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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000301026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900030102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900030102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-01
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
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Reekamen unter demRrdactionSstrich (-ge spalten) ÜO-H, vor den Familiennachrichtcn (6 gespalten) 40^. Groffere Schriften laut unserem PreiS- verzcichniß. Tabellarischer und Ziffern!-- nach höherem Tarif. Extra-veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen «Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ' Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eim halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Gxpetzttioi zu richten. Druck und Verlag vou E. Polz in Leipzig SL Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. März. Nachdem der Reichstag am Mittwoch voriger Woche den Antrag auf Aushebung der in Elsaß-Lothringen geltenden Ausnahmebestimmungen, die unter der Bezeichnung „Dictaturparagraph" zusammeugefaßt werden, trotz der entschiedenen Einsprache des Reichskanzlers in erster und zweiter Berathung mit großer Mehrheit angenommen Halle, war vorauSzusehen, daß er den Antrag in dritter Berathung ebenfalls annehmcu würde. Das ist denn gestern auch geschehen. Daraus aber, daß der Geheim rath Hallet), der vom BundcSrathStische aus den persönlichen und gehässigen Angriffen des Abg. Wetterle entgegentrat, die vom Reichskanzler während der ersten Berathung abgegebene Erklärung nicht wiederholte, darf sicherlich nicht geschloffen werden, daß inzwischen die ver bündeten Regierungen ihre Ansicht über die Gefährlichkeit der Aufhebu.' g des Dictaturparagraphen geändert hätten und nunmehr bereit wären, dem Votum des Reichstags sich zu beugen. Dem Realpolitiker Fürsten Hohenlohe ist eS an gesichts der großen nationalen Frage, an deren Lösung auch die reichsländischen Abgeordneten mitzuwirken haben, gewiß nicht angenehm, den Wünschen dieser Herren sein Ohr verschließen und die starke Mehrheit deS Reichstag verstimmen zu müssen. Wenn aber er, der einer der besten Kenner nicht nur der rcichsländischen, sondern auch der fran zösischen Verhältnisse ist, die Besorgniß hegt, daß die Auf hebung de- Dictaturparagraphen dem Zerbrechen einer Waffe gleich sein würde, die man nach Schluß der Pariser Weltausstellung möglicherweise sehr nöthig haben könnte, so würde er unverantwortlich handeln, wenn er diese Aufhebung befürworten wollte. Ebensowenig als hieran ist daran zu denken, daß der weitere Beschluß, Len daS HauS gestern auf wiederholte Anregung der elsässischen Mitglieder faßte, nämlich das allge meine direkte Wahlrecht für den LandcsauSfchnß einzuführen, die Zustimmung der verbündeten Regierungen finden werde. Dieser Beschluß (zweiter Lesung) wurde denn auch nur durch das Cenlrum und die äußerste Linke herbei geführt; die Nationalliberalen stimmten in diesem Falle in Würdigung der Thatsache, daß das allgemeine Wahl recht den LandeSauSschuß den deutschfeindlichen Elementen überliefern würde, gegen den Antrag. Ihr Redner, Abgeordneter Büsing, suchte die beiden Abstimmungen der Partei in logischen Einklang zu bringen, indem er meinte, die versöhnliche Wirkung, welche durch die Annahme deS ersten Antrages erzielt werden solle, würde durch die Annahme des zweiten