Volltext Seite (XML)
Rr 64 — 89. Jahrgang Telegr.-Adr.: »Amtsblatt* Montag, den 17 März 1930 MoMenhauers?manLp!äne Kabinett Bartel zurückgetreten. Die polnische Regierungskrise. Der polnische Staatspräsident hat die Demission des Kabinetts Bartel angenommen und die bisherigen Minister mit der vorläufigen Weiterführung der Geschäfte beauftragt. Eine Entscheidung über die Neubildung des Kabinetts dürfte erst in einigen Tagen erfolgen. Der Staatspräsident, dem Ministerpräsident Professor Bartel namens des gesamten Kabinetts das Demissionsgesuch Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauvtmannschaft Meisten des Amts. Gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Die Wirtschaft unter dem Uoung-Plan. Die Hoffnungen des Reichskanzlers. Reichskanzler Hermann Müller hat sich in Stutt gart über die wahrscheinlichen Auswirkungen des Aoung- Planes geäußert. Auf die Frage, welche unmittelbaren Folgen die Annahme des Voung-Planes haben könne, antwortete der Kanzler: Bevor der Aoung-Plan tatsächlich rechts wirksam wird, muß die Inkraftsetzung der auf ihm be ruhenden Gesetze auch in Belgien, England, Frankreich und Italien erfolgt sein. Es ist anzu nehmen, daß die Beschlußfassung über die betreffenden Gesetze in den Parlamenten dieser Staaten bald erfolgen wird. Auf die weitere Frage, welche wirtschaftlichen Folgen cintreten würden, erwiderte Reichskanzler Müllern Nach den Haager Abmachungen wird die Repara tionsanleihe nach Inkrafttreten des Young-Planec ausgegeben werden. Im Zusammenhang damit soll eim deutsche Anleihe der Post und der Eisenbahn zur Ausgabe gelangen. Diese und die Kreuger-Anleihe, deren Wirksamkeit ebenfalls an die Annahme des Voung-Planes gebunden ist, werden Kapital nach Deutschland bringen, was zur Ankurbelung des so schwer daniederliegenden deutschen Wirtschaftslebens beitragen wird. Es ist ferner zu erwarten, daß Kapital in stärkerem Maße der deutschen Wirtschaft zuflietzcn wird. Ich hoffe, daß es dadurch ge lingen wird, einen großen Teil der Arbeitslosen Wieder in das produktive Wirtschaftsleben zurückzuführen. Auf die weitere Frage, ob durch dieZufuhr aus ländischen Kapitals der Wirtschaft auf die Dauer geholfen werde, sagte der Kanzler: Nein, wir müssen uns klar darüber sein, daß der deutschen Wirtschaft mit der ausländischen Kapitalzufuhr allein auf die Tauer nicht geholfen werden kann, sondern daß die Kupital- bildung im eigenen Lande ausschlaggebend für die Gesundung der deutschen Wirtschaft sein wird.. Die Mtneralwassersteuer soll 40 Millionen Mark embrmgen, die den Ländern zufließen. Die Vor lage wird nach Ablehnung eines thüringischen Änderungs antrages genehmigt. ...Zur Bicrsteuererhöhung haben die Aus- bchsisie mtt Zustimmung der Reichsregierung eine den Wünschen der Brauindustrie entsprechende Änderung der Staffelung vorgenommen. Die Bicrsteuererhöhung wird gegen die Stimmen Bayerns genehmigt. Auch die übrigen Steuervorlagen wurden mit geringen Änderungen an- genommen. überreicht hatte, drückte seine Verwunderung darüber aus, daß die Regierungskrise vom Sejm herbeigeführt worden ist in einem Augenblick, in dem die Arbeiten am Staatsbudget noch nicht beendet wurden. Bartel kon ferierte wiederholt mit Marschall Pilsndski. lassen, die allerdings für den Bezug der Nohstosse, Halb fabrikate und Produktionsmittel vielfach und so sehr auf den Bezug aus Deutschland angewiesen ist, daß trotz dem „Zollkriege" der