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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.04.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-04-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070427014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907042701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907042701
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1907
-
Monat
1907-04
- Tag 1907-04-27
-
Monat
1907-04
-
Jahr
1907
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Umgebung die 6gespaltene Petitzrile25 Pf., finanzielle An zeigen 30 Pf.. Reklamen 75'Pf.; von auswärts 30 Ps., Reklamen 1 M.; vom Ausland 50 Pi., fiuanz. Anzeigen 75 Pf., Reklamen 1.50 M. Inserate v.Behörden im amtlichen Teil 10Pf. Beilagegebühr 5 M. p. Tausend exkl. Po > gebühr. GejchäftSanzeige» an beoormglec Stelle im Preise erhöht Rabat! nach Tari Frsirrteilte Aufträge können nicht zur ick - gezogen werden. Für das Ersctieiuen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: AugustUSVlatz 8, bei sämtlichen Filialen n. allen Annoncen- Expeditionen des In- und Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: CarlDu n cke r,Herzgl.Bayr.Hofbuchhand!g., Lützowslraße 10 (Tel. VI, 4603. Nr. 1!6. Sonnabend 27. April 1907. lOI. Jahrgang. Vas WicktiaE vsm Lage. * Bei der gestrigen NeichötagSwahl im Wahl kreise Glauchau-Meerane wurde der Sozialdemo. krat Molkenbuhr mit 17 165 Stimmen gegen den nativ- nalliberaleu Kandidaten Dr. Elanß, der 12 710 Stimmen erhielt, gewählt. (Am 25. Januar erhielt der Sozialdemo- trat 16 682, der Nationalliberale dagegen 13 453 Stimmen.) * Die B u d g e t k o m m i s s i o n des Reichstages be willigte gestern die Etatforderung zum Grund erwerb für die Errichtung eines Reichsmilitär- gerichtsgebäudes und erledigte dann den Kolonial etat. (I Dtschs. R.) * Der Dampfer „Borussia" ging gestern mit dem Ablös ungstransport für das Kreuzergeschwaoer in Ostasien von Wilhelmshaven aus in See. (S. Dtschs. R.j * Der Gesetzentwurf über die Bestrafung der Majestätsbcleidigung ist gestern dem Reichs- t a g zugegangen. »L. Dtschs. R. und Letzte Dep.) * Im englischen Nnterhause fand eine neue Debatte über die englische Friedenspolitik statt. (S. Ausl.) Zesiro v. putllrsmer. Auf einen Verweis und 1000 -6 Geldstrafe haben die kaiserlichen Disziplinarricktter in Potsdam erkannt. Und Herr Jesko v. Puttkamer hat ihnen dafür eine mehr als korrekte, eine verbindliche Verbeugung gemacht und darauf ungeknicki das Lokal verlassen. Das ist der Ausgang des ultramontanen Kesseltreibens gegen den ehemaligen Gouverneur von Kamerun. Befriedigt er Las Gerechtigkeitsgefühl? DaS ist die Fraae. Wir glauben, sie ist nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Je nach individueller Veranlagung und Er ziehung und den wechselnden Moralbegriffen der Umgebung wird die Antwort verschieden auSsallen. Und vor allem wird die persönliche Siellung zu einem Punkt, zum puncto puucdi, über den in PorSdam gar nickt verhandelt wurde, ausschlaggebend fein. Wer von einem Gouverneur aus Prinzip oder seiner hoben und exponierten Beamtenüellung wegen, AbslinentenquaUläten verlangt, wird die Angelegen heit anders sehen als der in sexuellen Dingen Nachsichtige, der auch in einem Gouverneur noch den Menschen siebt. Beinahe möchten w.r sagen, eS ist ein wenig kleinlich und philisttöS, zeugt auch von nur gel'ndem Selbstbewußtsein, einen Gouverneur allein seiner Stellung wegen unter die moralischen Uebermenscken zu versetzen. Vielleicht trägt die systematische Verzerrung der geschichtlichen Persönlichkeiten in der Schule ein gut Teil Schuld daran, baß das Volk sich