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vr. S30. Lcip)ig. «ilchcinl prti« »ierteljLhrUch 1«. SVPs. J«d« ei»,U»e N»m»rr »Pf. DtuWc Mgcmcmc Zcitmg. »Wahrheit »d Recht, Freiheit >ud Sesetz!» Tome erst» i, 2. Oü-ter 1»79. Inserat« find «» di- «rp-ditt»» t» »» I»s»rti»»»,rb«tzr M- »ie SP-Id-t-il« « »»»-- «»»q-»«»» Pf. Telegraphische Depeschen. * Aertiv, 30. Sept. In der am 29. Sept, unter dem Vorsitz de- StaatSministerS Hofmann abgehaltene« Plenarsitzung des Bnnde-rathe- wurde zunächst von der Ernennung de« großherzoglich badischen Fi- nanzrath«-'Scherer zum stellvertretenden Bevollmäch- lizten für das Großherzogthum Baden Mittheilüng gemacht. Sodann wmden Vorlagen betreffend a) die Tagegelder, Fuhrkosten und Umzugskosten der ReichS- Leawten, und d) die Desinfektion der Eisenbahnvieh wagen im Verkehr mit Belgien den zuständigen Aus schüssen überwiesen. Ueber Anträge wegen Besetzung erledigter Stellen bei den DiSciplinarbehörden sowie Festsetzung der bei der Pensionirung anrechnungsfähigen Dienstzeit mehrerer Beamten wurde Beschluß gefaßt. Demnächst schritt die Versammlung zur Wahl von Mitgliedern der Verwaltung des ReichS-Jnvaliden- fondS auf «ine dteijährige Periode vom 1: Oct. d. I. ab^ ..Die Wahl fiel auf den königlich bairischen Ober- regierungSrath Frhtn. v. RäSftldt, den königlich sächst- scheu Wirkl. Geheimrath v. Nostitz-Wallwitz und de» glvßherzoglich badischen Finanzrath Scherer. Weiter wurden die bisherigen Mitglieder der Reichs-Schulden- commisfion wiedergewähtt. ' Den Schluß bildete die Verlegung von Eingaben, welche den betreffenden AuS- schuffe» zugetheilt wurden. * Straßburg i. L., SO. Sept. Nachdem der Qberpräsident v. Möller gestern eine große An zahl Abschiedsbesuche von den Präsidenten und Mit gliedern des LandeSauSschusses und andern Beamten sowie von dem Direktorium der Kirche Augsburgischen Confessio» und von verschiedene« Notabel« empfangen und sich heut« Vormittag von seinen Beamten verab schiedet hatte, hat derselbe heute Mittag um 1 Uhr 10 Min. seine Abreise über Mainz, Frankfurt und Kassel angetreten. Im Bahnhof« hatte» sich derGou- vcrneür General v. Schkopp, die- Generale Bauer und v. ZiemW',. Mtd die Spitzen der Civil- und Stadt- herzlicher, mehrere Damen überreichten Bouquet«. Al der Zug die Bahnhofshalle verließ, wurde ei» drei malige- Hoch-aüSgebracht. Der Statthalter General- feldmarschäll v. Manteuffel wird erst morgen er« wartet. Der UnterstaatSsecretär Herzog ist heute Nachmittag 2*/z Uhr eingetroffen und auf dem Bahnhofe von zahlreichen Beamten empfangen worden. * Straßburg i. L., 30. Sept. Der Oberprä- fident v. Möller veröffentlicht Folgendes: Nachdem da» Oberpräsidium aufgehoben und die Ver waltung de» Lande» andern Händen anvertraut worden ist, lege ich heute mein Amt nach achtjähriger Verwaltung nieder und sage der Wackern Bevölkerung des Reichslandes ein herzliches- Lebewohl. Ich hinterlasse dem Lande eine regel mäßige und auf allen Gebieten erfolgreiche Verwaltung, Ordnung und Gleichgewicht der Finanzen bei Verminderung der StaatSabgaben und eine politische Vertretung, durch welche es sich auf dem rechten Wege weiter helfen kann. Ich scheide mit dem Bewußtsein, daß mein beständige« Streben, der Bevölkerung de» ruhigen Uebergang in die neuen Verhältnisse zu erleichtern, gute Früchte getragen hat. * München, 30. Sept, nachmittags. In