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lhmbura.tr Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Sonnabend, den 5. November 256. 1881 "Waldenburg, 4. November 1881. Wie gewählt werden muhte. Wenn im Lande die Wahlen ausgeschrieben werden, so bedeutet dies allemal eine Anfrage der Regierung an das Volk: Seid Ihr einverstanden mit dem, was wir thun, oder nicht? Mit höchster Spannung, so schreibt der „Vogtl. Anz", lauschte man diesmal auf die Antwort, welche am 27. October das deutsche Volk geben sollte. Denn Fürst Bismarck hatte Fragen gestellt, deren Lösung von unermeßlicher Tragweite ist. Er hatte gefragt: Heißt Ihr es gut, daß wir in neue Bahnen einlenken, um zu gesünderen Zuständen zu kommen? Heißt Ihr es gut, daß wir es zur Ausgabe des Staates machen, die Nothtagc ganzer Beoölkernngsklassen nach den Grundsätzen christlicher Bruderliebe zu heilen? Heißt Ihr cs gut, daß wir unserer darniedertiegenden, zum Theil schon arbeits losen Industrie wieder Arbeit schaffen durch Schutz zölle, daß wir auf wirksame Mittel sinnen, der deutschen Arbeit neue Absatzgebiete zu eröffnen? Heißt Ihr es gut, daß der Staat auf Hilfe dringe, Hilfe erzwinge und selbst Hilfe schaffe für den ar beitsunfähig gewordenen, für den altersschwachen Arbeiter? Heißt Ihr cs gut, daß man dem alten Arbeiter Besseres biete als die Aussicht auf Hunger und Kummer, auf das Armenhaus und den erlö senden Strick, zu dem in ihrer Verzweiflung an Gott und Menschen gerade in den industriereichen Gegenden Deutschlands in erschreckend wachsender Zahl Tausende jährlich greifen? So fragte Fürst Bismarck. Und die Antwort des deutschen Volkes? des deutschen Arbeiters? — — Der besonnene Theil verstand die Zeichen der Zeit. Er schlug ein in die dargebotene Hand im Vertrauen auf die Thatkraft und auf die Ehrlich keit des Fürsten Bismarck. Die socialdemokratischen Stimmen in Deutschland, deren Zahl im Jahre 1878 noch 480,000 gewachsen waren, sind diesmal am 27. Oclober auf 260,000 herabgesunken, obgleich die Agitation in viele neue Wahl kreise getragen worden ist. Die Conserva- tiven, welche dem Fürsten Bismarck zu folgen und seine Reformen zu unterstützen bereit sind, erzielten in Berlin allein einen Zuwachs von 40,000 Stim men. Tausende von Arbeitern in unserem Sachsen gaben jetzt conservativcn Candidaten ihre Stimme und verschafften ihnen den Sieg in Kreisen, die früher nur socialistisch gewählt hatten. Aber ein lautes, freudiges, muthiges Ja durch ganz Deutschland, wie es der Vaterlands- und Menschen freund erhoffte, als Fürst Bismarck seine gewichtige Frage stellte, ist nicht erschollen. Der künftige Reichstag wird von dem alten wenig verschieden sein, und wir müssen das Vertrauen des Fürsten Bismarck theilen, der in diesen Tagen an den Verein Deutscher Studenten in Leipzig schrieb, daß ihn die Wahlen weder überrascht noch entmulhigt. Chronische Krankheiten fordern Zeit und Geduld. Er freue sich, daß die Studentenschaft im Vertrauen auf die Zukunft mit ihm übereinstimme. Wir haben in Deutschland eine recht große Zahl von Parteiführern, und wer Führer ist, will Führer bleiben; wie hätten sie dulden können, daß das deutsche Volk von ihnen weg in Hellen Haufen zum Fürsten Bismarck laufe? Sich selbst anpreisen, den Reichskanzler aber und seine abeiterfreundlichen Vorlagen, seine wirthschaft- lichen Reformen, seinen Ausblick auf .ine deutsche Colonialpolitik achselzuckend bekritteln und zu höhnen