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«»7 8MMW M AW« AMD«« Nr. 154. zu Nr. 126 des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe: RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungc». (Fortsetzung der v«. Vitzung von Freitag, den »d Mai.) Punkt 2 der Tagesordnung: Zweite Beratung über die Vorlage Nr. 127, den Entwurf eines Gesetzes über wertbeständige Darlehen und Erweiterung der LandeSkulturrentenbank bctr. (Mündlicher Be richt des Rechtsausfchusses, Druckjache Nr. 819.) (Bgl. Landtagsbeilage Rr. 147 S. 666.) Der Ausschußautrag (Drucksache Nr. 819) lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Vorlage Nr. 127 mit Überschrift, Eingang und Schluß mit folgenden Änderungen anzunehmen: 1. in H, 3 und III. Abs. 2 für „Ministerium des Innern" „Arbeits- nnd Wohlfahrt-ministerium" zu setzen und 2. in II., 5 statt „für die Rente" „für die ganze Rente" zu setzen. Berichterstatter Abg. Wehrmann (Denn): Die Vor- läge Nr. 127, die in der Vollsitzung des Landtages am 15. Mai dem Rechtsausschuß überwiesen worden war, ist dort am 21. Mai beraten worden. Grundsätzlich stimmte man dem Gesetzentwurf zu. Ohne wesentliche Änderungen — die Änderungen, die in dem Anträge auf Drucksache Nr. 819 vorliegen, sind nur formeller Natur — nahm man den Gesetzentwurf an Erwähnt werden müssen aber einige Anregungen, die dem Gesetzgeber mit auf den Weg gegeben worden sind. Zu Abschnitt 1 Abs. 2 wurde die Regierung er sucht, den Gegenwert der Goldmark stets und sofort nach der entsprechenden Reichsgesetzgebung zu regeln. Die Regierung sagte dies zu. Weiter erklärte die Re gierung auf Ansuchen hin, daß der einmalige Beitrag zu den Kosten für die Herstellung der Landeskultur- rentenscheine und anderes mehr möglichst niedrig sein solle; sind sind zunächst auf 1 Proz. des Nominalwertes festgelegt, doch werde sie, wenn angängig, auch darunter gehen. Endlich lehnte die Regierung und mit ihr der Aus schuß den Vorschlag, der schon in der Vollsitzung und im Ausschuß gemacht war, ab, den Darlehen der Bank ohne Unterschied den Vorrang vor allen Lasten zu zugestehen. Man will, um die Hypothekenbesitzer nicht zu schädigen, an dem bisherigen Brauch sesthalteu und Darlehen für das Unternehmen nach Punkt III des Gesetzes nur mit Zustimmung der Darlehnsnehmer an erste Stelle setzen. Das Haus wird gebeten, dem Beschlusse des Aus schusses auf Drucksache Nr. 819 beizutreten. Der Antrag des Ausschusses wird ohne Aussprache einstimmig angenommen. Die Punkte 3—8 der Tagesordnung werden zu sammenbehandelt: 3. Erste Beratung über den Antrag des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen, betreffend Revision sämt licher Urteile für politifche Vergehen und solcher Straftaten, die in Verbindung mit wirtschaftlichen Kämpfen usw. begangen worden sind. (Drucksache Nr. 765.) 4. Erste Beratung über den Antrag des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen., die Zulassung von Wahl verteidigern betreffend. (Drucksache Nr. 766.) b. Erste Beratung über den Antrag des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen., betreffend Aussetzung der auf Grund des Ausnahmezustandes verhängten Strafen bis zum Erlaß einer Amnestie. (Drucksache Nr. 769.) 6. Erste Beratung über den Antrag des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen. auf Erlaß eines Gesetzes über Straffreiheit für politische Straftaten. (Drucksache Nr. 771.) 