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Heinz Arenz, 1924 in Köln geboren, erhielt seine musikalische Ausbildung an der Musikhochschule seiner Heimatstadt und — nach Kriegsende — im Privat studium. 1950 bis 1960 war er Künstlerischer Leiter des Republikensembles der Deutschen Volkspolizei (mit zahlreichen Veranstaltungen im In- und Ausland, Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen). Anschließend hatte er leitende Funk tionen im Rundfunk und beim Fernsehen der DDR. Seit 1967 ist er Sekretär des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR und Leiter des Veranstaltungsbüros. Sein reiches kompositorisches Schaffen, vorwiegend auf dem Gebiet anspruchsvoller Unterhaltungsmusik, umfaßt vor allem Vokalmusik (weit über 100 Lieder, Kantaten, Singspiele), größere Orchesterwerke und Blas musik. Sein verdienstvolles Wirken wurde mit zahlreichen staatlichen und gesell schaftlichen Auszeichnungen gewürdigt, über die am 24. Februar 1986 in Dres den uraufgeführt Suite für Orchester „Frieden" äußerte der Komponist: „Das Werk entstand anläßlich des 30. Jahrestages unserer Nationalen Volks armee, initiiert und im Auftrag der Dresdner Philharmonie, der Militärakademie .Friedrich Engels' Dresden und des Rates der Stadt Dresden, Abt. Kultur. Den Entstehungsprozeß der Komposition förderte der Umstand, daß ein verantwort licher Kreis von Vertretern der genannten Institutionen zu mehreren Beratungen mit dem Komponisten zusammentraf, um über den Werkinhalt und die Wir kungserwartungen rechtzeitig Verständigungen herbeizuführen und wichtige Vorgaben dazu auch innerhalb der Militärakademie anschaulich zu vermitteln. So stimmten alle Gesprächsteilnehmer in den Auffassungen überein, daß, dem spezifischen Anlaß gerecht werdend, das neu zu schaffende Werk den Hörern Identifikationsmöglichkeiten bieten soll, die in Bescheidenheit, aber möglichst nachhaltig und erlebnisreich eine weitgefächerte, emotionale Skala an Ein drücken und Haltungen vermitteln und ihnen helfen soll, sich soziale, sittliche und ästhetische Ideale und Werte zu erschließen. Auch in dieser Musik geht es um die Vermittlung von Motivationen für Lebens auffassungen, für Lebensweise, für persönliches Handeln, um Empfindungen und die Stärkung des Gefühls und des Bewußtseins, daß es sich lohnt, für die beste Sache der Welt einzutreten und zu kämpfen. Und das sind Gedanken und Empfindungen im Sinne der Friedenserhaltung, der Heimatliebe, der Völker freundschaft, der Vereinigung der Menschheit, der Liebe, des Glücks, der Hoff nung, der Lebensbereicherung und der Lebensfreude. Diesen Aussagen entspre chend war es das Bemühen des Komponisten, sich in einfacher, weitgehend bildhafter Musiksprache, bewußt auf Modernismen verzichtend, an ein breites, musikinteressiertes Publikum zu wenden, ging es doch um Wirkungen, die nicht erst von künftigen Generationen, sondern in unseren Lebenslagen verstanden sein wollen. Die drei Teile der Komposition orientieren sich in ihrem Ablauf an den Gedan ken Heimat in Glück und Gefahren, Friedensklage — Friedenstaten, Friedens macht und Zuversicht. Als Rezeptionshilfen gedacht, gestatten sie auf umfäng liche Werkbeschreibungen zu verzichten. Mit dieser Komposition, die auf ihre Weise den Frieden als die einzige der Menschheit würdige Lebensform besingt, soll ein bescheidener Dank den Ange hörigen unserer nationalen Volksarmee übermittelt sein, die in nunmehr 30 Jah ren einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung des Friedens geleistet hat und seine Zukunft zusammen mit den sozialistischen Bruderarmeen sichert." Johannes Brahms 1. Sinfonie Erst im reifen Alter von 43 Jahren, 1876, vollendete Johannes Brahms seine 1. Sinfonie c-Moll op. 68 und schuf bereits neun Jahre später seine vierte und letzte Sinfonie. Sein sinfonisches Schaffen umspannt also zeitlich gerade ein Jahrzehnt. Aber welch eine Fülle herrlichster Musik, welch eine einzigartige Weite und Wärme musikalischen Ausdrucks verbirgt sich hinter dieser nüchternen Feststellung. Brahms fiel die Auseinandersetzung mit der großen zyklischen