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Der gegenwärtige Stand der Angelegenheiten in Indien hat die Aufmerksamkeit Europa's jenen kleinen Staaten zugcwendet, durch deren allmäligeS Versinken sich die Besitzungen der Compagnie mehr und mehr erweitern und vielleicht zu kühn jene Gränzen überschreiten, welche sach verständige Männer ihnen gesteckt haben. Wir möchten in Europa gern über die Mittel klar werden, deren sich dir Engländer bedienen, um ihre Zwecke zu erreichen; wir möchten die Ursachen einer Macht kennen lernen, deren Wir- kungen uns in Erstaunen setzen; nicht die Vergangenheit, selbst nicht die gegen- wärtige Lage, sondern das wahrscheinliche künftige Schicksal Indiens ist der Gegenstand, welcher unsere Aufmerksamkeit fesselt. Unter diesen Umständen muß „das englische Indien im Jahre 1843", ein Werk, zu welchem der Ver fasser mühsame und gründliche Vorstudien gemacht, das lebhafteste Interesse erwecken. Das Buch zerfällt, wenn wir die ersten Kapitel, in denen der Ver fasser malerische Schilderungen des Landes selbst entwirft, bei Seite lassen, in drei Theile, von denen der erste eine gründliche Darstellung der Geschichte des Königreichs Golkonda (Hyderabad), der zweite eine Abhandlung über den Militairdienst in Indien und der dritte allgemeine Betrachtungen über die britische Macht in Asien enthält. I. Reift in boS Innere Indiens. — Historische Notizen über Golkonda. — Allgemeine Be trachtungen über die Politik Englands. — Hyderabad und der Minister Schandolal. Wir finden den Verfasser in Hyderabad, der Hauptstadt von Golkonda, wo er die Ernennung zum Unter-Licutenant in der englischen Armee abwartet. Die Reise von dort in das innere Indien, durch jene wilden Gegenden, in denen man sichere Zufluchtsstätten nur in großen Entfernungen von einander antrifft, legte er mit einem Reisegefährten, einem Capitain vom Ingenieur- Corps, mit mehr Bequemlichkeit zurück, als er es sich hätte vorstellen können. „Der Capitain führte eine ganze Armee in seinem Gefolge; vier Kamecle und zehn Affen trugen vier Zelte, von denen das eine, welches viereckig war und nach allen Dimensionen hin eine Ausdehnung von zwanzig Fuß hatte, zum Salon und Schlafzimmer diente. Das zweite, eine Art von kleinem Vor. rathShaus, wurde jeden Abend eine Strecke weit vorauSgcschickt, damit die Reisenden nach dem ersten Morgenmarsche das Frühstück vorbereitet fänden; das dritte und vierte dienten zum Badezimmer und zur Küche. Außerdem hatten wir auch Wagen in unserem Gefolge, welche zahlloses Gepäck trugen: Tische, Stühle, Feldbetten, Gcräthschaften aus Silber und Porzellan, Kisten mit Wein und Bier. Endlich befanden sich bei unserer kleinen Karavane auch einige arabische Reitpferde, welche wir abwechselnd bestiegen und auf denen wir täglich nur fünf Lieues zurücklegten, um dem Zuge Zeit zu lassen, uns ein zuholen." So findet der englische Offizier in seinem Zelte allen Lurus, alle Bequemlichkeiten des Lebens, an die er von Jugend an gewöhnt ist. — In dem alten, halbverfallenen, mit langen Windungen von Schmarotzerpflanzen bekränzten Fort Ongola lebt ein englischer Capitain, von seinem CorpS auS- gestoßen, „weil er einer niedrigen Versuchung nachgegeben und im Spiele be trogen hatte." Dem zweiten Regimente der einheimischen Veteranen attachirt, hat er auf kein Avancement mehr zu hoffen; der Offizier, welcher vorüber geht, tritt nicht in die Wohnung des Verbannten, der, umgeben von seiner treuen Gattin und seinen Kindern, die er sorgsam erzieht, voll Reue über den begangenen Fehltritt, sein Leben in der abgeschlossensten Einsamkeit hin- bringt. So ängstlich sind diejenigen, welche der Welt gegenüber als souvc- raine Herrscher dastehen, auf die Aufrechthaltung der Ehre bedacht. Wir kommen nun mit dem Verfasser zu den heiligen Gemässem, welche Diamanten, Gold und Edelsteine mit sich führen, z» den Ufern des Krischna, der in der westlichen Gebirgskette entspringt und sich auf der entgegengesetzten Seite in den bengalischen Meerbusen ergießt. Man setzt über diesen Fluß in runden aus Schilf und Palmzweigen geflochtenen Körben, weil seine reißende Strömung längere Fahrzeuge verschlingen würde. Der Krischna bildet die südliche Gränze des Königreichs Golkonda, welches nach und nach von den Mahratten, Myfforiern und hauptsächlich von den Engländern angegriffen wurde. Gegenwärtig hat es einen Flächeninhalt von 47,700 Quadrat-LieucS und eine Bevölkerung von 12 Millionen Einwohner. Dort, am Ufer des Krischna, wird die Gegend immer wilder, mit jedem Schritte werden Spuren reißender Thiere