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ZchönbuM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. «nd Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 1V Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Dienstag, den 4. April 1882. 78. "Waldenburg, 3. April 1882. Zur Handwcrkerfrage. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Menschen mit größerer Leidenschaft an demjenigen Theile ihrer Bestrebungen zu hängen pflegen, welcher aus guten Gründen angefochten wird, als an dem allgemein für berechtigt angesehenen Theile desselben. So sehen wir denn gegenwärtig, daß die liberalen Par teien sich trotz der handgreiflichen üblen Resultate und trotz des immer weiter um sich greifenden Ab falls der Handwerker nicht von ihren alten gewerbe- politischen Vorstellungen zu emancipiren und sich auf den Buden der Innung zu stellen vermögen; mit schwerem Verdrusse haben sie die gesetzliche Grundlage für ein neues Jnnungswesen bewilligt, weil sie nicht anders konnten, wenn sie nicht die Handwerker so gut wie vollständig aus ihren Reihen verlieren wollten, aber an ihrer prinzipiellen Ab neigung gegen die ganze Jnnungsidee halten sie unverbrüchlich fest, und Alles, was sie auf diesem Gebiete in die Hand nehmen, trägt noch immer den Stempel derjenigen Anschauungen, aus denen die Gewerbeordnung des Jahres 1869 hervorgegangen. Es Hal einen Sinn, wenn man die Meinung ausspricht, daß das Handwerk der Großindustrie gegenüber nicht mehr concurrenzsähig sei, und daß es deshalb vom wirthschastlichen Standpunkt aus nicht bedauert werden dürfe, wenn das Handwerk allmählich verschwinde oder doch zum bloßen Flick- Handwerk herabsinke. Man kann zwar die Prämisse dieses Satzes bestreiten, kann darauf Hinweisen, daß das Handwerk seil einem Menschenalter fast principiell vernachlässigt worden sei, kann die Gefängnißarbeit und die öffentlichen Submissionen^als Punkte an führen, welche (absichtlich oder unabsichtlich) systema tisch auf den Ruin des Handwerkerstandes hinge wirkt haben u. s. w., aber man kann nicht bestreiten, daß unter der Voraussetzung der Concurrenzunfähig- keit gegenüber dem Großgewerbe es wirthschaftlich nicht zu beklagen wäre, wenn diese ganze Betriebs- sorm verschwände. Kommt man aber aus socialen Gründen zu dem Resultate, daß, möge es sich selbst mit jener Concurrenzfähigkeit verhalten wie es wolle, doch das Handwerk erhalten werden müsse, weil sonst jede Zwischenschicht zwischen Fabrikanten und Arbeiter fehle, so muß man dem Handwerk auch seine besonderen Lebensbedingungen gewähren. An erkennen, daß ein Handwerk social (und wir unserer seits fügen hinzu, auch wirthschaftlich) unentbehrlich sei, gleichwohl aber den Handwerker nur als kleinen Industriellen betrachten und ihm dessen Betriebs formen und dessen persönlichen Standpunkt zumuthen — das hat keine» Sinn. Für den Handwerker ist nun aber die Vereinigung der Fachgenossen die un entbehrliche Lebenslust. Ohne sie kann er kein respektabler Kleinmeister sein und in seiner beschei denen, gleichwohl aber verantwortungsvollen Lebens stellung kiinen sittlichen Halt haben, ohne sie kann es keine Lehrlinge und keine Gesellen im handwerk lichen Sinne geben, ohne sie kann der schwache, un zähligen Einflüssen preisgegebene Einzelne keinen Rückhalt besitzen, ohne sie kann auch die Zeitström ung nicht die ihr gemäßen Formen innerhalb des Handwerkerstandes entwickeln. Warum ist z. B. die Genossenschaft nicht nach ihren verschiedensten Sei ten hin zur Anwendung im handwerklichen Betriebe (nicht etwa bloß im Kredilbedürsniß u. dgl., sondern im Betriebe selbst) gekommen? Antwort: