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WichenNt» «schein«» drei Nummern. Prßnum«wlion«-Preis 22 z Siidergr. tj Thn.) vierieijnhrlich. r Tb». sur da» gnnj« Jahr, ohne Erhöhung, in nUcn LbcUcu der Preußisch«» Monarch« M a gazL n für dic Pränuinc»ationen werden von jeder Bucvhandittntz (in Berlin bei Veit u. Comp., Heerstraße Nr. 25). so wie von allen Königs. Post Acnmnn, angenommen. Literatur des 'A u 6 la n v e s. -1/ 119. Berlin, Sonnabend den 4. Oktober 1845. Serbien. Das jüngste Mitglied der europäischen Staaten-Familie. °) Ein britischer Reisender, Herr Paton, der vor nicht langer Zeit ein ganz interessantes Werk unter dem Titel: Dbe ändern Sz-rian«, herauSgab, hat es jetzt unternommen, das Publikum mit den Zuständen des heutigen Serbiens näher bekannt zu machen, welches Land er, man weiß nicht recht, warum, „das jüngste Mitglied der europäischen Slaaten-Familie" nennt. Denn wenn mau auch die frühere Geschichte Serbiens ignoriren will, in der es mehrere Jahrhunderte lang als ein unabhängiger und nicht ganz unbedeu tender Staat erscheint, und seine Existenz nur von den Traktaten datirt, die Sultan Mahmud mit dem Fürsten Milosch Obrcnowitsch abschlvß und in denen die politische Selbständigkeit dieses Landes unter türkischer Hoheit aner kannt wurde, so ist die Unabhängigkeit anderer Staaten, als Griechenlands, der Donaufürstenthümer und selbst des Königreichs Belgien, thcilS von nicht älterem, theilS noch von neuerem Ursprünge, und das Epithet des jüngsten unter den europäischen Völkern scheint daher nicht ganz auf Serbien anwend bar. Wir wollen jedoch mit dem Verfasser seines Titels halber nicht weiter rechten, sondern uns lieber zu dem Buche selbst wenden, worin er sich als erfahrener Tourist bewährt und manche nicht unwillkommene Mitthcilungen über den Charakter der Serben, ihre Tugenden unv Mängel, die äußere Physiognomie des Landes und die geistige Bewegung der Nation zu geben weiß. Nun ist zwar Serbien seit der trefflichen Reisebeschreibung Otto von Pirch'S und der historischen Monographie Ranke'S den Deutschen wenig stens keine so völlige rerra nwvxima, als einige der englischen ReviewerS vor aussetzen; eS gehört aber auch nicht in die Kategorie solcher Länder, worüber sich nur wenig Neues berichten läßt. Fast bei keinem europäischen Volke haben sich die patriarchalischen Sitten der Vorzeit in solcher Reinheit erhalten, als unter den Serben- Herr Paton vergleicht sie mit den schottischen Hochländern, wie sie andere Reisende an die Bewohner der schweizerischen GebirgS-Kantone erinnert Haden. „Im Ganzen", schreibt er, „genießt das serbische Landvolk eines beneidenSwerthen LooseS. Noth und Armuth find beinahe unbekannt, da eS bei dem Uebrrffuß an fruchtbarem Lande nur mäßigen Fleiß erfordert, um sich reichlich mit allen Lebensbedürfnissen zu versorgen. Der Bauer hat keinen anderen Gutsherrn als den Sultan, der nur einen bestimmten Tribut von der serbischen Negierung empfängt, ohne sich in die inneren Angelegenheiten des Landes zu mischen. Nach Bezahlung einer Abgabe von höchstens sechs Thalern jährlich, die jeder Familienvater zu entrichten hat, bleibt diesem der ganze Ertrag des von ihm bebauten Grundstücks; in der That sind die Steuern fast nur dem Namen nach vorhanden, da sie nicht mehr als anderthalb Thaler auf den Kopf be tragen. Ein großer Theil des Bodens liegt wüst; es wird kaum ein