wieder vernichtet werden. Die Rede, mit der der Abg. Groeber die Zustimmung deS CentrumS begründete, schloß mit der Wendung, daß der Antrag ja doch schwerlich Aussicht habe, Gesetz zu werden, und daß darum den Antragstellern Zeit bleiben werde, einigen im Einzelnen obwaltenden Bedenken bis zur nächsten Wieder einbringung abzuhelfen. Wer weiß, was bis dahin sich er eignet. — Daß angesichts des Versuche- in Preußen, die commuuale Besteuerung der WaarenHäuser obligatorisch zu machen, das socialdemokratische Verlangen, die communale Besteuerung der Cousum vereine in sächsischen Gemeinden vou Reichswegen zu verbieten, durch Uebergang zur Tages ordnung erledigt wurde, verstand sich eigentlich von selbst. So verschieden auch sonst Waarenhäuser und Consumvereine sind, so ähneln sie einander doch durch ihre Wirkung aufl daS mittlere und daS kleinere Handelsgeschäft, dem! der Athen» auSgehen muß, wenn eö zwischen Waaren- f Häuser und Consumvereine ohne Schutz eingekeilt ist. Freilich ist ein innerer Widerspruch nicht zu verkennen, wenn man die Kleinbetriebe im Kampfe gegen die Großbetriebe auf Genossenschaftsbildung hinweist und gleichzeitig die Ge nossenschaften belastet. Diesen inneren Widerspruch, der ver wirrend auf die ganze „Mittelstandsbewegung" einwirkt, zu lösen, wäre eine dankbarere Aufgabe für Herrn v. Miguel, als die einseitige Lösung der Waarenhaussteuerfrage. „Die Alottcnvorlagc befindet sich noch genau in demselben Stadium, wie sie sich nach Abschluß der ersten Berathung im Reichstag am 10. Februar befand." So schrieb gestern die „Freis. Ztg.", um aber dieser zutreffenden Feststellung eine ganze Reibe vou Unwahrheiten folgen zu lassen. Nämlich: „Der Schatzsekretär Frhr. v. Thielmann verhält sich gegen alle irgendwo auftauchenden Vorschläge zur DeckungSfrage vollständig ablehnend unter Berufung auf Herrn v. Miguel. Ebenso passiv verhält sich der Reichs kanzler, als wenn ihn die Sache nicht daS Mindeste anginge. Im Reichstag herrscht die Meinung vor, daß Miguel mittelbar auf die Auflösung deS Reichstags hinarbeitet und bei der Passivität der übrigen Minister dieses Ziel auch erreichen wird." Diese Meinung herrscht nicht vor. Herr Richter scheint in dem Zustande der Augst vor Neuwahlen, in dem er sich befindet, Halluncinationen ausgesetzt zu sein. Trotz der Er klärung der ultramontanen „Köln. VolkSztg.", daS Centrum sei infolge der „en causillo-Behandlung", die es seit Jahren von der Negierung erfahren habe, nicht in der Stimmung, gewaltige Flottenforderungen zu bewilligen, hält man auch beute noch die Auflösung für daS weniger Wahrscheinliche. Man kennt einerseits die Gewohnheit der Centrumspresse, durch Drohungen der Geneigtheit der Negierung zur Nach giebigkeit gegen klerikale Forderungen zu Hilfe zu kommen, und andererseits die Stimmung in katholischen Wäblerkreiscu zu gut, als daß man den Auslassungen des rheinischen CentrumS- blatteS großes Gewicht beilegte. Und man glaubt au ein Hiuarbeiten Miquels aus Neuwahlen ebensowenig, wie an principielle Abneigung des ReicbSschatzamteS, die Deckungs frage zu diScutiren. Selbstverständlich setzen sich die Herren dieser Behörde nicht sofort zu eingehendem Studium hin, wenn in irgend einer Zeitung irgend ein Vorschlag zur Deckungsfrage gemacht wird, und ebenso selbstverständlich äußert sich Herr v. Thielmann nickt gegen Jedermann über das, was er m der Sache denkt. Wenn von berufener Seite, d. i. in der Commission deS