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Scherzocharakter trägt das in freier Rondoform ausgebaute virtuose Finale. Das tänzerische, sehr einprägsame Hauptthema wird zunächst vom Solo-Cello vorgestellt und geht dann zur Solo-Violine über; es fesselt namentlich durch seine prickelnde Rhythmik und seinen immer wiederkehrenden Wechsel zwischen Legato und Staccato und verleiht dem Satz zum Teil etwas dämonische Züge. Auch das gesanglich-innige zweite Thema, das neben weiteren ausdrucksvollen Seitenthemen im sinfonischen Geschehen des Finalsatzes wirksam wird, führt zuerst das Violoncello ein. In freudiger, kraftvoll-zuversichtlicher Stimmung wird das Konzert schließlich, in strahlendes A-Dur gewandelt, beendet. Die 1. Sinfonie D-Dur von Gustav Mahler, aus den Jahren 1884 bis 1888 stammend, wurde am 20. November 1889 in Budapest uraufgeführt. Der Kom ponist hatte der Sinfonie, zu der er durch Jean Pauls Roman „Der Titan" angeregt worden war, für die zwei nachfolgenden Aufführungen in Hamburg und Weimar ausführliche programmatische Erläuterungen beigegeben, die er jedoch später nicht mehr vertrat, da er sie (nach einem Brief vom März 1896) einerseits für nicht erschöpfend hielt und andererseits fürchtete, das Publikum dadurch auf falsche Wege zu leiten. Bei der Uraufführung trug das Werk noch die Bezeichnung „Sinfonische Dichtung in zwei Teilen". „Die Sinfonie hat die typische einmalige Gewalt des genialen Jugendwerkes im Überschwang des Gefühls, im unbedingten und unbewußten Mut zur Neu heit des Ausdrucks, im Reichtum der Erfindung; es blüht in ihr von musikali schen Einfällen, und es pulst in ihr das heiße Blut der Leidenschaft — sie ist Musik und sie ist erlebt", so charakterisierte der Mahler persönlich eng ver bundene große Dirigent Bruno Walter dessen erste sinfonische Komposition. In sehr vielen Zügen ist dieses Erstlingswerk aber auch bereits typisch für den späteren Stil des Komponisten. Wir finden hier die freie Erweiterung und Über spielung der Sonatensatzform im Sinne der sinfonischen Dichtung, die starke innere Verbindung einzelner Sätze miteinander in Stimmung und Thematik; wir finden schon den engen Zusammenhang zwischen Mahlers Sinfonik und seinem Liedschaffen, die bewußte, von romantischer Sehnsucht getragene Hin wendung zur Natur, zum Volkstum, seine im höchsten Maße ethische Auffassung der Musik als seelisches und weltanschauliches Bekenntnis. Wir finden jedoch ebenso bereits die tiefe Zwiespältigkeit und Zerrissenheit seines Wesens und damit seiner Musik, die in der Diskrepanz zwischen schlichter, liedhafter Melo dik und Übersteigerung der äußeren Mittel, in jähen Kontrasten, krassen Stimmungsumschlägen und eigentümlich zwielichtigen Episoden zum Ausdruck kommt. Der erste Satz des Werkes beginnt mit einer poetisch-stimmungsvollen Einleitung, die den erwachenden Morgen, den Sonnenaufgang mit vielfältigen Naturlauten schildert. Das danach erklingende frische Hauptthema, das einer Melodie aus Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen" entspricht („Ging heut morgen übers Feld“), bestimmt in seiner phantasievollen Verarbeitung, von Seiten themen begleitet, den weiteren Verlauf des von fröhlicher, naturhafter Dies- seitigkeit und kraftvoller Musizierfreude erfüllten Satzes. Nach einer jubelnden Steigerung in vorwärtsdrängendem Tempo erfolgt unvermittelt der Schluß. - Das folgende, echt österreichische Scherzo im Ländlerrhythmus nach Bruckner schern Vorbild läßt eine ausgelassen-bewegte dörfliche Tanzszene an uns vor überziehen. Den Mittelteil bildet ein anmutiges, etwas zarteres Trio. — In eine ganz neue Klangwelt führt uns der dritte Satz, mit dem der zweite Teil der Sinfonie — ursprünglich „Commedia umana“ überschrieben — einsetzt (je zwei der Sätze gehören innerlich zusammen). Eine für den Komponisten sehr charak teristische, seltsame Kombination von Melancholie und Skurrilität herrscht in diesem merkwürdigen Satz, der verständlicherweise bei den ersten Aufführun gen des Werkes Erstaunen und Befiemden hervorrief. Mahler wurde durch ein altes Bild, „Des Jägers Leichenbegängnis", zu dieser Komposition inspiriert. Zu einem schauerlich grotesken Trauermarsch geben die Tiere des Walde dem toten Jäger das Geleit. Das thematische Material des gespenstischen Treibens, dessen Eindruck durch ein parodistisch-triviales Zwischenspiel noch verstärkt wird, stellt der bekannte Volksliedkanon „Bruder Martin, Bruder Martin" dar. Für kurze Zeit spendet eine weitere Melodie aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen" ein wenig Trost und Beruhigung; doch sie kann sich nicht durch setzen, bald ertönt wieder unheimlich-düster, hohnvoll und unerbittlich das Kanonthema des Anfangs. — Unmittelbar schließt sich der stürmische, titanische Finalsatz an, den Mahler einst den „Aufschrei eines zutieft verwundeten Her zens" nannte. Heftige Kämpfe werden in diesem leidenschaftlichen Musikstück ausgefochten, dessen Bogen sich von „großer Wildheit" und überschwenglichen Ausbrüchen bis zum zartesten Pianissimo spannt, und der von starken Klang kontrasten und ungeheuer gesteigerten Entwicklungen getragen wird. Auffal lende thematische Reminiszenzen an den ersten Satz treten hier auf. Der sieg hafte Schluß mit dem marschähnlichen Hauptthema in vollem Orchesterglanz kündet endlich den errungenen Triumph. Dr. habil. Dieter Härtwig 806 Dresden, Alaunstr. 36-40 GHZertttHrecIlt im ckuLtue^c-da^t Staden J979)86 Nächstes Konzert: Dienstag, den 16. Oktober 1979 Konzert der Staatskapelle Dresden Preis des Programmheftes: 0,25 M III 9 92 JtG 059 18 79