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schaffens, seiner Kammermusik und schließlich seiner Sinfonik. Wie der schmerz lich-heftige Streichquartett-Satz c-Moll aus dem Jahre 1820 blieb auch die Sinfonie h-Moll von 1822 ein Torso und ging als Schuberts „Unvollen dete" in die Musikgeschichte ein. Zwingende äußere Gründe für die Nicht vollendung des Werkes gab es nicht. Daß Schubert es nicht zum Abschluß brachte, lag wohl an der noch nicht überwundenen Unschlüssigkeit seiner Hal tung: Auf der einen Seite spürte er die Ubermächtigkeit jener für ihn neuen und schmerzhaften gesellschaftlichen Erkenntnis, auf der anderen Seite konnte er sich nur zögernd von einer alten Illusion lösen, vom ungetrübten Leben in der Kunst. So müssen wir uns mit den zwei vollendeten Sätzen der Sinfonie begnügen, die uns Schuberts Durchbruch zu einer neuen, konflikthaften sinfo nischen Sprache belegen, deutlich am Beethovenschen Vorbild orientiert und doch eigenständig. Wirklich tragische Gedanken finden in dem ergreifenden Werk Ausdruck. Nicht die Zerwürfnisse mit dem Vater bilden, wie vielfach ange nommen wurde, den Kern des dargestellten Konflikts, sondern seine tragische Lebenserfahrung, daß seine humanistische Lebensverbundenheit unvereinbar war mit den sich unaufhaltsam durchsetzenden kapitalistischen Produktions verhältnissen, wenn ihm auch diese Ursache zu seinem Konflikt mit der Welt letztlich undurchschaubar blieb. Halten wir uns an seine Worte: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz" — darin liegt auch der Leitgedanke seiner „Unvollendeten" beschlossen. Das der Sinfonie in den Bässen gleichsam mottohaft vorangestelite düstere achttaktige Thema, das in der Durchführung und der Coda des ersten Satzes (Allegro moderato) eine große Rolle spielt, läßt diesen Leitgedanken deutlich werden. Nach einem schmerzlichen Klagegesang in Oboen und Klarinetten, einem Hornruf stimmen die Celli, dann die Violinen eine wunderbare Ländler melodie an, die so recht die Herzlichkeit, Wärme und Volkstümlichkeit demon striert, deren Schubert fähig war. Aber dieser Gesang von der Liebe wird von brutalen Fortissimo-Schlägen des Orchesters unterbrochen, bis die Melodie wieder Kraft findet, sich durchzusetzen. Wie schon die Exposition spiegelt auch der weitere dramatische Verlauf des ersten Satzes die „Zerteiltheit" in Schmerz und Liebe wider. Das fatalistische Mottomotiv verwandelt sich in ein heroisches Kampfmotiv. Doch den heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen ist kein Sieg beschieden. Mit drei gebieterischen Schlägen scheint der Schmerz über die Liebe zu siegen, der Tod über das Leben. Der zweite Satz (Andante con moto) versucht, fern von den Kämpfen des ersten Satzes einen Märchenfrieden zu gestalten, seine träumerische Ruhe vor dem Einbruch des Schmerzes, der Realität zu bewahren. Eine friedvolle Kantilene vermag denn auch im ersten Teil den Eindruck tiefer Ruhe und Ergebenheit zu erzeugen. Doch bald kommt es wieder zu einer großen Klageszene. Der Schmerz bricht erneut auf, bis er sich abermals in Liebe verwandelt. In der Reprise scheint dann die Verzweiflung noch gesteigert, bis eine endgültige Besänftigung in Wohllaut und Frieden eintritt. Das Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 von Johannes Brahms entstand in den Jahren 1878 bis 1881 und wurde am 9. November 1881 mit dem Komponisten als Solisten in Budapest uraufgeführt — 22 Jahre nach der Urauf führung seines ersten Klavierkonzertes (d-Moll, op. 15). Bereits damals, nach dem Mißerfolg des ersten Konzertes, hatte Brahms dem Geiger Joseph Joachim Ende 1859 geschrieben: „Trotz alledem wird das Konzert noch einmal gefallen, und ein weiteres soll schon anders lauten." Und tatsächlich unterscheidet sich das dem Lehrer und Freund Eduard Marxen gewidmete zweite Klavierkonzert in seinem Charakter gänzlich von dem vorhergehenden. Das Werk, von