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Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis mittags 12 Uhr. Ker Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 25 Pf. Einzelne Nrn. 5 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., Einges. 20 Pf. Expedition: Waldenburg, Obergasse 291 k. Waldenburger Anzeiger. Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herrn Kaufmann Otto Förster; in Kaufunge« bei Herrn Fr. Janaschek; in Langenchurs dorf bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Herrn Kaufmann Max Härtig, Leipzigerstr. 163; in Rochsburg bei Herrn Paul Z<,r; in Wolkenburg bei Herrn Ernst E,che; in Ziegelheim bei Herrn Edurv Kirsten. Amtsblatt für den Stadtrath Zu Waldenburg. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, LLUZeNQA, und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Tgidien, Ehrenharn, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langen leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Neichenbach, Nemse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Wolkenburg und Ziegelheim. 17. Sonntag, den 20. Januar 1895. Witterungsbericht, ausgenommen am 19. Januar, nachm. 4 Uhr. Barometerstand 764 MM. rcducirt auf den Meeresspiegel. Thermometerstan- -ft 3,5" (l. (Morgens 8 Uhr -ft 1°.) Feuchtigkeitsgehalt der Luft nach Lambrechts Polymeter 71"/n. Thaupunkt — 1/> Grad. Windrichtung: Süd. Daher Wittenlngsanssichten für den 20. Januar: Halb bis ganz heiter. "Waldenburg, 19. Januar 1895. Die Kugel ist aus dem Lauf, und es ist vergeblich, sie zurückzuhalten. Das kann man allein von den Din gen in Frankreich sagen, und die Wahl des Herrn Felix Faure zum Präsidenten der Republik kann nichts an der Thatsache ändern. Herr Felix Faure wurde gewählt, weil man den zu den Radicalen und Socialisten hinüber neigenden Brisson nicht als Oberhaupt des Staates haben wollte, denn in seiner Wahl würden sofort alle extremen Elemente die Erlaubniß gesehen haben, ihren tollen Nei gungen die Zügel schießen zu lassen. Herr Felix Faure ist aber nicht die Persönlichkeit, von der man erwarten kann, seine Autorität werde den Feinden des heutigen parlamentarischen Regierungssystems den Mund schließen. Die eleganten Gamaschen, der elegante Rock und die Blume im Knopfloch, ohne welche sich der bisherige Ma rineminister, der sich vorher vom Gerbergesellen bis zum reichen Schiffsrheder emporgearbeitet hatte, niemals öffent lich zu zeigen Pflegte, machen den großen Staatsmann, welchen Frankreich braucht, nicht aus, und alle anerken- nenswerthe persönliche Tüchtigkeit kann heute nicht mehr über die mißlich gewordene Stellung des Präsidenten der Republik forthelfen. In Frankreich muß man entweder Autorität haben oder den Willen, Gewalt anzuwenden, wenn es ohne diese nicht geht. Sonst kommt Niemand durch. Und die Vorbedingung für den Willen der Ge waltanwendung ist wieder die erforderliche Macht. Das ist der Stein des Anstoßes für den neuen Präsidenten, der keine staatsmännische Autorität ist und noch viel we niger ein Staatsstreichmann. Früher war in Frankreich die Lage eine andere, die Bevölkerung brachte der Person des Präsidenten der Republik einen natürlichen Respect entgegen. Aber unter Perier ist zu sehr gewühlt wor den, mit dem natürlichen Respect ist es vorüber, man will Leistungen des Staatsoberhauptes sehen. Und was soll es leisten? Diesen Punkt muß man vor Allem im Auge behalten, hier ist mehr als ein einfacher Personen wechsel zu verzeichnen, eine verhängnißvolle Aenderung in der gesammten Volksanschauung ist vor sich gegangen. Und wenn die Pariser revolutionäre Anschauung auch nicht in den Provinzen mit derselben Schärfe auftritt, wenn dort sogar, wo das ruhige Bürgerthum zu Hause ist, die Wahl Felix Faure's mit Beifall ausgenommen wurde, diese Sache hat nicht verhindert, daß der von der Nationalversammlung Gewählte bei seinem Erscheinen in der Hauptstadt