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Erscheint wöchentlich drei Mal und zwar Dienstag, Donnerstag und Sonnabend (Vormittag). Abonnementspreis beträgt vierteljährlich l Mark 20 Ps. prreimruoranäo. Anzeiger Inserate werden bis spätestens Mittags des vorhergehenden Tages des Erscheinens erbeten und die Corpusspaltenzeile mit io Pf., unter „Eingesandt" mit 20 Pf. berechnet. Zwönitz und Umgegend. Organ für den Stabtgemeinderath, den Kirchen- und Schulvorstand zu Zwönitz. Verantwortlicher Redacteur: Bernhard Ott in Zwönitz. 65. Donnerstag, den 3. Juni 1880. 5. Jnhrg. Tagesgeschichte. Deutschland. Die kirchliche Vorlage der preußischen Negier ung bildet gegenwärtig den Hauptpunkt der deutschen Politik, auf den sich das öffentliche Interesse richtet. Nach der ersten Berathuug wurde der Entwurf am Sonnabend einer Commission überwiesen; welchen Ausgang deren Verathungen nehmen werden, darüber tappt man noch völlig im Dunkeln. In conservativen und gemäßigt liberalen Kreisen fürchtet man, die Vorlage so verändert aus der Kommission hervorgehen zu sehen, daß sie für die Negierung nicht acceptabel erscheint. Andrerseits behauptet man in parlamentarischen Kreisen, daß das Ceutrum den Wunsch hege, die Vorlage unverän dert angenommen zu sehen, während er sich wahrscheinlich selber der Abstimmung enthalten werde. Sollte sich dies bestätigen, dann ist allerdings die Annahme der Vorlage in der Form, wie sie von der Regierung eingebracht ist, mit geringeren Abänderungen wahrschein lich. — Der Bundesrath hat am Sonnabend, dem Anträge des Reichskanzlers entsprechend, die von den statistischen Aemtern befür wortete Ausdehnung der statistischen Erhebungen bei nächster Volks zählung definitiv abgelehnt. — Der „Reichsanzeiger" vom 31. Mai publicirt das Gesetz betreffend den Wucher. Es tritt daher mit dem 14. Juni in Kraft. — Ueber die Verlegung der Zollgrenze auf der Unterelbe ist bisher ein Antrag von der preußischen Negierling im Bundesrath nicht eingebracht worden. Man will wissen, daß dies seinen Grund darin hat, daß der Reichskanzler vorher auf dem Wege der diplomatischen Verhandlung sich durch Gewinnung insbe sondere der Mittelpartei für seine Auffassung im Voraus die uöthige Mehrheit im Buudesrathe zu sichern bemüht ist. Daß ihm dies be reits bei der königlich sächsischen Regierung gelungen ist, geht aus den Kundgebungen der officiösen Organe des Dresdener Kabiuets ganz unzweideutig hervor. Jedenfalls rechnet Fürst Bismarck aber auch auf die Stimme Bayerns. Es wird jedenfalls versucht werden, dem voraussichtlichen Proteste Hamburgs mit einer möglichst kom pakten Stimmenmasse zu begegnen. Magdeburg, 1. Juni. Der heute Vormittag von hier ab gegangene Schnellzug, welcher über Oschersleben und Börssum nach dem Rhein gehen sollte, ist zwischen Blumenberg und Hadmersleben auf freier Bahn aus noch unbekannten Gründen entgleist. Zwei Personen wurden getödtet, vier schwer und dreißig leicht verwundet. Oesterreich. Am Freitag hat in Pest der Tod ein Drama geendet, das einen finsteren Schlagschatten auf die Verhältnisse in den höheren Regionen der ungarischen Gesellschaft warf. Graf Zichy-Ferraris, der als Unterstaatssecretär Ordens- und Titelschacher getrieben oder doch begünstigt haben soll, der deswegen von den oppositionellen Organen und besonders von dem Schriftsteller Asboth heftig angegriffen wurde, der denen den Staatsdienst quittirte und sein Abgeordnetenmandat niederlegte — er hatte nicht Ruhe finden können, vor dem Makel, der auf ihn geworfen war. Der jüngere Graf Karolyi hatte den Ausschluß Zichy's aus dem Jockey-Club durchgesetzt uud war deshalb von diesem gefordert worden. Das Duell fand am vergangenen Dienstag statt. Zichy-Ferraris erhielt eine tödtliche Verwundung, der er am Freitag nach großen Qualen erlegen ist. Kurz vor seinem Tode nahm er seinen Verwandten noch das Versprechen ab, um seinetwillen an Niemanden Rache zu nehmen und Niemanden zu verfolgen. Dieser Zug stärkt noch die versöhnende Wirkung, die die Nachricht von diesem Todesfall ausübt. Frankreich. Das radicale Journal „Mot d'Ordre" veröffent licht eine Zuschrift Rocheforts, in welcher derselbe den Polizeiprä- fecten heftig angreift, weil sein Sohn bei der Demonstration am letzten Sonntag von