weil es keine kräftigen, leistungsfähigen Innungen mehr gab. Will man also einen Handwerkerstand, so muß man auch die Innungen wollen; wer sich unbefangen auf diesen Standpunkt stellt, der darf versichert sein, daß sich mittelst desselben noch große Erfolge erzielen lasten. Wir sind überzeugt, daß selbst die Kredit genostenschaft innerhalb derJnnung zu größererBlüthe würde gelangen können, als unsere Volksbanken dieselbe heut auszuweisen haben. Statt sich aber mit diesem Gesichtspunkte zu be freunde» und denselben ohne weitere Hintergedanken zu acceptiren, glaubt man leider auf liberaler (aller dings besonders auf freihändlerisch-fortschrittlicher) Seite genug gethan zu haben, wenn man sich das Jnnungsgesetz mühsam abringen läßt und behält im Uebrigen den alten Standpunkt bei. Ungeachtet des Vorganges Miquel's giebl man sich nicht die mindeste Mühe, Innungen auf Grund des Gesetzes in's Leben zu rufen, sondern sieht schadenfroh zu, wie die Handwerker sich mit der zur Zeit schlechthin unerfüllbaren Forderung obligatorischer Innungen abzappeln und darüber zu nichts Positivem kommen. Ungeachtet aller üblen Erfahrungen, die doch gerade mit dem seitherigen Lehrlingswesen gemacht worden sind, hält man betreffs der Lehrlinge an dem alten Princip fest, und bemüht sich durch Lehrlings-Aus stellungen und ähnliche zweifelhafte Veranstaltungen Scheinerfolge zu erstreben und jede principielle Auffassung der Lehrlingsfrage bei Seite zu schieben. Ungeachtet der Warnungen, die doch aus dem Umstande sich ergeben müßten, daß die Socialdemo- kralie ihre recht eigentliche Brutstätte unter den Kleinmeistern und den Handwerksgesellen hat, fährt man fort, die letzteren einfach als „Arbeiter" zu be trachten und zu bezeichnen, sie also mit den Fabrik tagelöhnern in einen Topf zu werfen und somit auf den gewaltigen moralischen Factor zu verzichten, den das Standesbewußtsein gerade bei dieser untersten Schichte des bürgerlichen Mittelstandes bildet. Es ist sehr bedauerlich, daß man sich auf diesem Ge- > § biete nicht von alten Vorurcheilen losreißen kann, obwohl doch die handwerkliche Fachgenostenschaft etwas so Urdeutsches und Naturwüchsiges ist, wie nur irgend Etwas, und obwohl doch der jetzt so sehr in den Vordergrund gedrängte Gedanke der Selbstverwal tung in solchen Fachgenossenschaften einen so über aus starken und zeitgemäßen Ausdruck finden kann. Kann man sich denn nicht davon überzeugen, daß doch kein Mensch zu den verrotteten Zuständen zur Zeit der Beseitigung des allen Zunftwesens zurück will, und daß diese damaligen Zustände, in einer nach allen Seiten hin so gedrückten und unentwickel ten Zeit, doch nicht für das ganze Jnnungswesen typisch gemacht werden dürfen? Viele jetzt hervorlretende Ausschreitungen hätten vermieden werden können, wenn vor einem Jahr zehnt diese Frage unbefangen geprüft und in Angriff genommen worden wäre. Heute noch läßt sich in gleichem Sinne Vieles nachholen. Geschieht es nicht, so wird man entweder die Maste des Hand werkerstandes auch dem gemäßigsten Liberalismus bleibend entfremden, oder es werden sich, zum Gau dium der Socialdemokratie, die Geschicke dieses Stan des erfüllen. *Wa!denburg, 3. April 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Fürst Bismarck ist mit dem 1. April in sein 68. Lebensjahr getreten. In Berliner diplomatischen Kreisen spricht man viel von dem letzten Diner, zu welchem Fürst Bismarck am Geburtstage des Kaisers die dortigen Diplomaten versammelt halte. Schon seit ge raumer Zeit halte ein solches Fest bei dem Leiter der deutschen Politik nicht mehr staltgefunden, und für mehrere der neuerdings