sichtbar; die Dörfer, welche stets vereinzelter daliegen, sind von Palissaden eingeschloffen und in der Nähe eines jeden Weilers erhebt sich zehn Fuß über dem Erdboden ein hölzerner Käfig, von wo aus die Jäger die Fährten der Ungeheuer erspähen, welche in der Nacht die Dorfbewohner beunruhigen. In dieser gefährlichen Gegend nehmen die Reisenden gemeiniglich aus der Mannschaft des Nizam, des souve- raincn Herrschers, einen Trupp Reiter zu ihrer Begleitung, welche, gut be- ritten, mit der langen Lanze und dem krummen Säbel bewaffnet sind. Die Nähe der Hauptstadt des Reiches Golkonda wird durch nichts angc- deutet, wenn nicht etwa durch den Namen «bak-rasta (Königsstraße), den man emphatisch einem unbequemen und schwer zu pasfirenden Fußsteige beige legt hat. Aber plötzlich enthüllen sich unter dem Tropenhimmel die Kuppeln, die Dome, die vier Spitzen der großen Moschee. Eine Allee führt links in die Nähe von Sekunderabad, neben welchem sich längs eines schönen künst lichen Sees die reizenden Wohnungen der englischen Offiziere der Hülfs-Armee hinziehen; mehr rechts liegt die Straße, welche ein Land von entzückender Vegetation durchschneidet und nach Bolarum, einer anderen Gruppe schattiger Villen, führt. „Man bemerkt leicht, daß der erhabene und mächtige Herr Subadar (Dicekönig) von Dekkan von seiner Armee, durch die Stellung seiner Alliirten, welche ihn in Schach halten, abgeschnitten ist." Das ist das Schick sal aller indischen Herrscher, welche absichtlich oder gezwungen das Interesse der Engländer verletzt haben. Das Königreich Golkonda, welches bereits im Hinsterben ist, besteht nicht länger als hundert Jahre. Sheyed-Kulichan, Chef eines Corps in der kaiser lichen Armee, wurde von Mohamed-Schah zum Bicekönige von Dekkan be rufen und verwandelte, indem er aus den Unruhen, welche das Erbe des Großmoguls verwüsteten, Vorthcil zog, das Lehn, welches er als Krieger erhalten hatte, in ein unabhängiges Reich (I7Z2) und beherrschte, mit Aus nahme der Mahrattenstämme an der Westküste, die ganze Halbinsel im Süden des Krischna. Er starb in einem Alter von 104 Jahren und hinterließ seinen fünf Söhnen ein herrliches weit ausgedehntes Königreich, um dessen Besitz sich diese bekriegten und endlich die Hülfe der Handels-Compagnieen, welche sich in den Küstcngegenden festgesetzt hatten, in Anspruch nahmen. Durch ein von dem alten Fürsten unterzeichnetes Testament und ein vom Großmogul auSge. fertigtes Patent wurde die bestrittene Krone dem Enkel Kulichan'S, Muzuffer« Dschung, zugesprochen. Dieser suchte seine Rechte, da er sie selbst zu wahren nicht im Stande war, durch ein Bündniß mit Duplair aufrecht zu erhalten, wodurch Frankreich in einen kaum zu entscheidenden Erbfolgekrieg hineingczogen worden ist, indem die Engländer für den natürlichen Prätendenten, den ältesten Sohn Kulichan'S, Nasir-Dschung, Partei »ahmen. Muzuffer.Dschung, der, von seinem Oheim besiegt und gefangen, durch achthundert Franzosen, welche wie eine Bombe in die 100,000 Mann des Subadar hineinfuhren, befreit worden war, trat Frankreich aus Dankbarkeit den Bezirk Karikal in der Ge gend von Pondischcrp und die Stadt Mazulipatam ab und kehrte darauf mit einem Corps von 3000 Europäern und 10 Kanonen in seine Staaten zurück. Der Anführer dieses Gefolges war Buffy, der, als Hofmann, Diplomat und Krieger gleich ausgezeichnet, mit der ganzen Macht seiner Ueberlegcnheit den schwachen Nabob, dessen Stütze er war, beherrschte. Durch seinen Einfluß erlangte er für die französische Compagnie die Räumung von vier wichtigen Provinzen, welche sie zu Herren eines 100 Lieues langen und im Durch- schnitte etwa 20 Lieues breiten Landstriches längs der Küsten von Orissa und Koromandel machten, welcher durch das Meer, durch unzugängliche Gebirge und durch seine Festungen geschützt ist. „Unsere Herrschaft", sagt der Ver- faffer dieses Werkes, „erhob sich damals auf einer so mächtigen Basis, daß eS unsere» Nebenbuhlern nur nach vierzigjährigen Anstrengungen und glück lichen Kämpfen gelungen ist, dieselbe Stufe der Macht zu erreichen." Wir wollen jetzt, nachdem wir einen Augenblick bei dieser glänzenden Vergangenheit verweilt, ein ganzes Jahrhundert übergehen, um die gegen wärtigen Zustände der Staaten des Nizam und das Protektorat der englischen Compagnie zu prüfen. Die Schutzherrschaft, unter welcher Hyderabad gegen wärtig steht, ist wichtig genug, um eine sorgfältige Beleuchtung ihrer Ab. fichten sowohl als ihrer Konsequenzen zu rechtfertigen. Wir können diese Maxime, fich unter dem Vorwande der Hülfeleistung in die Angelegenheiten