Reichstag?, Vorschläge gemacht werden, so sind sie sorgfältiger Prüfung sicher. Wenn man daS nicht schon wüßte, so würde man eS heute erfahren au- einem zweifellos officiösen Artikel der „Berl. Polit. Nachr.", der sich sehr zuversichtlich über daS Schicksal der Flotten vorlage äußert und dann fortfährt: „In der That wird ja auch so ziemlich allgemein anerkannt, daß nur noch in der DeckungSfrage eine gewisse Schwierigkeit für die Flottenvorlage liegt. Aber auch diese Schwierigkeit wird mit Vorliebe weit über Gebühr aufgebauscht; sie ist nicht ent fernt unüberwindlich. Im Gegentheil. Man kann zwar sehr wohl der Meinung sein, Latz eS sich angesichts der voraussicht lichen Zulänglichkeit der vorhandenen Mittel erübrigt, sich jetzt über die Deckungsfrage Len Kopf zu zerbrechen. Wenn aber bei ausschlaggebenden Faktoren der Wunsch besteht, schon jetzt fürdenFall etwaiger zukünftiger vorübergehender oder dauernder Unzulänglichkeit der Reichseinnahmen Fürsorge zu treffen, so liegt kein Anlaß vor, sich da gegen grundsätzlich ablehnend zu verhalten, weder bei den Regierungen, noch bei den Parteien. Bei allseitig gutem Willen wird eine Verständigung auch diesmal so gut sich erreichen lassen, wie dies 1898 bei dein Flotten « gesetze gelungen ist." Die Pflickt, mit Anträgen hervorzutreten, liegt dem Centrum ob, das die DeckungSfrage in den Vordergrund gerückt hat, nickt dem Reichsschatzamt und dem Reickskanzler und Herrn v. Miquel, die sich über die Kostenaufbringung in der Begründung zur Flottenvorlage schon haben vernehmen lassen. Wenn Passivität zu beklagen ist, so ist eS die der ausschlaggebenden Partei. Dies zu verschleiern ist der Zweck von Notizen, wie die wiedergegebenr der „Freis. Ztg." Die bisher immer noch nicht vollständig aufgeklärte Frage, warum seiner Zeit der amcrikantsche Consul Macrnm in Pretoria, der beim AuSbrnch des Krieges auch den Schutz der Engländer übernommen hatte, so Knall und Fall sein Amt niederlegte und abreiste, ebc auch nur sein Nachfolger ernannt war, findet jetzt in einer Mittheilung, die der in zwischen bekanntlich in Amerika wieder angelangte Macrum den Blättern zuseudet, ihre Erledigung. Macrum schreibt, wie wir der „Nat.-Ztg." entnehmen: „Tie Situation in Pretoria ist eine solche, daß ich erstens: als Beamter nicht bleiben konnte, während die Regierung über die richtigen Verhältnisse in Südafrika im Dunkeln war, und zweiten-: als Mann und Bürger der Vereinigten Staaten nicht bleiben und meine Selbstachtung wie meine Achtung für die Pre- torianer nicht zum Opfer bringen konnte, während meine heimalhliche Regierung sortfuhr, mich in der Stellung eine- britisch?» Consuls und nicht in der eines amerika nischen Consuls zu belassen. Ich vublicirte eine Erklärung, daß die Amerikaner neutral bleiben werden, nichtsdestoweniger zogen Amerikaner fortgesetzt zur Front und ergriffen die Waffen für die Bocren. Ich konnte es nicht hindern, aber ich wußte auch, daß manche amerikanische Unterthanen verzweifelt waren über die Hal tung der Washingtoner Regierung, und der Transvaal-Republik idre Anhänglichkeit betheuerten. Als nun die Dinge so weit gediehen waren, daß mein Viceconsul sein Geschäft schloß und als Burgher an die Grenze ging, da hielt ich für mich die Zeit gekommen, über diese Lage der Dinge persönlich zu berichten; denn eS waren Wochen seit Beginn deS Kriege vergangen, ehe ich eine einzige Postmittheiluug von der Regierung erhielt. Schließlich erhielt