dessen Entstehung der Meister — allerdings recht „unter"treibend — zuerst seiner Freun din Elisabeth von Herzogenberg berichtet hatte („Erzählen will ich, daß ich ein ganz, ein kleines Klavierkonzert geschrieben, mit einem ganz, einem kleinen Scherzo"), ist im Gegensatz zu dem größtenteils dunkel und ernst gehaltenen ersten Konzert in seiner Grundstimmung fast durchweg hell und farbig, heiter Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN : Anrecht D und freier Kartenverkauf Freier Kartenverkauf 26. März 1968, 19.30 Uhr, Steinsaal 4. KAMMERMUSIKABEND Werke von Webern, Kunad und Beethoven 13. und 14. April 1968, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 14. AUSSERORDENTLCHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solistin: Cecile Ousset, Frankreich, Klavier Werke von Bartok, Mozart und Grieg Der folgende Satz (Allegro appassionato), in d-Moll stehend, hebt sich schcm von dem vorangegangenen Allegro ab. Ein wildes, übermütiges, jäh aufwärts strebendes Hauptthema, dem ein zarteres Seitenthema der Streicher gegen übergestellt wird, bestimmt die Entwicklung dieses insgesamt stürmisch-vir tuos angelegten Musikstückes, das eine große sinfonische Durchführung mit zahlreichen, zum Teil etwas dämonisch-bizarren, ausgelassenen Seitengedanken aufweist. Straffe Rhythmik dominiert im D-Dur-Trio des Satzes. Das zu Beginn vom Solocello vorgetragene gefühlvolle Thema des dritten Sat zes (Andante) zeigt eine starke Ähnlichkeit mit der Melodie des von Brahms im Sommer 1886 komponierten Liedes „Immer leiser wird mein Schlummer". Zart und ausdrucksvoll, gleichsam improvisierend, paßt sich das Soloinstrument mit begleitenden Figuren dieser innigen, wunderschönen Melodie an. Auch das der Klarinette übergebene Thema des kurzen Mittelteils begegnet uns in einem Brahms-Lied („Todessehnen") wieder. Rondoartiges Gepräge trägt schließlich das fröhliche, musikantische Finale des Konzertes (Allegretto grazioso), dessen kapriziöses, anmutiges Hauptthema zu nächst vom Klavier solistisch dargeboten wird und im Verlauf des Satzes in verschiedener Beleuchtung immer wieder erscheint. Auch die für Brahms' The matik so typischen ungarischen Anklänge tauchen hier wieder auf, besonders in den Terzen- und Sextengängen eines Seitenthemas. Geistvolles, gelöstes Konzertieren von Soioinstrument und Orchester kennzeichnet diesen Satz, der das Werk mit hinreißendem Schwung und bezaubernder, liebenswürdiger Grazie beendet. und optimistisch, wenngleich es auch tragischer Töne nicht entbehrt. Bewußt an positive Traditionen der Klassik und Romantik anknüpfend, ist das viersätzig aufgebaute B-Dur-Konzert in seinem klassischen Ebenmaß, seiner ausgespro chen volkstümlichen Haltung und seinem großen Empfinden unterschiedlich ster Art Ausdruck verleihenden Erfindungsreichtum eines der schönsten und vollendetsten Werke überhaupt. Ein weiches Hornsolo, das zu einem stimmungs vollen, wohllautenden Frage- und Antwortspiel zwischen Bläsern und Soloinstru menten führt, eröffnet den ersten Satz (Allegro non troppo). Erst eine macht volle Kadenz des Solisten löst den Einsatz des vollen Orchesters aus; strahlend erklingt jetzt im Tutti die erweiterte Hornmelodie. Zusammen mit dem romanti schen zweiten Thema und einem weiteren, rhythmisch lebhaften Thema ungari scher Herkunft wird es in der ungemein spannungsreichen, Klavier und Orche ster in gleichem Maße einsetzenden Durchführung kunstvoll verarbeitet. Nachdem das motivische Material, nun verändert und umgedeutet, in Reprise noch einmal vorübergezogen ist, beschließt die kraftvolle Coda an wechselnden Stimmungen und chen Satz. der den mannigfaltigen Gestaltungen überaus rei- Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1967/68 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 40619 III 9 5 1,4 368 ItG 009/21/68 loHllnamnoni 13. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1967/68