Rückgrat ge habt. Eugen Richter stellte dieses für sie alle; wie er starb, trat politische Knochenerweichung ein. Dieser Auflösungs prozeß wurde noch beschleunigt durch den fieberhaften Hun- ger des Freisinns, an die Staatskrippe zu kommen. End lich ist es ihm gelungen und nun hat er den Taumelhaser der Regierungsfreundlichkeit so stark genossen, daß er in lauter Wonne und Glückseligkeit lebt, aber ganz vergißt, was er versprochen hat. Diese politische Schwäche wird da durch noch gesteigert, daß -er Freisinn keinen Führer von Ruf und Ansehen hat. Dr. Miller-Sagau gehört nicht mehr dem Reichstage an, und was ihn vertritt oder vertreten soll, ist unzulänglich. „Karlchen Mißnick-Politik" würde Fürst Bismarck hohnlächeln- sagen. Doch darf man nicht annehmen, daß die gesamte frei sinnige Wählerschaft diese Politik gntheißt. Die Bank- und Börsenwelt schwenkt schon ab und ist ob der Verzögerung des Börsengesetzcs unglücklich, sie traut den umfassenden Vorbereitungen nicht und meint, daß bis zum Herbste sich so leicht „alles, alles wenden" könne. Freilich bemüht sich die Regierung, das Opium der Hoffnung und schöne Worte „m so häufiger zu geben. Die „Kreuzzeitg." meint: „Da die Bestimmungen über den Börsenhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten nicht geändert werden sollen, steht nur das Gesetz für die Fondsbörse zur Diskussion.. Wir fragen vergeblich, wie man daraus eine Parteiangelcgenheit machen kann . . . Was wir vor acht Tagen hier vor- schlugen, ist inzunschen Wirklichkeit geworden: Geheimrat Hemptenmncher wird die wichtigsten ausländischen Börsen besuchen und sich dort von den besten Sachverständigen Aus- kunft holen. Es ist ihm eine sehr kurze Frist gestellt, aber in einer Woche mündlichen Verhandelns kann mehr Klar heit geschaffen iverden, als mit jahrelangen Korresponden- zen und bändefüllenden Gutachten. Die Angelegenheit ist also im besten Gange und wir möchten deslxrlb die Han delskammern und auch die Agitatoren, freiwillige wie an- gestellte, die überall Stimmung für „Börsenfreiheit" machen, gebeten haben, nun den Gesetzentwurf selbst ab- zuwartcn." Also auch hier eine Vertröstung auf die Zukunft. Wir wollen erst die Wirkung dieser Worte auf die beteiligten Kreise abwarten; jedenfalls sind sie nicht dazu angetan, die Blockfreudigkeit zu erhöhen. Die Börse ist ungeduldig und will in der Politik keine langfristigen Wechsel. In den Reihen der freisinnigen Vereinigmrg aber ist Dr. Barth höchst unzufrieden mit der pflaumentneichen Haltung seiner Freunde; er legt im „Berl. Tagebl." dar, daß Fürst Bülow absolut nicht der Sieger sei, daß er nur die Diplomatie auf daS innerpolitische Gebiet übertragen habe, als „reine politische Eklektiker" und er markiert dann die „Chancen des Freisinns" in ganz zutreffender Weise, indem er auSführt: „Der Zustand, der auf solche Weise geschaffen wird, grenzt ans Groteske. Der Reichskanzler verbeugt sich tief vor dem Bunde -er Landwirte, macht seine Referenz vor Herrn von Oldenburg-Januschau, sowie dem „Verdienst, vollen" früheren Landwirtschaftsminister Herrn von Pod- bielski und erneuert sein agrarisches Gelöbnis. Diese agrarische Politik hat er bis zum 13. Dezember 1906 ge- stützt auf Zentrum, Konservative und Nationallibcral«. durchgefuhrt, während die Freisinnigen die schärfste Opposi tion machten. Sein neuestes Bekenntnis heißt also: Keine Konzession an eine freisinnige Wirtschaftspolitik! Aber die Freisinnigen sollen es ihm andererseits ermöglichen, mit einer konservativ-nationalliberal-freisinnigen Mehrheit zu regieren. Der Herr Reichskanzler ist im