machten sie und ihre Abgesandten v'-r den Wahlen sich zur Aufgabe. Klang es aus ihren Reden nicht fast heraus, als gehe der große Kanzler am Abend seines Lebens, wo seine Arbeit sich zu Ende neigt, darauf aus, das deutsche Volk und besonders dessen nothleidenden Theil mit nichtigen Vorspiegelungen zu foppen? Kläglicher Thor, wer da glaubt, daß ein Mann wie Bismarck sein welthistorisches Werk so abschließen werde! Aber wir Deutschen sind noch lange kein prak tisches Volk, und von geschickten Sprechern läßt sich die große Menge gar leicht einfangen. Tadeln läßt sich an jeder Regierung, an jedem Reaierungs- system, und wer den Tadel mit advocatorischer Kunst zu gruppiren versteht, der bringt es leicht dahin, daß über dem Kleinen das Große, über Nebendingen die Hauptsache, über dem Einzelnen das Ganze vergessen wird. Und so haben wir es erlebt, daß den Rednern der Fortschrittspartei, die vor den Arbeiter mit der Losung tritt: „Freiheiten so viel Ihr wollt, aber weiter dürft Ihr nichts erwarten, denn das könnte uns zu viel Geld kästen!" — wir haben es erlebt, daß ihr mancher Arbeiter sein Bravo gerufen hat. Fürst Bismarck beut dem deutschen Arbeiterstande ehrlich seine Hilfe, weil er die Ueberzeugung hat, daß die Sache der Arbeiter gut, aber in schlechten Händen ist, und der Arbeiter sollte sich zu den be häbigen Widersachern des Fürsten wenden, die da wollen, daß Alles hübsch beim Alten bleibt? Wann kommt endlich der Grundsatz politischer Reife zum Durchbruch, daß es klüger ist, die Regierung zu be nutzen, als sie zu bekämpfen? Schmiedel das Eisen, denn es ist warm. Haltet die eine große Frage im Auge, die Fürst Bismarck an das deutsche Volk ge richtet hat, laßt Euch den Blick nicht künstlich trüben durch Nebenfragen, sprecht ein entschiedenes Wort für Bismarck und rechnet auf Treue um Treue. "Waldenburg, 4. November 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Unter den Vorlagen, welche dem Reichstage in der nächsten Session zugehen werden, befindet sich ein Gesetzentwurf, betreffend die Reichskriegshäfen. Der Entwurf basirt auf der Auffassung, daß aus Art. 53 der Reichsverfassung, wonach der Kieler Hafen und der Jadehasen Reichskriegshäfen sind, sich ergebe, daß der Verwaltung der Kriegsmarine des Reiches die Disposition über die Häfen zustehe und daß also die Marineverwaltung berechtigt und verpflichtet sei, die beiden Kriegshäsen in einem ihrem Zwecke entsprechenden Zustande zu erhalten. Hiervon ausgehend, will der Gesetzentwurf dem zu ständigen Marinestations-Chef die Befugniß ertheilen, in dem Kriegshafengebiete Anordnungen wegen Er haltung des Fahrwassers und dessen Kennzeichnung zu treffen und hierüber, sowie über das Ein- und Auslaufen, Ankern, Laden, Löschen und seepolizeiliche Verhalten der Schiffe und Fahrzeuge und ihrer Bemannung polizeiliche Verordnungen zu erlass-n. Der Beginn, die Fortsetzung und Wiederherstellung aller Bauten, Anlagen und Unternehmungen, welche die Sand- und Schlickablagerung oder die Versan dung befördern, sind ohne die Genehmigung des MarinestationS-Chef nicht zulässig. Zuwiderhand lungen sollen mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder mit Haft bestraft werden. Gegen die Versagung der Genehmigung ist der Necurs zulässig, welcher nach Anhörung der Admiralität durch den Bundes- ralh erfolgen soll. Aus einer Uebersicht der Etatstärke des deut schen Heeres für das Etatjahr 1882/83, welche dem Bundesrath zugegangen