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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. vrännmermwnS Preis 22j Sildcrge. sj Ldlr.) vicrieiüdrlich, 3 Ldlr. snr da» gonze J»br. ohneErdödung. in asten ^steilen der Preußischen Monarchie. Magazin Prönumcrationcn werdtn von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iagcrstrasse Nr. 25), so wie von allen Königs. Pojl - Aemlern, angenommen. für die Literatur des Auslandes. 1/ 133 Berlin, Montag den 6. November 1843. Frankreich. Bilder aus der niederen Normandie. Von einem deutschen Reisenden. Zweiter Artikel. Die Anhänglichkeit an den heimischen Boden und die Gleichgültigkeit ge gen das Ausland und seine Zustände dürften kaum in einem Theile Frankreichs größer scyn, als hier. Der Normand deutet mit freudigem Stolze auf die erhabenen Denkmäler ans seiner Vergangenheit, auf sein Meer, seine geseg neten Fluren, und fragt Dich kaum einmal beiläufig, ob Deine Heimat was Aehnlichcs aufzuwcisen habe. Dieses Gefühl ist rührend ausgesprochen in dem Liede lm korm-tinlie, dessen einfach-innige Weise ihm eine fast unglaubliche Popularität durch ganz Frankreich erworben hat. °) Ist ein Anwohner der Orne oder der unteren Seine im AuSlandc zu einigem Erwerb gekommen, so kehrt er damit am liebsten in seine speziellere Heimat zurück, wo seine Vor fahren, so weit die Familien-Tradition reicht, ost schon Bewohner derselben Stadt gewesen find, wie ihre späten Nachkommen. Bei Solchen, welche kaum jemals den Fnß über die Gränzen ihrer Pro vinz gesetzt, findet man abenteuerlichere Begriffe von Deutschland, seiner Kultur, seinem Klima u. s. w., als unsere Landsleute sic vom nördlichsten Sibirien haben. Die ausgesuchten Martern, womit der halbwilde preußische Bauer einen Theil der unglücklichen, aus Rußland entkommenen Franzosen zum Tode befördert haben soll, pflanzen sich unter dem gemeinen Volke, wer weiß, wie lange noch, fort, und man hat seine große Noth, sie ihnen auS- zureden. Ein aus den Jahren >814 und I8IL stammendes Rachegefühl spricht sich selbst bei gebildeten Normand'S naiver, unverhohlener aus, als bei an deren Franzosen ; doch machen sie einen Unterschied zwischen Nation und Indi viduen, und der Ausländer findet, wo er Vertrauen einflößt, die freundlichste, gastfreieste Aufnahme. Ist ein Hausvater nicht gerade Bewohner eines großen Hafenortes, so bewirthet er Dich fast nur mit französischen Erzeugnissen, und insonderheit mit denen seines Bodens und Meeres, die schon mannigfach und vortrefflich genug sind. Besseres Fleisch und Brod, schmackhaftere Fische und Schalenthiere kann man vielleicht nirgends genießen; und kein geringeres Lob verdient das Obst, namentlich die Pfirsiche und die reiche Mannigfaltigkeit der Birnen und Acpfel. Die pnirex tspec« der Normandie sind ungleich edler als unser Backobst, und alle eingemachte Früchte das non plus ulcra der Delikatesse. An gutem und wohlfeilem Rothwein aus Süd-Frankreich fehlt cs nicht; der haushälterische Normand zieht aber seinen aus gewissen Aepfelsorten destillirtcn Eider vor, der für den Gaumen wenig Reiz hat und den man durch Bei mischung von Wasser noch fader macht. Bei aller Vorliebe für seine besondere Heimat vergißt der Normand auch nicht, daß er Franzose im weiteren Sinne ist, und man findet