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Das Kind, das Du empfangen hast, sei Deiner Seele keine Last, o sieh, wie klar das Weltall schimmert! Es ist ein Glanz um Alles her, Du treibst mit mir auf kaltem Meer, doch eine eigene Wärme flimmert von Dir in mich, von mir in Dich. Die wird das fremde Kind verklären Du wirst es mir, von mir gebären ; Du hast den Glanz in mich gebracht, Du hast mich selbst zum Kind gemacht. Er faßt sie um die starken Hüften Ihr Atem küßt sich in den Lüften. Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht. wunderswert hat Schönberg in dem einsät- Jen Stück, das noch nichts von der späteren Entwicklung seines Schöpfers ahnen läßt, die Möglichkeiten des Klangkörpers ausgenutzt, eine überwältigende Fülle von Klangfarben und Effekten erzielt. Der unendliche Reichtum der Melodien und üppig-sinnlichen Harmo nien entkräftet nicht zuletzt jene Behauptun gen, Schönbergs Hinwendung zur sogenann ten „Atonalität" und Dodekaphonie sei das Eingeständnis der Unfähigkeit, „schöne" Mu sik schreiben zu können. Formal sind hier So natenhauptsatz und Sonatenzyklus ineinan der verschränkt. Anton Bruckner hat ein verhältnismä ßig wenig umfangreiches kompositorisches Erbe hinterlassen, neun Sinfonien, ein Te- deum, drei Messen, den 150. Psalm, einige Chöre und ein Streichquartett. Doch dieses relativ schmale Oeuvre gehört fraglos zu den unvergänglichen Zeugnissen der Musikkultur. Bruckner, Sohn eines Dorfschullehrers, fand als Komponist zu Lebzeiten Anerkennung nur bei einem kleinen Freundeskreis. Höchste An erkennung zollte er Richard Wagner, der ihn feen Nachfolger Beethovens nannte. Auch Wmponisten wie Hugo Wolf und Carl Loewe, die berühmten Dirigenten Nikisch, Ochs und und Levi standen Bruckners Musik sehr aufge schlossen gegenüber. Bruckners schärfster Gegner aber war der namhafte Wiener Kri tiker Dr. Hanslick, ein Vorkämpfer von Brahms. Die Musikgeschichte nennt Anton Bruckner mit Recht einen Sinfoniker, „nicht weil er im we sentlichen Sinfonien geschrieben hat oder weil er mit der Zahl neun in Beethovens Nachbar schaft steht, sondern weil er in dieser Form sein Gültiges so ausgesagt hat, daß wir es aus der Entwicklungsgeschichte der Sinfonie nicht mehr wegdenken können. Bruckner hatte unablässig gelernt, geübt und ausgeübt, das letztere nicht wie ein Instrumentalsolist oder Di rigent auf breiter Basis, sondern auf der Or gelbank. Er hatte musikalisches Kapital in klei ner Münze angehäuft, aber nicht, um es wie ein Geizhals zu horten, sondern um Zinsen daraus zu schlagen zu gegebener Zeit. Er war, als er die Reihe seiner Sinfonien begann, we der ein Mann der kühlen Berechnung, der sich etwa gesagt hätte, dies oder jenes verlangt die Gegenwart, noch war er einer, der in blin der Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfonie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen" (M. Dehnert). Berechtigt wies Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Weltanschauung von einer Reihe elementa rer Gegensatzpaare bestimmt ist: „Gott und Teufel, Leben und Tod, Gut und Böse, Selig keit und Verdammnis, Licht und Finsternis, Nie derlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt." „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vorstellungs welt sinnfällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Ein dringlichkeit entwickelt. Man hat in der Be schreibung der Brucknerschen Tonsprache ih re Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Einflüsse. Seine Melo dik kommt weit eher aus der Tradition Beet hovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prägnanten und im Hinblick auf kontrapunktische Arbeit erfun denen Themen nicht zu überhören. Bei alle dem ist Bruckners Tonsprache äußerst origi nell, und diese Originalität verdankt er ge rade jener Fähigkeit, die von seinen Biogra phen übersehen, von ihm selbst jedoch in sehr aufschlußreicher Weise dargestellt wurde: sei ner Fähigkeit, aus der Beobachtung der Wirk lichkeit neue Intonationen zu gewinnen" (G. Knepler). Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstleistun gen der Sinfonik des vergangenen Jahrhun derts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Beethovenschen Sinfonie, die the matisch-motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches gegenüber, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz!) sich gleichsam aus dem Nichts entfal ten zu zwingenden Melodiebögen, ja melo dischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dia lektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bauprinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Episoden von innigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letzten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteige rung wiederkehren. Bruckners Tonsprache at met echt romantischen, klangschwelgerischen Geist. Die Melodienseligkeit der Volksmusik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumental, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sin fonien, die einmal „zyklopische Orgelimpro visationen" genannt wurden, doch niemals sind sie formlos. Ihre Gesetzmäßigkeiten erschlie ßen sich nicht auf den ersten Blick, sondern erfordern vom Hörer intensivste Aufmerksam keit und Hörbereitschaft. Bruckners 6. Sinfonie A-Dur wurde in den Jahren 1879—1881 komponiert. Das ein stündige Werk erlebte seine vollständige Ur aufführung erst nach dem Tode des Komponi sten in einem Philharmonischen Konzert in Wien am 26. Februar 1899 unter der Leitung Gustav Mahlers, nachdem schon 1883 die bei den Mittelsätze des Werkes von den Wiener Philharmonikern unter Wilhelm Jahn erstmalig zum Klingen gebracht worden waren. Die Sin fonie, ein Lobgesang auf die Schönheit der Erde, wird gern, entsprechend Beethovens Sechster, Bruckners „Pastorale" genannt. An der Spitze der Exposition des ersten Sat zes (Maestoso) steht das aus dem Quintfall machtvoll und männlich ausschwingende Hauptthema der Celli und Bässe, das aus dämmerndem Zwielicht des Anfangs heraus wächst und im vollen Orchesterglanz „einer der strahlendsten Sonnenaufgänge der Mu sik" wird. Freundliche Gedanken spricht nach elegischem Beginn auch das sangliche zweite Thema aus. Eine einsame Flöte leitet dazu über. Charakteristisch sind besonders die spie lerische Quintoie und der volksliedhafte Aus klang. Ein drittes rhythmisches Thema, von fast allen Instrumenten unisono kräftig vorge tragen, besitzt eine abschließende Haltung. Die Durchführung und Reprise werden haupt sächlich vom Kernthema bestimmt. Das verhältnismäßig kurze, sehr feierliche F- Dur-Adagio weist eine durchführungslose So natenform mit wiederum drei Themengruppen auf. Es kündet von überschwenglichem Glück (zweites Thema in den Violinen), aber auch von schmerzlichem Verzicht, Liebesleid (erstes Thema in den ersten Violinen mit elegischen Klagerufen der Oboe; drittes Thema, das ernst, dunkel, im langsamen Marschschritt einerTrau- erprozession erklingt, Celli und Bässe zupfen eine eintönige Begleitung). Die drei Themen werden nacheinander sehr stimmungsvoll ver arbeitet. Der Scherzosatz ist einer der schönsten, Bruckner geschrieben hat. Er ist kein derlBf bäuerischer Tanz, sondern die feingliedrige Darstellung eines phantastischen, gespensti schen Spuks, einer impressionistischen Nacht stimmung. Das Ganze besitzt infolge ständi ger Durchsetzung mit Trioien etwas „geister haft Huschendes", über dem Klopfen der tie fen Streicher und einem Motiv der zweiten Violinen und Bratschen bildet sich im dritten Takt — in Holzbläsern und Violinen — das The ma des Hauptteiles. Romantisches, idyllisches Gepräge besitzt das zarte Trio. Eine plastische thematische Sprache und ein einfacher, klarer, nichtsdestoweniger impo nierender Aufbau kennzeichnet das kraftvolle, sieghafte Finale. Dem sich breit in den Vio linen entfaltenden Hauptthema über dem Pizzicato der tiefen Streicher und leisem Tre molo der Bratschen folgt das zweite, strah lend aufgipfelnde Thema (zuerst in den Hör nern) und schließlich das sangliche dritte The ma in den Streichern. Choralhaftes erinnert an den religiösen Untergrund des Bruckner schen Schaffens. In wechselnden farbigen und klangprächtigen Bildern zieht der Satz vor über und krönt mit seinem lebensfreudigst hellen Ausklang die Sinfonie, indem neVV dem strahlenden zweiten Finalthema aas Hauptthema des ersten Satzes in den Posau nen glanzvoll aufleuchtet. Prof. Dr. Dieter Härtwig Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig Spielzeit 1984/85 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, BT Heid. 111-25-16 494553 2,85 JtG 009-74-84 EVP 0,25 M 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1984/85