Nebenberuf auch noch preußischer Ministerpräsident. Im Abgeordnetenhause machen freisinnige Abgeordnete und Freikonservative einen energischen Vorstoß gegen die geistlicl-e Schulaufsicht. Das Mitglied des Bülowschen Ministeriums, der Kultusminister von Studt, lehnt es brüsk ab, dem Verlangen jener Par- teien, die die Mehrheit der Bülowschen Paaarungsmajori. tat darstellen, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Und diese seine ablehnende Haltung wird gedeckt durch das Zen trum und die Konservativen, und diese bilden zusammen im preußischen Parlament eine Mehrheit. Kann man sich eine größere Konfusion denken? Man hat es dem Fürsten Bülow zum Vorwurf gemacht, daß er jahrelang versucht habe, mit dem Zentrum zu regieren. Die Liberalen und insbesondere die Freisinnigen hatten gewiß keinen Anlaß, jener Politik zuzuftimmen; aber es lag doch eine gewisse Logik darin. Das Zentrum und die Konservativen brauchten ihren Grundsätzen keinen allzugroßen Zwang anzutun, um sowohl im Reiche wie in Preußen die Politik des Fürsten Bülow zu unterstützen. Aber Zentrumsschulpolitik gegen das Zen- trum und agrarische Wirtschaftspolitik mit den Freisinnigen zu treiben, das heißt die Grundsatzlosigkeit zum maßgeben den Faktor im Staatslebcn machen. Ist es denkbar, daß dies diplomatische „Chassez-croisez" mehr als eure flüchtige politische Tanzfigur sein wird? Kann dies parlamenta rische Wintermärchen mit seinen konstitutionellen Mißver ständnissen auch nur diese Session überdauern? Der Frei sinn könnte sich vielleicht trösten, tvarten wir es ab. Aber für eine politische Partei ist es immer komprommitierend, im Heer der Düpierten Dienste zu nehmen. Man muß von dem Freisinn verlangen, daß er die Chance ausnutzt, die ihm in dieser allgemeinen politischen Verwirrung erwächst. Vom Standpunkt des entschiedenen Liberalismus aus be trachtet, ist es ein großer Vorteil, daß die Zentrumspartci in die Opposition hincingedrängt ist. Dadurch ist der Ein fluß der demokratischen Elemente des Zentrums gestärkt und die Möglichkeit, sich demokratischen Neformvorschlägen zu widersetzen, verringert. Aus dieser Konstellation muß der Freisinn Nutzen zu ziehen suchen. In den: sogenannten nationalen, oder wie die Gegner despektierlich sagen, in dem Hottentottenblock kann der Freisinn nur die Rolle des treuen Fridolin spielen. Er hat aber nicht die geringste Anssicht, mittels dicsts Blocks irgendwelche ernsthaften libe- ralcn Reformen durchzusetzen. Ganz anders liegt die Sache, wenn der Freisinn, unbekümmert um die Blockgenossen, in demokratischer Richtung selbständig operiert. Hierbei muß ihn die sozialdemokratische Partei ohne Netteres unter- stützen, und die Zentnimspartei ist genötigt, entweder mit- znmachen oder die demokratische Maske fallen zu lassen. Die angesehensten Organe der Zentrumspartei, insbeson dere die „Köln. Volkszeitg.", haben schon wiederholt hervor gehoben, daß man einer derartigen Aktion des Freisinns mit Spannung entgegensähe, aber an den Ernst einer sol chen. noch nicht recht glauben kann." Jedenfalls steckt in diesen teilweise richtigen Dar legungen eine gesunde Logik, die sich durch schöne Worte nicht verblüffen läßt. Dr. Barth fordert deshalb eine starke Initiative des Freisinns auf dem Gebiete des Reichsvcreins- gesetzes, der Neueinteilung der Wahlkreise, der Reform des preußischen Landlagswahlrechtes und der Sozialresorm, um zum Schlüsse zu schreiben: „Jede nähere Untersuchung der augenblicklichen politischen Lage führt danach zu dem Ergebnis, daß der Freisinn geradezu unverantwortlich handeln würde, wenn er den