hier, wie aller- wärtS, die politischen Haupt-Parteien mit ihren Abschattungen. Wortführer der heftigsten Opposition ist der Redacteur des klar» oder wmüuml IVurinnmI, ein ehemaliger Offizier, dessen derbe Freimüthigkeit ihm bereits eine Haft von zehn Monaten zugezogen. Ich machte die Bekanntschaft dieses Herrn auf dem Paß-Bürean zu Caen, wo ein deutscher Landsmann sich beiläufig darüber be schwerte, daß er, trotz der schon theuer bezahlten Unterschrift des französischen Gesandten zu , in einer Gränzfestnng »och zwei Franken für seinen Paß bezahlen müssen. Einige zuckten die Achseln; ein schöner Mann aber, dessen martialischer Blick, stattlicher Schnurrbart und etwas republikanisch ausschcnde Mütze zu dem Habitus der übrigen Herren hinter der Schranke seltsam kontrastirte, brachte sofort einige Noten zu Papier. Zwei Tage darauf las man im Unro das ganze Faktum, und zwar mit folgender Einleitung: ^<0N8 uv summe« PN« treu-kurt« «„r le« rexlemen« eonsulaire«; »u««i, pemr nun« ecl-nrer, rulresseroim - uuu« » gui <le üruit la guesriou «nivnnte, gue vir. le mini-itre üevrmt bien faire resuudre pnr guelgu'un <le «es joumnnx: Oomkieu <Ie fois saut il P»)'" Io üroir eun«ulaire ü'un ^assc-purt? etc. Man kann Herrn Pont auf jedem öffentlichen Büreau finden, wo er zum Berdrusse einiger Beamten und zur Satisfaction Anderer pikante Anekdoten für sein Blatt sammelt. Niemand darf ihm dies wehren, da er nur von seinem Rechte als Zeitungsschreiber Gebrauch macht. ') Tro« semer absolute» Harmlosigkeit hat der Magistrat von Valencienne« da« öffeM- l-ch- Singen diese« Liede« verpönt, weil viele ehrsame Bürger in B'rjweislung darüber g-riethen, e« vom frühen Morgen bi« zum spaten Abend ableiern zu hören. Die Legitimisten sind größtenthcils vom alten, zum Theil verarmten Adel. Als TppuS derselben will ich einen jungen Marquis aufstellen, dessen nunmehr seliger Vater ein kolossales Vermögen verschleudert hat. Der Sohn, ein gut- mülhiger Enthusiast von einnehmendem Aeußeren und unermüdlicher Gefällig keit, muß sich mit einem sehr hoch belegenen Zimmer in einem der drei statt lichen Gebäude behelfen, die von den Gläubigern seines Vaters in Besitz ge nommen sind. Da er Niemanden zumuthen will, seine Mansarde zu ersteigen, so ladet er Dich zum Besuch in ein benachbartes Kaffchaus, wo er seine Gäste auf Borg mit Kaffee, Cigarren, edlem Cognac und Kirschwaffcr regalirt. Von Zeit zu Zeit wandert er nach Paris, um sich einen neuen Anzug machen zu lassen, und da dies ebenfalls auf Borg » perpcruite geschieht, so wählt er jedesmal einen anderen Schneider. Seine Toilette ist halb europäisch, halb orientalisch; ein sehr dichter, langer und wohlgcpflegter Bart an Backen, Kinn und Oberlippe, ein Strohhut mit gewaltigen Krämpcn, zolllange Fingernägel s I» vbmoi««, weite faltige PantalonS und darüber ein sehr kurzer Rock mit Perlmutter- oder angelanfcncn Stahlknöpfen. Ein Theil dieser Attribute und seine unzähligen 8acre lUeu's über das jetzige Regime könnten argwöhnen lassen, daß man es mit einem wüthcnden Radikalen zu thun habe, wenn ihn nicht ein starker Bisamduft schon aus der Ferne als etwas Nobleres ankün digte. Einige Dörfer in dcr Umgegend von Caen haben Protestanten zu Be wohnern, und auch in dcr Stadt selbst ist eine kleine evangelische