die Heroen nur in tull vregs und nie in Unterhosen vorsteüen kann. Wie ost erscholl Napoleons Ruf: Uns komme! Und die Liebfchasteu Goethes sind auch dem liebevollsten Literarhistoriker wegen ihrer Fülle eine Plage. Nun, auch Jesko v. Puttkamer gehört zu der Sorte Menschen, die in sexueller Beziehung nicht den Moral anforderungen der höheren Töchierichule ent'prechen, sonst aber tüchtige Kerle sind. Wir sind geneigt, auch einen Gouverneur als Mitmenschen zu betrachten, und das Mora lisieren möchten wir Berufeneren überlassen. Es kommt dazu, daß Herrn v. Puttkamer aus seinem Verhalten der Eckardt gegenüber wertere Vorwürfe nicht zu macken sind. Vielmehr hat sich der Kavalier, nach allem, was bekannt ge worden, ihr gegenüber stets einwandsfrei benommen. Was ihm als Beamten zur Last zu legen ist, resultiert sogar uno lediglich aus einer zu weit getriebenen Rücksichtnahme gegen über der Person, aus der Tradition, auch in der leichtsinnigen und käuflichen Frau noch die Dame zu sehen. Was ist in Potsdam bewiesen worden? Herr v. Putt kamer hat, infolge einer List der Eckardt, seine Geliebte mit an seinem Amtssitze gehabt und sie als seine Cousine und als eine Freiin v. Eckarbstein auszezeben. Daß sie seine Cousine nicht war, wußte er wahrscheinlich. Daß sie keine Freiin v. Eckardsiein war, will er nicht gewußt habeu. Das klingt so ohne weiteres unwahrscheinlich. Wenn man aber aus den Verhandlungen einen Begriff von der pathologischen Lügensucht der Eckardt bekommen hat, so will eS einem gar nicht mehr so absurd vorkommen, daß auch Herr v. Puttkamer getäuscht worden ist. Wir vermute», JeSko der Leichtsinnige hat sich gar nicht klar werden wollen über die Familieuverhältnlsse seiner Geliebten. Ihm war eS gleich, ob die Maitreffe Eckardt oder v. Eckarvstein hieß, ob sie adelig oder bürgerlich war. Darin war er ver mutlich ganz vorurteilsfrei. Ihm genügte ihre Person. Und als es an daS AuSstellen eines Passes ging, da hat er ibr den Gefallen getan, sie v. Eckardstem zu schreiben, vielleicht nicht im allerbesten Glauben, sondern eben ohne Prüfung und um sie schleunigst los zu werden. Die Ausstellung eines zweiten Passe- ist nicht erwiesen. Der Fall hätte schlimmer gelegen, renn nach der Beanstandung der Personalangaben der Eckardt durch die Berliner Polizei mußte Herr v. Puttkamer an dem freiherrlichen Namen zweifeln. Was ist ihm sonst noch au Verfehlungen nackgewiesen wordeu? Eine formell vielleicht nicht geschickte, sachlich aber durchaus gerechtfertigte Rücksprache mit einem richterlichen Beamten der Kolouie. Der Gouverneur bat aus pflicht- gemäß-r Sorge um die Ruhe und Wohlfahrt der Kolonie einen Neuling gewarnt, an die afrikanischen Verhältnisse und Menschen einen europäischen Maßstab zu legen. Dalür bat er den Verweis bekommen. Und man wird sagen dürfen, das Vergehen, soweit es überhaupt als solches gelten kann, ist damit reichlich gesühnt. E« soll aber auch nickt vergessen werden, daß in Potsdam sestgestellt worven ist, wie hervorragend tüchtig der Gouver- n«r i» Kamen« gewirkt hat. Er hat die Kolonie wirt schaftlich gelund gemacht. Alle Anschuldigungen, als habe Herr v. Puttkamer irgendwelche unlautere Beziehungen zu Kapitalisten unterhalten, haben sich als bloße Ver dächtigungen herauSgestellt. Als Beamter war der Mann eine ganz hervorragende und, trotz penönlicken Leichtsinns in Geldangelegenheiten, völlig intakte Kraft. Bleibt also die leidige, zehn Jahre zurückliegende Paßangelegenheit. Man sollte meinen, auch sie sei gesühnt. Vielleicht hätte die Strafe höher bemessen werden können. Aber es bleibt zu beachten, daß in dem Uiteil sieht, der Gelichichof habe die