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W-'chenNich «rschemin tzrci Ltammrrn. PrönumeeaN'ons - Pre!s 22) Silbcrgr. (s Thlr.) vierteüShrli», Z THIr. sü< da« ganze odne Erdöd ung, in allen DdeÜen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden non jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Iägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Bist-Aenucrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 130. Berlin, Dienstag den 29. Oktober 1844. Italien. Leben und Meinungen des Dichters Leopardi.") Dcr Graf Giacomo Leopardi ward am 29. Juni 1798 in Recanati in der Mark Ancona geboren; er gehörte von väterlicher und mütterlicher Seite den edelsten Familien des Lande» an und erhielt eine sorgfältige Erziehung unter den Augen seine» Vater». Ein Priester de» Orte», der Abbate Sanchini, lehrte ihn die AnfangSgründc de» Lateinischen; da» Griechische lernte er schon im achten Jahre au» der sogenannten Grammatik von Padua, bald aber er kannte dcr Knabe dieselbe für ungenügend, und entschlossen, ohne dieselbe fort zukommen, machte er sich geradezu an die Terte, die er in der Bibliothek seines Vater» fand; so la» er ohne Lehrer und bald mit großer Leichtigkeit die Kirchenväter und alle Kirchenschriftstellcr, die ihm diese reiche häusliche Bibliothek darbot; nachdem er den ersten Versuch gemacht, la» er methodisch, in chronologischer Ordnung, die Feder in der Hand, und wie bei Pascal, mit dem man ihn verglichen hat, das mathematische Genie, so brach bei dem jungen Leopardi da» philologische Genie früh hervor; er ward ein Gelehrter in dem Alter, wo Andere noch auf den unteren Schulbänken sitzen. Unter den Manuskripten Leopardi'» au» jener Zeit befindet sich ein Heft, da» dcn korrekten Tert von dem „Leben Plotin's" von Porphprius enthält, mit lateinischer Uebersetzung und Kommentar und folgendem Zcugniß von der Hand seines Vaters: „Oxgi 31 .4gosko 1814, gnosto suo Isvoro >»i clono Llscomo mio primogenito siglio, olle non ti» avnto Maestro üi lingua greea, eil e in et» ül annl 16, mesi <Iue, xiorni äue. — Illonalüo I^eopsrili." Ein kompetenter Richter, dem dieses Manuskript mitgethcilt wurde, Creuzer, hat in dem dritten Band seines Plolin daraus den Stoff zu mehreren Seiten seiner mistens» genommen. Er, der sich sein ganze» Leben hindurch mit Plotin beschäftigt hat, findet noch etwa» für ibn Brauchbares in dem Werk eines jungen Menschen von sechzehn Jahren. Sämmtliche philologische und gelehrte Arbeiten auS dieser Zeit seiner Jugend aufzuzählen, wäre ermüdend; sie bilden ein sonderbare» Vorspiel zu der rein poetischen Zukunft, welche folgt. Wir finden von ihm ini Jahre 1814 Kommentare über da» Leben und die Schriften einiger Rhetoren des 2ten JahrhnndertS, wie Dio CbrysostomuS, Aelius Aristides, Hermogencs und Fronto. Herr Mai hatte noch nicht die aufgefundencn Briefe Fronto'S an Mark Aurel publizirt. Sie erschienen 1815 in Mailand ; im folgenden Jahre übersetzte sic Leopardi. Der gelehrte Herausgeber laS später die handschrift liche Arbeit Leopardi'» und benutzte sie in der römischen Ausgabe. Derselbe gelehrte Prälat benutzte auch bei seinem DionpS von Halikarnaß einen kritischen Brief Lcopardi'S über diesen Gegenstand an seinen Freund Giordaui vom Jahre I8l7. Eine Abhandlung über die Volks-Jrrthümer der Alten (Lsggio sopra gli orrori populär, üegli »micln), von Leopardi in zwei Monaten im Jahre 1815 verfaßt, läßt unS schvn einen klaren, aber noch gläubigen Geist