Gemeinde, deren sehr schlichtes Gotteshaus zu den imposanten Kirche» der Katholiken traurig kontrastirt. Von Juden giebt cS gleichsam nur eine Probe; es sind zwei, übrigens wohlhabende Familien, die man dem Fremden als eine Selten heit zeigt. Der Einfluß dcS katholischen Klcrus scheint bei den niederen Ständen und dem weiblichen Geschlechte wieder im Steigen zu scyn. Unter den Männern der gebildeten Klasse herrscht große Indifferenz in religiösen Dingen; sie thun der Geistlichkeit vielleicht Vorschub, indem sie von ihrcm schleichenden Wirken zu geringe Notiz nehmen. An guten wissenschaftlichen Anstalten und Sammlungen fehlt cS gar nicht; dennoch ist kein allzu großer wisscnschaftlichcr Sinn unter den heutigen Be- wohncr» derselben Stadt, die weiland ei» Wnndcr der Gelehrsamkeit, den als Verfasser dcS „H icrozoikon" und dcS „Phalcg und Canaan" so berühmten Samuel Bochart lfreilich einen protestantischen Theologen! zu ihren Mitbürgern zählte. °) Dem Studium der mittelalterlichen Denkmäler hat der seit vielen Jahren in Caen eingebürgerte gelehrte Brite, Sir Spencer Smith, dcr glückliche Erklärer einer kufischen Inschrift auf der merkwürdigen Cassette von Bayeur, neuen Impuls gegeben. Mit ihm wirkt ein jüngerer Gelehrter, der Orientalist Profcsscr Trebutie», aus dessen interessanter Abhandlung über den Mont St. Michel wir nächstens etwas mitzutheilen gedenken, für die Altcrthümcr seiner Heimat unermüdlich thätig. Und in der That ist viel vorhanden, was zu solchen Untersuchungen begeistern kann oder reichen Stoff liefert; die öffentliche Bibliothek hat manchen gedruckten und handschriftlichen Schatz aufzuwcisen; die uralte Kirche und Abtei Trinitc be wahrt im unterirdischcn Todtengewölbe die Gebeine ihrcr Stifterin Mathilde, der Gemahlin Wilhelm's des Eroberers; und cin Fragment dcr irdischen Hülle des Letzteren ruht in der von ihm gegründeten Kirche St. Etienne, die aber an reichem und sinnig vertheiltem architektonischen Schmuck von „St. Pierre" weit übertroffen wird. Die Kirche Trinit« und das Hauptschiff von St. Etienne sind aus dem elften Jahrhundert. Solche Wunder dcr gothischcn Baukunst wie dcr Justiz-Palast zu Rouen, oder wie die Kathedrale und die Kirche St. Ouen derselben Stadt, darf man jedoch in Caen nicht suchen. Cacn hat eine Akademie, d. h. eine Universität, deren beständiger Rektor ein Geistlicher ist. Sic wird von ungcfähr 3«X> Studenten besucht ; cS giebt aber nur Lehrstühle für Jurisprudenz, mathematisch-physikalische Wissen schaften, Geschichte und Literatur. Viel merkwürdiger in seiner Art ist das kollcgc Kvvnl, ein Gymnasium nebst Pcnsions-Anstalt für 4<X1 Zöglinge. Das alte, massive und in einfach cdlcm Stil errichtete Gebäude, dessen Dimen sionen gewiß nicht geringer sind als die des Universitäts-Palais zu Berlin, war vordem ein Benediktiner-Kloster. Dcr äußerst gefällige Proviseur sagte uns, er ergreife gern jede Gelegenheit, um die iüee« cunfuse«, die man in Dcutschlend von französischen Provinzial-Jnstituten haben möge, so viel an ihm sey, zu entwirren; dann führte er seine Gäste mit einem großen Schlüffel- '> Unter seinem Bilde liest man folgende Verse: ^leukitri» «e tsuti umtreui »ürütur aluului, „t rarum umuini« orbi» opu«; Cuiöquill klloeui», 6rs^u» tuULqu« Iuolu»um v-rto pevtoro «olu« kadet.