Lira e der Dienstentlassung „weit von sich gewiesen". Zar Verurteilung mußte es gleichwohl kommen. Es blieb d'e Möglichkeit, auf Verweis oder aus Geldstrafe zu erkennen. Der Gttichtskos hat die schwerere Stiafe ge wählt und den Grad der Verfehlung damit wohl genügend zu charakterisieren geglaubt. Die Strafe liegt gewissermaßen mehr in der Strai art als in der Höhe der Summe. So ist wohl das Urteil zu verstehen. Nach die'cm Finale, denn hoffentlich giebt eS von keiner Seite eine Berufung, muß aber doch aus die D sharmonie bingcwiesen Werken zwucken dem gewaltigen Laim der Kolomalenthüller, über deren Motive die Missionen wobl den besten Aufschluß geben löhnten, und den schließlich ans Licht ge.errten Bor-,äugen. Wo ist denn in vielem Falle drc schreckliche Korrupiion? Wo ist der gen Himmel stinkende Sump? Wenn die Himmlischen nie ärgere Gerüche zu ertragen hätten als die dcS Cousi.icheuhislörchens, düisleu sie ganz zufrieden sein. ssortrervakive Einigkeit. Während ein Teil der konservativen Presse und einzelne Parteixrößen gar nicht müde werden zu versichern, daß in der sächsischen konservativen Partei die schönste Einigkeit herrscht, mehren sich fortw^rend die Zeichen, daß die Herr- lichkeit entweder nur in der Einbildung gewisser Pol tiker besteht, oder aber nur noch von sehr kurzer Dauer sein kann. Einen schlagenden Beweis hierfür bildet der Brief, den der allzeit rede- und schreihfreud ge Herr Opitz soeben an den „Dogtländ. Anzeiger" gerichtet hat. Es heißt da u. a.: „Ihre Kollegin (gemeint ist die „Neue Vogtl. Zig "I schwelgt aus Anlaß der Versammlung des Dresdner Kon servativen Vereins in der Erwartung eines Bruches in der konservativen Partei. . . Ich stehe den Ausspracyen nnd Vorgängen auf der Dresdner Versammlung für meine Person s^ern; kann aber nichts in ihnen erbucken, wes die Hoffnungen und Erwartungen des dortigen Blattes auf einen Bruch in der konservativen Parte: rechtfertigte. . . . Soweit die liberale Presse in den fraglichen Aussprachen einen Widerspruch mit konserva tiven Grundanschauungen erblicken und triumphierend be reits verkünden zu können vermeint, der sächsische Kon servativismus schwenke mit fliegenden Fahnen zum Na- tionalliberalismus über, dürsten, wie das auch die „Deutsche Tageszeitung" schon ausge führt, lediglich Irrtümer und Mißverständnisse in der Auslegung jener Aussprachen die Feder geführt haben. Obwohl das Plauensche konservative Blatt uns ob unseres Mangels an Begeisterung für „den trefflichen Abgeordneten für Freiberg, Tr. Wagner," in einem ebenso langatmigen, wie nichtssagenden Leitartikel, dessen Schluß der erwähnte Brief des Herrn Opitz bildet, zu Leibe zu gehen sucht, hätten wir doch kaum Veranlassung genommen, auf den Angriff zu reagieren, wenn nicht zufällig unmittelbar vor diesem ful minanten Artikel in der „Deutschen Tageszeitung" eine kurze Notiz erschienen wäre, die in Verbindung mit jenem Briefe die Zustände in der sächsischen konservativen Partei mit er staunlicher Klarheit enthüllt. Das Berliner Blatt schreibt im Anschluß an unsere Bemerkungen über die Ausstellung eines nationalliberalen Kandidaten im 2. städtischen Land tagswahlkreise: Die Herren Nationalliberalen wollen also einen eigenen Kandidaten aufstellen, weil die Konservativen Re for m v o rsch l äg e gemach t haben, die in der Richtlinie nationalliberal er Be - strebungen liegen. Das scheint auf den ersten Blick sehr verkehrt zu sein, ist aber, wie wir den National liberalen gern zugestehen wollen, taktisch sehr klug. Sie wollen sich von den konservativen Neformpolitikern den Wind nicht aus den Segeln nehmen lassen. Die Herren um Beutler dürften