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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS-Preis 22^ Silbergr. (1 Thlr.) vierteljährlich, 3 Tdlr. sür da« ganze Jahr, ohne ErhShung, in allen Tdeilen der Preußischen Monarchie. für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemiern, angenommen. Literatur des Auslandes. ^4/ 149. Berlin, Mittwoch den 13. Dezember 1843. Ostindien. Die muselmännische Literatur Indiens. Das Arabische spielt im Orient zum Theil eine ähnliche Rolle, wie das Lateinische im Occivent. Wie dieses, wo cs nicht gar den Grundstock der Sprache bildet, wie bei den romanischen Völkern, doch fast überall in einer Wenge zur Bezeichnung komplizirterer Verhältnisse dienender Ausdrücke Spuren seines Daseyns zurückgelaffen, so hat auch das Arabische im Gefolge des Islam die Sprachen fast aller Völker, zu welchen jene Religion hingcdrungen ist, modifizirt. Ohne an die Stelle der Idiome zu treten, die sie in ihrer Ausbreitung durch die alte Welt vorfand, hat die Sprache der Chalifen, die in ihrer Struktur so vollkommen ist, so reich an präzisen Formen, allen muselmännischen Völkern nicht bloß ihr Schriftsystem, was schon viel ist, sondern auch eine größere oder geringere Waffe von Abstrakten aufgedrungcn, die den metaphysischen Theil der Rede ausmachen, so daß kein etwas ver wickelter Satz vollständig ausgcdrückt werden kann, ohne zur philosophischen und heiligen Sprache seine Zuflucht zu nehmen. Und dies genügt, um den muselmännischen Idiomen einen Zug der Homogenintät zu geben; unter einer gemeinschaftlichen Tendenz verbergen sich verschiedene Ursprünge; das überall gegenwärtige fremde Wort ist wie das Banner des Siegers auf den Thür- men der eroberten Stadt, wie der goldene Halbmond auf dem Dom von St. Sophia. Als die Türken auf ihrem Marsch nach Europa seit dem Ende des sieben» ten Jahrhunderts jenen Glauben annahmen, dessen furchtbarste Repräsentanten sie einst werden sollten, haben auch sie jenes geistige Joch erfahren; ihre tatarische Mundart wurde gemildert und bald befruchtet durch das arabische Idiom. Persien, das seit dem siebenten Jahrhundert den Ommayaden unter, warfen war, sah allmälig seine alte Sprache mit den Gebern verschwinden, welche mit dem heiligen Feuer zuerst nach Chorassan, dann nach Ormus und endlich nach dem westlichen Indien flohen; und dieser verstümmelten Sprache, deren Wurzeln meist dem Sanskrit angchören, lieh die Sprache des Islam so viel, als sic brauchte, um die Bedürfnisse einer neuen Philosophie und einer neuen Religion bestreiten zu können. Neben diesen drei muselmännischen Haupt-Idiomen, dem Arabischen, Türkischen und Persischen, bildete sich unter ähnlichen Verhältnissen ein viertes. Indien war eine Welt für sich, in welche der Islam mit einer fremden Race einen neuen Glauben und neue Sitten einführte, welche mit der Zeit eine gemischte Bevölkerung und eine gemischte Sprache hervor brachten. In dem neuen Idiom gehörte fast nur noch das Verbum, die Basis jeder Sprache, dem Urstamm an, während um diesen Mittelpunkt der Rede sich Ausdrücke gruppirten, die entweder von den aus Arabien gekomme nen Afghanen oder von den Mongolen aus Persien entlehnt waren. Dieser junge Dialekt der großen muselmännischen Familie, Hindustani genannt, bildete sich ziemlich langsam, obwohl die Hindu'S naiv erzählen, daß er auf einmal unter den Zelten Timur's ins Leben trat. Dieser Jrrthum entsprang aus dem Namen Dräu ruban, Lagersprache, den sie ihm gaben, wahrschein lich, weil er sich vollends in den Basars ausgebildet hat, in welchen die be siegte Bevölkerung mit den hunderttausend Reitern des mongolischen Eroberers täglich in Verkehr trat. Daher hat auch ein berühmter Reisender der neuere» Zeit das moderne Idiom Indiens „Wachtstubensprache" genannt, obwohl sich die Armee nicht allein desselben bedient. Zuerst auf das Feldlager beschränkt, wo es unter der Form eines Patois die Nolle einer linxua kraneu spielte, verbreitete sich das Hindustani, je mehr sich die Eroberung befestigte, immer mehr unter die Massen; aus einem Patois wurde cs eine Sprache, als die Hinduschriftsteller es den Regeln der Poesie unterworfen hatten. Unter den mongolischen Kaisern, welche die Literatur liebten, wie unter den kleinen muselmännischen Fürsten, die sich hier und da in dem zerstückelten Indien fest setzten und sich mit einem Hofe umgaben, bereicherte es sich durch die Ueber- setzung der wichtigsten arabischen und persischen Werke, welche nothwendig geworden war, seitdem der Islam in diesen Gegenden durch eine für national anerkannte Sprache repräsentirt ward. Bald brachte es seinerseits «ine selbständige Literatur hervor, die zwar durchaus eine nachahmende war, die von der des alten Indiens eben so sehr abstach, als die weiße Moschee von der düsteren Pagode, aber von berühmten Dichtern und Prosaisten angebaut wurde. Wenn man bedenkt, daß zwischen dem ersten Erscheinen der Muhamme daner, d. h. der Araber, in Indien, welche daselbst Afghanö oder Patans zu benannt wurden und die unter dem Chalifen Ualid im Jahre 711 nach