ich einen Brief, der in Washington amtlich gesiegelt, aber sichtlich vom (englischen) Censor in Durban geöffnet worden war." Macrum beschreibt dann deS Längeren die Unterbrechungen im Postverkehr über die Delagoa-Bai durch englische Kreuzer, durch die er und andere Amerikaner in Pretoria zu leiden hatten. Anfang November habe er dreimal mittels Kabeldepesche in Washington um Urlaub angesucht, nm sich nach Amerika zu begeben, ohne hieraus eine Antwort zu erhalten. Am 14. No- vember habe er zum vierten Male depeschirt und erklärt, daß er seinen Posten aufgeben würde, wenn seine Gründe nicht als zutreffend anerkannt würden. Daraufhin habe er eine Antwort erhalten, die ihm gestattete, nach Amerika zurückzukehren. „Mein einziger Zweck — so sügt Macrum hinzu — war, dem auswärtigen Amte persönlich Informationen zu gebe» Uber den wahren Stand der Dinge in Südafrika. Als ich den Posten occeptirte, wußte ich nichts von einer geheimen Allianz zwischen Amerika und Groß britannien und ich habe in den Instructionen nichts gefunden, was einen amerikanischen Consnl den Launen und Capricen des britischen Tensor» in Durban unterwirft. Ich kam nach Amerika au- einem Motive, besten ich mich nicht zu schäme» habe." Herr Macrum hat also Alle» in Allem nicht mitmachen wollen, unter dem Deckmantel absoluter Neutralität, die ihn, von seiner Regierung vorgeschrieben war, englandfreund liche Politik zu treiben, und um so weniger, als ihm in seinem Selbstbewußtsein als Vertreter der Regierung Amerikas die durch den englischen Censor in Durban geübte Controlc über seine Briefe wider den Strich gingen. Dies ist auch, wie schon erwähnt, einigen andern amerikanisckenPolitikern zu viel gewesen, und sie haben deswegen im Repräsentantenhaus eine Inter pellation darüber einzebracht, was Amerika gegen die Verletzung deS Briefgeheimnisses bei dem amerikanischen Consulat durch di englischen Bebörden thun wolle. Der amerikanischen Regierung ist die ganze Angelegenheit nicht eben angenehm gewesen, und sie bat den Umstand, daß Herr Macrum sein Herz in der Presse ausgeschüttet hat, und den weiteren, daß er dabei so offenkundige Märchen erzählte, wie daS von der „heimlichen Allianz" zwischen England und Amerika, dazu benutzt, um sich von ihrem bisherigen Beamten loszumachen. Dadurch gelang eS, jener unbequemen Interpellation ein Begräbnis? erster Classe im „Counts für die auswärtigen Angelegen heilen" zu verschaffen und diese Erledigung noch durch die kürzlich erwähnte schriftliche Versickerung zu verstärke», daß von einem englisch-amerikanischen Geheimbündniß keine Redc sein könne. Bis auf Weiteres dürfte damit der „Fall Macrum " für die breitere Oeffentlichkeit abgeschlossen sein. Der Krieg in Südafrika. —p. Im Augenblicke erfordern wieder die Ereignisse um Ladysmith die Aufmerksamkeit, obgleich, wie wir schon einmal auSfübrten, dort die Entscheidung über Sein und Nichtsein der Repu- pliken unter keinen Umständen zu erwarten ist. Bekanntlich hat Buller am 27. v. MtS. im Verlaufe seines vierten Eut- satzversucheS Glück gehabt — das erstemal — und den PieterSkop nach verschiedenen mißglückten Anläufen unter schwersten Verlusten im Sturm genommen. Die Station PieterS links von dem Berge, die General Buller nunmehr besetzt haben dürfte, ist von den Vorposten der in Ladysmith belagerten Besatzung nur noch 9km entfernt, und eine Aus nahmestellung, auf der die geschlagenen Boeren aufs Neue dem vordränaeudeo