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Dresdner Journal : 12.07.1887
- Erscheinungsdatum
- 1887-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188707129
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18870712
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18870712
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1887
-
Monat
1887-07
- Tag 1887-07-12
-
Monat
1887-07
-
Jahr
1887
- Titel
- Dresdner Journal : 12.07.1887
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1 21,00 M.; > M.; Futtkr, ! pr. 100 So. nur 8,00 M.; Meie pr. lvo rr - - M.- ohne Nuß ahtg. Wetter: Zulu (Pro. co 17»—190 M. Juli. , September» - aek., matter. Juli-August »ober I2»,b0 <s., 22000 get., S,7O M.»., August-Sep. September- gek., weichend. N.» per Juli >ber 47,2b M. r loco M. Sep. L., ruhig. au u chten. Hrn. Kalku- resden. imuel Colmer Zda A. Mtzsche Wilhelm Zieg» Kunde, geb. Lehrer Oskar Ida Warneck Möbius mit > Richzenhain. rd. Hermann s in dldeSloe G. Kunath in erw. Schmalz, Flatter mit ikenberg. Hr. Snitz i. B. mit bei Pirna. P. Naumann Hannes). Hr. Snigl. preuß. itz. Hr. Paul >t. Petersburg Kirche!, geb. Frau Emma werda. Frau eb. Kläb« in W1S8 Lraobvlnon, 1 1 Lnooorlmlb d«, cloatoobon itoiobo» tritt koot- un6 biuiu. UlLlHob »oit ^aonatuuo der 8ono- und koiorta^o »t>«nd,. rsrnoprsob-^nseblu,,: dir. 129b. La2L»dlraL^»d«dre», 7ür ä!«o kaum «in«r aoipaltonsn 2«il« blsiosr Kedri n ,o ?k. votor „Lingooaoät" di« 2«il« b0 Pf. 8«i laboUsn- und 2ikvn»«t» sntopr. ^ukoobla^. , »»»» M tont««»« »«toNo: Ktu^ti H- .... 1» Kiu*. Tod, 4 Hart: 50 ?k. Linaoi I« l^ummorn -10 kt. Dienstag, de» 12. Juli, abends. DresdnerMurnal. Für die Gesamllettun- verantwortlich: Gtto Nanck, Professor der Litteratur. und Kunstgeschichte. 1887. s»»abM» ro» aurnKrta« Lotxot,: Lra-<t«t«etoe, LomuuooionLr d« Droodnor dournal»; SamdurU - »orlln-Vl«n - l^tPit, >»»«1-Lr»«Ia»-rr»nbMrt a. ».: üaa««r»« <2 po-ior, ZorUn-Vwn-Lmndnr,. 7raU-L»'p«t, -rr«nLtUrt a. N. -»lln«b«n: Lxd. Lko««,' kart» LonSoa -Lorlta -eranlNvrt ».N »tuNUart: La«-« iS Oo > LorUn: /«vatxixxiant»' 0»rUt>: S. LföUt«r» Laanovor: 6 Lall« a. » : Larot iS Oo U«r»»»rol»«r r Nünizl. Lnpoclitiou «io» l)ro»dn«r dournal», vroxton, L»einK«r«tr. 20. psrniproob -^nooblu»,: Ur. 129b. Nichtamtlicher Leit. Telegraphische WaHricHterr. München, 12. Juli, früh. (W. T. B.) Wie die „Allg. Ztg." meldet, würde die in Aussicht geuom«ene Begegnung Sr. Majestät deS Kaisers «it de« Prinzregenten Luitpold in Lindau statt- ßuden. Pari», 11. Juli, abends. (W. T B.) Abge- ordnetenkammer. Im weiteren Verlaufe der Ditz- ung griff Clemenceau die Regierung heftig an, »eil fie mit der Rechten gemeinsame Sache mache; die republikanische Partei sei in vollständiger Ver wirrung und bei dieser Verwirrung sei die Bou- langer-Arage entstanden. Er tadele die jüngsten Kundgebungen, aber man könne fie doch mit der Thatsache erklären, daß man in Boulanger nicht den Retter Frankreichs, wohl aber einen Mann zu sehen glaube, welcher von der deutschen Presse und von der Rechten angegriffen worden sei. Seine Popularität sei eine solche, wie fie die Kammer haben würde, wenn fie entschlossen den Weg von Reformen eingeschlaaen hätte. Die