erkennen. Dcr junge Gelehrte setzt hier die verschiedenen Vorurtheile der Alten über die Götter, die Orakel, die Magie, die Träume u. s. w. aus einander. Zum Schluß richtet er an die Religion eine Art Hpmnus, der schon wegen de» Kontrastes mit der späteren Gesinnung des Dichters hier mitgetheilt zu werden verdient. „O, süße Religion", ruft er, „cS ist doch schön, von dir zum Schluß einer Arbeit reden zu können, welche mit dcr Ab sicht, denen, die deine täglichen Wohlthatcn genießen, Gutes zu erzeugen, unternommen worden ist; eS ist süß, cS mit fester Seele auSzuPrechen, daß der kein wahrer Philosoph ist, dcr dir nicht folgt und Ehrfurcht zollt, und daß man schon Philosoph ist, wenn man dich zu ehren weiß. Auch wage ich zu sagen, daß dcr kein Herz hat, daß er nicht die süßen Schauer dcr Liebe, nicht die Seligkeit der Ertase kennt, der dich nicht mit Begeisterung zu lieben weiß, der sich nicht z» dem unaussprechlichen Gegenstand dc» Kultus, den du un» lehrst, hingezogen fühlt.... Du wirst immer leben, und dcr Irr,hum wird nie mit dir leben. Wenn er uns überfallcn sollte, uuS in die von der Unwissenheit unter unseren Füßen geöffneten Abgründe fortzurcißeu droht, werden wir unS zu dir wenden und die Wahrheit unter dcincm Mantel finden. ') ObwotU dcr Beriäsicr dcr Abhandlung, di, wir öbigcm Arii/cl zu Eirunde legen, Herr Taintc.Beuve, zum Tbcil aus deutschen Quellen gislhöpst Hal, so denuken wir doch diew GOcgcnInjt, auch unsere Leser mit der in so vieliachcr Beziehung interessanten Per sönlichkeit de« früh verstorbenen Tiäncrö Giacomo Leorardi bekannt z» machen, da über dies Herr Saune-Beuve nicht bloß sremde Arbeiten benutzt, sondern auch selbst zur Nc- guelle hinausgestiegen ist, indem er von dem Freund des Verstorbenen, Herrn von Sinner, den demselben anvertrauten handschriftlichen Nachlaß des Dichter? zur Ansicht erhielt. Dcr Jrrthum wird flichen wie der Wolf dcs Bcrges, verfolgt von dem Hirte», und deine Hand wird uns zum Heil führen." Wie weit entfernt sind diese begeisterten Ergüsse von dcn bitteren Betrach tungen, welche auS Leopardi einen dcr beredtesten Dichter der Verzweiflung gemacht haben; eS dauerte noch einige Jahre, ehe diese tiefe Verwandlung seines ganzen Wesens eintrat. In einer handschriftlichen Note von ihm, die die Ucberschrift hat: Lupptememo xt-uerule a kurte le miv carre, findet sich noch ein „Entwurf zu christlichen Hpmncn", welcher noch eine gleiche Frömmig keit athmet. Dieses Blatt muß aus cincr Zeit sepn, die wenig später ist als das Jahr 1819. Man kann mit Sicherheit die philosophische Umwandlung Leopardi'» zwischen die Jahre 1820 und 23 setzen. Bisher hatten wir cs nur mit einem frühreifen jungen Mann zu thun, der, auf seine Geburtsstadt und das väterliche Haus beschränkt, Tag und Nacht die alten Bücher verschlingt, vor keinem schwierigen Studium zurück- schreckt, sich vorzugsweise auf die Bebauung dcr undankbarsten Theile des Feldes dcr Gelehrsamkeit und der Kritik legt. Doch darf man nicht glauben, daß der, dessen männlichen Geist und strenge Reinheit wir bald bewundern werden, vom Altcrthum nur die Rhetoren, Sophisten und Kirchen-Schriftstcllcr st.idirt und daß cr geradc die Meisterwerke desselben vernachlässigt hat. Man findet unter seinen Arbeiten sür den 8pett->tor<r von Mailand während dcr Jahre 1810—17 eine Menge Stücke, die den späteren Dichter vcrrathcn. Er schreibt nicht bloß über die Batrachompomachie, er übersetzt sie auch in Verse, in fließende und