der heu tigen Sitzung der Abgeordnetenkammer wurden zunächst die Austrittsgesuche der Lbg. Horn, Merkle und Kraußold genehmigt. Hierauf legte der Finanz minister da« Budget pro 1879/80 sowie einen Gesetz, entwurf über einen Zuschlag zur Malzsteuer vor. Da bei dem Budget sich ergebende Deficit beträgt 25 Mill., der beantragte Malzsteueraufschlag beträgt 1 M. pro Hektoliter Braumalz. Der Minister sprach die Hoff- uung aus, daß da- Deficit durch die höher» Zollein- nahmen um 9 Mill, gemindert werden würde und daß der Malzsteueraufschlag bei sofortiger Einführung eine weitere Entlastung des Deficit- um 5 Mill, herbei führen werde. Diese Entlastung de- Deficit- werde fich auf 3 Mill, verringern, wenst der Malzsteuerauf» schlag erst am 1. Juli k. I. eingeführt werden sollte. DäS Deficit werde-sich sonach auf 13 Mill, ermäßigen. Zu dessen Deckung sei eine Vermehrung der directen Steuern nicht zu umgehen, diese werde aber nicht stationär bleiben, da schon in dir nächsten Finanzperiode ein höherer Ertrag au- de» Zolleinnahmen zu erwarten sei. * Wien, 30. Sept. Wie die Wiener Zeitung mel det, hat der Kaiser in einem Handschreiben vom 27. Sept, dem Fürsten Karl v. Suer-perg die von demselben aus Gesundheitsrücksichten wiederholt nachgesuchte Enthebung von den Functionen als Prä sident des Herrenhaus«- gewährt und demselben für die von ihm bewiesene Opftrwilligkeit und patriotische Hin- gebung seinen wärmsten Dank ausgesprochen. * Lom, 30. Sept. Der hiesige österreichische Bot schafter Baron v. Haymerle begab sich gestern «ach dem Bahnhofe in Mailand, woselbst sich auch der Ministerpräsident Cairold auf der Durchreise nach Caserta cinfaud. Beide Staatsmänner hatten daselbst «ine längere Unterredung. * Madrid, 30. Sept. Infolge der bereits ge meldeten Beschlagnahme vou compromittirenden Schrift- Laue« goss» mehrere Verhaftungen vorgenommen worden. *Pari«, 30. Sept. Der Soleil erklärt, au« autorisirter Quelle, die Nachricht von einer bevor stehenden Zusammenkunft des Fürsten Gortschakow mit dem Fürsten Bismarck sei unbegründet. Fürst Gortschakow verlasst erst Ende October Baden-Baden. (S. jedoch unter Deutsches Reich.) * London, 30. Sept. Dem Reuter'schen Bureau wird auö Simla gemeldet: „Dakla wurde am 29.Sept. widerstandslos besetzt; in Kabul herrscht Ruhe. Ge neral Roberts hatte gestern eine Unterredung mit dem Emir Jakub-Khan; letzterer versprach Hülfe sowie Transportmittel und Proviantvorräthe." *Sukarest, 30. Sept. Fürst Alexander von Bulgarien ist mittags auf dem Bahnhofe Cotroceni eingetroffcn; Fürst Karl mit glänzender zahlreicher Suite sowie sämmtliche Minister waren auf den, Baha hofe zum Empfange anwesend. Die Begrüßung der beiden Fürsten war äußerst herzlich. * Wien, 30. Sept. Meldungen der Politischen Korrespondenz au-Konstantinopel: „Die griechi schen Commissare haben die Weisung erhalten, ihre letzte Erklärung, daß Griechenland die DiScussion auf Grund des 13. Protokolls deS Berliner CongreffeS acccptire, aufrecht zu erhalten; dagegen sollen sie die von der Pforte vorgeschlagene Fassung der Decla- ration, daß Griechenland es acceptire, die Grundlage des 13. Protokoll« zu diScutiren, ablehneu. — Der englische Botschafter Layard wird am 10. Oct. hier zurückerwartet." * Lonstantinopel, 29. Sept. In einer heute unter dem Borsitz des Sultans stattgehabten außer ordentlichen