Delhi vordrangcn, und der definitiven Festsetzung der Mongolen im Jahre 13S8 sechs und ein halbes Jahrhundert verflossen, so wird man zugcben, daß diese Periode lang genug war, um die Vermischung der beiden Völker und Spra. chen vorzubereiten. Im neunten Jahrhundert herrschten die abasfidischen Chalifen sogar im Osten des Indus und schlossen so das Land der Emir« von Sind in ihre Besitzungen ein. Vom Jahre 1000 bis 1183 breitete die afgha nische Dynastie von Ghasni, deren Held Mahmud war, ihre Eroberungen über Delhi und Agra hinaus, und während dieser zwei Jahrhunderte fanden zwischen den Anhängern des Propheten und denen Wischnu's vielfältige und fortdauernde Beziehungen statt, welche allmälig die religiöse Einheit der Hindu. Ration schwächten. Der Kamps hätte nicht so lange gedauert, wenn nicht ein Volk zwischen dem Sind und dem Ganges, welches in einem Kreise von Bergen wohnte, die wie die Thürme einer Festung mitten in Indien gruppirt waren, mit dem Muth der Verzweiflung den Boden und die Religion seines Vaterlandes verthcidigt hätte. Dieses Volk waren die Radschputen, Söhne von Königen, eine edle und stolze Race, welcher der Anspruch auf eine er lauchte Abkunft eine heroische Tapferkeit cinflößte. Sie erhielten ihre Unab hängigkeit bis ans Ende des zwölften Jahrhunderts, wo sie, besiegt und nicht unterworfen, dem Sultan von Delhi einen Tribut zahlten und ein Reiter- Corps stellten. Während dieser schrecklichen Kämpfe erfuhr der radschputische Dialekt einige Veränderungen, deren Spuren man in den nur allzu wenig bekannten Legenden entdeckt, die damals von den Barden des Landes abgefaßt wurden. Die populärste dieser Legenden ist die Erzählung von dem Tode der Padmawati, der Königin von Tschitor, die sich mit 13,000 Frauen in eine Höhle schloß und daselbst einen Scheiterhaufen anzündete, auf welchem sie und ihre Fraucn sich freiwillig den Tod gaben, um nur nicht in die Hände der muselmännischen Sieger zu fallen. Diese Aufopferung der Hindu-Witwen, welche die suliotische» Frauen in unseren Tagen so muthig nachgeahmt haben, unter ähnlichen Umständen und ohne es zu wissen, ist das Lieblingsthema gar vieler Dichter geworden; selbst muhammedanische Schriftsteller haben den Tod der Padmavati besungen. Damals, als ein Sultan der patanischen Dynastie den Thron der Rad- scha's von Delhi* bestieg, fing mit der politischen Selbständigkeit des Landes auch die brahmanische Sprache und Literatur an, abzusterben und eine todte zu werden ; aber da ein großes Volk nicht ohne eine letzte Anstrengung erliegt, die in irgend einem Hauptgcdicht hervortritt, so fand sich auch in jener Zeit des Unglücks ein Barde (bnrdsv'i), um in Versen, in einer Epopöe von neun undsechzig Büchern, die Geschichte Prithwi Radscha'S zu besingen. Dieser Dichter, Namens Tschand, der als Chronist oder Minister bei dem letzten hinduischen Souverain von Delhi lebte, erzählte die Kriege des Königs der Elephanten, seines Herrn, gegen den König der Pferde, den patanischen Für sten, fast in derselben Zeit, als der Sire de Joinville die Thaten des heiligen Ludwig beschrieb. Dieses Gedicht von Tschand schien dazu bestimmt, durch eine schmerzliche historische Erzählung die Reihe von sabelreichen Chroniken und heroischen Legenden zu schließen, welche die Basis der indischen Traditio, nen sind, das Mahabharata, Ramayana, Raghuvansa. Es wurde wahr, scheinlich am Ende des I2ten Jahrhunderts abgefaßt, einige Jahre ehe das neue aus dem Islam entstandene Idiom seine poetischen Erstlinge hervor gebracht hatte. Ein persischer Schriftsteller, der anmuthige Verfasser von Bostan und Gulistan, Saadi von Schiras"), machte auf einer seiner zahlreichen Reisen durch Indien die ersten Urdu-Verse, die man kennt. Doch dauerte «s noch lange, ehe sein Beispiel zahlreiche Nachfolger fand. Die Individuen und Völker der Provinzen, welche den Islam verwarfen oder der Invasion Widerstand leisteten, schrieben auch ferner, wie noch heute, in den verarmten, aber unvermischtcn Dialekten des Sanskrit, unter der brahmanischen Anru fung deS §ri naw» (Ehre Lem Gott der Weisheit 6g»e^z) jin -) Dieser ausgezeichnete Dichter brachte mehr als sechzig Jahre mit Reisen und Schrei ben zu; er besuchte Mehrere Mal- Delhi, wurde von den Kreuzfahrern zum Gefangenen gemacht und bei den Befestigungen von Tripoli in Syrien beschäftig,. Saadi'« Biogra phie ist mit interessanten Details und einem in Indien gemalten Bildniß von Herrn Garein de Tafln, Professor an der Schule der orientalischen Sprachen, in einem Artikel des sournal ^oimigu« vom Januar Isla gegeben worden. Von demselben Professor giebt cs ein gelehrtes Werk über den Gegenstand, mit welchem wir eS hier zu thun haben, betitelt. Geschichte der hinduischen und hindostanischen Literatur. Dec erste erschienene Band enthält die Aufzählung und gedrängte Biographie von mehr al« 7VU Schriftsteuern, die alphabetisch geordnet sind; der zweite, der nächsten« erscheinen muß, wird zahlreiche Auszüge au« den vorzüglichsten Werken enthalten, die in den beiden »eueren Dialekten Indien« geschrieben sind.