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Amtsblatt für die königlichen and Wüschen Behörden za Freiberg «ad Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. 153. —— 42. Jahrgang. AiW'WAAMILML Donnerstag, den 4. Juli, zwcünonattich 1 M. 50 Ps. und emmooaMch 7b Pf. vr Inserate werden bis Vormittag 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene geile oder deren Raum 18 Psg. 188S. Französische Kammer-Skandale. Die Pariser Ausstellung giebt zwar nicht wie frühere Welt ausstellungen ein Bild von der Kultur des Erdkreises, aber sie zeigt ein sehr glänzendes Bild der französischen Leistungen und übt durch die Aufspeicherung aller möglichen seltenen Schätze auf dem Gebiete der Kunst und Industrie einen großen Zauber auf Kenner und Liebhaber aus. Eine fast endlose Reihe von Festen, die mit der Ausstellung verbunden sind und sowohl die Franzosen wie die fremden Besucher auf das Angenehmste unterhalten, tragen zu dem unbestreitbaren Erfolg des Unter nehmens bei, welches der Hauptstadt Frankreichs die ehemalige Lebensfreude und magnetische Zugkraft vollständig zurückge geben zu haben scheint. So günstig das auch auf fast alle Verhältnisse in Frankreich zurückwirkt, können sich trotzdem die Politischen Parteien nicht entschließen, während der Anwesenheit zahlloser Fremden den für die Dauer der Ausstellung ange kündigten Waffenstillstand zu halten. Vor der ganzen gebildeten Welt, welche nach der Ruhmredigkeit französischer Blätter „in diesem Augenblicke nach der Hauptstadt der Zivilisation wall fahrtet", kramen jetzt die Republikaner wie die Monarchisten fortwährend ihre schmutzige Wäsche aus und lassen in der fran zösischen Deputirtenkammer wie in den Parteiblättcrn Dinge laut werden, die cs jedem Deutschen verleiden müßten, nach Paris zu „wallfahren". Seit Kurzem brachten die Pariser Hetzblätter fast täglich neue Versionen des Märchens von dem Niedergange der französischen Maschinen- und Kanonen- sabrik Cail, den Fürst Bismarck durch seinen Agenten Bam berger, einen der Leiter der großen „Banque de France et des Pays Bas", systematisch bewerkstelligen ließ, um Krupp von einer gefährlichen Konkurrenz zu befreien. Am 28. Juni kam dieses sinnlose Märchen sogar in der Deputirten kammer zur Sprache und veranlaßte eine dreistündige Debatte, in deren Verlauf die Minister Mühe hatten, die Kammcrmehr- hcit zu überzeugen, daß der ganze Lärm nur von dem unfähigen Leiter der Fabrik Cail, dem Obersten Bange, angestiftet ist, der seine mit 60000 Frks. Jahresgehalt ausgestattete Stellung als Generaldirektor zu verlieren fürchtet. Der boulangistische Deputirte Laur fand trotzdem Beifall, als er versicherte, der Gegner Banges, der seit 40 Jahren in Belgien naturalisirte Bankier Bamberger sei von Deutschland beauftragt, Frankreichs Industrie zu ruiniren. Um diese lächerliche Behauptung zu beweisen, brachte der überspannte Boulangist Laur die noch größere Albernheit vor, der Pariser Bankdirekter Bamberger sei der Bruder des deutschen Retchstagsabgeordneten Ludwig Bamberger, eines Geschäststheilhabers der von Bismarck zu allem Möglichen gebrauchten Firma Bleichröder. Trotz der Handgreiflichkeit dieses Unsinns wäre der Antrag auf Erhaltung des Etablissements Cail in Paris behufs Durchkreuzung der deutschen Ränke wahrscheinlich durchgedrungen, wenn der Finanz minister Rouvier, der Justizminister Thevenet und der Kriegs minister Freycinet nicht die Entbehrlichkeit des reinen Privat- unternehmens klar dargelegt und mit aller Energie die Annahme der erwähnten Resolution scharf bekämpft hätten. Am Tage darauf gab cs in der Deputirtenkammer schon wieder einen anderen Skandal, indem eine saubere Geschichte von Anerbietungen aufgetischt wurde, welche die Boulangisten dem in Belgien vor seiner Auslieferung nach Frankreich in Haft befindlichen Bankier Jacques Meyer gemacht haben sollen, um diesen seitdem wegen Vertrauensmißbrauchs zu einem Jahr Gefängniß verurtheilten Finanzier zu bestimmen, falsche