CabiuetSsitzung wurde über das Deficit des Budgets berathen. Der Sultan hielt eine längere Rede, in welcher er hervorhob, er habe den befreundeten Mächten da« Versprechen gegeben, persön lich über die fiscalischen Reformen zu wachen; er wolle den Credit des Reiche« retten und sei daher gegen jedwede äußere oder innere Anleihe; er empfehle vor allen Dingen eine Entwickelung der inner« HülfS- mittel des Landes. «Keuxork, 30. Sept. Nach aus Mexico hier eingegaugenen Nachrichten ist der Congreß am 16. Sept, vom Präsidenten Porfirio Diaz mit einer Botschaft eröffnet worden, in welcher hervorgehoben wird, daß die Beziehungen Mexicos zu den fremde» Mächten die freundlichsten seien, und daß insbesondere die Herstellung eines vollen Einvernehmen« mit der Nordamerikanische» Union durch keinerlei neue Schwierigkeiten erschwert worden sei. Die finanzielle Lago habe sich gebessert und in der großen Republik herrsche Ruhe und Friede«. Die Rechtseinheit im Deutschen Reiche. — Leipzig, 1. Oct. Am heutigen Tage trete« bx-anEch -ie »enau Iufi^gtsetz« Ke da« Deutsch« Reich allenthalben in Wirksamkeit, und damit ist die Rechtseinheit im Reiche zum größt«« Theil abgeschlossen und vollendet: formell, d. h. was die Proceßordnunge« betrifft, ganz, materiell, neben dem schon seit 1869 einheitlichen Strafrecht und dem zuerst durch Ver einbarungen der Regierungen, dann durch die hinzu tretende Reichsgesetzgebung einheitlich gestalteten Han dels» und Wechselrecht, auch auf dem so wichtigen Gebiete des ConcurSrechtes, während allerdings die andern Theile des bürgerlichen Rechtes noch der Gemeinsam keit und zugleich der zeitgemäßen Umgestaltung harren, welche daS in Arbeit befindliche „Bürgerliche Gesetz buch für Deutschland" ihnen geben soll. Endlich ist auch, wie dies nicht anders sein konnte, die Gerichts verfassung eine gemeinsame und gleiche für alle deutschen Staaten geworden (gleichzeitig mit einer all Berliner Briefe. Serbin, im September. Ständen wir nicht unmittelbar vor den Wahlen, so wäre das politische Leben in unserer guten Reichshauptstadt ziemlich gleich Null, zumal der herrliche Spätsommer mit seiner Temperatur, die an die heißesten Tage eines regel rechten ZulimonatS erinnert, noch nicht dem kühlen Herbst seine Herrschaft abtreten will. Aber auch die Apathie im berliner Volke gegen alles, waS Wahl heißt, ist sehr stark. Das Drei klasseusystem au« der Manteuffel'schen Periode, die wol Demokraten, aber noch nicht die unerbittlichen Intransigenten der rothen Socialdemokratie kannte, war doch eine ganz schlaue Erfindung, die indessen in der ReactionSzeit, die der Aera des Fürsten Bismarck voranging, gegen die Regierung ihre Spitze kehrte, indem daS wohlhabende Bürgerthum sich mehr nach links als nach rechts wandte. Ein Centrum, wie eS im Deutschen Reichstage zu Gericht sitzt, kannte man noch nicht in solcher Ausdehnung, wie sie das all gemeine direkte Stimmrecht geschaffen hat, eS waren zur Zeit der Erstehung dieses die conservativen In teressen erhalten und fördern sollenden Wahlsystems die Parteien noch nicht in so viele größere und kleinere Gruppen getheilt wie jetzt, wo selbst der scharfsinnigste Staatslenker nicht mehr recht weiß, mit welcher dieser Gruppen er e« halten soll. DaS lange behauptete Vorrecht, die feste Burg der Fortschrittspartei zu sein, wird Berlin auch dies mal wol nicht fallen