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Erscheint wöchentlich drei Mal: Dinstags, Donnerstags und Sonnabends. Preis vierteljährlich 1 Mark, durch die Post bezogen 1 Mark 25 Pf. — Einzeln« Nummern 8 Pf. — Jnsertionsgebühren pro kleingespaltene Zeile für Abonnenten 7 Pf., für Nichtabonnenten 10 Pf. Bei mehrmaliger Insertion entsprechender Rabatt. — Jnseraten-Annahme bis Abends 5 Uhr des vorhergehenden Tages. — Reclamen im Redactionotheil pro Zeile 20 Pf. — Geeignete Beiträge sind stets willkommen. Donnerstag, 4. Zuli 1878. AboniltmMs-CiMmig. Abonnements auf den „Waldenburger Anzeiger" werden von den Austrägern sowohl wie in der Expedition, Obergasse 41 im Laden, noch jederzeit entgegengenommen und die bereits erschienenen Nummern nachgeliesert. Namentlich machen mir auf die in Nr. 1 be gonnene Erzählung von Hans Wachenhusen: „Kie Kngelsstimme" aufmerksam. Dieselbe ent hält eine mit großer Suchktnntniß geschriebene Schilderung, in welcher Weise in der sogenann ten Gründerzeit das Geld gewonnen und ver loren wurde. Abonnementspreis pro Vierteljahr 1 Mark frei in's Haus, durch die Post bezogen 1 Mark 25 Pf. Bei Abholung aus der Expedition 90 Pf. pränumerando. Inserate werden pro Spalt- zcile mit 7 Pf. für Abonnenten, mit lO Pf. für Nichtabonnenten berechnet. Bei mehrmaliger Be stellung Rabatt bis zu 33'/» Procent. Ergebenst Exp d. „Waldenburger Anzeiger." Politische Lmdschau. Waldenburg, 3. Juli 1878. Die Congreßverhandlungen haben in den letzten Sitzungen ersprießliche Fortschritte ge macht. Die Unabhängigkeit Serbiens ist seitens der Mächte unter der Bedingung der Freiheit aller Cutte anerkannt worden, die gleiche Be dingung wird für die Unabhängigkeitserklärung Rumäniens gestellt werden. In der Sitzung vom 1. Juli w: rde sodann die Berathung der bessa rabischen Angelegenheit begonnen, wobei man die Wünsche der rumänischen Regierung anzu hören beschloß. Im Prinzip soll es jedoch be- FmUttiiu. Tie Engelsstimme. Erzählung von Kans Wachenhusen. kFortjetzung.) Eines Morgens also — der Finanzrath hatte eben seinen Ausgehrock in den Schrank gehängt und das Bureautleid angelegt — trat Bolmer zu ihm und begehrte eine Audienz unter vier Augen. Marbach schielte Botmar heimlich prüfend an. Der junge Mann hatte ohne Zweifel schlaflose Nächte durchwacht, denn er lebte sonst solide. Tiefe Falten auf der sonst so glatten Stirn, Krähenfüßchen an den Schläfen, die bleiche Ge- sichlshaut und die Unruhe in seinen Augen be reiteten den Finanzrath auf etwas Ungewöhn liches vor. Bodmer hatte heute sogar zum ersten Male vergessen, seinem Vorgesetzten, der mit den Stahlfedern nicht zurecht kommen konnte, das halbe Dutzend Gänsekiele vorzuschneiden, die er auf seinem Pulte zu finden gewohnt. Alles deu tete auf Außerordentliches. „Sie sind krank, lieber Botmer; Sie sollten sich schonen!" sagte Marbach, ein Mann mit dem echten, unverfälschten Bureau-Gesicht, glatten, wei ßem Haar, das sorgfältig über die Schläfen ge strichen, gelber, maller Gesichtshaut, wie sie reits entschieden sein, den von Rußland mit Be stimmtheit ausgesprochenen territorialen Wünschen nicht entgegenzutreten, d. h. also so viel, als daß Rußland Bessarabien annectiren und dafür Ru mänien mit der Dobrudscha entschädigen wird. Ebenso haben die Mächte sich damit einverstan den erklärt, daß Oesterreich Bosnien und die Herzegowina besetzt, um dort geordnete Verhält nisse herzustellen und unter seinem Schutz die geflüchteten Bewohner zurückzurufen. Oesterreich macht übrigens bei der türkischen Regierung neben anderen Geldforderungen auch die Rück erstattung der für die bosnischen Flüchtlinge ver auslagten 9 Millionen Gulden geltend. Die arme Türkei, wo wird sie's Geld dazu herneh men? — Interessant ist eine Aeußerung Gort- schakow's, welche er nach einem Wiener Blatte gethan haben soll: „Ich weiß, daß das, was der Congreß schaffen wird, nicht von Dauer sein kann, aber ich bin ein alter Mann und will nicht, daß, so lange ich agire, neue Ströme von Blut vergaffen, neue Opfer gebracht werden. Die nach mir kommen, werden, deß bin ich über zeugt, den Strauß ausfechten müssen." Nach derselben Quelle hätte Fürst Bismarck gelegent lich bemerkt: „Die orientalische Frage muß etappenweise gelöst werden. 