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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22 ; Silbergr. (j LUr.) vierlelpihrlich, z Tblr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von icder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Iägerstraße Nr. 23), so wie von allen König!. Poß -Acmiern, angenommen. Literatur des Auslandes. 8. Berlin, Donnerstag den 18. Januar 1844. England. Sagen und Erzählungen des Mittelalters.") Herr Thomas Wright, Mitglied der - Society in London, die sich mit der Sammlung von Volkssagcn und Volksliedern beschäftigt, beabsich tigt die Geschichte der Sagen- und Erzählungs-Literatur des Mittelalters zu schreiben und hat einstweilen als Ergebnisse seiner darauf bezüglichen For schungen bereits im Jahre 1838 Lsrl> ölMeriek und mber lärm poems os tkv tw elsttt und Gilteenck cviwul-ies und im vorigen Jahre bas in der An merkung genannte Werk vorausgescndet, das, trotz der geringen Zeit, die der Verf. darauf verwandt har, doch eine ziemlich reichhaltige Sammlung von Sagen und Erzählungen des Mittelalters enthält, die er nur aus den handschriftlichen Quellen des britischen Museums geschöpft hat. Obgleich wir nun schon ähnliche Sammlungen aus früherer Zeit besitzen, so würden, wie Herr Thomas Wright meint, die übrigen Bibliotheken Englands und ganz besonders die des Festlandes mit ihren reichen Schätzen, die darin noch ver graben liegen und nur auf einen glücklichen Finder warten, dieselben bei einer fleißigen Durchsuchung bedeutend vermehren können. Bei dem Sammeln der einzelnen Sagen und Erzählungen drang sich ihm eine Bemerkung auf, die er in seinem verheißenen Werke weiter ausführen will, nämlich, daß ein großer Theil derselben aus dem Orient nach dem Occident gewandert und mehrere auch aus klassischen Schriftstellern entlehnt sepen, obgleich sie durch das gothische Kleid, das sie während der Uedersiedelung angenommen hätten, oft ziemlich unkenntlich geworden wären. Die zwei bekanntesten Beispiele direkter Abstammung aus dem Osten find die Sammlung von Peter Alfonsus, welche den Titel: „Oi^ciplina elericutuj" führt, und diejenige, welche unter dem Ramen „Die sieben weisen Meister" so populair geworden ist. Daß wir so reiche Schätze von mittelalterliche» Erzählungen besitzen, und daß sie sich noch bis jetzt erhalten haben, verdanken wir einer Gewohnheit, welche den Mönchen den Spott der ersten Reformatoren zuzog. Die Prediger nämlich deS litten, I4tcn und löten Jahrhunderts suchten durch Mährchen und Fabeln, von denen sie eine moralische Anwendung machten und denen sie eine mystische Bedeutung beilegten, ihre abstrakten Texte konkreter und ihre Lehren eindringlicher zu machen. Sie mußten daher eine große Anzahl interessanter Mährchen immer bereit haben und sammelten sie aus allen Quellen, die sich ihnen darboten. Je populairer diese Quellen waren, desto besser, weil sie so die Aufmerksamkeit der Zuhörer um so leichter anzogcn. Manchmal wandten sie auch die im Volke gangbaren Schwänke, satirischen Anekdoten und gewisse Richtungen des Zeitgeistes moralisch an, — eine Sitte, die wir auch in der Neuesten Zeit wieder einige Mal ganz in unserer Nähe erlebt haben; bisweilen benutzten sie auch dazu die Fabliaur und die metrischen Erzählungen oder die sogenannten Komödien der Jongleurs und Minstrels, und nicht selten machten sie Auszüge aus größeren Romanen oder Rittergedichten. Jeder Prediger legte sich zu seinem Gebrauche solche Sammlungen an: — er schrieb die Er zählungen, welche er aus dem Munde seiner Freunde hörte, lateinisch nieder, vermehrte sie aus den bereits vorhandenen Sammlungen oder übersetzte die Geschichten, welche er in einer fremden Sprache las, in das Lateinische. Daher mag es kommen, daß man selten zwei mit einander übereinstimmende Samm lungen findet, und daß eine und dieselbe Geschichte in verschiedenen Manu skripten auf verschiedene Weise erzählt wird. Obgleich diese Sammlungen in der ersten Hälfte des litten Jahrhunderts angelegt wurden, so gehört doch die größere Zahl der noch vorhandenen Handschriften dem I4ten Jahrhundert an. Im l^ten Jahrhunderte nämlich sammelten mehrere Schriftsteller diese Erzäh lungen mehr systematisch und thcilte» sie zum Gebrauche künftiger Prediger in Bücher ein. Das merkwürdigste Werk dieser Art find die bekannten (El, komsnorum, über deren Schicksale Herr Keller in seiner neuen Ausgabe aus führlich spricht. Die anderen Sammlungen find meistens aus Äollekeaneen- Büchern oder aus Predigten entstanden. Zu dieser Klaffe gehört besonders die summa ?rsediemuium von Johannes von Bromyard, einem englischen Dominikaner, der in der letzten Hälfte des I4ten Jahrhunderts lebte, und das kromplusrium Lremplormn, eine etwas wüste Compilation aus der ersten Hälfte des löten Jahrhunderts. Aus diesen beiden Sammlungen, von denen die erste im I. 1483 zu Nürnberg und die andere zu Anfänge des löten Jahr- '1 -4 «etootiou ot l^iin »torie», lrom klannacrlpt, ot ttw tlurteeotl, »uä four- teeutd ceuturie,, z «outridutiau to tke tn«torx ok Lotiou äuriux tbo midäle sxe,, editvd dx rVrixkt, Lag. I-ouävu 1812. 