Schrift stücke anzufertigen, durch deren Veröffentlichung republikanische Größen, insbesondere-der jetzige Justizmimster Thevenet, kom- promittirt werden sollten. Als Diejenigen, welche einen so ge meinen Versuch unternommen, wurden der Direktor des Blattes „Gaulois", Arthur Meyer und der frühere belgische Lieutenant Iwan de Woestyne hingcstellt. Der radikale Abgeordnete Pichon interpellirte den Justizminister darüber, ob er nicht die Beiden wegen Aufreizung zum Verbrechen unter Anklage stellen lassen wolle. Der Minister antwortete, daß nach der Lage der Sache eine strafgerichtliche Verfolgung Schwierigkeiten biete, die Darlegung der Sache auch genügen werde, da jetzt das Land beurtheilen könne, zu welchen schmäh lichen Mitteln die Feinde der Republik ihre Zuflucht nehmen. Thevenet verlas außer den bei den Akten befindlichen Briefen des schon mehrfach bestraften Woestyne an Jac ques Meyer auch die von der Polizei beschlagnahmten Briese des Letzteren an seine in Paris wohnende Mutter, in welcher er die ihm in Brüssel gemachten verbrecherischen Vorschläge ausführlich mit- theilte. Die Vorlesung dieser Schriftstücke erweckte in der Kam mer die tiefste Entrüstung, die dadurch noch gesteigert wurde, daß der Bonapartist Paul de Cassagnac für seine Freunde Woe- styne und Meyer mit der Behauptung eintrat, daß die vorge lesenen Briefe einfach von der Polizei fabrizirt seien. Diese Kühnheit trug ihm nach einer überaus stürmischen Szene die Strafe der Zensur mit Ausschließung während eines Monats '.ein, so daß er in dieser Kammer nicht mehr erscheinen darf. Als er nach dem Votum der Kammer mit mehreren anderen Mitgliedern der Rechten den Saal verließ, schrie er der Mehr heit zu: „Ihr habt einen Justizminister, der nicht auf der Ministerbank, sondern im Zuchthause von Poissy sitzen müßte." Hierauf wurde einstimmig folgende Tagesordnung angenommen: „Die Kammer überliefert der öffentlichen Verachtung dies Dis kussions-Verfahren gewisser Gegner der Republik und fordert die Regierung auf, dieserhalb eine gerichtliche Verfolgung einzuleiten, wenn solches statthaft ist." Bei der Schlußabstimmung über die Annahme dieser Tagesordnung wagte es kein einziger Deputirter sich derselben zu widersetzen. Einen neuen Skandal rief in der Kammer am 1. d. M. die Anfrage Lafonts hervor, was es denn eigentlich mit dem Artikel der boulangistischen „Presse" für eine Bewandtniß habe, welcher den Ministerpräsidenten Tirard beschuldigt, einen gewissen Sourbe im Jahre 1881 seines Erfinderpatents beraubt zu haben. Tirard wies nach, daß er mit der Angelegenheit Sourbe nichts zu thun habe und der Artikel der „Presse" eine böswillige Verleumdung sei. Andrieux fragte, ob der Wilson-Unter suchungsausschuß hierüber nicht allerlei Urkunden gesammelt habe und weshalb der Bericht dieses Ausschusses, der seit Mo naten fertig sei, nicht vertheilt werde. Darauf erklärte der Minister Rouvier erregt, ein Mensch, der früher sein Schwager gewesen, habe allerdings mit Sourbe einen unbilligen Vertrag geschloffen, doch habe er selbst nichts mit der Sache zu thun und Andrieux sei ein Verleumder. Nun sprang Andrieux auf den Minister Rouvier mit erhobenen Fäusten los; die Saaldiener hielten aber den Wüthenden zurück und verhinderten Thätlichkeiten. Die Kammermchrhcit branhymAe sodann dos.Vorgehcn der Ver leumder incintrTagesordnung, Kemit349Stimmenangenommen wurde. — Wie zu erwarten war, wiederholt nun der Leiter des „Gaulois", Arthur Meyer, in seinem Blatte, trotz der akten- maßigen Enthüllungen des Justizministcrs Thevenet, die An klage Cassagnacs und bestreitet ganz entschieden, daß er dem verhafteten Bankier Jacques Meyer irgend welche Anträge oder Versprechungen gemacht habe. Er beschuldigt sie Regierung, sie habe die verlesenen Briefe hinterher schreiben lassen, um sie dann mit Beschlag zu belegen und als Beweismittel gegen die Boulangisten zu benutzen. Arthur Meyer droht außerdem mit entsetzlichen Enthüllungen gegen die Republikaner, so