in Berlin beglaubigten Missionschefs war damit die erste nähere persönliche Berührung mit dem Kanzler gegeben. In dem Arrangement der Plätze an der Tafel glaubte man einen Hinweis auf die bestehenden internationalen Bestehungen erblicken zu können. Zu den Seiten des Reichskanzlers saßen die Botschafter der Mächte, die sich Deutschland gegenwärtig am meisten genä hert haben, nämlich Oesterreichs und der Türkei. Die Fürstin Bismarck hatte die Botschafter Italiens und Englands zur Seite, und zwischen den Bot schaftern Frankreichs und Rußlands hatte die Gräfin Rantzau ihren Platz. Lord Ampihill, als der in Berlin seiner Accreditirung nach älteste Botschafter, brachte den Toast auf den Kaiser Wilhelm aus. Der Reichskanzler antwortete mit einem Toaste zu Ehren der Souveräne und auf das Wohl der Staaten, deren Vertreter anwesend waren. Bei der Verab schiedung wurde bemerkt, daß der Reichskanzler noch mit dem türkischen Botschafter Sadullah Bay län gere Zeit sprach. Angenehm waren die Gäste durch die heitere Ruhe berührt, mit welcher der Reichs kanzler sicy an diesem Tage von Anfang an zeigte. Der Bundesrath wird das Tabakmonopol mit 36 gegen 22 Stimmen annehmen. Dafür stimmen jedenfalls: Preußen mit 17 Stimmen, Bayern mit 6, Würtemberg mir 4, Hessen mit 3, Mecklenburg-Schwerin mit 2, Strelitz, Anhalt, Schwarzburq - Rudolstadt und Waldeck mit je I Stimme. Die Abstimmung von Hessen ist indessen noch zweifelhaft. Die Uebersicht der Geschäftsthätigkeit des Reichstages in seiner I. Session der 5. Legisla turperiode vom 17. November 1881 bis 30. Januar 1882 liegt jetzt vor. Die mit großer Sorgfalt Hergestellle uiid zweckmäßig ungeordnete Arbeit führt in ihrer ersten Rubrik in alphabetischer Reihenfolge die Titel der verhandelten Gegenstände auf und läßt dann über dieselben in den weiteren Rubriken die Angabe der Vorlagen, Commissions- und Ab- theilungsberichte, Anträge und sonstigen Gegenstände der Verhandlungen sowie die Bezeichnung der Sitzungen und Redner nach den stenographischen Berichten folgen, während in der letzten Rubrik die Art der Erledigung kurz angegeben ist. Der 135 Seiten in Groß-Quart umfassende Band er möglicht es, zu jeder Zeit und in kürzester Frist eine bestimmte Verhandlung, Vorlage, einen Com missions- bez. Abtheilungsbericht, Antrag rc., sowie die Rede eines bestimmten Redners über den be treffenden Gegenstand in de» stenographischen Be richten bez. Drucksachen des Reichstages aufzusinden, und bildet so eine sehr nützliche Ergänzung zu den Drucksachen über die Verhandlungen des Hauses. Höchste Sensation macht ein Artikel der freicon- servativen „Post," in welchem sie anläßlich des jüngsten Geburtstages Bismarck's behauptet, daß die öffentliche Meinung in Deutschland ermüdet sei, daß die Entfremdung zwischen Bismarck und den liberalen Parteien sich vergrößert und verschärft habe und daß Bismarck gezwungen sei, die Hilfe feindlicher Elemente in Anspruch zu nehmen. In Bezug auf das Tabakmonopol hören die „P. Nachr.", daß die in der Vorlage in Aussicht genommenen 20 Strafparagraphen bereits unter Beihilfe des Reichsjustizamtes ausgeacbeitet sind, die Vorlage selbst also fertig gestellt ist. Das preußische Abgeordnetenhaus hat sich am 1. d. nach definitiver Annahme der kirchenpolilischen Gesetzesanträge der Conservativen (228 gegen 130 Stimmen) bis zum 18. April vertagt. Die Er öffnung des Reichstages soll am 24. April geschehen. Die liberale Vereinigung (Secession ist enparlei) beabsichtigt im Laufe der Monate April oder Mai einen secessionistische» Parteitag nach Berlin einzu- berufe». Selbstverständlich werden dazu nur wirk-