nunmehr einsehen, wie recht wir hatten, als wir sagten, daß ihre Neformbe st re- bungen ihnen taktisch wenig nützen würden. Zunächst müssen wir bemerken, daß die charakteristischen Sperrungen in der Notiz nicht von uns herrühren, sondern gleifalls ans der „Deutschen Tageszeitung" übernommen sind. Und diese Sätze haben einen eigentümlichen Bei geschmack. Sie zeigen nämlich, daß man von seiten der „Deutschen Tageszeitung" den Wert der Beutlerscken Re formen überhaupt mir mit dem Maßstab mißt, ob sie tak tisch wertvoll sind, wenn man nicht gar damit sagen will, daß sie überhaupt nur aus taktischen Rücksichten gefordert werden. W i r hatten bekanntlich die Ehrlichkeit der Ueber- zeugung, die sich bei Herrn Beutler in diesen Reform vorschlägen ausspricht, nicht angezweiselt. Ihre aus schließliche Einschätzung auf den taktischen Wert blieb dem Präzeptor der sächsischen Konservativen vorbealten. Allzu schmeichelhaft ist diese Wertung nicht. Das Interessanteste an der Sache aber ist das eigentüm liche Zusammentreffen der beiden konservativen Kund gebungen. Es beweist ganz klar, daß in der sächsischen kon servativen Partei nun schon drei verschiedene Strömungen miteinander ringen. Die eine ist die der relativ fortschrittlich Gesinnten um Deutler, der zweiten ge- hören diejenigen Konservativen an, die zwar den Beutler- schen Vorschlägen nicht zustimmcn, oder — wie Herr Opitz sich vorsichtig ausdrückt — den Vorgängen aus der Dresdner Versammlung „fernstehen", aber deswegen die vielgerühmte Einigkeit in der Partei nicht in die Brüche gehen lassen, son dern sie lieber dazu benutzen möchten, unsichere Elemente wenigstens bei der kommenden Landtagswahl noch zu den Fahnen der Konservativen zu locken. Die dritte Gruppe end lich ist die der unentwegten Anhänger der alten agrarischen Jntercsseiipolitik, deren Sprachrohr, die „Deutsche Tages zeitung". die Revisionisten ganz offen bekämpft. Männer vom Schlage des Herrn Opitz und Blätter wie der „Vogtländische Anzeiger" mögen es bedauern, daß diese Tatsache nun nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. Ver mutlich wäre der lange Leitartikel mit dem effektvollen Brief am Schlüsse etwas anders ausgefallen, wenn man die Notiz der „Deutschen Tageszeitung" vorher gewußt, resp. beschiel hätte, aber gegen solche unangenehme Zufälle kann sich eoen selbst der „Vogtl. Anz." nicht schützen. Herr Opitz irrt sich jedoch in einem anderen sehr wichtigen Punkte, nämlich, wenn er meint, die Nationalliberalen hätten ein Interesse an der Spaltung der konservativen Partei. Es ist ihnen völlig gleichgültig, ob die einzelnen Gruppen nominell vereinigt bleiben oder nicht. Tie Stellung aller Liberalen zu den Konservativen in der sächsischen Politik ist festgelegt und kann durch die Spaltung ober Einigung der Partei nicht er schüttert werden. Das beweist am besten die Aufstellung des nationalliberalen Kandidaten im 2. Landtagswachlkreise. Was ist aber an der vielgerühmten Einigkeit noch zu retten, wenn ein führendes konservatives Organ den Revisionisten sogar geringen taktischen Wert ihrer Neformbestrebungeu vorwirst? ver fall gurlitt. Ein Erzieher der Erzieher Von Robert Sandel. Im ersten Kapitel des bekannten Buches über die „Er ziehung zur MannHastigkeit" spricht Professor Dr. Ludwig Gurlitt von de- Bestimmung des De- grnfes Persönlichkeit. Da steht auf der ersten Seite eine leicht bingeworsene Bemerkung, ein halb ironisches Wort: „Was Persönlichkeit ist, darüber muß ich wohl bei Professor Wundt nachlei'en, sagt mir der Herr Direktor." Gurlitt meint zwar, das müsse er nicht, das wisse er aus eigenem Gefühl, ohne es de: anderen Autoren nachzulesen, das