1828 erste Etappe, 1856 zweite, 1878 dritte und dre vierte, die noch lange nicht die letzte, wird nicht lange auf sich warten lassen." Ja, möchte man fragen, warum löst man die Frage nicht radical? — Die Verantwortung für die Richtigkeit der letz teren Mittheilungen müssen wir übrigens dem Wiener Blatte überlassen. Endlich veröffentlicht der „Deutsche Reichs- Anz." das Schreiben unseres Kaisers vom 24. März an den Papst. Letzterer hatte den Kaiser von seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl benachrichtigt und dabei sein Bedauern ausgesprochen, nicht die guten Beziehungen vor- Stubenluft und Aktenstaub verursachen, und stets rothblauen, schmalen Lippen, in deren Ecken die Bureau-Strenge ihren Ausdruck fand. Botmer antwortete nicht. Marbach schritt ihm voraus in ein hinteres Registratur-Zimmer, in welchem ein kleines Sopha mit schon etwas schad haft gesessenem amerikanischem Leder und ein ähn licher Stuhl standen. „Sie haben etwas von Wichtigkeit, Botmer!" sagte der Finanzrath, auf den Stuhl deutend, wäh rend er sich auf das Sopha niederließ. „Ich fürchte sogar, ich habe Sie schon seit einiger Zeit verstan den, fühlte aber keinen Beruf ..." „Ich danke Ihnen, Herr Finanzrath!" Botmer blieb vor ihm stehen und umschloß mit beiden Hän den den Stuhlrand. Seines Vorgesetzten bedenk licher Miene glaubte er eine stolz reservirte Haltung entgegen setzen zu müssen. Er biß die Lippen zu sammen und schaute den Stuhl wiegend vor sich hin. Der Finanzrath setzte sein ganzes Amtsge sicht auf, denn es konnte hier möglicherweise der Strenge bedürfen. „Es ist kein Geheimniß, Herr Rath." fuhr Bot mer fort, „nur eine Mittheilung, die ich Ihnen, meinem unmittelbaren Vorgesetzten, zuerst schuldig zu sein glaube, nämlich meine Absicht, auszutre ten und . . . „Botmer! Und sich ganz und rückhaltlos der Spekulation zu übergeben, die leider schon alle Gewalt über Sie hat! . . . O, ich habe schon zufinden, welche einst zwischen Preußen und dem päpstlichen Stuhle bestanden hätten. Der Kaiser antwortet darauf: „Gern entnehme ich den freund lichen Worten Ew. Heiligkeit die Hoffnung, daß Sie geneigt sein werden, mit dem mächtigen Ein fluß, welchen die Verfassung Ihrer Kirche Ew. Heiligkeit auf alle Diener derselben gewährt, da hin zu wirken, daß auch diejenigen unter den Letzteren, welche es bisher unterließen, nunmehr dem Beispiel der ihrer geistlichen Pflege befohle nen Bevölkerung folgend, den Gesetzen des Lan des, in dem sie wohnen, sich fügen werden." Nachdem der Papst in einer Erwiderung vom 17. April als Mittel zur Erneuerung des früher bestandenen guten Einvernehmens die Abänder ung verschiedener in Preußen bestehender, gesetz licher und verfassungsmäßiger Bestimmungen be zeichnet hatte, antwortete der Kronprinz: „Dem Verlangen, die Verfassung und die Gesetze Preu ßens nach den Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzuändern, wird kein preußischer Monarch entsprechen können, weil die Unabhängigkeit der Monarchie, deren Wahrung mir gegenwärtig als ein Erbe meiner Väter und als eine Pflicht gegen mein Land obliegt, eine Minderung erleiden würde, wenn die freie Bewegung ihrer Gesetz gebung einer außerhalb derselben stehenden Macht untergeordnet werden sollte." Der vormalige Reichskanzleramts-Präsident und Staatsminister Delbrück hat ein Wahlschreiben an die Wähler des 3. (Jtnaischen) Wahlkreises gerichtet, in welchem er erklärt, die verbündeten Regierungen bei wirksamer Bekämpfung der sozial demokratischen Angriffe unterstützen zu wollen. Ferner werde er eintreten für Herstellung der finanziellen Selbstständigkeit des Reichs durch Be seitigung der Matricularbeiträge und durch wei tere Ausbildung des Systems der indirecten Be steuerung. Seine Stellung in den Fragen der Handelspolitik entspreche den Traditionen des längst verstanden, was in Ihnen vorgeht!" unter brach ihn Marbach, den Elloogen in die Hand stützend und sich sorgenschwer das Kinn streichelnd. „Ich habe kein Recht, Ihnen Vorstellungen zu ma chen, bin auch entfernt, es zu wollen . . . „Es würde zu spät sein!" unterbrach ihn sei nerseits Bolmer mit fast mitleidiger, siegesbewußter Miene. „Ich wünsche nur, Herr Rath, Ihnen persönlich das Bedauern auszudrttcken, mit dem ich von Ihrer Seite scheiden muß, dem ich so viel Dank für all die Rücksicht schulde . . ." Marbach winkle abwehrend mit der Hand. „Ihr Vorsatz also ist unwiderruflich?" fragte er, nur um zu fragen, denn er las aus Botmer's Miene, daß jedes Wort nur noch der Phrase diente. „Ich habe mein Abschiedsgesuch bereits abge sandt!" „Schade! Wir bedürfen der Arbeiter wie Sie! In wenigen Jahren hätten Sie, namentlich bei der Thätigkeit, die uns jetzt bevorsteht, die Män ner mit schnellem, sichrem Blick und leichter, aber fester Hand erfordert, in meine Stellung einrücken müssen; es hätte Ihnen gewiß nicht an einer guten Partie gefehlt . . ." „Botmer lächelte. Wie dürftig erschien ihm diese Perspektive! „Ich danke Ihnen, Herr Ratb!" sagte er fest. „Ich glaube, meine Aufgabe in anderer Richtung suchen und lösen zu müssen; es wäre mir eine