öffentliche Meinung sei irregeführt worden; man bedürfe Führer, welche für die Republik gegen die Mo- narchie eiaträten; er begreife nicht die Spaltung »wischen Anhängern und Gegnern Boulangers. Boulanger habe eine Stellung in der Armee und müsse fie behalten. Der Ministerpräsident Rou vier erwiderte, die Regierung verlange auch heute noch eiue republikanische Majorität. In der Kam mer befänden sich 400 Republikaner. Wenn von diesen 200 gegen daS Ministerium stimmen sollten, werde letzteres seine Entlassung nehmen. Schließ lich wurde die von der Regierung verlangte ein fache Tagesordnung mit 382 gegen 12V Stimmen angenommen. Nach Clemenceau hatte Laisant unter großer Unruhe der Kammer die Tribüne bestiege«, um Boulanger zu verteidigen; er be hauptete, daS gegenwärtige Ministerium sei unter dem Drucke von außen her entstanden. Der Kon- seilpräfident Rouvier protestierte heftig gegen diese Behauptungen und drohte den Saal zu verlassen, falls Laisaut nicht zur Ordnung gerufen würde. Letzteres geschah hierauf. — Nach der Sitzung verlautete, der Präsident Floquet wäre entschlossen, seine Entlassung zu nehmen, eS seien aber An- strengungen gemacht, ihn von diesem Vorhaben ab zubringen. Paris, 12. Jvli. (Tel.d. DreSdn.Journ.) Dem Vernehmen nach ist der Kammerpräsident Floquet bei dem Entschlusse, seinen Posten niederzulegen, stehen geblieben und wird denselben dem Vize präsidenten Anatole de la Korge heute schriftlich mitteilen. Die heutigen Morgenblätter heben hervor, daß sich die gestrige Kammerdebatte gegen Boulanger gewendet habe, der auch von Clemenceau in dessen Rede aufgegeben worden sei. Rom, 11. Juli, abends. (W. T. B.) Die Regierung hat anläßlich der sanitären Verhält nisse eiue ärztliche Untersuchung aller von Cata nia auSlaufenden Schiffe angeordnet. Diejenigen Dampfer, welche zwischen Messina» SyrakuS, Pizzo und Cotroue Passagiere aufnehmen, müssen biS zu ihrem Bestimmungsort ärztlich untersucht und Schiffe, auf denen Cholerafälle konstatiert werden, desinfiziert werden. Loudon, 11. Juli. (W. T. B) Unterhaus. Der Generalsekretär für Irland, Balfour, bean tragt die zweite Lesung der irischen Laudbill und kündigt Amendements an, durch welche die Käufer von Pachtgütrrn während deS Gesetzes von 187« und die Käufer von Kirchengut während deS Ge setzes von 186« auf gleichen Fuß mit den Käufern von Pachtgütern während deS Gesetzes von 1885 gestellt werden. Campbell Bannerman bringt den bereits am 5. Juli angemeldeten Uuterautrag ein, welcher die zweite Lesung der Bill bekämpft. London, 12. Juli, früh. (W T. B) Unter haus. Die Bill betreffend die Grwerbeschutz- marke, sowie die Bill betreffend die Ersatzmittel von Butter, welche nur unter der Bezeichnung „Butterine" in den Handel gebracht werde« dür fen, wurden in dritter Lesung angenommen. Dresden, 12. Jul». Enthüllungen über die anarchistischen Partei. Es wurde vor kurzem in unserm Blatte eine Mit teilung eines in London befindlichen Mitarbeiters der „Kölnischen Zeitung" veröffentlicht, aus welcher hervor ging, daß unter der anarchistischen Partei eine Spal tung eingetreten sei. Innerhalb des Londoner Anar chistenklubs sind, wie der Verfasser jenes Schreiben» neuerdings