Sechstel oder, wie Andere behaupte», gar nur ein Achtel desselben kultivirt, unv man betreibt den Ackerbau in eben so nachlässiger Weise, wie in der Türkei. Der Grund dafür fällt in die Augen - sobald die Production des angebauten Ter rains für die Bevölkerung unzureichend ist, hat man nur nöthig, ein anderes, brach liegendes Stück Land auszusuchen, und eine verbesserte Kultur dcS Bodens wird also erst dann eingeführt werden, wenn die Bevölkerung in dem Maße zunimmt, daß sie die Productionskräfte deS Landes zu erschöpfen droht. Ehe dieser Fall aber eintritt, können höchst wahrscheinlich noch einige Menschen alter vergehen." Der Sorge für das tägliche Brod überhoben, die in ganz Europa das Dasepn der arbeitenden Klasse verbittert, giebt sich der Serbe in gemächlicher Ruhe den Genüssen eines patriarchalischen Familienlebens hin. Die Gast freiheit, die einen Grundzug des slavischen Volköcharakters bildet, herrscht noch bei ihm in ihrer vollen Kraft, und die Erscheinung eines Reisenden erregt in dieser wenig besuchten Gegend noch immer eine Art Sensation. „Als ich nach der Usk»» ging", erzählt unser Verfasser, „bemerkte ich, daß die gestrige Versammlung fröhlicher Bauern sich vervielfältigt hatte; sie waren alle in ihren Feiertagskleidern und lagen, ein altes Kirchenlied singend, in dichten Haufen auf de» Knieen längs der Allee, die zu der Dorfkirche führte. Ich sprang zum Pförtchen hinaus und kletterte an den Baumstämmen und Sträu chern in die Höhe, bis ich eine offene Stelle erreichte, von wo ich mit Theil- ') Nervis, ^ouuxest bleiubor vk tbv t-»<ro;'es» IHM),; or, » NeviUeuee iu HelgrsSe, suU 1>sve!s i» Me UixMsuS« s»u ßMsrtsuUs ol Me lutenor, <I»r>»8 Mo 7«sr, UM »»S IM. p^ou, «sg. l-ouUo«, IM. nähme und Bewunderung aus daü seltene Schauspiel hinabblickte. Die ganze Schlucht stellte einen grünen Rasenplatz dar, der gleichsam mit einem Teppich von Weiß und Roth — den LieblingSfarben der serbischen Nationaltracht — bedeckt war. I» der spurlosen Einsamkeit der mich umgebenden Wälder schien ich einer Versammlung aus den ersten Zeiten des ChristenthumS beizuwohuen, als in den prächtigen Tempeln der Weihrauch noch zu den Gottheiten des Olpmp aufflieg, während man den wahren Gott nur in den Schlupfwinkeln der Naubthiere, in finsteren Höhlen und unterirdischen Grotten anbetetc. Nach Beendigung des Gottesdienstes konnte ich die Kleidung der Bauern näher untersuchen; die Frauen trugen ein Obergcwand von ungefärbtem Tuch, mit rothem Tuch von feinerer Qualität besetzt; die Strümpfe glichen in Farbe und Stoff den persischen, waren aber uni die Knöchel mit Gold- und Silberfäden brodirt.... Als ich nach dem Mittagsmahl in Begleitung der Mönche Hin abstieg, fanden wir den vor kurzem so lebhaften Hofraum einsam und ver- lassen. „Haben sich die Leute schon alle zerstreut?" fragte ich. Der Jgumen lAbt) lächelte, ohne mir zu antworten: als ich aber aus der Pforte trat, hielt ich von unwillkürlicher Bewegung ergriffen still. Die Bauern waren alle in zwei Reihen ausgestellt und standen mit unbedecktem Haupt in feierlicher Stille, indem sic ein lebendes Spalier bis zur Brücke bildeten. Der Jgumen gab hierauf das Vergnügen zu erkennen, das mein Besuch ihnen gewährt habe, dankte mir in ihrem Namen und wünschte mir eine glückliche Reise, wobei er sich eines Ausdrucks bediente, den ich schon früher gehört hatte: „Gott sey ge lobt, daß