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In den Monaten Dezember 1857 bis Mai 1858 schrieb Mathilde Wesendonk die „Fünf Gedichte", die Wagner spontan vertonte. Als einziges der im Original klavier begleiteten Gesänge, von denen drei im heutigen Konzert erklingen, orchestrierte der Komponist die „Träume" (die in unserer Aufführung benützte Orchesterfas sung stammt von dem Wagner-Dirigenten Felix Mottl). Mathilde Wesendonks feinsinnig empfundene, sehnsüchtig-schwärmerische, ja nachdenklich-schwermü tige Verse atmen in der Vertonung Wagners die ganze ,,Tristan"-Atmosphäre mit ihrer musikalischen Ausdruckserweiterung, der schwebenden Chromatik und Ton artenverschleierung, die der Musik den Charakter eines ruhelosen Drängens und Strömens verleihen. „Die Sensibilität dieser neuen musikalischen Sprache ermög licht die Nachzeichnung feinster seelischer Vorgänge. Die sich anbahnende Auf lösung tonaler Bindungen in der musikalischen Ordnung wird zum sinnvollen Ausdruck des schließlich doch in Resignation endenden, leidenschaftlichen Lie beserleben Wagners erhoben" (J. Beythien). Wagners Leben war von großer äußerer und innerer Unruhe erfüllt. Bevor er sich in Bayreuth die Stätte schuf, „wo sein Wähnen Ruhe fand”, hatte er nicht allzu viele ruhige und glückliche Stunden erlebt. Zu den schönsten Sonnentagen seines Lebens gehörte jedoch zweifellos jene Zeit, die er nach der Vermählung mit Cosi ma von Bülow, der Tochter Franz Liszts, in Triebschen bei Luzern verbrachte. Hier wurde ihm sein Sohn Siegfried geboren. Die große Freude über die glück liche Gestaltung dieses Lebensabschnittes und vor allem das frohe Ereignis in der Familie lösten in ihm die dankbaren und freundlichen Stimmungen aus, die sich in der Komposition des „Siegfried-Idyll", 1870 entstanden, widerspiegeln. Das Siegfried-Idyll, als Gelegenheitsarbeit im besten Sinne geschrieben, war zunächst für dio Aufführung im häuslichen Kreise bestimmt. Es erklang, für kleines Orche ster instrumentiert, zum ersten Male als Morgenständchen für Frau Cosima am 25. Dezember 1870 im Triebschener Landhaus. Ein feiner, intimer lyrisch-roman tischer Stimmungszauber verleiht der Musik des liebenswürdigen Werkes, das zu den wenigen selbständigen Instrumentalwerken Wagners gehört, einen besonde ren Reiz. Das musikalische Gedankenmaterial zu der frischen, klangschönen Komposition entnahm er der Partitur seines Musikdramas „Siegfried". Motive aus dem zweiten und dritten Akt des Siegfried-Dramas bilden das Material der phan tasiemäßig in freier dreiteiliger Form angelegten Komposition, mit der der Mei ster seinen ins Leben tretenden Sohn begrüßte. Der erste Teil erinnert an die Exposition einer Sonate. Der sich anschließende durchführungsartig modulierende und verarbeitende Teil bringt neues Themenmaterial ins Spiel. Neue thematische Kombinationen begegnen auch in der stark modifizierten, gekürzten Reprise mit Hinzutritt des „Schlummermotivs” der Walküre und der Rufe des Waldvögleins. Uber sein Musikdrama „Tristan und Isolde" (1859), das ganz aus persönlichem Erleben herauswuchs, schrieb Wagner u. a. „Mit.. . Zuversicht versenkte ich mich ... in die Fielen der inneren Seelenvorgänge und gestaltete . . . aus diesem intimsten Zentrum der Welt ihre äußere Form. Aller Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der äußeren Welt hängt hier allein von der inneren See- ler.bewegung ab." Wagners „Hypertrophie der Empfindsamkeit", seine individua listisch-psychologische Tonsprache, die aufs feinste seelische Empfindungen und Regungen nachspürt, hat in diesem Werk unbestreitbar ihren Höhepunkt erreicht. „Innerer Seelenbewegung”, unstillbarer Liebessehnsucht verleiht