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Lchönbmger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Sonntags eine Gratisbeilage „Der Erzähler". Preis vierteljährlich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteurs dieses Blattes nehmen Bestellungen an. Jnsertionsgebühren pro kleingespaltene Zeile für Abonnenten 7 Pf., für Nicht abonnenten 10 Pf. Jnseraten-Annahme für die nächsterscheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. 14«. Waldenburg, Freitag, de» 27. Juni I«7S. ^Milche WUchm. *Waldenburg, 26. Juni 1879. Eine Scheidung der nationalliberalen Partei in ihre verschiedenartigen Elemente, die schoir lange in der Luft gelegen, scheint nun mehr bevor zu stehen. In diesen Tagen hat nämlich eine Unterredung zwischen den Führern des rechten und des linken Flügels der National liberalen stattgefunden, in welcher beiderseits die Unvermeidlichkeit einer Trennung in loyaler und, so weit in einem solchen Falle möglich, freund schaftlicher Weise anerkannt wurde. Es sind nicht eigentlich die wirthschaftlichenMeinungsverschieden- heiten, welche auf eine Auseinandersetzung hin- drängen, als vielmehr die verschiedenartige Stel lung zu der gesammten Methode der neueren Bismarck'schen Politik. Demgemäß werden auch mit der Linken keineswegs alle Freihändler aus der Fraction ausscheiden; zu den Gegnern der neuen Reichspolitik gehören eine Anzahl national liberaler Abgeordneten, welche in anderen Dingen zu den gouvernementalsten Mitgliedern der Frac tion zählen, und sie dürften bei Herrn v. Bennig sen, der künftig der alleinige Führer der Partei, wenigstens im Reichstage sein wird, verharren, mit ihnen die große Mehrzahl der bisherigen Nationalliberalen. Mit Forckenbeck, Lasker, Stauffenberg, Rickert, Bamberger wird eine Minderheit ausscheiden, deren Zahl im Augen blick noch nicht feststeht. Es ist sehr wahrschein lich, daß dies nur der Ausgangspunkt weiterer Veränderungen des Parteiwesens sein wird, die durchzuführen aber Sache der Wähler sein wird. Hervorragende Mitglieder der Fortschrittspartei sind einer Entwickelung der Dinge geneigt, welche später zum Aufgehen sowohl dieser Fraction, als der künftigen Fraction Forckenbeck in einer „Liberalen Partei" führen würde. Ueber die Frage der konstitutionellen Ga rantien bezüglich des Zolltarifs, schreibt die Prov.-Corr.: Vor den letzten Berathungen der Tarifcommission über die sogenannten Finanzzölle und vor den entscheidenden Beschlüssen der Tabaks commission finden zur Zeit zwischen allen den jenigen Parteigruppen, welche das Zustandekommen des neuen Zolltarifs und der damit verknüpften Finanzreform im Großen und Ganzen erstreben, vertrauliche Berathungen über die sogenannten con- stitutionellen Bürgschaften statt, d. h. über die Frage, auf welchem Wege am besten sicher zu stellen ist, daß Angesichts der bevorstehenden Vermehrung der Einnahmen des Reichs die verfassungsmäßigen Rechte der Reichsvertretung nicht geschmälert wer den. Als Gegenstand allseitigen Einverständ nisses, wie es auch schon bei den entsprechenden Verhandlungen im preußischen Abgeordnetenhause festgestellt war, darf gelten, daß die Ueberschüffe aus den neuen Einnahme^ soweit sie nichtdirect oder in- direct zu den im Reich^daet festzustellenden Aus gaben gebraucht werden, de» Einzelstaaten zur Er leichterung ihrer Ausgaben und ihrer Steuerlasten zufließen sollen. Unter welche» Modalitäten die Ueberweisung vom Reiche an die Bundesstaaten stattfinden soll, und inwieweit dabei der Form nach die Matricularbeiträge sortbestehen können, darüber wird gegenüber dem wesentlichen sach lichen Einverständniß die Verständigung wohl nicht allzuschwer zu erreichen sein. Bezüglich der Zolleinnahmen und deren Verwendung wurde von der Tarifcommission der Antrag des Abg. v. Frankenstein, erstes Alinea, wonach der eine bestimmte Höhe jährlich übersteigende Betrag der Zölle und der Tabaks steuer den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der Bevölkerung zu überweisen ist und die Ueber weisung vorbehaltlich der definitiven Abrechnung zwischen der Reichskasse und den Einzelstaa ten auf Grund der im Artikel 39 der Ver fassung erwähnten Quartalsextracte, beziehungs weise der Jahresabschlüsse erfolgt, mit 16 gegen II Stimmen angenommen, dagegen der Antrag des Abg. v. Frankenstein, zweites Alinea, betreffend die Bewilligung nur bis zum 1. April 1881, zurückgezogen und der Antrag des Abg. Bennig sen, zweites Alinea, betreffend die Ueberweisung des Ueberschuffes des Reichsetats an die Bundes staaten, mit 19 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Daß die katholische Geistlichkeit, trotz der Armuth der polnischen Landbevölkerung, doch noch immer wieder ganz erkleckliche Summen für Rom einzutreiben versteht, beweist eine Notiz des kleri kalen „Kur. Pozn", welcher mit großer Genug- thuung