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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrLnumcrauons- Prci» 22j Sgr. (^ Thlr.) vierteljährlich, Z Thlc. für da- ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prönumerirt aus diese« Beiblatt der Wg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straß- Nr. Z4)in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 86. Berlin, Mittwoch den IS. Juli 1837. Frankreich. I. Janin's literarische Portraits. Alfred de Vigny. Alfred de Vigny ist zwei Jahre alter al« das neunzehnte Jahr hundert, vier Jahre alter als Victor Hugo. Zum Waffenhandwerke griff er gerade in dem Augenblicke, als Frankreichs Ruhm und Waffen glück ihren Wendepunkt erreicht hallen. Ale junger Lieutenant machle er »och die letzten Schlachten unlcr der dreifarbigen Fahne mit. So kam es, daß er von der Kaiserlichen Glorie nur die letzten malten Strahlen sah, daß er vom Kriegs- und Lagerleben nur die Leere und die Lange weile kennen lernte. Fünfzehn Fricdensjahre hindurch blieb er Soldat; für den Krieg erzogen, mußte er diese ganze lange ermüdende Zeil im lLnrzis 6« Onräe zubrmgen. Er sand sich mit restgnirlcr Geduld in seine Lage and lernte frühzeitig die Kunst, in stiller Sammlung in und mil sich selbst zu leben. Er richlele sich im Zelt und in' der Wachlstubc ein, wie in einer Benediktiner-Zelle; jede Stunde des Ta ges halte ihr unabweisliches Geschäft. Er las die Bibel und machte Gedichte: lauter flüchtige, etwas zärtlich schwächliche Produlle, ohne rechlc Wärme der Begeisterung, und denen man nicht ansiehl, wo sie Linaus wollen. Sie haben ihm indcß al« treffliche Sprach- und Sivl- üdung gedient, und nimmer hätte er später in seinem „(Uinz-iUurs'' solche Harmonie und solchen Wohllaut Ler Prosa erreicht, hätte er nicht zuvor mit so unsäglicher Geduld und Sorgfalt jene große Menge Verse tomponirt. Sonst verdienen jene im Allgemeinen so wohltönende» als nichtssagenden Produkte, jene ^ozae canörao, um mit Horaz zu reden, kaum daß man dabei verweilt, wenn auch der Verfasser noch heute mehr al« billig darauf zu hallen schein!; es sind eben die ersten flat- lernden Ausflüge einer noch nichl recht flügge gewordenen Muse. Da ist „Eloa", ein schwächlicher Nachhall von Milton, — „Moise", eine Mißralhene Elegie, — „Dolorida", eine Tragödie ohne Anfang und Ende, — ,,l-n siöluAe', eine geschmacklose Ode, — „l os Imin» st'uno v-ino kamaina", das »l dusliger Nachahmung an Andre Ehenier er- innert. Zum Gluck lral de Vigny 1828, kurz nach dem Elva, mil dein Romane Oi,uz-Aars aus, und hier haben wir auf einmal eine eben so geniale, als in Ausführung und Schreibarl vollendete Schöpfung vor »ns. Der Charakter Ludwig's XIII. und seines Meisters, des Kardinal Richelieu, ist hier aufs feinste studirt, auf« glücklichste getroffen, und diese Darstellung steht der historischen Portrailirung Ludwig's Xl. in Waller Scott« i^nentin I)ur,v»r>l würdig zur Seile. Mil ungemeiner Kunst sind alle Fäden der Begebenheit angelegt und geleitet, so daß sie plötzlich zusammenschlagen, zur überraschendsten Wirkung aus den Leser, auf den Zuschauer hätte ich bald gesagt, denn wenige Dramen sind so dramatisch. Drei Personen spielen die Hauptrollen: Richelieu der Despot, Ludwig Xlll., der Sklave, und Monsieur le Grand, das Opfer. Die Herrschsucht des furänbaren, erbarmungslosen Richelieu hat »och den Kampf gegen die Königin Anna von Oesterreich