naiven Blockkompagnon bilden und eine Blocktreue bewahren wollte, die nur den reaktiv- nären Elementen zu gute kommen könnte. D-er entschiedene Liberalismus hat nicht das geringste Interesse daran, daß das Zwitterding einer konservativ-liberalen, sogenannten nationalen Mehrheit am Leben bleibt. Je rascher sich der Freisinn von der Herrschaft dieser Phrase befreit und zu einer Politik rücksichtsloser liberaler Initiative übergeht, um so eher hat er Aussicht, wieder ein lebendiger Faktor in unserem Politischen Leben zu werden und sich auch bei der Negierung wieder jenen Respekt zu verschaffen, den er heute als allzu bescheidener Gefolgsmann nicht besitzt." So spricht der Realpolitiker, aber Fürst Bülow ruft sein bekanntes „Pst! Ruhig sein!" Er wird sehr froh sein, trxmn der un- bequeme Mahner Dr. Barth über den Ozean ist und sich Amerika näher ansieht. Bis er wiederkehrt. hat der Frei- sinn gelernt, dem Reichskanzler selbst die Schuhe zu putzen und er kann jederzeit den verdienten Fußtritt empfangen. Politische Rundschau. Dresden, den 27 März Iva? — Der Kaiser sandte der Witwe des Geheimen Rates v. Bergmann ein längeres Telegramm, das in den wärmsten Worten die großen Verdienste des Verstorbenen anerkennt und den schmerzlichen Verlust, den die Wissenschaft erleidet, beklagt. Auch die Kaiserin und die Großherzogin von Baden haben auf telegraphischem Wege ihrem Beileid Ausdruck gegeben. — Wie man hört, ist die Regentenwahl in Brau«, schweig erst in einiger Zelt zu erwarten, jedenfalls nicht mehr vor Ostern. Man nimmt an. daß der Landtag erst in der zweiten Woche nach Ostern zusammentreten und Inserat, werde» dicSnesv-'U PeUIzeUe "d.d're,, Raum m.l Re!lame» »»t 5» i die Zeile berechn., bei Wwderh. bedeut. L«»att. «uchdruckerel. Hedaktio» »ud Pillnitzer Strahe 4». - Hernlprecher Vorverhandlungen die Wahl voll- dann ohne weitere ziehen werde. — Graf PosadswSky legt Wert daraus, festzustelleu. daß er die ihm zugeschobene Aeußerung. die Reichstags- auflösuug sei eine unüberlegte Handlung gewesen, weder dem Abgeordneten Trimborn noch sonst irgendwem gegen- über getan habe. — Die Vorlage zur Verbreiterung des Kaiser Wilhelm- Kanal« hat am Mittwoch die Genehmigung des Kapers erhalten. Sle wird noch in dieser Woche dem Bundesrate zugehen uno mau hvfsr sie oort in zwei Wochen nach der Oslerpause zu erledigen, sodaß der Reichstag unmittelbar nach der Etatsberatung sich mit dem Gesetzentwurf de- schäfligen kann. Die gesamten Kosten der Vorlage stellen sich etwas höher als bisher angenommen wurde, nämlich auf 220Millionen Mark, die durch Anleihen aufzubringen find. — Der König von Siam wird am 5. Juli in Berlin eintreffen. Der König kommt diesmal als Privatmann nach Berlin und ist daher auch nur von einem kleinen Ge- folge umgeben. Vorher wird er einen vierwöchigen »uf- entl)alt in San: Remo nehnren, die Schweiz bereifen, uni sich daun nach Paris und London zu begehen. Von London kommt Chnlalongkorn nach Berlin, wo er zehn Tage der- weilen wird. Der König leidet an einen: ckwonisch gewor- denen Fieber. Lessen Heilung seine Aerzte durch einen Auf- entl)alt in Oberitalien erhoffen. — Prinz von Arenberg s. Die Zentnimspartei hat eines ihrer l>ervorragendsten Mitglieder, eine urarkante Persönlichkeit und einen Mann von k-oher Tüchtigkeit ver- loren: Neichstagsabgeordueter Franz Prinz von Arenberg ist am Morgen des 25. März in Krefeld gestorben. Für das Zentrum ist der Hiutritt dieses erfahrenen und diplo- matisch geschulten Politikers ii: dieser kritischen Zeit ein um so schvererer Verlust, als Prinz Arenberg unter den Führern der