lasse sich nicht bestimmen, sondern nur umschreiben. Gurlitt hat recht. Aber der ironisierte Herr Gymnasialdirektor hat auch recht, wenn er dem Erzieher Literatur nachweist und empfiehlt. Tie Adresse war freilich falsch gewählt. Nicht Wundt ist es, den ich Gurlitt zur Lektüre empfehlen würde, Wundt treibt nur physiologische Psychologie und was dem Erzieher *ehlt, das ist charakterologische Psycho logie. Würde Gurlitt dem Rate folgen, würde er seine Sache nicht allein auf eigen« Erfahrungen stellen, sondern sich fremde Forschungsergebnisse aneignen, dann würde sein erster Gewinn vorerst ein Verlust sein. Gurlitt würde skep tischer werden, an sich und seinen Nesormvorschlägen irre werden, würde sehen, wie für di« Menschenlwickelung Anlage unendlich mehr bedeutet, als Erziehung, würde die von der Natur selbst sestgesleckten Grenzen oben und unten wahr nehmen, seinen Tätigkeitskreis sich verringern sehen, Distanz zu sich selbst gewinnen, kleinmüriger werden. Dann hätten wir au Gurlitt einen nicht nur erfahrenen, sondern auch sich in stiller Kleinarbeit resignierenden Päda gogen. Dieser Gurlitt wäre innerlich wertvoller, als der heutige Gurlitt. ?lber er wäre wirkungsloser. Wir würden durch seine innere Wandlung einen der idealsten Freiheits kämpfer verlieren, einen für sein gutes Recht unerschütterlich, unbeugsam kämpfenden, echten Mann. Der heutige Gurlitt, der berühmte Pädagoge, ist Volks redner, Propagator. Befreier. Er ist seinem Wesen nach zu einer politischen Parteigröße prädestiniert und würde in mancher Fachkommission gesetzgebender Körperschaften viel leicht vorteilhafter wirken, ils das ganze, liebe, große Par lament. Würde Gurlitt seinen „Fall" weniger ernst nehmen und lächelnd darüber binweghuschcn, er wäre innerlich größer, aber wir hätten keinen öffentlichen Kläger, der so wie er es tut, zur Revision der wichtigsten pädagogischen Institutionen zwingt. So haben wir uns denn zu guter Letzt darüber zu freuen, daß Gurlitt ein wenig kleinlich ist un^ öffentlich Rechenschaft für ihm angetanes Unrecht fordert. Es ist ein unerbittlicher Kamps, den er mit den ihm vor gesetzten Behörden Lurchqeiochten hat, und seine literarische Tätigkeit bot den Stein des Anstoßes. So lange Gurlitt als Cicerosorscher eine Reihe philologischer Fachstudien ver öffentlichte, batte weder sein Direktor am Steglitzer Gymna sium, noch das Ministerium etwas gegen ibn einzuwenden. Erst als er die heutigen Zustände an Volksschulen und Gym nasien zu kritisieren begann, Resormvorickläge machte, gegen die unwürdige Stellung der Volks'chullehrer protestierte und dringend vor der Gefahr konfessioneller Schulen warnte, da batte er es mit der ganzen Skala der über ihm thronenden Behörden verdorben, und die Hetzjagd gegen den geraden und offenen Mann begann. Gurlitt gibt eine acnaue dokumentarische Beschreibung aller Phasen dieser Hetze und legt seine Aussagen in dem so eben erschienenen Buche „M ein.KampfumdieWahr- heit" an Eides Statt nieder. Seine makellose Ehrlichkeit leuchtet so klar aus allen seinen ssüheren Schritten hervor, daß man wohl auch an Einzelheiten seiner Angaben nicht zweifeln darf. Eine Antwort der Angegriffenen wird wohl kaum ausbleiben, und so wird sich die Öffentlichkeit in nächster Zeit mit allen Details des für die heute k>err'chenden Zustände typischen „Falles Gurlitt" genügend zu beschäftigen haben. Es ist eine flammende Anklaaeschrift, die Gurlitt veröffentlicht, und es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Dis kussion über sie direkt oder indirekt wohltätige Folgen für di« gesamte Lehrerschaft Preußens zeitigen wird. Er selbst ist nun zur Strecke