deutsche Export nach Polen etwa e i n Drittel der gesamten polnischen Waren - einfuhr ausmacht, übrigens ein paar Millionen größer ist als der Wert des polnischen Exports nach Deutschland. Rach wie vor ist Polen aber immer noch zu 80 Prozent der Bevölkerung rein agrarisch und die Preiskrise für landwirtschaftliche Produkte hat trotz mannigfacher Gegenmaßnahmen der Regierung, wie Einfuhrverboten, Exportsubventionen usw., in Polen verheerend gewirkt. Die „Preisschere", also der Unterschied zwischen den Preisen für Agrar- und denen für die industriellen Pro dukte, klafft weit auseinander und die außerordentlich hohen Steuern tun ein übriges. Gibt doch Polen für militärische und Marinezwecke etwa ein Drittel seiner ge samten Staatseinnahmen aus. Das alles hat zu überaus unerfreulichen Zuständen am Geld- und Kapitalmarkt, beim Kreditgeschäft usw., vor allem zu einer gefährlichen Wechselinflation, geführt, also zu einer Art „zusätzlichen Kapitals" in Form papierncr Zahlunysvcrsprechen und zu einer unheimlich hohen Zahl von - Wechselprotesten Ein unbedingt sicheres oder sehr umfangreiches Geschäft wird Deutschland also zurzeit angesichts der stark gesunkenen Kaufkraft mit Polen kaum machen können. Andererseits wären zwischen zwei benachbarten Staaten mit einer Grenze, die eine LäOge bau meleu .Hunderten von Kilometern hat, auch endlich wieder offiziell normale Beziehungen zu begrüßen. Krisen in Polen. In Polen herrscht wieder eine Kabinettskrise. Es iß weiter nichts Ungewöhnliches, daß der polnische Sejm also die Volksvertretung, irgendeinem Minister oder gleiä dem ganzen Kabinett ein Mißtrauensvotum ins Gesichi wirft. Bekanntlich haben in Warschau sich die Umgangs- formen zwischen Regierung und der augenblicklicher Sejm-Mehrheit von jeglicher gegenseitiger Hochachtuns sehr weit entfernt. Namentlich Pilsudski, der vermöge der ihm unterstellten Armee und der sogenannten „Obersten pariei" über die tatsächliche Macht verfügt, hat es au Massivitäten über die politischen Gegner im Parlament niemals fehlen lassen, und vor einigen Tagen erst hat der jetzige Ministerpräsident Bartel die Abgeordneten eim Horde von Analphabeten genannt. Auf der Ge Ministerprästdent Bartel, in dessen Kabinett es wieder kriselt, genfeite hält man sich natürlich auch nicht zurück und ant wartet mit einer Bezeichnung wie „halbasiatisches Mexiko" womit man die politischen Zustände in Polen meint In einem solchen Milieu ist eine der nicht seltenen Minister- oder Kabinettskrisen nicht von großer Bedeutung für den Streit zwischen Sejm-Mehrheit und Regierung; denn zu einem wirklichen Kampf um die Macht ist es seit jener Zeit nicht mehr gekommen, als Pilsudski mii militärischer Hilfe das Parlament in Warschau zur ziem lichen Bedeutungslosigkeit niederzwang. Aber man läßt wenigstens äußerlich, die verfassungsmäßigen Formen bestehen, bisweilen freilich auch dies nicht einmal. Für Deutschland ist ja innenpolitisch das Ver hältnis zu Polen seit Monaten zu einem besonders umkämpften Streitobjekt geworden, namentlich seit im Oktober vergangenen Jahres das deutsch-polnische Liqui dationsabkommen in Umrissen bekannt wurde. Dazu kommt nun in den nächsten Tagen die Unterzeichnung eines deutsch-polnischen Handelsvertrages, der dem fast fünfjährigen „Zollkrieg" zwischen den beiden Ländern eiu Ende machen soll. Bekanntlich ist gegen manche der dort vorgesehenen Vereinbarungen ein außerordentlich