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Nr. 171 — Itt. Jahrgang MMcheWks Sonnabend den 8V. Jnlt Ivit »rlcheint tiigltch «achm. m» «luSnahme der Sonn- und flesitage. «»Saab» 4 mit .Dir Zeit In Wort und Bild» vierteljährlich S.I« ^k. An Dresden durch Boten »1« An «ans Dcutschinnd che« Hnu« ».SS X; In Oefterretch 4,4«» «. v«»«ab« » ohne MuIIrterte Beilage vierteljübrlich >,»»« An Dresden durch Boten »,I« An ganz Dcntlchlnnd frei Hau« »,»» In Oesterreich 4,«7 ch — Linzel-Nr. 1v Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die «gespaltene Petitzeile oder der»,, Raum mit IS Z Reklamen mit KV Z die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. , «nchdrnikerei. Redaktion n»d «eschaftSslellc - DrrSdcn. PtUut-er Strafte 4!». - Fernsprecher,.»«« «ürRüikgabe unverlangt. Schrtktftiiikcketiiciverbindllchrtl« RedaktionS'Sprechslunde: ,, dt« ,» Uhr Für die Monate August u. September abonniert man auf die „Sächsische Bolks- zeitung" mit der täglichen Romanbeilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" z»m Preise von 1.2« Mk. (ohne Bestellgeld), durch den Boten ins Haus 1.4« Mk. Der Bezugspreis auf die Ausgabe ^ mit der illustrierten Unter- Haltungsbeilage „Die Zeit in Wort und Bild" erhöht sich monatlich um lO Pfennig. Der Kamps um die englische Verfassung. (Von unserem Londoner Korrespondenten.) London, de» 2«. Juli lvll. Alle politischen Kreise sind hier in grosser Spannung. Man fühlt, das; man der Zeitgenosse einer Art „R "o- lntion" ist; eine große Wandlung im Staatslvcscn ist in. Werden begriffen. Man hat ja nicht ganz mit Unrecht einmal die englische Verfassung als eine Einrichtung zur ruhigen und raschen Abwicklung von „Revolutionen" be zeichnet. Jeder Wechsel der Negierung kann bereits als eine kleine Revolution angesehen werden, da hierbei der Staat in die Hände eines neuen Willens gerät, der ihn aus den alten Bahnen heraus in neue Geleise zu lenken sucht: die Verfassungs-Nevoinnon jedoch, die wir gegenwärtig in England mitmachcn, ist nicht dieser Art. Die liberalradikale Negierung sitzt heute noch fest im Sattel und ist eine Er schütterung derselben vor dem nächsten Jahre kaum zu er warten, wo dann die alte Frage der Errichtung eines selbst ständigen Parlamentes für Irland den Mittelpunkt der politischen Kämpfe bilden wird. Die heutige Bewegung bezweckt nicht einen Wechsel in der Rickstung, sondern eine Aenderung im Bau der Ma schine. Die große Bremse soll, wenn nicht ganz beseitigt, so *doch so »veit als möglich geschwächt werden, damit sie den Gang des Parlamentes nicht mehr beeinflussen kann: das engliscl)e Oberhaus soll nicht mehr „nein" sagen dürfen, son dern nur noch „warte". Wir braucl>en nicht die Geschichte der Oberhausfrage zu wiederholen. Die Frage des „Volks- budgets" vom Jahre 1909 und die beiden großen Wahl kämpfe von» Januar und Dezember 191(1 dürften noch in aller Erinnerung sein. Das liberal-radikale Reform- gcsetz, welches eine Folge und der Inhalt dieser Kämpfe war, ist in» Laufe dieses Jahres mit einer Majorität von 114 Stimmen angenommen worden. Es wurde daraus an das Oberhaus geschickt, das cs in stark veränderter Form an das Unterhaus znrücksandte. Jetzt müssen Entschlüsse gefaßt werden, welche diese Frage zur Entscheidung bringen. Und so haben sich gegenwärtig die konservativen Lords, die nnionistiscl>en Parteiführer und das liberale Kabinett ver sammelt, um die „Entscheidung zu fällen". Zwei Lösungen erscheinen möglich. Die liberale Ne gierung kann einen Teil der Zusatzanträge annehmen und . damit das Oberhaus bewegen," seinen Widerstand aufzu- ^ geben, oder aber die Liberalen verharren aus ihrem Stand punkte. Wenn die Lords nicht noch in letzter Stunde nachgeben. so wird der König so viele Oberhnusmitglieder ernennen als nötig sind, damit auch im