Serbien endlich den Tag sieht, wo Fremde aus fernen Ländern kom- men, um unser Volk zu sehen und kennen zu lernen!" — Ich nahm meinen FeS ab und sagte: „Wißt Ihr, Vater Jgumen, waö mich hier am meisten er- frent hat? Ich bin mitten unter dem versammelten Volke gewesen, ohne eine Spur von Armuth, Laster oder Elend wahrzunehmcn — ein Beweis, daß sowohl die bürgerlichen als geistlichen Behörden ihre Pflicht lhun." Ein be friedigtes Lächeln zeigte sich auf dem Antlitz des Jgumen'S; er hielt dem Volke eine kurze Rede, während ich mein Pferd bestieg, und als ich der Versammlung mit der Hand meinen Abschied zuwinkte, ertönten die Klosterglocken, und ein herzliches; 8rerni put! (Glückliche Reise!) wurde von tausend Stimmen wiederholt. Die Scene war so rührend, daß ich mich kaum der Thräncn ent halten konnte." Auch in Serbien beginnt indessen der Kampf des Neuen mit dem Alten; die Gebräuche des Orients treffen hier mit der westeuropäischen Kultur zu sammen und theilcn sich in zwei getrennte, wenn nicht feindliche Lager. In Belgrad erinnern die handeltreibenden Deutschen, die fremden Konsulate, die in ihren politischen Artikeln so behutsame „Staatszeitnng", die literarische Gesellschaft und ein serbischer Musen-Almanach, „die Taube" genannt, an Europa; im Innern wirb mau durch das Zigeunerleben der Waldbewohncr, die paschagleichc Würde des Natschalnik oder Kreishauptmanns, mit seinem Divan, seinem Tschidnk und seinen weiten Beinkleidern, durch die gleichgültige Indo lenz der Männer und die Sklaverei der Frauen nach dem Orient versetzt. Die geringe Achtung, die sie dem weiblichen Geschlechte zollen, giebt dem häuslichen Wesen der Serbicr einen etwas zu orientalischen Anstrich, obgleich einzelne, mit ungewöhnlicher Charakterstärke begabte Frauen, wie die berühmte Fürstin Ljubitza (Gemahlin des Miloschi, den National-Vorurtheilen zum Trotz einen bedeutenden Einfluß auf ihre Landsleute erworben haben. „Im Innern des Landes gelten die Frauen durchweg für Geschöpfe einer untergeordneten Klaffe, in der Jugend nur zum Spielwcrk, un Alter nur zum Krankendienstc tauglich. Diese Begriffe scheinen nicht so sehr von dem vierhundertjährigcn türkischen Joche herzurühren, als in den slavischen Nationalsitlen zu wurzeln, da sie vor wenigen Mcschenaltcrn auch in Rußland vorherrschten. In Belgrad hat man über diesen Punkt bereits die europäischen Ansichten zum Muster genommen, und es ist nicht zu bezweifeln, daß sich diese bald über ganz Serbien verbreiten werden. Der Wcibcrraub war m früheren Zeiten ein sehr gewöhnliches Er- cigniß. Ein Jüngling, dem eS nach einer Braut gelüstete, rief seine Gefährten zusammen, überfiel mit ihnen ein Dorf und schleppte ein Mädchen mit sich fort, welches er sich im nächsten Walde von dem ersten besten Priester antrauen ließ. Hierauf begannen die Unterhandlungen mit den Aeltern, die meistens ein erwünschtes Ende nahmen, da bas Mädchen nicht selten die heimliche Ge liebte ihres Räubers gewesen war und die anderen Dorfbewohner der Familie zuredcten, den Streit in der Güte abzumachen. Waren jedoch die Verwandten entschlossen, eS zu einer gerichtlichen Klage kommen zu lassen, so wurde die Braut zuerst befragt, ob sie in die Entführung eingewilligt habe? Bejahte sic dieses, so fand eine allgemeine Versöhnung statt; leugnete sie eS aber, so mußten die Räuber eine Geldbuße entrichten. Kara-Georg that diesem Un-