auch das instru mentale Vorspiel zu „Tristan und Isolde" Ausdruck, das Wagner selbst folgender maßen deutete: „Tristan führt als Brautwerber Isolde seinem König und Oheim zu. Beide lieben sich. Von der schüchternsten Klage des unstillbaren Verlangens, vom zartesten Erbeben bis zum furchtbarsten Ausbruch des Bekenntnisses hoffnungs loser Liebe durchschreitet die Empfindung alle Phasen des sieglosen Kampfes gegen die innere Glut, bis sie, ohnmächtig in sich zurücksinkend, wie im Tode zu verlöschen scheint.. ." Das flehend-drängende Sehnsuchtsmotiv, das vielfach ab gewandelt wiederholt wird, steht am Beginn des Vorspiels. Seine Chromatik, seine „seufzerischen Vorhalte", seine mehrdeutige, zerfließende Harmonik bei wenig ausgeprägter Rhythmik ist typisch für den „Tristan"-Stil. „Isoldes Liebestod", der Schluß des Musikdramas, der vorwiegend auf Motive aus dem zweiten Akt (Liebestod-Motiv und Motiv der Liebesentzückung) zurückgreift, gibt gleichsam die Antwort auf die Frage der unstillbaren Sehnsucht des Vor spiels: „Was das Schicksal trennte, lebt nun verklärt im Tod auf; die Pforte der Vereinigung ist geöffnet, über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die seligste Erfüllung des glühenden Sehnens, ewige Vereinigung in ungemessenen Räumen, ohne Schranken, ohne Banden, unzertrennbar . ..!" (R. Wagner) Das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ (1882) ist Wagners letztes Bühnenwerk. Bei diesem Alterswerk handelt es sich um eine Art mystischer „heiliger Vorstellung”, um eine Verbindung alt-persischer, alt-indischer, mittelalterlich-christlicher My sterien, „jungdeutscher" Sinnlichkeit, Schopenhauerscher Welterlösungsmystik und Feuerbachscher Einflüsse. Parsifal, „durch Mitleid wissend, der reine Tor”, erscheint nunmehr als Erlöser der Gesellschaft. Die Musik des „Parsifal” ist durch einen erhabenen, verinnerlichten und abgeklärten Altersstil gekennzeichnet. Sou verän ist die Harmonik und Polyphonie behandelt; die Instrumentation bevorzugt Streicher und Holzbläser. Wagner hat das Vorspiel zum „Parsifal" mit den drei Begriffen „Liebe — Glaube — Hoffen" gedeutet. Als Thema der Liebe erklingt eingangs der feierliche Abendmahlsspruch. Dann stimmen die Trompeten hell und zuversichtlich das Gralsmotiv, das Motiv des Glaubens, an. Feuerbachsche Kraft in der Musik steht gegen Schopenhauersche Weltauffassung im Text in der Schlußszene des Musikdramas „Götterdämmerung" (1874), des letzten Teiles der gewaltigen Tetralogie „Der Ring des Nibelungen”. Brünnhilde, dio weiß, daß Siegfried kein Verräter, sondern ein Opfer der Verhältnisse, des Ringfluches war, läßt am Ufer des Rheins einen Scheiterhaufen schichten und ge denkt in ihrer Schlußklage nochmals des toten Helden Siegfried, aber auch der Götter (das breitgezogene Walhallthema) und des bedrängten Göttervaters. Ihre ganze Seelennot entlädt sich in einem Fluch auf den Ring, den sie den Rhein töchtern zurückgeben will (hier tauchen im Orchester Erinnerungen aus der ersten Szene des „Rheingolds" auf). Sie schleudert einen Feuerbrand in den Holzstoß, schwingt sich auf ihr Roß und springt mit einem letzten Gruß an Siegfried in die Flammen. Dr. Dieter Härtwig Das 6. Zyklus-Konzert, Anrecht B 2, findet nicht, wie irrtümlich auf der Rückseite der Anrechtskarte vermerkt, am 26. Februar 1964, sondern wie im Konzertplan angegeben am 16. Februar 1964 statt. Vorankündigung: 1. Februar 1964, 19.30 Uhr 8. Außerordentliches Konzert Dirigent: Gerhard Rolf Bauer Solist: Eduard Grätsch, Moskau Werke von: J. P. Thilman. F. Mendelssohn-Bartholdy und L. v. Beethoven AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1 963 / 64 III 9 14 FMZ 164 1 It-G 009/7/64