zu bestehen, die über das Gcmülb de« schwachen Ludwig viel vermag. Hierzu braucht der Kardinal einen Gehülsen, dec sein Werkzeug sep und sich in die Zuneigung des Königs einschmcichle; dazu dient ihm der junge Henri d'Lsstat, genannt Cinq-MarS. Damil Richelieu'« Herrschaft fest be gründet sev, soll die Königin Muller in die Verbannung gehen; dazu soll der König überredet werden. Aber da« Werkzeug kehrt sich wider den Weister; Henri d'Esfiat schämt sich seiner erbärmlichen Nolle; er will nicht länger ein Zeitvertreib, ein Spiclwerk sür den König, er will nicht länger die Schlinge scvn, die der schlaue Priester-Herzog au«- wirft. Er nimmt sich vor, den Kardinal, de» Tyrannen Aller a» diesem Hose, zu stürzen; er eröffnet seine Gedanken dem Könige, zeigt ihm die Aussicht, frei zu werden von einer lästigen Bevormundung, und der König gthi daraus ein. Nun gähn der Kampf, nun entwickelt sich die Jntrigue zwischen diesen Dreiem Und dieser düsteren Partie des Buches, dikjen trüben ehrgeizigen Ränken gegenüber, läßt der Dichter eine Gruppe von drei anderen Personen auslrelen, an denen unser Herz ein freund licheres Jnlercsse nimmt: Anna von Oesterreich, die verlassene Gattin und Königin, Maria, da« liebende Mädchen, und de TH011, den männ lichen, treu Hingehenden Freund. Alle diese Geschicke und Jnlercsse» ver schlingen sich in rasch forlschrcilender, siel« die Ecwarlung spannender Handlung, und durch da« ganze schreilet, allübcrragend und allgcbielend, die düster gewaltige Gestatt des Mannes im rochen Kleide, de« Prie ster-Kardinal«. Dieser Roman machle anfangs wenig Aussehen in der Französischen Welt. Dieselbe Halle damals, was Romane beiraf, alle Hände voll mil Waller Scott, und was Literatur überhaupt betraf, alle Hände voll mit dem Streite der romantischen und klassischen Schule zu thun. Man war emsig darüber her, die ars z>netica des Blair mil der des Boileau, de» Shakespeare mil dem Racine zu vergleichen; man schrie einander zu und verstand einander nichl. So wie man aber ein wenig zur Be sinnung kam, war man eben so ersreui als überrasch!, die Entdeckung zu machen, daß Frankreich unterdessen mit einem trefflichen Romane be schenkt worden, sogar mit tinem historischen Roman, den es durchaus sein eigen nennen durste, nicht dem Waller Scott gestohlen oder nach gemacht. Und von da an ist dieser Roman bloß durch seinen eigenen Werth, ohne prahlende Annoncen, ohne Lobsalm, ohne Aussehen erre gende kritische Taufe, immer höher in der Gunst und Schätzung der Nation gestiegen und wird einstimmig mit zu den ersten Werken der »eueren Zeit gezählt. Die Gerechtigkeit kommt auf Erden immer nach, — sogar sür da« Gute. Da es de Vigny mit seinem Uebergange von der Poesie zum Romane so gut geglückt, so hätte man meinen sollen, er werde in dem Romane sei nen eigentlichen Beruf erkenne» und diesem fortan lreu bleiben. Aber nein! es muß auch de» ausgezeichnetsten Geistern erstaunt schwer fallen, den Ver lockungen einer weil verbreiteten Eitelkeit zu widerstehen, der Eitelkeit nämlich, auf der Bühne Beifall zu ärndtcn. Und wie gedachte de Vigny es anzusangen? er machte sich über Shakespeare'« Othello und übersetzte ihn Zeit« für Zeile, Wort für Wort in Französische Verse. Man denke sich Othello in Französischen Versen! dieser Mohr mit seiner schwarzen auskochcnden Leidenschaft, dieser teuflische Jago, diese kindliche DcSde- mona, alle diese Lieblichkeit