Entsatzheere den Weg verlegen konnten, scheint erst die Linie Middle Hill über Bester» Farm zum Jsimbul- w»nab«rg(B«tt»anaberg) zubieten. Sie ist jedoch nur 5—6kni von der Stadt selbst entfernt, und wenn die eingeschloffene Division White noch einige Initiative hat, was die letzten heliographischen Meldungen behaupten, so müßten die Boeren dort eine Schlacht mit zwei Fronten schlagen, deren AuSganz für sie höchst zweifelhaft wäre. Die Sammlung der boerischen Kräfre auf dem Bulwanaberge scheint freilich daraufhin zu deuten, daß sie trotzdem diesen Versuch wagen möchten. Man meldet uns noch: * Loudon, 1. März. (Telegramm.) „Morning Post" meldet aus dem Lager von Colenso unter dem 28. Februar: Der Feind ist 10000 Mann stark und verfügt über 6 oder 7 Geschütze in gedeckten Stellungen. Augenscheinlich beabsichtigt er nicht, die Belagerung von Ladysmith aufzugeben Die Boeren fechten, wie der Correspondent deS Blatte- meldet, mit Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck vcrbolcii. „Seiep Sie nicht so verzweifelt, Hans. Der Bau wird ent stehen, mit Geduld und Beharren, aus Ihrer eigenen Kraft." Er schüttelte den Kopf. „Wer sich in der Welt und gegen die Welt behaupten will, dem muß verständnißvolle Treue den Rücken decken." Er stützte den Kopf in die Hand und versank in Brüten. Allein das Ausspvechen hatte ihm doch wohlgethan, und als es Gertrud später gelungen war, ihn zu Mitheilungen über seine Arbeiten und Zukunftspläne zu bewegen, rathschlagten sie noch lang« miteinander. Nachdem er schon Gute Nacht gesagt, bliev er, Gertrud's Hand fetzhaltenb, zögernd stehen. „Gertrud lachen Sie nicht, Sie muffen mir heute eine Bitte erfüllen. Erstens muffen Sie mich Du nennen und mir das Gleiche Ihnen gegenüber erlauben —" „Ersten-, — das deutet aber auf «in Zweitens: also, ist's mit der einen Bitte nicht genug?" „Nein, di« zweite ist noch viel unverschämter. Du sollst mir einen Kuß geben — nur einen —" ES dürchschauert« Gertrud, als sie seine Lippen auf den ihren fühlte. „Meine Schutzheilige, mein guter Engel, mein liebes, kiebeS Schwesterchen", murmelte er bewegt. — Am folgenden Morgen erhielt Gertrud eine Karte von Hans. „Wenn Du dies« Zeilen liest, bin ich unterwegs nach Ober- deken. L>ie Einladung kam heute früh. Ominös freilich, von Tietjen- im Namen des Alten verfaßt; aber was kiimmert's mich! Denk' an mich, Gertrud! Bete für mich! Jetzt fallen die Würfel nm Glück und Leben. Zweiter Band. Siebzehntes Capitel. Oberbekeu war noch vor zwanzig Jahren ein bescheidenes Dörfchen gewesen; jetzt war es ein blühender Ort von drei- bis viertausend Einwohnern, schon ganz städtisch. Zu beiden Seiten deS Flüßchens lagerten die Steinhäufer'scksen Werke, weitläufige Gebäudemaffen, meist von rothen Ziegelsteinen solide aufgeführt, von hohen Essen überragt, die Tag und Nacht schwarze Rauch massen, weiße Dampfwolken und Funkenschauer auSstießen. — Unterhalb der Werke hatte sich das Arbeitervolk angesiödelt, meist in klein«» sauberen Häusern mit Vorgärtchen in denen Gemüse und Blumen gezogen wurden. In Reihen und zerstreuten Gruppen dehnte sich das Dorf ein paar Kilometer weit zwischen den grünen Mesen des flachen F'lußthales hin. Alles, was in Ob«rbeken wohnte, stand zu den Fabriken in naher und nächster Beziehung: außer den Arbeitern die Handwerker, die Bauern, di« Kaufleute,, die Gastwirthe und die Schullehrer. Die Stein- häustr'schen Werke waren der fruchtbare Nährboden, aus dem alle diese