ausgezischt und auSgepfiffen wurde. Po litik macht in Frankreich Paris. Der neue Präsident von Frankreich hat sofort bei seiner Wahl und bei seinem Amtsantritt erfahren, daß die Sü ßigkeiten des höchsten Amtes der französischen Republik reichlich mit Bitterkeiten gemischt sind. Als in der Na tionalversammlung zu Versailles seine Wahl proclamirt wurde, schrieen ihm die Angehörigen der radicalen Par teien, deren fanatische Anstrengungen, ihren Candidaten Brisson durchzubringen, nun doch gescheitert waren, alle möglichen und unmöglichen Ehrentitel zu, unter welchen höchstens das Wort Lump fehlte. Und als der „Er wählte der Nation" in Paris cintraf und unter Küras sier-Eskorte nach dem von seinem Vorgänger schon ge räumten Elyseepalast fahren wollte, war der Spektakel noch ärger. Dem gegenüber klingt es beinahe komisch, wenn der neue Präsident der Republik mit dem bisheri gen Premierminister Dupuy und dem Congreßpräsidenten Challemel-Lacour allerlei hochtrabende Reden austauschte, die sich nach der kläglichen Laufbahn Casimir-Perier's, der sein Amt in gleicher Weise antrat, fast lächerlich aus ¬ nehmen. Wie sein Vorgänger sagte Herr Felix Faure, er werde den Größen des republikanischen Frankreich nach eifern, sich über die Parteien stellen, und für alle wahren französischen Patrioten der Vereinigungspunkt sein. Das ist ganz schön gesagt, aber Worte halten vor den that- sächlichen Schwierigkeiten, in welchen sich Frankreich be findet, nicht Stich. Ein Kampf um die Macht ist entbrannt, der nur mit völligem Sieg oder völliger Niederlage endigen kann. Zunächst hat der neue Präsident der Republik nun die seit Montag Abend andauernde Ministerkrisis zu lösen, und das wird schon Arbeit kosten, denn Monarchisten und Radicale werden von vornherein das Cabinet bekäm pfen, mag es zusammengesetzt sein, wie es will. Der Herzog von Orleans hat schon an die Franzosen eine Art Manifest gerichtet, in welchem er sein Prätendenten thum in wohlwollende Erinnerung bringt; dies Geschreib sel des jungen Mannes ist nun freilich nicht ernst zu nehmen, aber die grundsätzlichen Gegner der Republik nehmen es doch zum Anlaß, jedem republikanischen Mi nisterium so viel wie nur irgend möglich Verlegenheiten zu bereiten. Wie die Volksstimme äußern sich natürlich auch die radikalen und socialistischen Zeitungen, die an Faure kein gutes Haar lassen. So äußert sich ein Blatt, „der Neugewählte sei kein Präsident der Republik, sondern nur ein Strohmann, ein Figurant, der weder Charakter, noch irgend welchen Werth habe." Andere sagen, Felix Faure sei ein Werkzeug der Reaction, und bekämpfen ihn des halb wüthend, indem sie hinzusetzen, auch mit diesem Schattenpräsidenten werde es bald aus sein. Die gemäßig ten Zeitungen sprechen natürlich anders, sie bezeichnen Periers Nachfolger als einen streng rechtlichen, fleißigen, geraden Mann, der in keiner Weise compromittirt sei. Das wird auch schon stimmen, aber Casimir-Perier war auch Präsident, war auch ein rechtlicher und gerader Mann, und ist heute doch eine Null. Und vor Allem verhindert die Rechtlichkeit des Präsidenten nicht, daß noch eine ganze Menge politischer Skandale in Paris drohen. Ueber die Schwindelwirthschast der Südeisen- bahngesellschaft ist das Ministerium Dupuy gefallen, und nach ihm wird noch Mancher darüber straucheln. Die außerfranzösischen Zeitungen lassen den bürgerlichen Tu genden des neuen Präsidenten gewiß alle Gerechtigkeit widerfahren und hoffen das Beste von seiner Verwaltung für Frankreich, aber wann haben sich jemals die Fran zosen nach fremden Hoffnungen und Wünschen gerichtet. Frankreich ist auf einer recht schiefen Ebene, die folgenden Monate mit ihren Ereignissen werden das beweisen. Fuure war, wie bereits erwähnt, zuletzt im Ministerium Dupuy Marineminister. Er ist im Jahre 1832 in Paris geboren als ganz armer Leute Kind, war zuerst Gerberlehrling und Geselle, hatte