7. Erste Beratung über den Antrag des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen., betreffend die sofortige Frei lassung aller Schutzhaftgefangenen (Druck sache Nr. 794.) 8. Anfrage des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen., die Verhaftung des Abg. Renner u. a. betreffend. (Drucksache Nr. 764.) Die Anfragen bzw. Anträge lauten: Nr. 765. In der letzten Zeit sind von den Gelickten eine große Menge ungeheuerliche Urteile gefällt worden. Für Vergehen, die früher unter die Bestimmung über Mundraub, also eine außerordentlich milde Beurteilung gefallen wären, werden jetzt unter offensichtlichem Miß brauch des § 125 (Landfriedensbruch) drakonische Strafer verhängt. Die Urteile sind so unerhört, daß sie sofort dringend revidiert werden müssen. Wir beantragen deswegen, der Landtag wolle beschließen: die Regierung -u beauftragen, unbeschadet einer even tuell eintretenden Amnestie sämtliche Urteile für politische Vergehen und solche Vergehen, die in Ber- bindung mit wirtschaftlichen Kämpfen oder aus einer besonderen Notlage ergangen sind, sofort einer Re vision zu unterziehen, die Strafen weitgehend zu er- lassen oder zu ermäßigen, dem Landtage von dieser Maßnahme Mitteilung zu machen. Nr. 766. Bei den sich jetzt ständig häufenden, aus der Notlage, aus wirtschaftlichen und politischen Kämpfen entstehenden Straftaten ergibt sich, daß bei den daraus entstehenden Gerichtsverfahren die größte Zahl der Angeklagten nicht in der Lage ist, für sich einen juri stischen Verteidiger zu stellen. Tie Rechtsanwaltskosten sind in den meisten Fällen für die Angeklagten zu hoch. Die Zulassung von Wahlverteidigern, die in einem solchen Falle billiger, meist kostenlos ist, wird von den Gerichten in vielen Fällen ohne wirkliche Ursacke ab gelehnt. Wir beantragen deswegen, der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu beauftragen, eine Verfügung zu erlassen, nach der die Gerichte angewiesen werden, die nach 8 138 der Strafprozeßordnung zulässigen Wahlverteidiger in der Regel zuzulassen und jedem Wahlverteidiger, auch wenn das Gericht zur Ab lehnung der Zulassung kommen sollte, das Reckt zur Begründung seines Antrages auf Zulassung zu ge währen. Rr. 769. Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu beauftragen, in, Wege der Verord nung die Staatsanwaltschaften, Gerichte und Polizei- behörden anzuweisen, 1. Strafen, die wegen Verstößen gegen alle Gesetze und Verordnungen, die auf Grund des Ausnahme zustandes verhängt wurden, werden bis zur Stellungnahme des Landtags über eine end gültige Amnestie ausgesetzt. 2. Wegen obiger Verstöße eingeleitete Unterjuchuugs- und Strafverfahren sowie verhängte Gefängnis strafen werden ausgesetzt. Schon Inhaftierte werden sofort aus der Haft entlassen. Geld strafen werden nicht eingezogen. Nr. 771. Ter Landtag walle beschließen: die Regierung zu beauftragen, sofort folgendes Gesetz zur Durchführung zu bringen. Gesetz über Straffreiheit für volitische Straf taten. §1- Für Straftaten, die mit den politischen Unruhen des Jahres 1923 und 1924 und mit den Verordnungen über den Belagerungszustand im Zusammenharrge stehen, wird, soweit das Begnadigungsrecht dem Freistaate Sachsen zusteht, Straffreihert gewährt. Dies gilt insbesondere für Straftaten solcher Per- sonen, die an einem hochverräterischen Unternehmen oder an einer ein hochverräterrisches Unternehmen vor bereitenden Handlung (88 81 bis 86 des Strafgesetz buches) als Täter oder Teilnehmer mitgewirkt oder bei Mionen zur Linderung der wirtschaftlichen Rot der Arbeiterklasse gegen die allgemeinen Strafgesetze l>>§114, 115, 116, 124, I2.