mittheilt, daß Kardinal Ledochowski am 15. Mai dem Papste wiederum eine Summe von 20,000 Francs eingehändigt hat, welche in den Erzdiözesen Posen-Gnesen gesammelt worden sind. In Oesterreich haben am 24. d. die Wahlen zum Landtag begonnen. In den sieben Land gemeinden Oesterreichs wurden 7 Conservative, in den 5 Landgemeinden Krains 5 Nationale, in den zehn Landgemeinden Niederösterreichs 8 Liberale und I Conservativer gewählt. Die konservativen haben je einen Sitz in Niederöster reich, Oberösterreich und Krain gewonnen. Prinz Napoleon oder „Plon-Plon" will ein Manifest an das Land richten, welches die Ver sicherung enthalten soll, daß er, der Prinz, nicht als Prätendent aufzutreten beabsichtige, und daß er in seiner Familie keinen Prätendenten dulden werde. Die Republik sei die von ihm acceptirte Staatsform und er gedenke ihr treu zu bleiben. Da ist Holland in Nöthen. Prinz (Jerome) Napoleon hat übrigens bereits 1876 seinen Wählern in Ajaccio erklärt: „Die Repu blik existirt; Patriotismus nöthigt sie uns auf; sie ist die einzige nach Lage der Dinge für Frank reich mögliche Regierungsform. Ich wünsche aufrichtig und ohne Reserve ihr Wohlergehen." Seine Theorie war von jeher, daß es ein Fehler des ersten Napoleon war, das Kaiserreich zu gründen und daß es die wahre Aufgabe der bonapartistischen Familie bilde, eine leitende Rolle in der Republik zu übernehmen. Auf diesen Gedanken wird sich Prinz Napoleon auch jetzt wohl zurückziehen, wenn ihm die Regierung die Prätendentenschaft auf eine leitende Stellung in der Republik etwa noch verstattet. Wir meldeten bereits in letzter Nummer, daß sich das Befinden der Kaiserin Eugenie wiederum sehr verschlimmert habe; nach einer Depesche vom 25. d. wird ihr Zustand als sehr bedenklich bezeichnet; die Patientin sei nicht mehr im Stande, die eingeflößte Nahrung bei sich zu behalten. Der in Chislehurst anwesende Rouher wird Angesichts der schlimmen Lage zunächst dort verbleiben. Ferdinand v. Lesseps hielt vor einigen Tagen in Amiens, wo er auf Besuch wnlte, einen popu lären Vortrag über den Suezkanal und sein neues Project der Durchstechung der Land enge von Panama. Für das letztere zählt er auf einen sicheren Erfolg. Die politischen Schwierigkeiten seien nicht der Rede werth und die natürlichen geringer, als seinerzeit in Suez. Für die Arbeiten zähle er auf die so gelehrigen, fleißigen und geduldigen Chinesen und seiner auf 15,000 freigelasiene Neger von Brasilien, die ihm sein Kollege von der Akademie, der Kaiser Dom Pedro, wie er hoffe, zur Verfügung stellen werde. „Ich verbürge mich, schloß Lesseps, für die Ausführung des Werks. Die Subscription wird in zwei Monaten eröffnet werden. Im November begebe ich mich nach New-Aork, San Franzisko, Panama und Kolon; der erste Spaten stich wird am 1. Januar 1880 erfolgen; dann will ich nach Frankreich zurückkehren und wieder meinen lieben Suezkanal besuchen. Mit 30,000 oder 40,000 Arbeitern wird das Werk in 7 oder 8 Jahren vollendet sein. Sie werden es alle er leben und ich hoffentlich auch!" In Spanien ist zur Abwechselung wieder ein mal ein kleiner Aufstand ausgebrochen, und zwar in Katalonien. Dort hat eine Bande Auf ständischer in mehreren Ortschaften Zwangsliefe rungen von den Bewohnern eingetriebe». Die Gendarmerie wurde zur Herstellung der Ruhe auf geboten, welche dabei sechs Aufständische tödtete und mehrere andere verwundete. Die Aufstän dischen siud nach Obigem weiter nichts als eine Räuberbande. Wie der „Pol. Corr." aus Konstantinopel gemeldet wird, hat Papst Leo LIII. in Aner kennung der Verdienste, welche sich mehrere Mit glieder des türkischen Ministeriums um die Be gleichung des confessionellen Zwistes im Schoße der armenisch-katholischen Gemeinde erworben haben, dem Großvezier Kheireddin Pascha, dem Minister Karatheodory Pascha, dem Kriegsmini ster Osman Pascha und dem Justizminister Said Pascha das Großkreuz des Piusordens verliehen. Kheireddin erhielt die Decoration in Brillanten. Der Kaiser von Rußland wird in nächster Zeit aus Petersburg in Berlin eintreffen, alsdann dem Kaiser Wilhelm in Bad Ems einen Besuch abstatten und sich hierauf zu mehrwöchigem Auf enthalte nach Jugenheim begeben. Es ist in Rußland sehr schwierig, für die be reits errichteten Volksschulen die genügende Zahl von Lehrern zu bekommen. Diejenigen, die sich zu Schullehrern ausgebildet, finden bei einiger Tüchtigkeit gewöhnlich bald eine lohnen dere Verwendung und gehen dann zu einem an deren Beruf über. Man muß sich dann meist mit Individuen begnügen, welche durch Mißge schick oder anderswo kein Unterkommen gefunden oder aus ihrer natürlichen Carriöre hinausgeschleu dert wurden. In Petersburg hat der General Gurko allge mein publiciren lassen, daß Jedermann, der sich durch die anonymen Droh- oder Erpressungs briefe einschüchtern und zu Geldzahlungen an