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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22j Sgr. Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. sür das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt aus dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (Jriedrichsstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 26. Berlin, Montag den 1. März 1841. Rußland. Panorama von St. Petersburg. Die Skizzen der Russischen Hauptstadt, die Herr I. G. Kohl in diesen Blättern nach und nach mitthcilte, haben wegen ihrer treuen, nach Art der Niederländischen Genrebilder ins Detail gehenden Auf fassung das Interesse unserer Leser in Deutschland, so wie nicht minder in Rußland selbst, erregt. Den Letzteren dürste es daher ganz besonders willkommen scpn, zu erfahren, daß Herr Kohl, als Seiten stück zu seinen kürzlich erschienenen „Reisen in Süd-Rußland" eine Sammlung seiner Petersburger Darstellungen unter dem Titel: „Petersburg in Bildern und Skizzen"') herausgegeben hat. Auch diese beiden Bande sind, wie die früher erschienenen, von dem Vcr- faffer mit Randzeichnungen ausgestattct, die den Titelblättern als charakteristische Verzierung und dem Inhalte des Buches zur veran schaulichenden Erklärung dienen. Ein Grundriß des großartig ange legten St. Petersburg fehlt nicht, und so wird auch derjenige, der nie in der nordischen Hauptstadt war, sich in dem reichhaltigen Buche leicht oricntiren können. Doch ist es nicht der Charakter St. Peters burgs allein, sondern auch der des kolossalen Reiches, dessen bewe gendes Prinzip, dessen Herrschersitz und erste UniversitätS-, HandelS- und Gewerb-Stadt es ist, der unS in diesen Bildern und Skizzen dargestellt wird. Der Verfasser gehört nicht zu den Reisenden, vie, wenn sie aus Rußland zurückkommen, entweder Alles, was sie dort Fremdartiges gesehen, als barbarisch und unerträglich darstcllcn, oder die, von großartigen und anderen Eindrücken bestochen, eben so eifervoll predigen, daß man in Europa einen ganz falschen Begriff von Rußland habe, und daß dieses Land das Muster aller jungen und zu neuem Leben erwachenden Staaten sep. Er lobt vielmehr redlich, was zu loben, und tadelt eben so redlich, was zu tadeln ist. Wir zweifeln daher auch nicht, daß er eben so in Rußland wie in Deutschland, dort wegen des Tadels und hier wegen Les Lobes, an gegriffen werden wird, aber gerade aus diesen Gegensätzen wird für ihn die genugthuendc Bestätigung hervorgehen, daß er die Wahrheit gesagt — versteht sich, kleine Jrrthümcr ausgenommen, von denen auch der redlichste und aufmerksamste Reisende sich nicht ganz frei halten kann. Zur Vervollständigung dessen, was bereits früher in diesen Blättern von Herrn I. G- Kohl über St. Petersburg mitgethcilt wurde, wollen wir hier bas erste Kapitel des Buches wiedergeben, welches die Uebcrschrift Panorama trägt. Es wird zugleich unsere zahlreichen Deutschen Leser in der Russischen Hauptstadt aus das be gierig machen, was sie mit dem ersten Bücher-Transporte der wieder offen werdenden Schifffahrt von Lübeck nach St. Petersburg zu er warten haben. Der Verfasser sagt: „Wenn unsere im grauen Alterthume gebildeten und im wüsten Mittelalter krpstallisirten Städte mit ihren engen Straßen und win keligen Häusern, von den bizarrsten Formen und mit tausend von Jahrhundert zu Jahrhundert sortgcerbten Unbequemlichkeiten und Absurditäten im Bauplane, oft wahren verwachsenen Steinmassen und ausgehöhlten Felsennestern gleichen, in denen planloser Zufall die Wohnungen auf einander setzte, oder Furcht und Noth die Mauern ballte, die Gebäude zu Thurmen auftrieb und die Menschen wie in Biencnzcllen häufte, so wurde dagegen in Petersburg, dem Kinde unserer aufgeklärten Tage, Alles bequem, verständig und genießbar, die Straßen wett, die" Plätze regelmäßig, die Gehöfte groß, die Häuser geräumig. Bei uns tarirt und mißt man die Bauplätze nach dem Zollstabe. Die 5» Quadratwerste, welche Petersburg sür sich nahm, erlaubten, freigebiger zu verfahren, und wenn in Wien oder Dresden selbst die Königs-Paläste so sehr mit den übrigen Gkbäudemassen verschmelzen, daß sie kaum als selbständige Ganze zu erkennen sind, so nimmt dagegen in Petersburg jedes Haus mit seinen Höfen ein Stück Boden ein, das hinreichend groß ist, um sich vollkommen bequem auszubreiten. Die gequetschten, unnatürlich emporgetriebenen, zerstückten und verdrehten Häuser, die überall von ihren Nachbarn gemrt werden, erregen dem in den finsteren Straßen Wandelnden bei uns ein ängstliches und drückendes Gefühl, während in Petersburg die Gemächlichkeit, mit der die Wohnungen dalicgen, die Vollständigkeit und Abgeschlossenheit, mit der sich "jeder Einzelne darstellt, dem Beschauer einen großen Com fort gewähren und es möglich machen, den völligen