dann in Havre ein kleines Geschäft; später wurde er ein reicher Rheder. Er war ein eifriges Mitglied der Handelskammer und des Handelstribunals, als der Krieg von 1870 ihn ver anlaßte, sein Geschäft aufzugeben und in die Armee ein zutreten. Nachdem er eine Zeit lang als Adjunct des Bürgermeisters von Havre fungirt hatte, wurde er 1881 in die Kammer gewählt; bald darauf war er Unter staatssekretär im Ministerium des Handels und der Kolonien, später, 1883—85, bekleidete er denselben Posten im Marine- und Kolonialministerium. Auf seine Auregung sind Maßregeln zur Verhütung von Unfällen von Fabrikarbeitern, sowie Anordnungen hygienischer Na tur ins Leben getreten. Während seines Dienstes im Kolonialamt entfaltete er eine lebhafte Thätigkeit m der Ausarbeitung freiheitlicher Gesetze für die Kolonien. Bei den Wahlen vom October 1885 wurde er von den vorgeschrittenen Republikanern des Departements Seine- Jnfsrieure in die Kammer gewählt. Im Januar 1888 trat er unter dem Minister Tirard abermals als Unter staatssekretär in das Marine- und Kolonialministerium, bis er von Dupuy auf den Posten eines Marineministers berufen wurde. In Frankreich bezeichnet man ihn als Fachmann in allen ökonomischen, seemännischen und Eisen bahnfragen. Sein Buch: „LuäASt äs la Uranos sd äss priueipLux ä'Lurops äspuis 1888" wurde von der Akademie preisgekrönt. Als Politiker ist er im Auslande bisher nicht bekannt geworden; gilt aber als vorwurfsfreier und sehr energischer Mann. Er ist ein Mann der ernsten Arbeit; vielleicht nehmen sich die Kammern ein Beispiel an ihm. Gsiitische Rundschau. Deutsches Reich. Gelegentlich der jüngsten parlamentarischen Soiree im Reichskanzlerpalais hat Fürst Hohenlohe sich auch über die deutsche Presse geäußert und dabei u. A. bemerkt, daß in dieselbe amerikanische Sitten immer mehr Ein gang finden. Ihm gefielen jedoch die Interviews und persönlichen Details gar nicht, z. B. die Mittheilung, daß er seinen Kaffee selbst bereite. Dies sei ja richtig. Aber unrichtig fei, daß er ihn sich dreimal täglich koche. Uebrigens könne er sich auf Moltke berufen, der es eben so gemacht. Dem neulichen parlamentarischen Abend beim Reichskanzler Fürsten Hohenlohe hatten bekanntlich so cialdemokratische und antisemitische Abgeordnete nicht beigewohnt. Dazu schreibt das „Volk": „Es ist viel fach aufgefallen und scharf kritisirt worden, daß außer den Socialdemokraten auch kein Mitglied der antisemiti schen Partei zu dem parlamentarischen Abend beim Reichs kanzler eingeladen worden war. Wie wir hören, erklärt sich diese Thatsache sehr einfach dadurch, daß kein Mit glied dieser Partei beim Fürsten Hohenlohe seine Karte abgegeben hat." In der Wahlprüfungscommission des Reichstags wurde am Freitag die Wahl des Abg. Bantleon (ntlib.ft der in Ulm mit 9 Stimmen über die absolute Mehrheit ge wählt worden war, für ungiltig erklärt. Nunmehr tritt auch der „Reichsanzeiger" den Gerüch ten über Veränderungen im preußischen Staats-Ministe rium entgegen. Das amtliche Blatt schreibt: „In der Presse tauchen seit einiger Zeit stets von neuem Gerüchte über Veränderungen im Staatsministerium auf. Diesel ben entbehren jeder Begründung und müssen um so ent schiedener zurückgewiesen werden, als die frivole Verbrei tung solcher Vermuthungen geeignet ist, das Ansehen der Regierung zu schädigen." Daß Veränderungen in den Reichsämtern bevorstehen, wird hier nicht gesagt, aber auch nicht bestritten. Ueber die Zusammensetzung der Reich stagscommis- sion zur Berathung der Umsturzv orlage schreibt man: In der Commission werden dem Anschein nach alle Ent scheidungen von einer oder zwei Stimmen abhängig sein. Die conservative und die nationalliberale Partei ver fügen über 12 Stimmen. Dazu kommt der Abg. Lieber mann v. Sonnenberg (Antis.). Auf diese Weise stehen 13 gegen 15 Stimmen. Wenn irgend ein Mitglied des Centrums, der Freisinnigen, der Polen oder Social-