bekundet, erbitterte Streitigkeiten aus gebrochen, deren Ergebnis, in Verbindung mit anderen Ursachen, die völlige Ausschließung Daves aus der Gemeinschaft der Anarchisten war; auch Peuckerts Stellung sei stark erschüttert. Der Verfasser versichert, er sei zu seinen Enthüllungen und Forschungen weder durch die Polizei noch durch die „Kölnische Zeitung" veranlaßt worden. Er sei nach London gekommen um Englisch zu lernen, die Sehenswürdigkeiten der Welt stadt zu sehen und sich über die sozialen Verhältnisse zu unterrichten. Nur sieben Wochen habe er sich in London aufgehalten und nur in den letzten drei Wochen mit Anarchisten Fühlung gehabt. Ein in der „Central News" erschienener, in der „Voss. Ztg." wiedergegebener Artikel über die anarchistischen Klubs interessierte ihn und er suchte nun die Arbeiterquartiere auf. Er be stellte sich auch eine Anzahl Nummern der „Freiheit". Als ihm diese trotz des eingesandten Geldes nicht zu geschickt wurden, begab er sich zu wiederholten Malen auf die Expedition des Blattes selbst, als deren Vor stand James Smith bezeichnet »var. Dort beschwerte er sich über die Vernachlässigung. Bei Gelegenheit eines solchen Besuchs gab sich der angebliche Jame- Smith als Viktor Dave zu erkennen. Zwischen Dave und dem Briefschreiber entwickelte sich nun eine längere Unterredung, in welcher Dave mit Enthüllungen über die anarchistische Partei, welche ihm wie er sagte, mit Undank gelohnt, verhältnis mäßig freigebig war. Am Schlüsse derselben lud er den Verfasser des Briefes ein, ihn nochmals zu be suchen, nicht ohne ihn darauf aufmerksam zu machen, daß sein Gegner, Peuckert und Genossen, eine 16 Seiten starke Anklageschrift: „Trau, schau, w'm, oder ein Erzgauner" gegen ihn losgelassen hätten. Als der Briesschreiber diese Broschüre sich verschafft und die selbe gelesen hatte, unterlies er es nicht, von der Ein ladung Daves Gebrauch zu machen. Dieses ist der wichtigste Teil seiner Mitteilungen, bei welchen wir ihn selbst reden lassen müssen. Er sagt über die nun folgende Unterredung; „Ich hatte die berüchtigte 16 Seiten starke Schrift als Beweismaterial in der Hand, und er sah sich ge zwungen, mir auf jede Frage Auskunft zu erteilen, wenn ich anders das mir früher mitgeteilte für richtig halten und in der Presse veröffentlichen sollte. Die Unterhaltung wurde ihm sichtlich unangenehm, er wechselte häufig die Farbe, dennoch mußte er gute Miene zum bösen Spiel machen. Die Anklage seiner Gegner enthielt hauptsächlich folgende Punkte: Dave Freundin, Sie leben mit ihr unter einem Dache, Sie müssen doch am allerbesten ihre Verhältnisse kennen." ,Zch kenne sie auch", sagte sie jetzt wieder ein lenkend, als sie bemerkte, daß Veltens gute Meinung von Lelia keinen Augenblick wankend wurde, „sie hat etwas Vermögen, aber zu wenig, um so zu leben, wie sie lebt. Ich weiß aber, daß sie stickt — oder sonst etwas zu verdienen sucht. Sie spricht nicht gern darüber, wie mir scheint." „Arme, kleine Lelia", sagte Velten, „Sie müssen es mir verzeihen, gnädige Frau, daß ich so von Ihrer Freundin rede, aber eS geschieht wahrhaftig nicht aus Mangel an Hochachtung — nur der Name hat für mich immer einen zauberhaften