daß der Skandal voraussichtlich sortdauern wird. Alle boulangistischen Blätter stimmen selbstredend dem „Gaulois" bei und weisen mehrere derselben besonders darauf hin, daß die von dem Minister Thevenet in derfKammer verlesenen Schriftstücke ganz den Eindruck machen, als ob sie nach reiflicher Ueberlegung und im Hinblick auf eine bestimmte Verwendung geschrieben seien. Man hält in Paris diese Anschuldigung der Boulangisten nicht für ganz unwahrscheinlich und wird vielfach behauptet, daß die französische politische Polizei solche „Manöver" schon früher in zahllosen politischen Prozessen angewendet habe. Der gegen den Justizminister Thevenet geführte kräftige Feldzug ist durchaus nicht aussichtslos. Die boulangistischen Blätter suchen zu be weisen, daß er mit dem verhafteten Börsianer Jacques Meyer zusammen gegen die Bank von Frankreich gearbeitet habe, ihn auch jetzt beschütze und seine Begnadigung "hcrbeiführen wolle. Ihr Verlangen, daß Thevenet von seiner Ministerstelle zurück trete, wird auch von unparteiischer Seite unterstützt. Tagesschau. Freiberg, den 3. Juli. Während gestern früh die Dacht „Hohenzollern", an deren Bord sich der deutsche Kaiser befindet, sowie der Avisodampfer „Greif" von der dänischen Küste aus bemerkt wurden, ist die ganze deutsche Manöverflotte gestern früh unter Kommando des Kontie - Admiral von Knall von Kiel nach Wilhelmshaven in See gegangen. — Ter Erbprinz von Anhalt und seine Braut, die Prinzessin Marie von Baden, sowie die Eltern der Letzte ren wurden gestern Mittag um 12 Uhr in Karlsruhe in Galawagcn vom Palais des Prinzen Wilhelm abgeholt und nach dem Residenzschlosse geleitet, woselbst der Staatsminister vr. Turban die Ziviltrauung vollzog. Hieran schloß sich die kirchliche Trauung in-derSchlvßkirche zu Karlsruhe. Bei dem Zuge dorthin wurde die Prinzessin - Braut von dem Prinzen Wilhelm und dem Herzog ron Anhalt, der Erbprinz von Anhalt von der Großherzogin von Baden und der Prinzessin Wilhelm geführt. Es. solgten der Prinz Albrecht von Preußen mit der Herzogin von Württemberg, der Herzog von Altenburg mit der Prinzessin Albrecht von Preußen, der Kronprinz von Schweden mit der Erbgroßherzogin von Mecklenburg-Strelitz, der Großberzog mit der Erbprinzessin von Anhalt und die übrigen Fürstlichkeiten. Die Trauung vollzog der Prälat Doll. Bei dem Wechseln der Ringe wurden dreimal zwölf Kanonen schüsse abgefeuert. Nach der Trauung fand die Gratulationskour und hierauf eine Galatafel im Schlosse zu Karlsruhe statt. Wäh rend dieses Festmahls brachte der Großherzog von Baden den Trinkspruch auf die Neuvermählten aus. In demselben knüpfte der Großherzog an die gemeinsamen Bestrebungen seines Ahnen und des "Ahnen des Herzogs von Anhalt zur Einigung Deutschlands in dem Fürstenbunde vor hundert Jahren an und sprach die Zuversicht aus, daß die endlich errun gene Einigkeit des Reiches eine dauernde sein werde. — — In seinem nichtamtlichen Theile bringt der.Staatsanzeiger für Württemberg" folgende Mittheilung: „Zur Richtigstellung des von vielen Blättern gebrachten Artikels, betreffend die an gebliche Weigerung der Deputation des russischen 9. Dragoner- Regiments, in das Hoch auf Deutschland einzustimmen, erfahren wir vom General-Kommando, daß die Offiziere dieser Deputation, welche bei allen Regimentern Stuttgarts und bei dem Dragoner- Regiment in Ludwigsburg geladen waren, sich in der liebens würdigsten und vornehmsten Weise im Kreise des Offizierkorps bewegten und obenbezeichneter Vorfall nicht nur nicht stattge funden hat, sondern die russischen Offiziere haben sich bei den Trinksprüchen irgend welcher Art gleich allen Anwesenden be- thciligt und keiner hat die kameradschaftlichen Vereinigungen vorzeitig oder ostentativ verlassen." — Wie aus Fulda gemeldet wird, treten dort die preußischen Bischöfe am 6. August zu einer Konferenz zusammen. — Prinz Christian von Schleswig-Holstein ist mit seiner Klage auf Herausgabe der Güter Nocr und Grönwohld abgewiesen worden. — Eine Versammlung von Abgeordneten der Bergarbeiter, welche am Sonntag in Dortmund behufs Stellungnahme zur Untersuchung der Beschwerden der Bergleute stattfano, faßte folgende Beschlüsse: 1. Den verheiratheten Arbeitern, resp. Hauern ist nicht unter 3,50 M. Nettolohn für die Schicht, den unverheiratheten resp. Schleppern ist nicht unter 2,50 M. Nettolohn als Minimalsatz für die Schicht auszuzahlen. 