Shakespeare'scher Dichtung neben dieser grausige» Nalurwabrhcit der Leidenschaft, die wir aus kleinen Fünkchen zum maßlosen, verzehrenden Ungethüm anwachsen sehen, — da« in Fran zösische Verse zu bringen, veilin tonn»! Eher könnte ein Kind einen Riesen zu Bode» ringe». Shakespeare ist längst „ins Heiligthnm ent rückt vor frevlen Uebcrsetzer-Händcn"; das hätte Alfred de Vigny wissen sollen. Voltaire, dec Shakespeare einen Barbaren schalt, ja, der bei der bloßen Nennung des Namens Shakespeare ordeiillich vor Unmulh zu heulen anfiiig, al« quälte ihn die innere Ahnung von der unsterblichen Größe dieses Barbaren, — Voltaire hat Othello imd De«demona bereits in« Französische übersetzt, so weit Fraiizöstscher Geschmack die se« zuließ. Sei» Othello heißt OroSmane, seine DeSdemonä heißt Zaire. Da er von Afrikanischer Leidenschaft keine Ahnung hattr, so schnitt er sie nach Französischem Muster )u, und sein damaliges Publikum hielt die Sache auch sür so Afrikanisch und Orientalisch als möglich. Der Jago blieb natürlich ganz weg; den hätten die Pariser damals auch in der schwächsten Auflösung nicht vertragen. Später, als Voltaire schon lodt war, kam ein guter Mann, dec hieß DuciS und stand bei den Leuten in großem poetische» Kredit; dieser ging mit der Idee um, daß er zu nichts Anderem geboren sey, al« die Shakespeareschen Dramen zu arrangire», zu kcpircn, zu übertragen, nmzudichten und zu verschö nern. Er machte sich auch rechtschaffen an die Arbeit, von deren Miß- lichkeit er gar keine Ahnung hatte; er schnitt mit einer grausamen, klasflsch- tugendhast-sentimcntalen Schcere in da« Shakespcarsche Fleisch und Blut hinein, und siehe da, er erlebte einen großen Triumph, es regnete Beifall, alle Welt sand den so zu Schanden geschnittenen Shakespeare vortrefflich. Dazu kam, daß Talma, damals i» der ersten Blüthe seine« Ruhmes, sein Schauspieler-Talent mit daransetzte und all seine Kunst an die Darstel lung jener elenden Krüppel von Tragödien verschwendete. Shakespeare hat sich gewiß im Grabe umgedreht, wenn er von der Wirthschaft erfuhr. Der Französische „Bearbeiter" halte es sür gut gefunden, jede Tragödie mit zwei ganz verschiedenen Katastrophen zu versehen, einer glück lichen und einer unglücklichen, zur beliebigen Auswahl, — etwa wie ein Pariser Friseur auf seinem Schilde anzeigt, daß er L I'istö« sie» zn-rsonnes frisire. Im Othello z. B. erwürgt einmal der Mobr die DeSdemonä (sie heißt bei Duci« Edelmone) und ersticht sich gleich dar aus über ihrer Leiche; da« anderemal aber kommen Leute dazu, und Beide werden am Leben erhalten. Wie gefällt Euch da«? — Nun also, weil Zaire bei den Franzosen Glück gemacht hat, weil Duci«' Oibello bei den Franzosen Glück gemacht hat, — gerade darum hätte sich'« Alfred de Vigny gar nicht sollen träumen lassen, das Unmögliche zum driitenmale zu versuchen. Ein Publikum, das sich Jahre lang mit einem Ducisschen Othello adspeisen lassen, verdient den wahren Shakespeare gar nicht. — Und dann, wer ist verwegen genug, vor sein Publikum hinzutreten und ihm voraus zu verkünden: „Jetzt werd' ich zn Euch reden in der Spracht Shakespeare'«-" Wer getraut sich, auch nur in der Nachahmung des Worte« die Kraft, die Tiefe, die Herrlichkeit zu erreichen, womit Shakespeare den Haß und die Liebe, den Affekt, den Siolz und die Größe anstreten und reden läßt! — An diesem Wagniß ist de Vigny gescheitert, und was noch schlimmer für ihn ist,