Reiz. ,Belial" Sie ist ein verkörpertes Gedicht und sollte für alle Zeiten vom Schmutz des Lebens unberührt bleiben. Doch daS ist kein Gespräch für die glänzenden Räume", hier unterbrach er sich plötzlich, indem er Frau An dersen galant seinen Arm reichte, „befehlen Sie mir gnädige Frau, Sie an den Flügel zu führen, ich möchte wieder einmal eines jener Lieder hören, die Sie so meisterhaft zu singen verstanden." .Heute erlassen Sie mir dies, nicht wahr", sagte sie schmeichlerisch, indem sie ihren hübschen Kopf bit tend zu ihm in die Höhe bob — „und Strafe muß auch sein", fuhr sie in neckischem Tone fort, „warum kamen Eie so spät, alle Ihre LieblinaSlieder habe ich vorher gesungen. Und eS ist mir schwer geworden, wahrhaftig", feufzte sie, „ich habe, seitdem ich mit meiner Freundin so viel gelitten, es nicht mehr über mich vermocht zu singen" Herr v. Velten bog den Kopf überrascht zu ihr nieder. Frau Andersen hatte noch niemals, obgleich er eigentlich nie über ihren eigentlichen Charakter nachgedacht, den Eindruck einer tief empfindenden Frau gemacht — und doch ging in diesem Augenblick eine trübe Wolke über ihr Gesicht. Die Frauen sind oft unberechenbar, dachte er, während Frau Anderfen seinen Namen nannte und ihn ihrer Nichte vorstellte. Fräulein Carla Andersen war eine junge Dame von zwanzig Jahren mit etwas unregelmäßigen, aber angenehmen Gesichtszügen. Es lag über ihrer Er scheinung ein unbestimmtes Etwas von Ernst und Trauer, wie es ost denen eigen ist, die eine freudlose Kindheit durchlebt. Ihr etwa» schmaler Kopf war ge wöhnlich geneigt und es machte den Eindruck, als ob die Wucht der Rofen, die sie trug, zu schwer und drückend für ihn sei. Selbst als sie ihrer Tante ent gegenlächelte, lag ein wehmütiger Zug um ihren Mund. Frau Andersen hatte sich inzwischen kosend an den Arm ihres Mannes gehängt und sah mit einem Lächeln in sein Gesicht, das fast zu süß schien für eine Frau, die beinahe 10 Jahre verheiratet war. ,Lhre Frau Tante scheint noch nichts von ihrer Zärtlichkeit eingebüßt zu haben," sagte Herr v. Velten, bloß um überhaupt etwas zu sagen, „in der That ein glückliches Ehepaar." Carla erwiderte nichts und Velten sah deshalb überrascht in ihr Gesicht. „Finden Sie nicyt, daß cs selten ist," fuhr er fort, „nach fo vielen Jahren noch eine so romantische Liebe?" „Ich habe noch nie darüber nachgedacht," sagte sie ernst, „ich habe angenommen, daß so ziemlich alle Ehe leute sich lieben. Äußerliche Zärtlichkeiten sind mir indessen kein Beweis für den Gehalt de» Glückes." habe schon als junger Student in Lüttich die ihm anvertrauten Parteigelder in einer lustigen Nacht ver praßt, woraus ihm übrigens die Anklage keinen Vor wurf macht. Jugend hat keine Tugend. Wichtiger sei, daß Dave» Verhalten eS verschuldet habe, daß in Belgien und Holland der Anarchismus der Sozial demokratie unterlegen sei. Dave sei dann Jahre lang verschwunden gewesen, bis er plötzlich im Jahre 1879 in Pari» wieder aufttmchtr unter Umständen, die vom anarchistischen Standpunkt entschieden verdächtig waren. Die Änklage gipfelte darin, daß Dave die Gesamt leitung der anarchistischen Bewegung in seinen Hän den zu vereinigen suche, um dann das Ganze auf