Oberhause eine liberale Mehrheit entsteht. Das ist der vielbesprochene „Pairsschub". Seit langem hat mit ihnen die „Grcy" ge droht, jetzt ist der Augenblick gekommen, diese Drohung zu verwirklick-en. Jetzt ist es auch an den Unionisten, zu überlegen, ob sie diesen Schub »vollen oder nicht. Ihre Meinung hierüber ist geteilt. Die Hoch-Torhs und die Jnng-Torl)s, also die Altkonservativen und die junge demo kratische Gruppe Chamberlains, weisen icdcs Nachgeben zurück. Diesen Richtungen stehen die Gemäßigten gegen über. Ihnen ist viel daran gelegen, wenn irgend möglich, diese Frage durch eine annehmbare Formel zu beseitigen. Auch halten sie den Pairsschub auf die Dauer für ungefähr lich und als soziale Erscheinung sogar für wünsclMswert. Es ist daher nicht unmöglich, daß sich die Pairs durch eine letzte entscheidende Drohung einschüchtern und das Neform- gcsetz dnrchgehcn lassen. So steht heute die große Frage. Wie ich von gut informierter Seite erfahre, wird das Ober haus zu allerletzt nachgeben und die schon unvermeidlich ge wordene Vetvbill auch ohne seine Zusatzanträge annehmc». 20 Generalversammlung des Allgemeinen Cäcilienvereins. Innsbruck, den 26 Juli I9II. Den Glanzpunkt aller Veranstaltungen des Cäcilien vereins bildete die öffentliche Festversainmluug im großen Stadtsaale. Derselben wohnte ein illnstres Publikum von gegen MO Personen bei. Auf der Riescnorgel spielte Prof. M. Springer-Klosterneuburg einleitend das Weihnachts- Pastorale von ihm selbst, das er mit meisterhafter Vir tuosität znm Portrag brachte. Hieraus begrüßte der Weih bischof Dr. Egger als Stellvertreter des Fürstbischofs von Brixen die Versammlung und wünschte, daß die Teilnehmer auch praktische Erfolge mit nach Hause nehmen. Zum Schlüsse erteilte er den Versammelten den bischöflicl>en Segen. - Nun gab der Gcncralpräses Dr. Müller-Pader born einen interessanten Rückblick auf die Entstehung dcS Cäcilienvereins, dessen Gründung im Jahre 1868 in Innsbruck erfolgte und der heute bereits in über dreißig Diözesen eingebürgert ist. Angelo de Santi-Nom begrüßte die Kongreßteilnehmer namens der italienischen Cäcilienvereine und teilte unter stürmischem Beifall der Versammlung mit, daß er kurz vor seiner Abreise von Nom nach Innsbruck vom Heiligen Vater in Privataudienz empfangen worden sei. Im Auf träge Sr. Heiligkeit habe er die Fcstversammlung zu be grüßen und ihr den apeswlischen Segen zu überbringen. Mit der Einladung im Nächstjahre zum Kongreß der italienischen Cäcilienvereine nach Rom zu kommen, beendete de Santi seine Ausführungen. Darauf hin wurde be schlossen, dem Heiligen Vater für die bocherfreuliche Kund gebung zu danken. Hofrat Dlabac begrünte im Namen des Unterrichts ministeriums die Festversammlung und gab die Versiche rung, daß die Unterrichtsverwaltung den Bestrebungen des Vereins großes Interesse eutgegenbringen und die Kirchen musik jederzeit fördern werde. — Der Präsident des öster reichischen Musikpädagogischen Kongresses, Prof. Wagner- Wien, bezeichnet,: die Tagung als hochbedcutsam für die Mnsikpädagogik. — Msgr. Mitterer verlas hierauf ein Begrüßungsschreiben vom Kardinal Katschthaler. vom Fürstbischof Joseph von Brixen und vom Erzherzog Eugen. Sodann wurde vom Innsbrucker Pfarrkircheuck-ore ein sechsstimmiger Chor von seinem Dirigenten Lambert Streiter „Gebet am Berge Jscl" vorgetragen. Koinponist und Sänger ernteten stürmischen Beifall. Universitäts- vrofessor Dr. Peter Wagner (Freiburg in der Schweiz) er stattete sodann ein glänzendes Referat über das „Graduate Vaticanum". Diesem Vortrage folgten drei neue Marien? lieber von Joseph Pembaur jr. Der Komponist besorgte in feinfühliger Weise die Klavierbegleitung zum Gesangs des bekannten Innsbrucker Konzertsängers Hans Auer, der seiner schwierigen Aufgabe zur Bewunderung