2. Von denjenigen Gruben, auf denen eine Untersuchung noch nicht stattgefunden hat, soll von den Deputirten die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten angestrcbt werden; da aber, wo die Untersuchung stattgefunden hat, soll diese Forderung als Hauptsache nachträglich noch ver langt und zu Protokoll gegeben werden. Die Schiedsgerichte bestehen unter dem unparteiischen Vorsitze eines Oberbergamts beamten zur Hälfte aus Zechenbeamten und zur Hülste aus Bergleuten, welch letztere von der Belegschaft in geheimer Wahl durch Stimmzettel gewählt werden. 3. Diese Foroerung wird den Zechendeputirten als Pflicht auferlegt und ihnen empfohlen, die Durchführung zu bewerkstelligen. Die Versammlung, in der 37 Zechen vertreten waren, wurde von dem Bergmann Schröder eröffnet und mit einem Hoch auf den Kaiser geschloffen. In dem zweitägigen Prozesse gegen die Haupturheber des Berg arbeiter-Krawalls auf der Zeche „Schleswig" ist gestern vor dem Schwurgericht in Dortmund das Urtheil gefällt worden: Bernhard Trautmann wurde zu 5 Jahren Zuchthaus, Pfahl und Schwiel zu je 4'/„ Jahren Zuchthaus, Otto Trautmann und Wowries zu 4 Jahren Zuchthaus, Doringhoff zu 3 Jahren Ge fängniß, Generotzky und Schuatmeyer zu je 1^ Jahren Ge fängniß und Krietenbrink zu 2^ Jahren Gefängniß verurtheilt. Von den österreichischen Behörden sind zur Verhütung größerer Unruhen bei dem Streik in Brünn sehr umfangreiche Vorkehrungen getroffen worden. Vorgestern wurde das Fabrikviertel in Brünn von früh bis Nachmittags von Jnfanterie- und Kavallerie-Abtheilungen theils bewacht, theils durchzogen. In den ersten Nachmittagstunden kehrte das Militär in die Kasernen zurück. Um 6 Uhr erschienen bei den wenigen Fabriken, wo die Arbeit wieder ausgenommen war, Militär- Abtheilungen, um die aus der Arbeit gehenden Arbeiter vor allfälligen Bedrohungen der Streikenden zu schützen. Es kam jedoch kein Zwischenfall vor, und konnte das Militär Abends wieder zurückgezogen werden. Der Brünner Streik wird nur ein partieller sein, denn mehrere Webergehilfen haben nach geringer Lohnerhöhung die Arbeit wieder ausgenommen. Die Streik-Bewegung greift aber bereits auf mehrere Industrie zweige Mährens und Schlesiens über. — Gestern nahmen die böhmischen Landgemeinden die Wahlen für den Landtag vor. Das Hauptinteresse konzentrirt sich naturgemäß auf den Kampf zwischen Alt- und Jungczechen, welcher in den letzten Tagen die erbittertsten Formen angenommen hat. Im Land- gemcindenbezirk Aussig-Karbitz wurde der Kandidat der deut schen Vertrauensmänner, der bisherige Abgeordnete Grundbe sitzer Franz Bons mit 129 von 132 Stimmen gewählt. Im Teplitzer Landgemeinden-Bezirk erschienen von 179 Wahlmän nern 157 und wählten einstimmig Karl Stöhr. Im Saazer Landbezirke erschienen von 289 Wahlmännern 257. Von diesen stimmten 245 für den bisherigen Abgeordneten Franz Tatter- musch. Der czechische Kandidat erhielt keine einzige Stimme. Der härteste Wahlkampf herrschte gestern im Landgemeinden- Bezirke Karolinenthal bei Prag, wo dem bisherigen altczcchischen Abgeordneten Zeithammer der Jungczeche Julius Gregr gegenüberstand. — In dem Heeres ausschuß der ungarischen Delegation wurde gestern bei der Debatte des Extraordinariums festgestellt, daß im Jahre 1890 sämmtliche Repetirgcwehre für 13 Armeekorps beschafft fein werden.— Die äußerstexLinke des ungarischen Parlaments plant einen Massenbesuch bei Kossuth. Einige Mitglieder der äußersten Linken scheinen damit nicht einverstanden zu sein, daß der Abg. Hclsy jede politische Kundgebung anläßlich des Ausfluges nach