lassen; ob seine früher» Vertreter mit denselben glänzenden Majoritäten aus dem Wahl ¬ kampf hervorgehen werden, ist freilich zweifelhaft, wenn man erwägt, daß die Conservativen in Verbindung mit den Christlich-Socialen einen BolkSverein gegründet haben. Dieser Verein hat mehreremal stark besuchte Versammlungen abgehalten, in denen zwar mit vielem die Noth der Zeit au-beutendem Geschick, aber doch mit wenig christlicher Liebe die Iudenfrage (als ob wir in Rumänien lebten!) aufs Tapet gebracht und die, ich kann eS nicht leugnen, gegen dw berliner Juden (eS sind jetzt ihrer 45000 in Berlin, die eine enorme Geldmacht repräsentiren) ziemlich erbitterte Stimmung de« Volkes ausgenutzt ward. Al« ein wahrhafter Herold des christlich-socialen StaateS (den übrigens niemand mehr haßt als der richtige Socialdemokrat) tritt der Hofprediger Stöcker in die Schranken, der als Verkündiger der christlichen Liebe und Duldung allerdings eine sehr schwere Stel lung hat, wenn er die Juden nicht in ihrem Glauben, sondern als rücksichtslose Geldmacht, der alle Mittel recht sind, wenn sie nur nicht gegen das geschriebene Gesetz verstoßen, angreifen will. In seiner Wahl flugschrift: „Unsere Forderungen an das moderne Juden- thum", vermeidet er mit sorgfäligster Dialektik jeden Angriff auf das Iudenthum als religiöse Körperschaft, aber er gibt ihm mit der salbungsvollsten Miene von der Welt doch scharfe Hiebe, worüber die unter jü dischem Einfluß stehenden Blätter in Wuth gerathen. In einer von diesen christlich-socialen Versamm lung kamen auch als Gegner dieser so ganz eigen artigen Stöcker'schen Philippiken zwei Juden zum Wort, die ganz vernünftige Ansichten vorbrachten, auch man- chen Beschuldigungen, die das Volk in Betreff der auSgebeuteten Nothlage den Juden in die Schuhe schiebt, gerade nicht unrecht gaben. Ich muß nun für meine Person gestehen, daß ein solche« Gezänke zwi schen Christen und Juden, namentlich wenn ein christ licher Geistlicher sich zum Organ solcher Zänkereien macht, höchst unerquicklich, übrigens damit dem wohl gefüllten Beutel des auSerwählten Volkes auch nicht beizukommen ist. Es ist wahr, die national-liberale Aera hat daS Judenthum an Macht und Einfluß sehr gefördert, aber es darf auch nicht geleugnet wer den, daß die berliner Juden nicht allein an der Börse und in der Presse ein rühriges Volk sind, daS seinen Profit gründlich versteht, sondern auch dem berliner Gemeinwohl tüchtige und uneigennützige Männer ge stellt haben, und daß wir für ein solches einträchtige« Zusammenwirken vorurtheilsloser Christen und Juden doch der Toleranz unserer vorwärts strebenden Zeit nur dankbar sein können. Weshalb also die so schon genug erbitterte Stim mung noch verschärfen? Den Juden wird dadurch ihr Geld nicht abgenommen. Wer von den christ- lichen Männern so thöricht ist, die Goldene 110 in der Leipziger Straße aufzusuchen und seine Garderobe zu Schleuderpreisen renoviren will, wer auf die faulen Verse, mit welchen Hr. Cohn besagte Goldene 110 tagtäglich anpreist, etwas gibt, statt zu einem reellen christlichen Schneidermeister zu gehen, dem ist nur da durch zu helfen, daß er durch Schaden klug wird. Wenn der Handel von Juden «uSgebeutet wird und der Handwerker, der für die JudenbazarS Kleider und Stiefel liefert, kaum das liebe Brot verdienen kann und schlecht arbeiten muß, weil die Preise lächer.