starker Widerspruch laut geworden, aber nicht etwa bloß wegen des „Polenschweines", sondern auch gegen die Zu lassung der polnischen Kohle auf dem deuflchen Markt. Eine Unterbietung des deutschen Kohlenpreises und der sonstigen Verkaufsusancen soll allerdings nicht erfolgen, »per — die polnischen Bergwerke, namentlich die in Ost oberschlesien, produzieren viel billiger als die deutschen, da jenseits der Grenze die Löhne der Bergarbeiter etwa halb so hoch wie in Deutschland sind, außerdem die polnischen Eisenbahnen tarifpolitisch den Kohlenexport derart begünstigen, daß die ostoberschlesische Kohle dem polnischen Seehafen Gdingen etwa zu einem Drittel des Transportpreises zugeführt werden kann, den die deutsche nach Stettin verfrachtete Kohle tragen muß. Daraus ist ja auch der Siegeszug zu erklären, den die pol nische Kohle namentlich in Dänemark, Schweden und Norwegen seit 1925 zurücklegen konnte und der durchweg auf englische Kosten ging; übrigens auch Deutschland hat seinen Kohlenexport — zum Leidwesen Englands — ge gen 1924 ans das Dreifache steigern können. So sehr hat Polen den englischen Kohlenexport nach den nordischen Ländern überflügeln können, daß — zum erstenmal in der Geschichte der Kohlenindustrie Englands — ein Abkommen mit dem gefährlichen Konkurrenten abgeschlossen wurde, das eine gewisse Preisregelung und Abgrenzung der Ab satzgebiete zum Inhalt hatte. Davon profitieren aber wieder die Polen, weil eine große Verdienstspanne zwischen diesem Festpreis und den infolge geringer Löhne und günstiger Tarife sebr billigen Selbstkosten vorhanden ist. Ähnliche Erfolge konnte die polnische Kohlenindustrie daher auch beim Export nach den Staaten Südosteuropas und sogar Italien erringen. Im Schutz des „Zollkrieges" gegen Deutschland hat man namentlich in den westlichen Gebieten Polens auch eine Industrie aufgebaut und sich entwickeln für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr, 6 Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Da« »Wilsdruffer Tageblatt« erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 NM., bet Postbestellung 2 RM. zuzüglich Abtrag- ___ gebühr. Einzelnummern Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend und ^ägerund Geschäftsstellen 22 nehmen zu jeder Zeit Be. stelluugeu entgegen. ImFalle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. Hindenburg an die Studenten. Mahnung zur pflichttreuen Arbeit. Namens einer Reihe akademischer Verbände und Jugcndvereinigungen hatte unlängst der Kyffhäuserver band der Vereine Deutscher Studenten an den Reichsprä sidenten ein Schreiben gerichtet, in dem diese Jugend organisationen namens der Toten von Langemarck an den Reichspräsidenten die Bitte richteten, dem Ao ung- Plan und dem Po le »vertrag die Unterschrift zu verweigern. Auf dieses Schreiben hat der Reichsprä sident die folgende Antwort erteilt: „Sehr geehrte Herren! Von Ihrem, zugleich im Namen anderer studentischer und Jugendverbände an mich gerichteten Schreiben vom 18. Februar dieses Jahres habe ich mit Interesse Kenntnis genommen. Ich hoffe, daß die inzwischen von der Reichsregierung im Reichstag gegebenen Aufklärungen über den Voung-Plan und seine einzelnen Bestimmungen bei Ihnen eine sachliche Würdi gung gefunden und manche irrigen Voraussetzungen in Ihrem Schreiben vom 18. Februar dieses Jahres bc scitigt haben. Im übrigen verweise ich auf meine öffent liche Kundgebung, in der