ein mal der „OrdnungA^stie" für klingenden Lohn zu verraten. In meinem Buche: „Der Anarchismus und seine Träger" habe ich die Begründung dieser Be schuldigungen näher untersucht. Indem sich nun Dave aufs lebhafteste verteidigte, unterließ er er nicht, seine Gegner wiederum mit Schmähungen zu üoertzäufen. Natürlich benutzte ich jede Gelegenheit, die LieSkesche Mordthat zu berühren. Ich erklärte, ich könne unmöglich, ohne genaue Beweise zu haben, berichten, daß Rinke einen für Lieske be stimmten Geldbetrag unterschlagen habe, außerdem sei e» überhaupt unwahrscheinlich, daß der Mörder aus Geldmangel sitzen geblieben und darum ergriffen wor den sei u. s. w. „Well, ich will Ihnen sagen, so viel ich sagen darf." Und nun erzählte er mir den grauen haften Vorgang, wie ich denselben in meinem Buche dargestellt habe. Dave hatte A gesagt, er mußte nun auch B sagen. Drei Anarchisten, darunter Lieske, sollen nach DaveS Aussage nach Frankfurt gegangen sein, um Rumpff zu ermorden, und zwar auf verschiedenen Wegen. Ein vierter, in Deutschland, aber nicht in Frankfurt wohn haft, hatte die drei ausgerüstet und sie zu gleichen Teilen mit reichlichen Geldmitteln versehen. Von den Vieren waren drei zu der Mordthat vom AuSlande nach Deutschland gekommen. LieSke verausgabte nun sein Geld während des Frankfurter Aufenthaltes für eine« Zweck, den Dave nicht näher bezeichnen wollte, und wandte sich infolge dessen nach London mit der Bitte um schleunige Geldsendung. Hier bestand zu dieser Zeit ein sogenanntes Vertrauenskomitee aus fünf Mitgliedern, Dave, Trunk, Knauerhase, Bäthke und Rinke, lauter „bewährte" Anarchisten. Auf meine Frage, ob Neve nicht daran teilgenommen hab«, er widerte er, der sei ja zu jener Zeit auf dem Festlande gewesen. Dave war derjenige, welcher im Auftrage dieses Ausschusses den Briefwechsel mit den Mördern zu führen hatte. „Nachdem Dave von LieskeS Notlage gehört, be rief er eine Sitzung des Vertrauenskomitees, in der man beratschlagte, wie daS Geld zu übermitteln sei. Es war das erste Mal, daß die Mitglieder vollzählig versammelt waren, denn bisher hatte sich der Anar chist Rinke den Verhandlungen ferngehalten. Da er bot sich Rinke, die Sendung zu bestellen, da er mit dem Deckadressaten bekannt sei. Dave will diesem das Geld ausgehändigt haben, eS ist aber niemals in Lies kes Hände gekommen. Nun beschuldigte Dave den Rinke mir gegenüber, das Geld unterschlagen zu haben. Da ich natürlich immer noch mehr Beweise verlangte, so nahm er einen von einem der Mitmörder an ihn gerichteten Brief, der, wie Dave ausdrücklich bemerkte, den Poststempel „Genf" trug, und las mir daraus, wie es mir schien, aus dem Französischen übersetzend, einige Stellen deutsch vor, in denen der Mitthäter dem Dave bittere Borwürfe machte, daß er dem Lieske das Geld nicht zugestellt habe. Könne man nicht jede beliebige Summe denen, die ihr Leben bei solcher That aufs Spiel setzen, zur Verfügung stellen, so möge man die Hände davon lassen und keine Genossen zu einer solchen That aussenden. über diesen Mit ¬ thäter teilte mir Dave ferner mit, daß man in Lon don nach der That von ihm lange Zeit keine Nach richt erhalten und sicher angenommen habe, daß