Effekt jedes r Bde. Dresden und Leipzig, Arnoldsche Buchhandlung, 1841. architektonischen Ganzen wirken zu lassen. Bei uns erscheint selbst das größte Gebäude nur als ein Theilchcn des ganzen dichten Stadt gewächses, während in Petersburg sich jeder Theil als ein Ganzes präsentirt und jeder Baum im großen Häuferwalde seine individuelle malerische Wirkung nicht verfehlt. Dennoch aber, oder vielmehr eben daher, — denn wo das Ein zelne sich breit macht, verliert natürlich das Ganze an Einheit — ist Petersburg nichts weniger als eine malerische Stadt. Alles ist so luftig und licht. Es fehlt in den Straßen so sehr an kräftigen Schatten, an hell durchbrechenden Strahlen, an Mannigfaltigkeit der Lichttöne, es ist Alles so bequem, so schön, so verständig, so neu, daß ein Canaletto schwerlich auch nur eine solche poetische Ansicht darin für die Leinwand gewinnen würde, wie er in unseren an Kontrasten, Erinnerungen und buntem Leben so reichen Städten deren aus allen Straßenecken finden mag. Die Gaffen sind so breit, die Plätze so groß und wüst, die Flußarme in der Stadt so mächtig, daß die Häuser, so gewaltige Massen sie auch an und für sich bilden, ihrer nicht leicht Herr werden können und gegen diese Riesenmäßig keit des Plans verschwinden. Dazu kommt, daß das Terrain der Stadt so äußerst eben ist, daß sich nirgends eines über das andere erhebt. Alle diese prächtigen Gebäude, deren jedes wcrth gewesen wäre, daß ihm ein Berg als Piedestal gedient hätte, liegen, in un absehbare Reihen geordnet, auf der platten Erde hin, wie äinieota mombra eines Riesen. Nichts hebt sich, nichts gruppirt sich, Alles zerfällt und verschwindet, und die Augen finden keine Anhaltpunkte in diesem gewaltigen Meere auf- und niederwogcnder Paläste. Namentlich macht sich diese Eigenthümlichkeit Petersburgs im Winter bemerklich, wo Alles, der Boden, die Dächer, die Newa- Arme mit einer und derselben Farbe, mit dem einförmigen Weiß des Schnees, überzogen sind. Die weißen Wände der Häuser heben sich nicht vom Boden ab und scheinen kaum auf festem Grunde zu wurzeln, die beschneiten Dächer verfließen mit den grau lichen Tinten des Himmels, ohne die Häuser deckend abzuschlreßen, und die nordische Palmyra gleicht dann vielmehr einem Ncbclge- bilde von Stadt, einer Schattenstadt, in der alle Linien verschwin den, alle Ecken fehlen, als hätten die Häuser keine Festigkeit, und als wäre alles Gemäuer nur locker und luftig. Es giebt viele Dinge in der Natur, die das Auge erfreuen und den Geist bezaubern und doch nichts weniger als pittoresk sind. Petersburg ist unter ande ren ein solches, besonders in seinem Wintergewande. Kein Ort erleidet eine so interessante Verwandelung als die Newa-Tochter im Frühlinge, wenn ihr Himmel sich abklärt und die Sonne das bleiche Leichentuch des Winters von den Dächern und Flüssen hebt. ES ist, als wenn dann die Stadt erst wahre Existenz bekäme und sich in wenigen Tagen von neuem vor den Augen des Zuschauers baue. Die Häuser fassen nun auf dem dunklen Grunde festen Fuß, die lebhaften Farben der grün angestrichcnen Dächer und der auf blauem Grunde mit golveneu Sternen beschneiten Kirchen kuppeln, die vergoldeten Spitzen der Thürme, die sich aus der ein förmigen Eiskruste hervorschälen, erfreuen nun das so lange Zeit aller Farbenspeise entbehrende Auge mit frischem Reize, und die der starren Winterhülle entkleideten Flußnymphen werfen aus tausend Spiegeln das Bild der schmucken Paläste zurück. Da die Stadt sich nirgends vor dem Auge erhebt, so ist es in Petersburg mehr als irgendwo nöthig und mehr als irgendwo hier belohnend, daß der Beschauer sich über sie erhebe, um eine Aussicht zu gewinnen und des mächtigen Bildes Herr zu werden. Es ist kein Punkt dazu geeigneter ckls die Spitze des Admiralitätsthurmes, aus dessen Nahe die Hauptstraßen der Stadt und die Hauptarme des Flusses ausgehcn, und wo die bedeutendsten Inseln mit ihren Spitzen zusammentreffen. Der Thurm ist in verschiedenen Abthcilungen mit Galerieen versehen, und die bezaubernden Aussichten von diesen Ga- lerieen an einem schönen Frühlingstage suchen auf dem Erdrunde ihres gleichen. Am Fuße des Thurmes entfalten sich auf der einen Seite die inneren Gehöfte der Admiralität, in denen das Bauholz der Wolog- daschcn und Kostromaschen Wälder aufgestapelt ist, und wo unter ge schäftigen Händen der Zimmerleute und Ingenieure mächtige Linien schiffe, die Beherrscher der Meere, sich emporbaucn. Aus der anderen Seite liegen die prachtvollen Räume des „AdmiralitätSplatzes", des „PetersplaßeS" und des „Hofplatzes", geziert mit den wichtigsten Gebäuden der Stadt und des Reichs, mit der imposanten Generali tät, in welcher das Schicksal der Millionen Krieger verzeichnet ist, welche die Russische Armee konstituiren, — mit dem Senatsgebäude