Volltext Seite (XML)
Nr. 67 — 16. Jahrgang Mittwoch den März 1611 MchslscheUMsMiW Erscheint tSgltch »ach«, mit Ausnahme der kann, und Festtage, «»«aabe 4 mit .Die Zett in Wort und Bild- dierteisShrlich ik.1v It. In Dresden durch Boten »40 Ik. In ganz Deutschland stet Haus S.Sit It; in Oesterreich 1,4» L AaSgab« v ohne illustrierte Beilage dterteljübrlich 1,8V IS. ?v> Dresden durch Boten it.lü ^ In ganz Deutschland sret Hau» S.ikii IS: in Oesterreich 4,0? L — Linzei-Nr. I« 4. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit «Inserate werden die »gespaltene Petitzeile oder de,, ,, I. Reklamen mit SV 4 die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechende» Rabatt. «nchdrnilerei. Redaktion und «eschäftMerle! Dresden, PMattzer Strafte 4». — Fernsprecher I»v« Für Rückgabe unverlangt. echriststUcke keine «erbiudlt»r»tt Redaktions-Sprechstunde: 11 biS 1» Uhr. Kskkee - OenulL ist teuer» wertlos, gesunäveitsscbLclißencl. Kakao-Qenuk ist dillix» vortvoll kür LrnSkrung unä Qs5unctkeit, vvoklsckmeclceiiä unck belcömmlick. V/ir empkeklen un5ers Sperlalsortea ru 80, IVO, 120, 140—200 pk^. per pkuncl. OerUnx Le k-ockstrok, vresäsn. blleäerlggen in allen Ltscttteilen. Die rumänischen Wahlen sind ein Beweis dafür, daß die große Scheidung der Geister sich nachgerade in allen Staaten vollzieht, mögen sie nun auf der Höhe der Kultur stehen oder erst später in diese ein- getreten sein. Die farblosen mittleren Elemente verschwin den und rechts und links türmen sich die Mandate auf. Rumänien war freilich immer das Land der Zweiklassen partei: Liberale und Konservative: beide lösten sich in lan ger Kette ab. Nun versuchte bei diesen eben vollendeten Wahlen der frühere Minister Take Jonescu eine neue Par- lei zu gründen, die Takisten, auf demokratisch-konservativer Grundlage. Viele sahen schon das Ende des Zwei-Partei- systems kommen und rechneten den Takisten große Man datsgewinne zu. Aber es kam anders. Die rumänische Kammer zählt 182 Abgeordnete. Das von der Bevölkerung mit der größten Spannung erwartete Wahlergebnis sie nt einen überwältigenden Sieg der Konservativen dar. Es wurden 161 Konservative gewählt, 11 Liberale und 10 De mokraten oder Takisten. Man kann sich denken, welche Ent täuschung die Liberalen und Takisten erfuhren! Es geht sa bei den allgemeinen Wahlen immer so hoch her, aber eine solche rücksichtslose Agitation wie diesmal hat es nach dem interessanten Berichte der „Deutschen Tageszeitg." in Rumänien noch niemals gegeben. Kaum hatten die Libe ralen ihre Entlassung genommen, kaum war die neue Re gierung ernannt, so verbanden sich Liberale und Takisten, die grimmigsten Feinde von gestern, und wühlten die Wäh ler in einer unerhörten Weise auf. Ihre Zeitungen verkün deten täglich als ausgemacht, die vereinte Opposition sei sicher, 80 bis 100 Mandate zu erobern, die Negierung werde iil zwei Monaten gestürzt sein, die demokratische Strömung sei unwiderstehlich usw. Täglich erscheinen in fettem und fettestem Druck die phantastischsten Berichte über angebliche „Gewalttätigkeiten" seitens der Regierungsorgane. Doch alle diese Berichte stellten sich sofort als pure Erfindungen oder böswillige Verdrehungen heraus. So hieß es einmal, ein oppositioneller Kandidat, Herr Th. Camaraseszu, wäre ein paar Wochen vor den Wahlen wegen Aufreizung der Be völkerung verhaftet worden. Nachdem die Nachricht von der Regierung aus dementiert worden war, hieß es, er wäre doch eine Stunde lang im Bürgermeisteramte aufgehalten worden! . . . Natürlich, weil er dort Geschäfte hatte! Ein anderes Mal hieß es, in Buteu hätten die konservativen Wahlagenten drei Liberale erschossen. Nun aber stellte cs sich heraus, daß ganz im Gegenteil die Liberalen auf die konservativen Agenten drei Schüsse abgefeuert hatten. Aber nichts ist bezeichnender für die Rücksichtslosigkeit der von der Opposition betriebenen Lügenkampagne, als folgende Tat sache: Am Vorabend der Wahlen brachten die Takistenblät- tev, voran das antidynastische Revolverblatt, >der „Ade- verul", das Leiborgan des Herrn Take Jonesku, die Alarm nachricht, die Regierung habe mit dem Könige einen Kon flikt gehabt, der Innenminister Marghiloman habe soeben demissioniert! Man kann sich denken, was solch eine Nach richt für einen Einfluß auf die Wählermassen ausübeu mußte! Natürlich war es eine pure Erfindung. Man scheinr also in Rumänien die bevorstehenden deutschen Wahlen antizipiert zu haben und die heuchlerischen Manieren will der Hansabund bei uns einführen, wahrscheinlich mit dem selben Erfolge. Doch der erste Mißerfolg entmutigte die Opposition nicht, denn nunmehr sollten die Scnatswahlen das Glück bringen. Der Senat zählte 112 wählbare Mitglieder und acht auf Lebenszeit die Senatorwürde besitzende Prälaten, darunter die zwei Metropoliten oder Erzbischöfe und sechs Beschöfe. Die Senatswahlen ergaben 85 Konservative, 15 Liberale, 12 konservative Demokraten. Im vorigen libe ralen Senate waren 21 Oppositionelle (Konservative und konservative Demokraten) nebst 8 frondierenden Liberalen. Im ersten Wahlkollegium für die Kammer, wo die besitzen den und gebildeten Bürger stimmen — also auch der Groß grundbesitz — hat die Regierung 50 Mandate erobert, die Opposition 14 Im zweiten Wahlkollegium, wo ein viel niedrigerer Besitz und Kulturzensus die Stimmberechtigung verleiht, wurden 80 Konservative, 6 Oppositionelle gewählt. Im dritten Wahlkollcgium, das das Stimmrecht den besitz- und kulturlosen Elementen auf Grund der Wahl von Wahl männern oder Delegierten verleiht, wurden 81 Konservative und ein einziger Oppositioneller gewählt. Dasselbe Ver hältnis hat sich bei den Senatswahlen herausgestellt, wo es nur zwei und engere Wahlkollegicn gibt. Nun die Re gierung ein ihr wohlgesinntes und arbeitsfähiges Parla ment hinter sich hat. kann sie ihr im ganzen Lande so günstig aufgenommenes Programm durchführen. Am wichtigsten bleiben wohl die Gesetzentwürfe über die Verwaltungs- reform und die Veräußerung der 800 000 Pogon Grund an die Bauern zur Kräftigung des mittleren Bauernbesitz landes. Die Durchführung dieses Programms ist eine schwierige Aufgabe, aber sie bedeutet das Eniporblühen des Landes, das einem Hohenzollernfürsten so viel verdankt und sich rasch entwickelt hat. Politische RuAdschau. Dresden, den 2l. Mär', 1611 — Der Kaiser und die Kaiserin sind heute vormittag 8 Uhr 34 Min. vom Lehrter Bahnhose nach Kiel abgereist. — Die Großherzogin von Sachsen-Wetmar wuroe am 20. März abends von einer Prinzessin glücklich entbunden. — Die Nordv. Allgem. Ztg. tritt den Gerüchten, wo- nach eine Verlobung der Prinzessin Viktoria Luise mit dem Erzherzog Karl Franz Joseph bevorsiehe, entgegen und be zeichnet sie als diesmal ebenso grundlos wie bei ihrem früheren Auftreten. — Zum Jubiläum der Zentrumsfraktion des Reichs tages traf folgendes Schreiben ein: „An den Vorstand der Zentrumsfraktion des deutschen Reichstages. Der freundlichen Einladung zur Teilnahme an der Gedächtnisfeier des 40jährigen Be stehens der Zentrumsfraktion vom 21. d. M. in Berlin kann ich leider persönlich nicht Folge leisten. In Ge danken und im Gebete werde ich teilnehmen. Die Erinnerung an die Konstituierung und an den mehrmonatlichen Verkehr mit den Fraktionsmitgliedern Bischof v. Ketteler, Dr. Windthorst, v: Mallinckrodt, den Brüdern Reichensperger und v. Savigny und vielen anderen vorzüglichen und liebenswürdigen Fraktions genossen während der ersten Reichstagsperiode bleibt mir unauslöschlich wert und lieb. Mehr jedoch als diese Gründungszeit veranlassen mich die Leistungen und Früchte des Zentrums, mich zu freuen und den innigen Wunsch zu hegen und zu äußern, daß nach wie vor das Zentrum stets einig, mutig, kräftig einstehe für Gottes Ehre, für die Rechte der Kirche und jegliches Recht, für die weltliche Obrigkeit von Gottes Gnaden und für das Wohl des deutschen Volkes in allen seinen Teilen und Schichten. Venlo, 16. März 1911. k. I. Raymund, M. v. Löwenstein, O. I>r." Der frühere Fürst Löwenstein gehörte bekanntlich