Form des 19. Jahrhunderts nicht leicht (allein sein schmerz volles Ringen um die 1. Sinfonie bestätigt dies: lag der erste Satz bereits 1862 vor, so konnte doch das gesamte Werk erst 14 Jahre später vollendet werden). Mit seiner „Ersten" lieferte der Komponist ein hervorragendes Beispiel schöpfe rischer Aneignung der sinfonischen Tradition eines Beethoven (dessen „Fünfter" sie an Tiefe des Ausdrucks und Größe der Problemstellung verwandt ist), Schu bert und Schumann. Von dem berühmten Dirigenten Hans von Bülow stammt das bekannte Bonmot, das Brahmsens „Erste” Beethovens „Zehnte" genannt werden könne. Damit ist die musikgeschichtliche Stellung dieser Sinfonie als bedeutendster sinfonischer Beitrag des 19. Jahrhunderts seit Beethoven klar um rissen. Und nichts anderes stellte auch der gefürchtete Wiener Kritiker Eduard Hanslick fest, als er nach der ersten Wiener Aufführung schrieb: „Mit den Wor ten, daß kein Komponist dem Stil des späteren Beethoven so nahegekommen sei wie Brahms in dem Finale der 1. Sinfonie, glaube ich keine paradoxe Be hauptung, sondern eine einfache Tatsache zu bezeichnen." Die am 4. November 1876 in Karlsruhe unter Max Desoff uraufgeführte Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Un poco sostenuto) von 37 Takten, die den thematischen Kern in sich trägt, aus dem der erste Satz hervorwächst: ein chromatisch eindrucksvolles Motiv, zu dem in den Bässen ein unerbittlich häm mernder Orgelpunkt ertönt. Quälende Unruhe, Gefahr, schmerzliches Leid drückt die Einleitung aus. Das anschließende Allegro begehrt trotzig gegen diese Stimmung auf. Aber das chromatische Motiv, dem auch das zweite Thema (in der Oboe) unterliegt, löst ein leidenschaftliches Ringen aus, das in der Durch führung seine Höhepunkte erfährt. Mit dem Kopfmotiv der Einleitung kündigt sich die Coda an. Die verzweifelte Spannung löst sich trostvoll in C-Dur. Eine zwingende einheitliche thematische Gestaltung besitzt der zweite Satz (Andante sostenuto) mit seinem trostvoll innigen Hauptthema, das die Violinen, von den Fagotten unterstützt, anstimmen. Mehr elegischen klagenden Charakter hat das Nebenthema cis-Moll der Holzbläser. Im Mittelpunkt wechseln sich Oboe, Klarinette, Celli und Kontrabässe konzertant in der Führung ab. In der Reprise greift die Solovioline den zweiten Teil des Hauptthemas auf. Die verhaltene Heiterkeit des dritten Satzes (Un poco Allegretto e grazioso) läßt Hoffnung schöpfen, daß die düsteren Kräfte und Gedanken überwunden werden können. Holzbläser führen die Motive dieses Satzes ein (die Klarinetten das wiegende, herzliche Hauptthema). Humorvoll musizieren Bläser und Strei cher im H-Dur-Trio gegeneinander. Mit Recht hat man das Finale dieser Sinfonie als den gewaltigsten Sinfoniesatz seit Beethoven bezeichnet. Drei tempomäßig unterschiedliche Teile geben die äußere Gliederung. Der Satz beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die der des ersten Satzes ähnlich ist. Zunächst erklingt ein chromatisch-schmerzliches Motiv, das in eine drohende, unheilvolle Stimmung hinübergeführt wird (synkopische Pizzicato-Steigerungen, verzweifelte Bläserrufe, erregte Streicherfiguren). Da ertönt plötzlich — nach einem Paukenwirbel — ein Seelen- und friedvolles Horn- thema (Piü Andante), das an Webers „Freischütz"-Ouvertüre und Schuberts große C-Dur-Sinfonie erinnert. Danach beginnt der dritte Teil des Finales (Allegro non troppo, ma con brio) mit seinem weitläufigen, jubelnden Marsch thema in vollem Streicherklang, das teilweise an den Freudenhymnus von Beet hovens 9. Sinfonie gemahnt. Nun erfolgt der Durchbruch zu optimistischer Hal tung; die dunklen Kräfte werden bezwungen. Neben dem innigen zweiten G-Dur-Thema und dem aktiv drängenden dritten Thema kehren auch die ande ren thematischen Gestaltungen des Satzes wieder und beteiligen sich an der stürmischen Durchführung. Den hymnischen Ausklang dieser einzigartigen Sin fonie bringt das Piü Allegro. Prof. Dr. Dieter Härtwig Herausgegeben vom Rat der Wartburgstadt Eisenach, Abteilung Kultur 00050 RAT DER WARTBURGSTADT EISENACH Rc 173/86 - V 3/15 - 228