Existenzen ihre Lebenskraft sogen. Oberhalb der Fabriken führte eine Allee von Rüstern und Linden zu dem sehr stattlichen Steinhäuser'schen Wohnhause, das mit Nebengebäuden und Pferdeställen in vornehmer Absonderung auf einer Bodenwelle, von hübschen Parkanlagen umgeben, sich erhob. Bosketts von ausländischen Ziersträuchern und Blumen stücke umgaben rings die breite Terrasse, über der die Veranda mit vergoldetem, schmiedeeisernem Gitterwerk vorsprang, und bildeten den Uebergang zum Park. An einem klaren Herbstnachmittag befanden sich auf der Veranda drei Personen: eine hübsche und sehr elegante junge Frau wiegte sich in einem Schaukelstuhle, blätterte in Journalen und ließ zuweilen ihren Blick über das blühende, vollangebaute Land in die Ferne schweifen. Das Gespräch der beiden Herren, die ihr Gesellschaft leisteten, langweilte sie. ES drehte sich um sociale Probleme, um die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer bedeutenden geistigen und sittlichen Hebung der unteren Volks- classen, um die Vererbung erworbener Eigenschaften, die Ent artung der Culturvölker. Die Beiden waren fast in allen Puncten verschiedener Ansicht und stritten auch mit verschiedenen Waffen: der Leiter« mit den ErfvhrungSthatsachen drs Praktikers, den Zahlenreihen deS Nationalokonomen, der Jüngere mit all' den interessanten neuen Ergebnissen der Culturforschung, der Physiologie und Psychologie, mit eigenen Beobachtungen und subjektiven Ueberzeügungen. Reformiren wollten sie Beide: der Eine mit weiser Vorsicht, der Andere im Sturmschritt, der Aelter« als ein wohlwollender Anwalt und Vormund d«S ewig un- mündigen Volks, d«r Jüngere al- ein Befreier, der die urwüchsig rohe Volkskraft entfesseln wollte, damit sie verjüngend und stählend die entnervten oberen GesellschaftSschichten durchdringe. Sie mochten schon oft so gestritten haben: lebhaft, aber ohne Bitterkeit, auch ohne Hoffnung, den Gegner zu überzeugen, ans Lust am Streite. Die junge Frau gähnte hinter ihrem Tuche und bewegte ihren Schaukelstuhl. Jetzt belebte sich ihr Antlitz. Ein leichter Wagen, mit zwei muthigen braunen Pferdchen irischer Raffe bespannt, Log um das Rasenrondel des Vorplatzes und fuhr auf der Terrasse vor. Gleich darauf trat aus der offenstehenden GlaS- thiir des Gartcnsaales eine hochgewachsene junge Dame in enz- anliegendem, dunkelblauem Tuchkleid und «ilte mit flüchtigem Gruß an der Gruppe der Anwesenden vorbei, die Treppe hinab auf das Gefährt zu. „Wer fährt mit?" rief sie zurück. Beide Herren waren aufgesprungen. „Wo geht dir Reise hin?" fragte Oberingenieur Tietjens, indem er Irmgard folgte und behilflich war, ihren hohen Sitz auf der Vorderbank des Wagens zu erklimmen. Sie rückte ihr Hütchen, zog die Handschuhe zurecht und nahm dem Kutscher Zügel und Peitsche ab, denn sie pflegte dieses Gespann, das ihr Eigenthum war, selbst zu lenken. „Nach Silberbeck", antwortete sie, indem sie mit dem oben- ste'henden Hans Eickstedt einen Blick über Tietjens hinüber tauschte. „Wir wollen die Kirche ansehen, ich will Orgel spielen. Herta hat mir einen Korb gegeben, sie ist ein gutes Kind und löst die Mama am Krankenlager ab. Für Sie ist noch Platz, Fred!" „Sehr liebenswürdig. Aber ich muß in einer Stunde auf dem Bahnhofe sein", lehnte Tietjens ab, indem er nach der Uhr sah. „Sklaverei der Pflicht, wissen Sie. Der Vater kommt und bringt wahrscheinlich einen russischen StaatSrath mit, und dann giebt's Besichtigungen