ist, erhellt, daß das Heer zählt: an Officieren 18,134; davon kommen auf Preußen 14,008, auf Sachsen 1137, auf Württemberg 773, auf Baiern 2216; an Unter- osficieren 51,581, davon auf Preußen 39,591, auf Sachsen 3283, Württemberg 2341, auf Baiern 6366; an Mannschaften, einschließlich der Unter- offtciere, überhaupt 427,274, davon auf Preußen 330,629, auf Sachsen 27,606, auf Württemberg 18,815, auf Baiern 50,224. Infolge von Eingaben von Innungen und ein zelnen Handwerkern an den Reichskanzler über das Geschäftsgebahren der mit Blechwaarenhausiren- den Slovaken und Rastlbinder find Bestimmun gen für strengere Ueberwachung dieser Hausirer getroffen worden. Eine Wahlentscheidung durch Loos, dieser seltene Fall tritt im Wahlkreise Wetzlar im Regie rungsbezirk Coblenz ein. Dort standen sich ein Liberaler und ein Conservativer im Wahlkampfs gegenüber und beide erhielten genau die gleiche Stimmenzahl. Da für einen dritten Candiduten keine Stimmen abgegeben wurden, so fiel die Alter native einer Stichwahl aus. Candidat der Libera len ist Waldschmidt, Candidat der Conservativen Prinz Solms. Beide erhielten je 4047 Stimmen. Berliner Blätter enthalten einen nicht mißzuver- stehenden Wink: „Die in Börseukreisen von Neuem erwachte Lust zur Gründung von Banken und Jndustriegesellschaften und die dabei in mehreren Fällen zu Tage getretenen Anzeichen der Unsoli- bität haben dem Vernehmen nach die Aufmerksam keit der hiesigen Staatsanwaltschaft auf sich gezogen, welche den ihr zugehenden Anzeigen über schwindel hafte Manipulationen bei neuen Gründungen die ! gebührende Beachtung widmet." Die würtembergischen Handelskammern haben bei ihrer kürzlich in Stuttgart staltgehabten Zu sammenkunft ihr lebhaftes Bedauern darüber aus- gedrückt, daß die so gut gemeinte Vorlage in Be treff der Samoa-Jnfeln, welche von dem Reichs kanzler so dringend empfohlen worden ist, keine ent sprechende Würdigung bei der Mehrheit des deut schen Reichstags gefunden hat. Man ist in Würt temberg vollständig überzeugt, daß nur durch plan mäßige Leitung der deutschen Auswanderung, die Anregung und Unterstützung von Explorations-, Auswanderungs-, Cotonisations- und Exporlgesell schaften, sowie von Dampfer-Compagnien zur Ver mittlung des directen überseeischen Verkehrs, die Reorganisation und Ausdehnung unseres Consulats- wesens, die weitere Entwickelung unserer Export- stalistik — in welchen Punkten die Export- und Auswanderungsfrage gipfelt — der Reichstag scine Aufgaben zur Befriedigung des deutschen Vockes wird lösen können. (Warum wählt denn aber das deutsche Volk nicht Männer, die Hand in Hand mit dem Fürsten Bismarck die großen Aufgaben unserer Zeit zu lösen gewillt sind?) Frankreich Gambetta feiert« am 31. October seinen 44. Geburtstag und begann das Lebensjahr, welches aller Wahrscheinlichkeit nach einen wichtigen Abschnitt in seinem Leben bilden wird. Darüber, daß er die Bildung des Cabinets übernehmen wird, daß die Leitung der Negierung nur die Vorstufe zu der höchsten Würde in der Republik für ihn bilden wird, ist man sich in Paris einig. Wenn einst weilen nichts geschieht, so liegt es daran, daß erst das Cabinel Ferry vor der K immer seine Politik rechtfertigen und das Urtheil der Kammer veran lassen muß. Vor einigen Tagen ist in Paris ein Goldwechsler der Rue Saint Martin, Victor Dubreuil, der auch ein radikales Blatt, die „Polilique d'Action", ge gründet hatte, mit Hinterlassung eines Deficites von