zu den Gründern und dem ersten Vorstand der Zentrums fraktion an; er ist das einzige noch lebende Gründungs mitglied. Heute gehört sein Sohn, Fürst Alois v. Löwen stein, der Fraktion an. — Der Reichstag führte am Montag endlich die zweite Beratung des Reichsamtcs des Innern zu Ende. Reichs versicherungsamt, Kanalaiut und Aufsichtsamt für Privat versicherung wurden hintereinander erledigt. Bei letzterem beantragte der Zentrumsabgeordnete Dr. Marcour, daß mit Presseuuternehmungen keine Versicherung verbunden sein darf. Von seiten der Regierung sprachen sich Direktor Caspar und Minister Delbrück gegen den Antrag aus, sie sehen in der Abonnentenversicherung der Presse durchaus nichts Nachteiliges. Der Antrag des Zentrums wurde trotz dem angenommen. — Im preußischen Abgeordnetenhause wurde bei der Fortsetzung der zweiten Etatsberatung eine ganze Reihe von Etatkapiteln ohne erhebliche Debatte erledigt. Beim Bergetat entstand eine größere Debatte. Vom Zentrum trat der Abgeordnete Jmbusch für einen Ausgleich der Lohn verhältnisse im Ruhr- und Saarrcvier ein. Am Abend geht die Beratung weiter. — Postvertrag zwischen Deutschland und Kuba. Die Ratifikationsurkunden zu dem zwischen dem Deutschen Reiche und der Republik Kuba am 28. Februar d. I. abgeschlossenen Uebereinkommen über den Austausch von Postanweisungen sind am 17. d. M. ausgetauscht worden. — RektoratSverfasiung an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Wie der Hannover. Kurier aus zuverlässiger Quelle erfährt, ist die Umwandlung der Dtrektorateinrich- tung an der hiesigen Tierärztlichen Hochschule in eine Rektoratsverfassung für den 1. April de» nächsten Jahres in Aussicht genommen worden. Die sofortige Durchführung ist aus etatsrechtlichen Gründen nicht angängig erschiene:,. Nichtsdestoweniger sollen schon jetzt, abgesehen von dem Titel Rektor und den Funktionen eines Administrators, dessen Stelle durch den Staatshaushaltsetat erst neu ge- schaffen werden muß, sämtliche Vorschriften des Statuts der Berliner Tierärztlichen Hochschule, an welcher Rektorats- Verfassung besteht, alsbald in Kraft treten. — Für das Fraueuwahlrecht eröffnet nunmehr die Sozialdemokratie eine umfassende Agitation und hält Riesenversammlungen ab. Sie will also für die nächsten Wahlen die Frauen mobil machen. Man lerne daraus im Zentrum. — Heber die Verwendung der Kaliabgabe gehen ganz falsche Beschlüsse durch die Presse. Die Kommission hat folgende Verwendung der Kaliabgabe beschlossen: 1. Zur Deckung der dem Reiche aus der Ausführung des Gesetzes über den Absatz von Kalisalzen erwachsenden Kosten 500 000 Mark: 2. für praktische Versuche sowie für wissen- sä-astliche Arbeiten und Veranstaltungen zur Hebung des Kaliabsatzes nach näherer Bestimmung des Bundesrates a) zur Förderung von tropischen und subtropischen Kulturen in den deutschen Schutzgebieten 100 000 Mark, b) im Aus lände 2 Millionen Mark: 3. zur Vergütung an von der Ver- tcilungsstelle zu bestellende Kontrolleure und Probenehmer l 00 000 Mark; 4. Beitrag zu den Kosten der Untersuchung von Empfängerproben nach näherer Bestimmung des Bundesrates 700 000 Mark; 5. zur Bildung eines Reserve- fonds 300 000 Mark. Soweit die Einnahmen aus Ka- pitel 8 Titel 17b die Summe von 4,8 Millionen Mark nicht erreichen, vermindert sich der Reservefonds; der Mehrbetrag fließt dem Reservefonds zu. Dasselbe gilt von den Mindcrausgaben der Titel 1—4. Dafür stimmten 18 Mit« glieder der Kommission, dagegen 10. Diese 10 Stimmen gehörten sämtliche der Linken an. Abgeordneter Dr. Heim stimmte nicht gegen, sondern für den Antrag. Die anderen Behauptungen in der Presse sind unzutreffend. — Die Nationallibcralen als Vorfrucht der Sozial demokratie. Alle Berichte aus Ostpreußen stimmen seit Be ginn des sogenannten „nationalliberalen" Feldzuges darin überein, daß die Agitationsweise dieser Partei in Dema gogie, Mißhandlung der Wahrheit und persönlich gehässiger Verunglimpfung alles weit überbiete, was jemals vorher von freisinniger oder