und Conserenzrn. Also Orgelspiel und Kirchenschau. Vergessen Sie nicht, Herrn Eickstedt die Krypta zu zeigen, Irma, die ist uralt, und es sind merkwürdige Grab tafeln drin. Also, viel Vergnügen, meine Herrschaften!" Hans Eickstedt hatte sich auf den Sitz neben Irmgard ge schwungen, und sie ließ ihre Dferde laufen. Herta, Gräfin Strachwitz, die älter« Steinhäusertochkr, die seit einigen Wochen als Gast äm Elternhause weilte, blickte dem sich zurückweckberGrn Oberingenieur nachdenklich entgegen. ^.Wissen Sie, Fred —", als weitläufiger Detter wurde TietjenS im Familienkreise mit seinem Vornamen angeredet — „Wissen Sie, wäre ich Irma, so würde Ihre unverwüstliche Sicherheit mich beleidigen." TietjenS lächelte.« Sein schmales, bartloses Gesicht war un schön, aber auffallend und charaktervoll. Er trug die dunklen Haare kurz verschnitten, aus den ruhigen Augen sprach Klug heit, in dem wunderlichen Spiel seiner Mundwinkel mischten sich Humor und selbstgefällige Ueberlegenheit. Seine Gestalt wär lang, eckig und kräftig, die Haltung imchläffig. Der zurückge- pflegte Irmgard zu spotten. „Beleidigen?" erwiderte er. „Während ich mir alle Mühe gebe, ihren Dank zu verdienen!" „Ja, das ist wahr", gab Herta zu. „Ich sehe mir das diese vierzehn Tage so an — seit wir die Ehre haben, Doctor Eickstedt als Studienobjecte zu dienen. DaS heißt, er studirt ja Wohl die Werke, nicht wahr, unter Jrmgard'S Anleitung?" „Ich habe mich schon früher um seine Belehrung verdient ge macht", versetzte Tietjens und ließ seine langen Glieder in einen Rohrstuhl sinken. „Er weiß Alles, was ihm zu wissen frommt, und mehr." Und zur Belohnung für seinen Fleiß darf er mit Irmgard alle Tage in der Welt herumkutschiren. Sehr liebenswürdig von Ihnen, das muß ich sagen." Tietjens lachte kurz in sich hinein. „Ich glaube gar, Sie wollen mich auf unseren jungen Barden eifersüchtig machen, Herta. Sie thun so, als ob das Alles meine Veranstaltung wäre. „Wenigstens könnten Sie es hindern." „Vielleicht", gab Tietjens zu. „Das wäre allerdings der dümmste Streich, den ich begehen könnte." „DaS sehe ich nicht ein. Warum mußte Eickstedt überhaupt Herkommen?" „Ich hatte meine Gründe und habe entschieden für die Ein ladung gestimmt. Sehr triftige, wohlüberlegt« Gründe, Herta." „Ich wollte, Fred, Sie klügelten und experimentirten nicht so viel, sondern griffen einmal fest zu. Ein Mädchenherz ist kein Rechrnexempel." TietjenS betrachtet« die Nägel sein«r langen Finger, während das ihm eigene, stille, schlaue Lächeln um seine Mundwinkel zuckte. „Der interessante MuSkl, tz«rz genannt, spielt im bürger lichen Leben wirklich nicht dir ausschlaggebende Rolle, wi« in der Oekonomie des Körpers. Ich kenne Ihre Schwester, besser als Sie denken, Herta. Sie besitzt.einen herrlichen, gesunden Menschenverstand; in dem liegt nwine Sicherheit. Eine Thor- heit begeht unsere Irma nicht. Melleicht spielt sie mol gelegent lich mit der Vorstellung. Die Ausführung liegt ganz — außer halb ihrer Entschluffsphäre, mochte ich sagen. Ein Mensch ist kein Rechenexempel, aber doch Zn Organismus, der nur nach ganz bestimmten, unabänderlichen^ Gesetzen wollen und handeln kann. Hat man den Schlüssel z/ diesen Gesetzen, so giebt eS keine Ueberraschungen." „Wirklich, ich beneide Sic um Ihre Philosophie", erwiderte ohne Sv^st. „Ich halte Irmgard für leiden- „Sie hat Temp/ament, das macht sie zu dem liebreizenden
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