gebracht worden und hat sein Lehramt niedergelegt. Nun ist er freier, unabhängiger Kläger. Seine Schrift schließt mit einer bitteren Betrach tung über die Stellung des Lehrers im heutigen Preußen. Hier ist das Resümee in großen Zügen, die Belege für die Einzelheiten enthält das Buch selbst. Gurlitt schreibt: „Alle erdenklichen Machtiaktoren sind gegen mich in Be wegung gesetzt worden: Sckmlkuratorium, durch Professor Paulsen vertreten, Provinzialsckulkollegium, M.n sterium, Verein der Freunde des humanistischen Gymnasiums, Philo- loqenverein in Hamburg, unsere bedeutendsten Schulautori täten Matthias, Paulsen. Eauer, die Ortspresse und die all gemeine deutsche Presse, die engeren Berufsaenossen, Studen ten und Schüler und deren Ettern. Gewiß, ich batte durch mein Auftreten zum Streite Anlaß gegeben und bin keinem ehrlichen Kampfe ausgewichen. Vor all den Gegnern, di" mir mit ossrnem Visir entacaengttretcn sind, habe ich den Degen grüßend geneigt. Mein Zorn gilt nur denen, die ich als die „Korrekten und Frommen" bezeichnet habe, die mir auf Schleichwegen nachgingell, in den Rücken sielen, die mich im geheimen an'chuldngen, dunkles Beschwerde, material gegen mich den Behörden zur Verfügung stellen unter Decknamen mich anseindeken und verächtlich machte:: und den geistigen Kampf auf das engste persönlich« Gebic: übertrugen. Ich kann den Zusammenhang all dieser An feindungen nicht Nachweisen. Man Hal Beru'sgenosscn vor dem Verkehr mir mir gewarnt und dann bekannt gcmachk, daß ich mich mit den Kollegen nicht stellen könnte, man ha: mir meinen Beruf durch eine unausgesetzt« polizeilich: Uöberwachung verleidet und dann bekannt gemacht, daß ich ungern Lehrer sei. Es wird unter >er schmerzlichen Aera von Studt einem preußischen Beamten schwer gemacht, seine eigenen Ueberzeugungen zu bekennen und durchzusetzen. Es geht dabei fast auf Leben und Tod, aber zum Glück lassen sich neue Ideen weder erschlagen, noch pensionieren" An keiner Stelle seiner Bücher und in keinem seiner Auf sätze hat Gurlitt das Steglitzer Gymnasium erwähnt. Auch als er schon heftig anqefeindet und angegriffen wurde, wollte er den Kamps nicht auf persönliches Gebiet und in das Hans der eigenen Wirksamkeit übertragen. Seine Gegner Ifaben ihm den direkten persönlichen, prinzipiellen Kampf ausge zwungen und müssen nuu seine Konsequenzen tragen. Deutsches Keich. Leipzig, 27. April. * Tas kaiserliche Paar in Homburg. Der Kaiser und die Kaiserin unternahmen gestern vormittag 7i/z Uhr einen Spazierritt in den Taunus. Später horte der Kaiser im Schlosse die Vorträge der ChcsS des Militär» und des ZivUlabinetts. Zur FrühstückSiafel waren geladen Frau v. Bötticher, die Witwe des StaalSmimsters, sowie Geheimer LegationSrar Sekowski. Zur Abendtafel hatten Einladungen erhallen Regierungspräsident v. Meister und Gemahlin, Landrat v. Marx mit Gemahlin, Kurtirekior Fuhr. v. Maltzahn und Frbr. v. Hehl. * Tie Budgctkomm ssion des Reichstages bewilligte gestern die Etaiforderung von 892 320 zum Gründ er werb für die Erricklung eines Dienstgebäudes für daS Reichsinilitargericht. Sodann gelangte bei der fori- gesetzleu Beraiung des Etats der Schutzgebiete eine Erklärung zur Annahme, wonach für diejenigen Schutz gebiete, die eines Reichszuschusses nicht mehr be dürfen, ein AuSgabenfonds aus den eigenen Einnahmen zu bilden ist, aus dein eiwaige Fehlbeträge Dickung finden köunen. Im Laufe der Beratung über den Etat von Togo, der Annahme fand, kamen eie Zollver- hältnisie zur Sprache. Aus der Kommission wurde die Erhöhung des Zolles für Spirituosen gefordert, uni den Alkoholkousum einzuschränken. Kolonialdircktor Dein bürg