leichte scchSzeilige Strophen. Er begnügt sich nicht damit, die wenig bekannten Umstände aus dem Lebcn des Moschus kritisch aufzu. klären, er sucht auch die reizenden Idyllen desselben in mehr oder weniger treuen soiolci's zu vulgarifiren, ciu erster Versuch, den sein reiferer Geschmack bald verschmähen wird. An der Spitze eines Fragments aus der Hesiodischen Theogonic (der Schlacht der Götter und Titanen) stellt er tiefe Betrachtungen über das eigenthümliche Verdienst dieser Hesiodischen Poesie an; er setzt sie säst über die Homerische wegen einer gewissen unvergleichlichen Aufrichtigkeit (sclüetkerra), er ist sehr geneigt, sie wenigstens für älter zu halten, und bei dieser Gelegenheit verbreitet cr sich übcr dic verschiedenen Bedingungen, welche die Uebersetzung dcr altcn Dichter erfordert. Er würde sich glücklich schätzen, sich als Uebersctzer an eiucn berühmten Klassiker der goldenen Zeiten zu ketten. „Wer weiß nicht", ruft cr, „daß Caro so lange leben wird als Virgil, Monti so lange wie Homer, Bellotti so lange als Sophokles? O, wie beneidens- wcrth ist es, nur mit einem Unsterblichen sterben zu können!" Auch das Studium seiner eigenen Sprache beschäftigte ihn sehr, wobei cr sich besonders an Dante und die wahren Meister vor der Onsc» hielt. Eine kleine Abhandlung über da» Partizipium reso (für remluto) und das Zeitwort sortire in dem Sinne von usciro (ausgehen), welche die puristische Osuretr» äi Mimo für unitaliänisch erklärt hatte, zeigt, wie sehr cr kein Dctail unbeachtet ließ. Er weist aus einer Menge von Beispielen nach, daß reso ein sehr gutes und empfchlcnswertheS Jtaliänisch sey, und daß sortire sür uscire ebenfalls italiä- nisch, aber von gemeinem Gepräge sey. Einige Jahre später (1826) giebt cr von einer alten griechischen oder koptischen Chronik („das Märtyrerthum der heiligen Väter vom Berge Sinai") eine Uebersetzung heraus, die angeblich nach einer lateinischen Uebersetzung von einem guten Jtaliäner des I4ten Jahr- Hunderts (1350) in Boccazischcr Prosa gemacht war, und er täuscht beim ersten Anblick die geübtesten Kenner. Der alte Antonio Cesari, ein großer Kenner in dergleichen, ließ sich blenden und erkannte sie sür echt. Im Mai 1817 erlaubte sich Leopardi einen anderen Betrug, dcr mehr an Chatterton oder Macpherson erinnert; er publizirte im 8petlature eine Uebersetzung in Versen von einem angeblichen griechischen Hymnus an Neptun, den cr für ncuentdcckt ausgab. Das Ganze war von Notcn und Kommentaricn begleitet, dic einen gelehrten Staub in die Augen werfen sollten. Dazu kamen noch zwei griechische Oden in Anakreon'S Manier aus derselben Handschrift; cr cntschuldigt sich, daß er sie nicht übersetzte, weil nian Auakrcon nicht zu übersetzen pflege. Noch ist von ihm auS jener Zeit (Dezember 1816) eine Dissertation über „dcn Ruf des Horaz bei den Alten" anzuführen, worin cr aus cincr Stelle Fronto'S, auS dem Stillschweigen deS BcllejnS und einigen anderen Indizien schließt, daß Hora) in dem Jahrhundert, das dem seinigcn folgte, weit ent- fernt war, jenen unbestrittenen klassischen Ruf zu besitzen, der ihm erst später auf dic Dauer zu Theil ward. ES habe zur Zeit Fronto'S eine Rückkehr zu den Alten, HorazenS Vorgängern, stattgcfunde», und darunter habe Horaz gelitten. Horaz wäre nach Leopardi und einigen Anderen zu seiner Zeit ein großer Neuerer gewesen, ein eben so geschickter als nicht sehr furchtsamer Künstler im Gebiet der Sprache; überdies hatte er sich streng oder weg-