Partei der l>ervorragendste Kenner des Aus- wärtigen und des Kolonialetats tvar, eine Befähigung, die ihn: die Berufung zum Vorsitzenden der Berliner Orts- gruppe der Deutschen Kolonialgcsellschaft brachte. Der Prinz fungierte im Deutschen Reichstage als Berichterstatter über die genannten Budgetposten. Seiner Partei diente er seit Bülows Kanzler'chaft auch durch die enge Freundschaft, die ihn mit Fürst Bülow verband. Die beiden machten den Feldzug 1870/71 bei den Bonner Husarei: mit, be- retteten sich gemeinsck>aftlich ii: Greifswald zum Referendar vor, arbeiteten zusammen in Metz bei der Negierung und teilten als junge Diplomaten oft die Wohnung. Manche sind der Ansicht, daß, wäre Prinz Arenberg nicht seit Mo naten krank und der Politik fern gewesen, der Bruch der Regierung mit dem Zentrum nicht so rapid gekommen wäre. Franz Prinz und Herzog von Arenberg, kaiserlich deutscher Legat ioussckretär a. D., königlich preußischer Major ü la »utte der Armee, Mitglied des Deutschen Reichstages und dcS preußischen Abgeordnetenhauses, tvar am 29. Sep tember 1849 zu Häoörle geboren. Sein Vater tvar mit einer Gräfin de Märode verheiratet, aus dem Hause jenes berühmten Grafen Felix Mörode, der zur Zeit der Tren nung Belgiens von den Niederlanden dank seiner Popula rität alle Aussicht ans die Krone des neuen belgischen KL- nigreichcs hatte. Die Großmutter des Prinzen war eine Prinzessin Lobkowitz Prinz Arenberg studierte in Bonn, Nxtr von 1867 bis 1870 Referendar ii: Metz, ii: welchem Jahre er in das Auswärtige Amt eintrat. 1876 wurde er Legatioussekretär und wirkte als solcher in Stockholm, London, Petersburg und Konstautinopel. Dem preußischen Abgeordueteuhause gehörte er seit 1882, dem deutschen Reichstage seit 1890 an. Hier spielte er als führender Politiker des Zentrums, insbesondere in den letzten Jahren als Referent über den Etat des Auswärtigen Amtes und den Kolonialetat eine große Nolle. Er »var unvermählt. — Der Verein Berliner Kausleute und JndnttUeller und der Zeutralausschuß der Berliner kaufmännischen und industriell»:: Vereine hat Sonntag in einer Sitzung, in der fast sämtliche der dem ZentralauSschusse angeschlossenen 64 Vereine durch ihre Delegierten vertreten waren, zu dein Plane einer Berliner Weltausstellung einstimmig eine Re- solution gefaßt, nach der sie diesen Gedanken mit allen Mitteln fördern wollen. Da jedoch die Stimmung der Regierung und der gesetzlichen und wirtschaftlichen Körper- schäften, sowie der Vertreter von Handel und Industrie noch nicht in dem Maße geklärt ist, um einem Welt- anSstellungSprojekte näherzulrcten. hält eS der ZeutralauS- schliß vorerst sür notwendig, die Stellungnahme durch eine Enquete festzustelleu. Der Verein Berliner Kauflcme und Industrieller hatte bereits im Jahre 1892 die Initiative zu einer Weltausstellung ergriffen und au dem Zustande, kommen der Berliner Gewe:beauSstellu„g !896 weseut- lichen Anteil genommen. — Der Württembergische General v. Pfaff hat. w'e bekannt, sein Amt tm Flotteiivereiu, das er ei st am 3. Januar d. I. angetreten hatte, inzwischen »iedcrgelegt. Der „N. G. K." zufolge hat General v. P'afs keinen Augenblick ein Hehl daraus gemacht — und tut es auch nicht —, daß ihn ausschließlich die liebe,zeuguug. m t dem General Keim nicht gemeinschaftlich arbeiten zu können, zum Verzicht auf seine Stellung in: Flotleuverein bewogen hat. General v. Pfaff ist nun nicht etwa Katholik, sondern ec ist Protestant. Aber Keim scheint niemand neben sich dulden zu können; freilich kann er einen Kontrolleur seiner bedenklichen Manipulation auch nicht brauchen.