8. XV. u. 2SS S. Hunderts mehrmals abgcdruckt ist, hat Herr Thomas Wright mehrere Erzäh. lungen in seine Sammlung ausgenommen. Aber nicht bloß durch geschriebene Sammlungen sind, wie wir eben ge sagt haben, uns diese Erzählungen erhalten worden, sondern auch durch münd liche Tradition, durch welche sie von Geschlecht zu Geschlecht, von Nation zu Nation fortgepflanzt wurden. Es würde gewiß ein helleres Licht auf dir Literaturgeschichte deS Mittelalters werfen, wenn man untersuchte, wie diese Geschichten und Sagen in den politischen und religiösen Revolutionen, die auf die Erfindung der Buchdruckerknnst folgten, verloren gingen und dann plötzlich in den Anekvotenbüchern und anderen ähnlichen Werken, die im löten und I7ten Jahrhundert verfaßt wurden, wieder erschienen. Herr Thomas Wright verdient unseren wärmsten Dank, daß er seine Sammlung von Erzählungen bekannt gemacht hat, und wir wünschen mit ihm, daß auch in den Bibliotheken des Festlandes die verborgenen Schätze ans Licht gezogen werden möchten; denn sie find nicht bloß literarhistorisch wichtig (so ist die Geschichte Nr. l.xx VI. Oe mdsie eonventimiem lacients emn uiereotvre S. 114. die Quelle zu dem Theile von Shakspeare S Kaufmann von Venedig, der von dem Juden Shylock handelt), sondern sie verdienen auch noch in vielen anderen Rücksichten unsere Aufmerksamkeit. ES gicbt vielleicht wenige Schriften, welche ein helleres Licht über das Privatleben und die häuslichen Sitten unserer Vorfahren werfen. Sie enthalten charakteristische Anekdoten über die verschiedenen Stände der Gesellschaft; mehrere der in Herrn Wright s Sammlung aufgcnommenen schildern den Charakter der Jongleurs oder Minstrels; andere enthalten Bruchstücke aus englischen und französischen Volksliedern; wieder andere beschreiben die Sitten der Mönche und schildern den Volksglauben der alten römischen Kirche. Von den letzten, sag« der Sammler, habe er eine so große Anzahl gefunden, daß er bei der Auswahl derselben zur Aufnahme in seine Sammlung sich habe absichtlich mäßigen müssen, zumal da sic in der Schilderung der Vermittelung und Kraft der heiligen Jungfrau Maria so widerwärtig profan seyen. Was die Latinität dieser Erzählungen betrifft, so soll es kein herber Tadel seyn, wenn wir sagen, daß das echte Mönchslatein sich darin findet. Da der Styl höchst einfach und die Darstellung verständlich ist, so lassen wir es uns schon gefallen, wenn in den Bedeutungen, Formen und Wortfügungen grobe Verstöße gegen die alte Grammatik vorkommen. So wird in Nr. l. das Partizipium pr»ek»rii8 in passiver Bedeutung gebraucht; in Nr. I.XXXVII. ist das Verbum poen'ucre persönlich angewandt worden; daselbst heißt es mämlich: ß'r benv >11« innueriNis demde et »olulis, poeniruit venditor, volenii ineecatui» servsre. Was falsche Formen anbetrifft, so findet man nicht selten pokeret statt pn88«t: z. B. in Nr. 1-XXXIX: Xou pokeret Iinee pe«N8 mortslitstii, ee^sre nunguum sutegusm mortuum in to.^u fiuwo poimmux et«. Um auch Proben von der Darstellung zu geben, wollen wir einige der kürzeren Erzählungen in wortgetreuer Uebersetzung mittheilen: 6IV. Die beiden Blinden. ES waren einmal in Rom zwei Blinde. Der eine derselben rief täglich in den Straßen der Stadt: „Dem ist geholfen, dem Gott hilft"; der andere hingegen ries: „Dem ist geholfen, dem der Kaiser hilft." Da fie dies täg lich thaten und der Kaiser es oft hörte, so ließ er ein Brod backen und eS mit vielen Geldstücken füllen. Dieses mit Geld gefüllte Brod ließ er dem einen Blinden geben. Da er das schwere Gewicht des BrodteS fühlte, so verkaufte er cs dem anderen Blinden, als er ihm begegnete- Der Blinde, der da» Brod gekauft hatte, trug es nach Hause, und als er cS gebrochen hatte und das Geld darin fand, so dankte er Gott und hörte von nun an auf zu betteln. Da aber der andere immer noch in der Stadt Brod bettelte, so rief ihn der Kaiser zu fich und fragte ihn : „Was hast du mit dem Brodte gemacht, da» ich dir gestern habe geben lassen?" Er antwortete: „Ich habe cS an meinen Freund verkauft, weil e» mir teigig (crudum) zu seyn schien." Der Kaiser aber sagte: „In der That, wem Gott hilft, dem ist geholfen", und trieb den Blinden von fich. 6XXXVH. Der Minstrel und der König der Franken. Ein Minstrel soll dem Könige der Franken, der ihn fragte, warum es jetzt nicht mehr so tapfere Soldaten gäbe, wie zu der Zeit, als Roland und Oliver lebten, geantwortet haben: „Gieb mir einen solchen König, wie