er unter den vielen Personen sich befinde, die aus Anlaß des Mordes verhaftet wurden; fchon habe Dave durch die Genfer Genossen Nachfragen in seiner Wohnung anstellen lassen, aber vergeblich, bis endlich 7 Wochen später der erwähnte Brief eintraf, »ährend der Thäter sich selbst nach Italien geflüchtet hatte. Der Umstand, daß der Brief des Mitmörders aus Genf datiert sein sollte, veranlaßte mich zu der Bemerkung, daß wohl jene drei Männer, welche ein Hauptmann am Vor abend des Mordes auf dem Frankfurter Bahnhof sich habe unterhalten hören, die Mörder gewesen seien, worauf Dave nichts erwiderte, aber in so eigentüm licher Weise lächelte, daß ich sein Schweigen für eine Bejahung hielt. Ich fragte fodann, ob Lieske eben so viel fremde Sprachen gekonnt habe, wie Reinsdorf. Dave antwortete, daß Lieske französisch verstanden habe. Als weitern Beweis seiner Beschuldigungen gegen Rinke berief sich Dave auf NeveS Zeugnis. Er erzählte mir: „Als nun Neve nach London zurückkam, war eS das erste, was er that, daß er Rinke ins Ge sicht sagte, er habe das Geld für LieSke unterschlagen." Um nun zu ermitteln, ob Lieske thatsächlich der Mörder deS PolizeirateL Or. Rumpff gewesen sei, fragte ich ihn, indem ich an seine schwächste Seite, seine Eitel keit, appellierte: „Wenn ich nun ein Buch über den Anarchismus schreibe, kann ich dabei von der Voraus setzung ausgehen, daß Dr. Rumpff von dem Anar chisten Lieske getötet worden ist? Wie soll sich der einst einmal die Weltgeschichte zu dieser Frage stellen?" Mit einem nur ikm eigenen selbstgefälligen Lächeln antwortete er: „Ich weiß eS." Und nach kurzem Be sinnen: „Außer mir wissen eS nur noch zwei Per sonen." Auf meine Frage, ob er nie darüber Mit teilung machen würde, um jene dunkle That vor der Geschichte klar zu stellen, antwortete er, er sähe keinen Grund für derartige Eröffnungen. Sodann unterbrach er mein Schweigen mit den Worten: „Wenn ich Ihnen nun sagen würde, daß Lieske den Rumpff nicht ermordet hat, so würde man ja die beiden andern bis zum Äußersten verfolgen." Ich sah ein, mehr würde ich nicht hören. Die Lage begann etwa- peinlich zu werden, ich fürchtete, seine Mitteilungen, von denen ich annahm, daß er sie lieber nicht gemacht hätte, würden ihn gereuen Ich verabschiedete mich, aber noch an der Thür rief er mir nach: „Was die Unter schlagungen des Rinke und Peukert betrifft, so schrei ben Sie ja dazu, daß Sie es von mir haben." Auch angenommen, Dave habe sich mit seiner Äußerung über die Urheberschaft der Mordthat verschnappt und die Wahrheit gesagt — und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln — so würde dies das Todesurteil Lieskes nicht anfechten. Denn Julius Lieske ist schul dig befunden worden, allein oder in Gemeinschaft mit einem oder mehreren anderen Personen den Polizeirat l)r. Rumff vorsätzlich getötet und die Tötung mit Überlegung ausgeführt zu haben." „ES dürfte nach dem Gesagten nicht mehr so merk würdig erscheinen, wie Dave dazu kam, mir so weit gehende und kompromittierende Mitteilungen zu machen In seinem ungemessenen Haß und seiner grenzenlosen Eitelkeit hat er wohl manches gesagt, was er später bereut hat. Andererseits mußte ihm in der That daran