-> des Strafgesetzbuches) verstoßen haben. §2. Bon der Straffreiheit nach § 1 sind ausgenommen Straftaten solcher Personen, deren Handlungen zum Zwecke der Wiederaufrichtung der Monarchie oder der Errichtung der Gewaltherrschaft einer Offfzierkamarilla begangen worden sind, oder die verflicht haben, durch gewaltsame Auflösung der wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und Beamten oder durch Be drohung des StrcikrechtS oder durch gewaltsame Be seitigung der Schntzgesetze die Arbeiter, Angestellten und Beamten zu unterdrücken. §». Wird die von den Beschuldigten oder Verurteilten auf Grund dieses Gesetzes in Anspruch genommene Straffreiheit durch gerichtliche Entscheidung verneint, so sind auf seinen Antrag die Akten einem Ausschuß vorzulegen, der vom Landtag zur Mitwirkung bei der Ausführung des Gesetzes gebildet wird. Erachtet der Ausschuß die Voraussetzungen der Straffreiheit für ge geben, so legt er die Akten zu entsprechender Ent schließung dem Gcsamtministerium vor, das auch ge richtlich anhängige Strafsachen niederschlagen kann. §4. Soweit Straffreiheit gewährt wird, werden die noch nicht verbüßten Strafen und die rückständigen Bußen und Kosten erlassen, die eingeleiteten Verfahren, auch soweit sie gerichtlich anhängig sind, niedergeschlagen und neue Verfahren nicht eingeleitet. Bereit- gezahlte Bußen und Kosten werden znrückerstattet; ist auf Einziehung erkannt, so sind die eingezogenen Gegenstände zurück- zugeben. § 5 Vermerke auch über bereits verbüßte Strafen, die unter die Straffreiheit fallen würden, werden im Straf register gestrichen. §6 . DaS Gesetz tritt mit dem Lage der Verkündung in Kraft. Rr. 7S4. Bereits seit Anfang November v. I. Le- finden sich in Dresden der Stadtrat Felix Lewinsohn, in Leipzig seit Anfang Februar d. I. die Würzner Stadtverordneten Kunz, Jansen, Hertel und Krause und in Altenburg der Wurzener Stadtverordnete Lau in Schutzhaft. Trotz Aufhebung des Ausnahmezustandes werden die Betreffenden unter Ablehnung aller eingereichtcn Gesuche immer noch festgehalten. Die Festhaltung stellt sich als eine willkürliche Maß nahme dar, die jedem Rechtsempfinden Hohn spricht. Der Landtag wolle deshalb beschließen, die Regierung zu beauftragen, von der Reichsrcgic- rung die sofortige Freilassung aller Schutzhaft- gefangenen zu fordern. Nr. 764. Am 27. Februar wurde in Dresden eine Zusammenkunft kommunistischer Wahlhelfer verhaftet und in Polizeigewahrsam genommen. Am 29. Februar wurden die Inhaftierten nach dem Landgericht am Münchner Platz überführt. Während ein großer Teil der Inhaftierten dort sofort freigelassen wurde, wurden der Landtagsabgeordnele Renner, sowie die Stadt verordneten Gäbel, Gruner und Schrapel, sowie die Stadtverordnete Frau Böhme noch bis zum 1. März festgehalten. Am 1. März wurde diesen eröffnet, daß gegen sie ein Schutzhaftbcsehl des Wehrkreiskommandos vorliege, der über den 29. Februar hinaus Gültigkeit habe Ter Staatsanwalt Kron vom Landgericht hatte auf Grund dieses angeblichen Cchutzhaftbefehls die Hast verfügt. Auf die Vorstellung der Inhaftierten, daß dieser Schutzhaftbefehl mit der Aufhebung des Belage rungszustandes durch die Verordnung des Reichs präsidenten vom 28. Februar unwirksam geworden sei, wurde ihnen vom Gericht erklärt, daß das Gericht diese Auffassung teile und von sich aus die Verhängung der Haft ablehne. Vom Staatsanwalt jedoch wurde er klärt, daß die Verhängung der Hast auf Grund eines