erwiderte, die Alkoholsraae müsse vorsichtig geregelt werden, damit man nicht den Schmuggel tördece, ohne den Konsum zu vermindern. Bei dem Titel Zivilver- Wallung wurde von Regieruugsieiie ecllärt, die Land- geiellsckajk habe sich bereit erklärt, an die Eingeborenen Land zurückziigeben. Die V rwaltuug trag: Sorge, daß die Art der Rückgabe den Interessen der E nacboreven entspreche. Nach kurzer Debatte gelangte iodann der E:al für Neuauinea zur Annahme; ebenso der E al für die Kaiottnen, Palao, Mariannen und Marschall-Jnselu. Der Kolonialtiielioe teilt dabei mit, er habe feiner Gei'cllschajt die Konzession zur Gewinnung von Phosphaten erteilt, die drin Reiche wohl in Zuiunjt eine Verzinsung deS Kausprciscs für rie Koloweu bieten weide. Bei der Beratung über den Etat siir Samoa, der von der Kommission als zu üppig bezeichnet wurde, erklärte Ko!onialdirektor Dcrnburg, er habe aus den ersten Blick den gleichen Eindruck gehabt, leine Ansicht aber nach ein gehenden Studium geändert. Der Etat wird angen ommc n. * Bestrafung der Majcstiitsbclcidigung. Der gestern dem Reichstage zugogangene Gesetzentwurf über die Be strafung der Majestätsbelei-igung hat folgenden Wortlaut: „Für die Verfolgung und Bestrafung der in den Paragraphen 95, 97, 99 uns 101 des Strafgesetz buches bezeichneten Vergehen gelten nachstehende Vor schriften: Tie Beleidigung ist nur dann auf Grund der Paragraphen 95, 97, 99 und 101 strafbar, wenn sie b ö --- - willig und mit Vorbedacht begangen wird. Die Vc:- folgung tritt, sofern die Beleidigung nicht ösfenilich Hegang.n ist, nur mit Genehmigung der Landesjuftizverwaltung ein. Für den Bereich der Militörstrasgerichtsbarkeit ist nur in Friedenszeiten die Genehmigung erforderlich. Ihre Er- teilung steht der Militärjustizverwaliung zu. Die Verwigurg verjährt in 6 Monaten. Ist die Strafbarkeit nach Absatz 2 ausgeschlossen, so finden die Vorschrssten des 14. Abschu tics des Strafgesetzbuches (Beleidigung! Anwendung, d. h. also noch den Bestimmungen, die sonst für Beleidigung maßgebend sind. — Allzu erheblich ist diese Reform nicht. Jmmcryin wird sie dazu beitragen, manche der Nnzuiräglüchkeiten und Härten, die die bisherige Praxis mit sich brachte, aiuzuhedcn bezw. zu vermindern. dl>. Ter Entwurf eitles Reichsbcamteu-Hi»terblicl'cucn- GcfetzcS, das mit dem von uns bereits erwäbnien Beamtcn- pensionSgesetz dem Reichstage zugegangen ist, bestimmt, daß das Witwengeld in vierzig vom Hundert derjenigen Pension, zu welcher der Verstorbene berechtigt gewesen ist oder be- rechtigt gkwesen sein winde, wenn er am Todestage in den Ruhestand versetzt worden wäre, besteht. DaS Wttwnigttd soll mindestens 3<>0 ^2 (bisher 216) und höchstens 3500 .L' betragen. Das Waisengeld beträgt, wenn die Witwe noch lebt, »/k des WitwenaelkeS, bei Vollwaisen 'z des Witwen geldes. Wenn die Witwe mehr als 15 Jahre jünger als der Verstorbene war, wird daS Witwengeld um >/r-, jür jedes angesangene Jabr des Altersunterschieds über 15 b:S 25 Jahre aekürzt. Das Gesetz tritt nut Wirkung vom 1. April 19>'7 in Krast. Infolge Erhöhung der Ansan,,S- Pension für Reichsbeamte von " §uj »<> «o erhöht sick das AnfangSwiiwengeld um r/n des bisherigen Be.ugeS; die Mehr kosten, die dadurch entstehen, betragen pro Jahr 1 900 000 * Amtliche Pcratung über Vekampfung »er Genickstarre. D:e „Nortdeiit'ckc All eineine Zeitung" meldet: Am 23. Apnl fand a.is Veranlassung des Kuliusmin steis T>. v. Studt im Laudralsamle ni Gelsenlirchen über veu Gang und die Belämpjung der übertragbaren Genickstarre rm rheillisch-westfaltschen Industriegebiet eine Beratung stat^
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