liegen, mir einen möglichst hohen Begriff von ihm selbst beizubringen und sich als einen ganz besonders verdienstvollen Anarchisten hinzustellen, da er fürchten mußte, ich würde aus der Peukertschen Schrift die Ansicht gewinnen, daß er ein Polizeiagent und thatenloser Änarchist sei und ihn demgemäß in der Presse schildern." Tie Enthüllungen bekunden eine tiefe Spaltung innerhalb der anarchistischen Partei. Andere wichtig« FcuiUcton. Lelia Rubien. Bon H. Keller-Jordan. (Fortsetzung.) „Und die übrigen Damen? Bitte, nennen Sie mir dieselben. Sie müssen annehmen, daß ich in den 2 Jahren total fremd geworden bin. Ich sehe lauter neue Gesichter und vermisse die alten" — propo«, was ist au- Ihrer Freundin, Frau Rubien, der allerliebsten Kreolin, geworden, ich erblicke sie nirgends. Es war eine der ersten Nachrichten, die mich in Paris trafen, daß Herr Rubien gestorben und die finanziellen Verhältnisse des Hauses zerrüttet seien. Wie es scheint, haben die schweren Verluste nur Ru bien allein, oder besser gesagt, seine Familie be troffen?" „Ach, da» ist ein unglückliches Thema, Herr Ba ron", seufzte Melanie affektiert, „wie viel haben wir durch Rubien gelitten! Er hatte Privatgeschäfte ge macht und meinen guten Mann zum großen Teil mit hineingezogen." „Ader daS kann doch nicht so ernstlich gewesen sein", sagte Herr v. Belten, indem er sein Pince-nez zurecht rückte und einen Blick über den Luxus gleiten ließ, der selbst zu Rubien» glanzvollsten Zeiten nicht in dem Maße vorhanden gewesen war. „O doch, aber den Bemühungen meine- Mannes ist e« gelungen, einen Teil von Rubien- Defizit zu decken und wenigstens der armen Frau eine Wohnung > in unserm Haus« zu sichern. „War das Haus nicht früher das Privateigentum Nubiens?" „Allerdings war das Haus sein Eigentum. Aber nach seinem Tode stellte sich heraus, daß dasselbe mit Hypotheken belastet und auch übrigens nur wenig Geld vorhanden war. Mein Mann übernahm eS, mit dem, was Rubien noch darauf zu gute kam, einen Teil seiner Gläubiger zu befriedigen, und Lelia zog mit ihrem Kinde hinauf in die kleine Erkerwohnung." „Ach ja, „Lelia" hieß sie, ein fremder Name, der für sie wie geschaffen schien. Arme Kleine, ihre Augen mit den Schleierwimpern sahen, auch wenn sie selbst im blendendsten Putz war, immer melancholisch aus, als sehnten sie sich nach den Palmen ihres Heimat landes. Ist sie noch immer so hübsch?" „Das ist Geschmackssache, Herr v. Velten, ich bin einmal parteiisch in allem, was Lelia angeht und da habe ich selbstverständlich kein authentisches Urteil. Ich liebe sie und finde sie reizend. Natürlich, bei den mangelhaften Schulen in Cuba, die sie besuchte", setzte sie hinzu, „ist ihre jetzige Beschäftigung gerade nicht sehr vorteilhaft für ihre weitere geistige Ent wickelung." „Welche Beschäftigung?" „Ich denke mir", daß sie stickt — um sich und ihr Kind mit einer immer noch für ihre pauvren Ver hältnisse ziemlichen Eleganz zu umgeben." „Sticken — und dabei noch Eleganz?" fragte Velten zweifelhaft. ,Lch habe Lelia wenigstens viel zu lieb, um dem Gerede der Leute Glauben zu schenken." „Aber gnädige Frau, Sie sind ja Frau Rubien»
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