telephonischen Anrufes des Wehrkreiskommandos er folgte. Da die Befugnisse des Wehrkreiskommandos mit der Aushebung des Belagerungszustandes außer Kraft ge setzt waren, erfolgte die Jnhaftbehaltung auf Grund der Haftverfügung des Staatsanwaltes. Da gegen die Inhaftierten keine Airklage vorlag, der Staatsanwalt aber nur auf Grund eines Strafverfahrens die Haft verfügen kann, war die Handlung des Staatsanwaltes eine ungesetzliche. Wir fragen die Regierung: 1. Deckt sie diesen offenen Rechtsbrnch der Staats anwaltschaft? 2. Was gedenkt die Regierung zu unternehmen, um ein solches Vorgehen der Staalsanwaltfchckft künftighin zu unterbinden? 3. Ist sie bereit, den schuldigen Beamten zu: Rechen schaft zu ziehen? Abg. Bertz (Kom.) (zur Begründung): Schon bei der Etatberatung hat die Kommunistische Fraktion die heftigsten Angriffe gegen die Rechtspflege, wie sie in Sachieu betrieben wird, gerichtet. Ter Herr Justiz- Minister glaubte, diese Angriffe mit einer Handbewegnng abtun zu können, indem er sagte: die kommunistischen Angriffe bzw. die Beleidigungen der Kommunisten gegen die Justiz seien eine alte Angewohnheit der Kommunisten, und die Richter könnten von den Kom munisten nicht beleidigt werden. Die Angriffe, die von meinem Fraktionskollcgen Lieberasch erhoben wurden und hier angeführt worden sind, sind keine Beleidigung der Richter gewesen, sondern es ist eine Feststellung von Tatsachen gewesen, die wir in der letzten Zeit in Sachsen erleben mußten. Der Herr Justizminister hatte zugegeben, daß die Verurteilungen, die stattgefunden haben, sich aus § 125 des Strafgesetzbuches, Land friedensbruch, stützen, aber er mußte hinzufügen, daß infolge der Vorgänge im Oktober und im Februar d. I., die ein Ausfluß der schlechten Wirtschaftslage waren, diese Verurteilungen erfolgt sind. Es ist notwendig, bei diesen Dingen darauf hinzuweisen, bei sämtlichen Anträgen, die uns heute beschäftigen, wie die Verhält nisse im vorigen Jahre gewesen sind, warrnn der größte Teil der Arbeiterklasse sich in einer Erregung befand, ivo sich solche Leute, wenn man cs so nennen will, wie es in der vorigen Sitzung vom Herrn Justiz minister geschehen ist, einen Übergriff erlaubten. Der Sanierungsprozeß der deutschen Mark, der im vorigen Jahre durchgrführt wurde, zeitigte die Er scheinung, daß alle Arbeiter, die einigermaßen Klassen- bewußtsein in sich fühlten, Lohnforderungen stellten. Die Verlängerung der Arbeitszeit bei herabgesetzten Löhnen, eine beispiellose Erhöhung der Steuerlasten, alle diese Dinge führten mit der iogenannten Sanierung der deutschen Mark dazu, daß sich spontan aus der Ar beiterklasse heraus Demonstrationen gestalteten und daß bei diesen Demonstrationen Verhaftungen vorkamen, die heute abgeurteilt werden oder bereits abgeurteilt sind. Die wachsende Verelendung des deutschen Proletariats infolge der steigenden Arbeitslosigkeit, die Zunahme der Kurzarbeit im vorigen Jahre, da- Sinken der Kauf- kraft der Arbeiterköhnc und Gehälter und die gewaltige Verteuerung der Lebenshaltung infolge der neuen Steuern ist hier zu berücksichtigen. Aber auch die politische und wirtschaftliche Knebelung der Arbeiter führte dazu, den Druck auf die Arbeiterschaft noch schärfer durchzuführen Der aktive Widerstand der Arbeiter klasse mußte gebrochen werden. Bei diesem Bruch d«< aktiven Widerstandes sehen wir, daß die sächsisch« Justiz jetzt schrankenlos die weiße Justiz anwendet, um damit bet der Arbeiterklasse eine gewisse Furcht vor den Dingen,