aller gerecht wurde. Den Clou des Abends bildete jedoch eine der herr lichsten Kompositionei» des Tiroler Altmeisters Joseph Pembaur sen. „Die Wettertanne" (Text von Adolf Pichler) für Männerchor und Orchester. Dieser Glanznnmmer wurde frenetischer Beifall zuteil. Alle zur Aufführung ge langten Kompositionen hatten einen vollen Erfolg zu ver zeichnen und wurden herzlichst beglückwünscht. U. Magnus Ortwein O. 8. II., Gymnasialdirektor in Meran, referierte über „Kirchliche Instrumentalmusik". Zwei Orgelvorträge, Improvisationen über „8-,Iva inster" und das Finale aus der Sonnte „G-Moll" von Karl Piatti op. 22 beschlossen iir würdiger Weise den glänzend verlaufenen Festabend, der über den Wert und die eminente Kunstpflege des Cäcilien vereins beredtes Zeugnis ablegte. Politische RvNdschasL- Dresden, den 28. Juli »91 l. — Der Kaiser ist in Bergen angekommcn. Au Bord des Begleitschiffes „Kolberg" hörte er die Vorträge des Vertreters des Auswärtigen Amtes. dcS Chefs des General stabs und des Generalintendanten der König!. Schauspiele. Die „Hohenzollern" nahm inzwischen Kahlen. Uw. 4 Uhr erfolgte die Rückkehr an Bord der „Hohenzollern", die am 27. Juli früh zwischen 3 und 4 Uhr die Anker auf nahm und in See ging. Die Ankunft in Swiaemüude erfolgt vorauSsichtllch am 28. Juli zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags. Ucbrr das Befinden des Prinzrcgcntcn brachte die Presse in den letzten Tagen Nachrichten, die, wie die Korre spondenz Hofsmann ermächtigt ist, festzustellen, nicht der Wcchrheit entsprechen. Es ist wohl richtig, daß auch der Prinzregent unter den Einwirkungen der abnormen Hitze etwas zu leiden bat, doch sind alle anderen Einzelheiten, die von den Blättern über den Gesundheitszustand ver breitet worden sind, direkt erfunden. Auch die Mitteilungen sind in das Gebiet der Erfindung zu verweisen, daß der deutsche Kaiser, der Kaiser von Oesterreich und anders Fürstlichkeiten wegen des Befindens des Regenten Veran lassung hätten nehmen müssen, wiederholt Erkundigungen am Hoflager in Hohenschwangau einzuziehen. — Eine lOPfennig-Telegramm Gebühr für das Wort im Berkehre mit Frankreich soll cmgeführt werden, Bisher kostete das Wort 12 Pfennige. — Untersuchung von eingeführtem Bieh. All: Ruwer, welche aus Dänemark, Schweden und Norwegen eingefüürt werden, müssen nunmehr außer auf andere Seuchen auch darauf untersucht werden, ob sie mit Tuberkulose behaftet sind. Rinder, bei denen Tuberkulose festgesteüt wurde, Pariser Plauderei. (Von unserem Pariser ^-Mitarbeiter.) Paris, tm Ju'.i »9l1. Paris steckt mit einem Fuße entschieden noch im Mittelalter und mit dem anderen selbstverständlich im 29. Jahrhundert. Die Seinehanptstadt ist unter dein Präsidenten Fallibres nach mancher Richtung nicht viel komfortabler als unter Philipp II. Beweis: Mitternacht. Besuch garstiger Zimmergäste, die es aus mein Schrift- stellcrblut abgesehen haben. Vamphre an miniature, die ihr Parfüm nicht aus ersten Häusern beziehen. Drückende Hitze. Ich stehe auf, um meine Durstgual mit einem Glas frischen Wassers zu stillen. Unmöglich. Hatte vergessen, daß Trinkwassermcmgel herrscht und die Wasserleitung von Mitternacht bis 6 Uhr morgens nicht mehr funktio niert. Die Sahara im eigenen Zimmer. Nur ein Mittel. Ich muß den Ouellsprndel einer Oase aufsuchen — ein Nachtcafä (>/,. Liter gefärbtes Jsarwasser 69 Centimes bis 4 Frank). Und so vilgere ich trotzdem freudig meines Weges unter den Auspizien des exportierten Gambrinus. Keine hundert Meter znrückgelegt, als ich mitten auf der Straße in ein Loch stürze, dessen Gähnen die Erdarbeiter zu beleuchten vergaßen. Wen» hie» zu Lande sein Leben lieb ist. muß mit der Weisheit des Sokrates die turnerische Gewandtheit des Vaters Jahn verbinden, um nicht von sausenden Autos zermalmt zu