ich die Gründe für meine Stellungnahme kurz angegeben habe. Ihnen aber, die Sie als Vertreter einer Anzahl deutscher Jugendverbände sich in Ihrem Schreiben auf die Toten von Langemarck berufen, glaube ich in Er gänzung dieser meiner Verlautbnnmg noch besonders sagen zu müssen, daß gerade die Erinnerung an dic opfcrmntig für das Vaterland gefallenen jungen Fre, willigen der neuen Generation die Pflicht aufcrlcgt, auw selbst Opfer dafür zu bringen, daß deutsches Gebiet frei wird und daß Deutschland durch pflichttreue Arbeit und einigenden Zusammenhalt seiner Bürger wieder hoch kommt. Darin sehe ich für meine Person die Mahnung Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Senkung der Ausgaben Im Ostasiatischen Verein Hamburg-Bremen hielt Reichs finanzminister Dr. Moldenhauer eine Rede über das Finanz programm der Regierung. Dr. Moldenhauer erklärte, das Finanzprogramm habe zwei große Aufgaben zu erfüllen: die Sanierung der Finanzen und die Entlastung der Wirtschaft. Die vordringlichste Frage sei die Sanierung der Finanzen, nicht nur des Reiches, sondern auch der Länder und der Ge meinden. Eine Entlastung der Wirtschaft setze eine Einschrän kung der Ausgaben voraus. Er bereite im Auftrage der Reichs regierung ein Ausgabensenkungsgesetz vor, das auf allen Ge bieten, wo Ersparnisse möglich erschienen, solche vorsehen solle. Aber ein Versuch, die Ausgaben zu senken, könne sich nicht allein auf das Reich beschränken. Es sei ausgeschlossen, daß jetzt nach Annahme des Voung-Planes jede Gemeinde für sich an den Geldmarkt des In- und Auslandes herangehe. Er habe deshalb einen Gesetzentwurf über die Kreditgewährung vor bereitet. Die Arbeitslosenversicherung „Unter den Ausgaben des Reiches spielen die für du Arbeitslosenversicherung eine außerordentliche Rolle. Die Ver sicherung kann nur auf den Normalfall zugeschnitten sein. In Zeiten von Wirtschaftskrisen muß die Allgemeinheit einen Teil der Lasten übernehmen. Es findet zurzeit eine Prüfung dei Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung durch den Reichs sparkommissar statt, um festzustellen, in welchem Umfange in der Verwaltung Ersparnisse gemacht und Mißbräuchen der Einrichtung entgegengetreten werden kann. Es ist dem Vor stand der Reichsanstalt aufgegeben, auch Vorschläge über eine anderweitige Festsetzung der Leistungen zu machen. ^Jch glaube, daß wir vor der Notwendigkeit eines organisatorischen Umbaues stehen, und habe nach dieser Richtung hin positive Vorschläge gemacht. Die Notwendigkeit der Kassensanierung macht eine Steuersenkung in diesem Jahre unmöglich. Aber sie gibt den Weg frei für eine solche im nächsten Jahre. Man hat behauptet, es sei der Regierung damit nicht Ernst. Ick kann nur im Namen der Reichsregierung erklären, daß sie diesi Maßnahmen als unbedingt notwendig erachtet." * Das neue Sieuerbukett. Vom Reich sra> genehmigt. Der Reichsrat beschäftigte sich mit den neuen Zoll- und Steuervorlagen. Die Vorlage Lider Zolländerungen enthält die Er höhung des Benzinzolls von sechs.auf zehn Mark und die Einführung des Benzolzolls von zehn Mark. Gegen Thüringens Stimmen wurden Benzin- und Benzolzoll genehmigt. Die Vorlage der Tabaksteuer, die 32 Millionen einbringen soll, wird gegen die Stimmen von Baden, Hessen, Thüringen nnd Bremen genehmigt. Der Änderung der Z u ck e r st e n e r, die neun Mil lionen Mark einbringen soll, wird gegen den Widerspruch Thüringens zugestimmt.