einem Polizisten einen Säbelhieb erhalten hat. — Der Concordien-Platz in Paris war unerwarteterweise am letzten Donnerstag der Schauplatz einer kleinen Manifestation. Nachmittags erschienen plötzlich in offenen Wagen etwa ZOO Zöglinge der Schule von St. Cyr, welche eben ihr Examen absolvirt hatten, stiegen aus lind gruppirten sich um die Statue der Stadt Straßburg. Eine Fahne ward zur Seite der Statue angebracht, einige patriotische Worte wurden gesprochen und ein Gesang angestimmt. Darauf fuhren die jungen Leute wieder fort. — Der König von Griechen land ist unter strengem Jncognitö in Paris. Am Sonntag empfing er den deutschen Botschafter und machte sodann dem Premirminister Freycinet eine Visite, um diesen für das Auftreten Frankreichs in der griechischen Grenzfrage zu danken. Schweiz. Nachrichten aus Genf zufolge geht es unter den dort befindlichen Nihilisten wieder sehr rege zu. Die in genannter Stadt versammelten Rädelsführer halten Versammlungen ab, um angesichts der in Rußland veränderten Sachlage auf andere Mittel zur Fortführung ihres Propaganda zu sinnen, eine Fusion aller sozialistischen Parteien herbeizuführen und auch das gemeinsame Pro gramm weiter zu entwickeln. Diese Fusion ist in einer am 26. statt gehabten Versammlung auf Grund einer Reihe von Resolutionen erzielt worden. Demgemäß soll auch die socialistische Presse in allen Volkssprachen und nicht in denen des Staates und der höheren Etände organifirt werden, und es würde jetzt u. A. auch die deutsche sozialistische Literatur der Lebensweise der deutschen Arbeiter im Osten Europas angepaßt werden. Wird alles Beschlossene ausgeführt, so hat Graf Loris-Melikoff noch viel zu thun, ehe es ihin gelingt, dem Nihilismus in Rußland die Ädern zu unterbinden. Es wäre interessant, zu erfahren, welche Haltung der Bundesrath der Schweiz diesem Treiben gegenüber einzunehmen gedenkt. Ruhland. Der in dem Proceß Weimar zum Tode verur- theilte Saburoff hat in den letzten Phasen des Processes eine Rolle gespielt, die die allergrößte Aufmerksamkeit verdient. Saburoff ver- theidigte sich selbst, und dabei bewies er eine Fähigkeit, die des aller ersten Juristen, des bedeutendsten Rechtsanwaltes würdig wäre. Er hat seinen Namen nicht genannt und bis zu dieser Stunde, wo seine Verurtheilung bereits erfolgt ist, weiß weder Gericht noch Polizei, wen man eigentlich zum Tode verurtheilt hat. Beim Zeugenverhör hat Saburoff eine Stunde hindurch zwei Zeugen selbst verhört, die von der Anklage gegen ihn aufgestellt waren und durch die Geschick lichkeit und die Energie seines Verhörs gelang es ihm, aus den Be lastungszellgen Entlastungszeugen zu machen, ja er benahm sich so geschickt, daß der Präsident, der auf deu Anlaß förmlich lauerte, ihm nicht einmal das Wort entziehen konnte. Dabei erklärte Saburoff fortdauernd laut und entschieden, daß er Nihilist sei und sich mit voller Ueberzeugung zu der nihilistischen Propaganda bekenne. Wäh rend zu Anfang des Processes Weimar durchaus im Vordergründe zu stehen schien, haben sich die Rollen total verschoben und schließ lich war Saburoff der eigentliche Held der Verhandlungen. Daß er trotz der Geschicklichkeit seiner Verteidigung zum Tode verurtheilt worden ist, wird wohl mit auf Rechnung der Entschiedenheit zu setzen sein, mit der er offen seine Meinung an den Tag legte, und auf den zwar nicht bewiesenen, aber von der Anklage doch vermutheten Umstand, daß er die eigentliche Seele des Petersburger nihilistischen Blattes „Laud und Freiheit" und mit die Seele der ganzen nihi listischen Agitation gewesen sei. Was aber soll man von einer Po lizei sagen, die nicht zu ermittel» vermochte, wer er eigentlich sei? Türkei. Von anscheinend offiziöser Seite wird berichtet, daß man in Regierungskreisen einzusehen beginne, wie wenig das bis herige Verhalten der Pforte geeignet sei, den heraufziehenden Stürm zu beschwören. Man werde deshalb eine theilweise Veränderung des Ministeriums vornehmen, um das Cabinet einseitlich zu gestalten Sawas Pascha, der Minister des Auswärtigen, habe in dem Bestreben, die schwebenden Fragen einer raschen Lösung entgegeuzuführen, seinen Abschied angeboten, falls ihm nicht Vormacht ertheilt würde, die bezüglichen Verhandlungen ohne jegliche andere Controle, als