werden. Auch muß er über die Erfahrung eines Bergsteigers von Beruf verfügen, um nicht in die Gletscherspalten der aufgerissencu Straßen zu sinken. Aber kaum war ich meiner Grube ohne Löwen mühsam entklettert, als eine unheimliche Silhouette vor mir auftauchte, ei» Apache mit absinthglänzeiideu Schell- sischaugen, die Ballonmütze im Nacken, eine rote Bauch binde über dein schmutzigen Hemd und den blitzenden Dolch in der Faust. „I-n bmir^e on In viv <>t <läp«WIi,>i>8-n<>>m!" schrie der Bandit in einem Tone, der das Parlamentieren anSschließt. Eine derartige Interpellation klingt an der Seine »ach Mitternacht - das dürfen Sic mir glauben nicht gerade angenehm. — Von einer Ueberraschung in die andere. Hatte natürlich wieder vergessen, daß Paris den > omantischen Charakter der traurigsten Tage seiner Ge schichte »och nicht verloren hat. Es gibt Momente, in denen der Mensch anfängt logisch z» denken, wie mein Freund Nasch sagt, wenn sein Geldbeutel mit Leere droht, lud so gab ich also meine Börse und meine Uhr ziemlich behende an den .Kerl ab. Er bedankte sich nicht einmal und belohnte meine Generösität damit, daß er sein Dolchmesser anstatt in meine Brust zu bohren, in den roten Gürtel steckte und in einer Seitengasse schleunigst verschwand. Ich aber trat philosophisch resigniert, dnrstgcqnält, geld- und zeitlos den Heimweg an und legte mich mit der Einbildung, ein Zeitgenosse Karls IX. zu sein, zu Bette. Zum guten Glück gemahnte mich der folgende Morgen daran, daß mir die Sonne des 20. Jahrhunderts wieder lächle. Die Haus wirtin, eine »»oder» elegant gekleidete Dame, überreichte mir zum voraus die Monatsrechnung (8ö Franken für mein noch von den bekannten steuerfreien Gästen mitbewohntes Zimmer und 30 Franken fürs erste Frühstück — eine Tasse Kaffee, 1 Brötchen und 10 Gramm Butter). In einem der offiziösen Berichte zur nculichcn Reise des Präsidenten Frankreichs nach Holland lese ich folgende Stelle: . . Dann hat sich Herr FallisireS in den Festsaal deü Schlosses zum Galabankett begeben. Der Tisch mit 206 Oiedecken war mit französischen Rosen und äußerst seltenen von der Königin selbst gezogenen Blumen prächtig ge schmückt. Die Beleuchtung übernahmen Kerzen und kri stallene Kronlenchter mit Ocllampcn." Kerzen- und Oelbelenchtnng bedeutet beutzntage Großlnrns. Elektrische Birnen sind für die Domestiken gerade noch gut genug. Die Belenchtnngsmittel unserer Urgroßväter halten in der Tat ihre Vorteile. Sie ließen die Schönheit unserer Urgroß mütter zur Geltung kommen. Der bleicl)c Schimmer, dev von den »erzen ausslrahlte, tauchte ihre Züge in eine Art poetische Verklärung, ließ einen feinen Teint vecmnlen und verlieh den Augen der Häßlichsten unter ihnen noch einen zauberischen Glanz. Das kalte elektrische Lickn ist den Salondamen nicht hold. Selbst von den Scliönslen der Schönen ist es gefürchtet. Die Zutaten der Farben- und Pinselsnnst, deren Geheimnisse der Toilettentisch einer Pariser Weltdame verbirgt, treten mit erschreckender Auf richtigkeit zutage, wenn sie unter die elektrische Lichtkerze geraten. Der moderne Luxus hält wieder Umschau in der guten, alten Zeit. Es ist schicker, in einer Mailcoach nach Versailles zu fahren, als in einem Automobil. Ich »vage zu prophezeien, daß die wirklichen Aristokraten in einigen Jahrzehnte», wenn Autos und Acroplane sich demokrati siert haben, ans die Pvstkiitsclx.' znrückgreise». Die Trag- stllhle werden wieder auftauchen. Das ist ein ganz ange nehmes Beförderungsmittel, ebenso rasch und noch be deutend sicherer als ein Zug der verstaatlichten Westbahn in Frankreich. Luxuslicbhaber sehen in der Kerzen- und Oelbelenchtnng ihr Ideal, beizen mit Holz, lassen ihrs Briefe durch Kavaliere übermitteln und promenieren nach! italienisck-em Muster in Karossen. Dieses Rezept hat sich