selbst von sozialdemokratischer Seite dort geleistet worden sei. Die Korrespondenz des Bundes der Landwirte erinnert nur an die diesbezüglichen Leistun gen eines früheren liberalen Kreisarztes, an die im Jo hannisburger Wahlkampfe verbreiteten Behauptungen, im Bunde der Landwirte sei nur der Ausschuß der Menschheit vertreten, die Agrarkonservativen wollten die Landarbeiter wieder zu käuflichen Sklaven machen und gleichwertige Sachen. Von eminent demagogischer Wirkung mußte es auch zum Beispiel sein, wenn der erste Wortführer des libe ralen Bauernbundes in Osterode die Landräte im allge meinen als Männer hinstellte, die über persönliche und ver wandtschaftliche Rücksichten ihre beschworenen Amtspflichten vergäßen. Aehnliche Verdächtigungen bezüglich ihrer Tätig keit als Steusreinschätzungskommissare werden ja auch fort gesetzt von sogenannter nationalliberaler und dieser nahe stehender „unparteiischer" Seite gegen dieselben Staats beamten gerichtet. Demagogisch aufwiegelnd wirkt ja auch die ganze Art und Weise, wie diese „Nationalliberalen" und ihr Bauernbund gegen die aller möglichen Ruchlosig keiten beschuldigte» größeren Grundbesitzer und für die im Prinzip allseitig befürwortete innere Kolonisation agitie ren. In den Kreisen der kleinsten Besitzer und der Land arbeiter wird da oft die Vorstellung erweckt, daß die Natio- ualliberalen gewillt wären, die Ländereien der durch und durch verderbten Großgrundbesitzer gratis an die kleinen Leute zu verteilen. Für die Wirkung dieser fortgesetzten demagogischen Aufhetzung auch der Arbeiterschaft durch die doch bisher vorwiegend in den Kreisen der großindustriellen Arbeitgeber beheimateten Nationalliberalen zeugt folgende Nachricht in der von ihnen begründeten „Masurischen Ztg.". Der Leiter einer nationalliberalen Versammlung in Sko- matzko, Herr Witt, berichtet da, daß ein Besucher dieser Versammlung, begeistert von nationalliberalem Geiste oder Spiritus, erklärt habe: „Wenn es zum Hauen gekommen wäre, hätten wir unseren eigenen Herrn nicht geschont!'^ Wie aufreizend muß der nationalliberale Redner auch in dieser Versammlung gegen alle Grundbesitzer gesprochen haben, um derartige „Begeisterung" zu erwecken. Auch die Arbeitgeber in der westlichen Industrie und Landwirtschaft werden ihr blaues Wunder daran erleben, wie sich der Cha rakter der masurischen Wanderarbeiter unter nationallibe raler „Ausbildung" geändert hat. Solche Erfolge haben bei den masurischen Pferdeknechten und Jnstleuten bisher nicht einmal die Sozialdemokraten erzielen können, die Nationallibcralen sind ihnen in Demagogie vorläufig noch weit über. Die letzte Frucht aber werden die Genoffen sicherlich bald einstecken. — Eine nationale Wahlparole. Der Herausgeber der „Aktion", der Demokrat Franz Pfemscrt, erhebt in der nenesten Nummer dieser Zeitschrift abermals die Anklage gegen die Negierung, daß sie dem Drängen reaktionärer Kreise, für die Neuwahlen zum Reichstage eine „nationale" Wahlparole zu „dichten", ein überaus bedenkliches Ent gegenkommen bewiesen habe. Herr Pfemfert behauptet ge radezu, daß die deutsche Regierung hinreichend verdächtig erscheine, „dem frivolen Plan einiger gewisscnarmer Scharf macher, eine Kriegshetze als Wahlparole zu inszenieren, ihre Zustimmung erteilt" habe. Von reaktionärer Seite sei mit Zustimmung des Herrn v. Heydebrand die Negierung schrift lich und mündlich aulgefordert worden, bei den bevorstehen den Wahlen eine „nationale Demonstratio» zu veranstalten", die „Blicke und Gedanken aus den äußeren Feind zu lenken", „das deutscbe Volk wieder an seine Ideale, für die seine Väter ihr Leben einsetzten, zu erinnern", kurz, eine „nativ, nale" Wahlparole auSzugeben, die solch chauvinistischen Ge, danken Rechnung trage. Die Regierung habe den tieferen Sinn dieser Zumutung auch wohl verstanden und durch die Drohnote an Serbien einen Beweis ihres guten Willen» den Zumutungen der Scharfmacher gegenüber geliefert!! Herr Pfemfert erklärt weiter, im Besitze von interessante»!