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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh S Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werde» an den Wochentagen nur bi» Nachmittag 3 Uhr^ für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 136. Freitag, den IS. Juni 1855. Tagesgeschichte. Dresden, 13. Juni. Die Erste Kammer bewilligte in ihrer heutigen Sitzung die Unter Pos. 17 des außerordentlichen Budgets geforderten 30,000 Thlr. zu Vervollkommnung der Staatstelegraphenanstalt und beschäftigte sich sodann mit der Beschlußfassung über die nach stattgehabtem Vereinigungsver fahren bezüglich mehrerer Budgetablheilungen vorliegenden Dif ferenzpunkte. — Die Zweite Kammer hat heute die gestern be gonnene Discussion über die v. Nostitz'schen Anträge beendigt und bei Berathung einer Petition um Erlaß gesetzlicher Be stimmungen über den Musterschutz, mit Zustimmung des Re- gierungscommissars beschlossen: diese Petition an die Staatsre- gierunz mit der Bitte abzugeben, derselben entweder bei der durch Separatartikel 9 des Zoll- und Handelsvertrags vom 19. Februar 18ö3 vorgesehenen Verhandlung oder bei Gelegenheit einer zu erlassenden Gewerbeordnung-Berücksichtigung ange- dcihen zu lassen. (Dr. I.) Zittau, 12. Juni. Ein in vergangener Nacht in dem benachbarten, an der Straße nach dem Oybin gelegenen Olbers dorf verübter gewaltsamer Einbruch beschäftigt heute alle Ge- müther. Zwischen 12 und 1 Uhr Morgens nämlich ist eine Bande von 11 Männern, anscheinend aus Böhmen, bei dem Müller Scholze in Olbersdorf, der gestern eben 3000 Thlr. baa- res Geld aus Zittau mit nach Hause gebracht hat, eingebrochen. Die Räuber begeben sich zuerst in das Nebengebäude, wo ein Arbeiter schläft, dem sie aber, wie es heißt, weil er versprochen, sich ruhig zu verhalten, nichts zu Leide thun, und dringen so dann in die Mühle selbst. Der Müller, ein starker Mann, ob wohl er nur Einen Arm besitzt, wird nach hartnäckigem Wi derstande überwunden und geknebelt, die Frau aber, nach An dern der Müllerbursche, reißt sich los, läuft zur Thür hinaus und ruft: Fiuer! Der Nachtwächter und die Nachbarn eilen herzu, und die Räuber sehen sich genölhigt, die Flucht zu er greifen, ohne das Geld, das im Tischkasten gelegen hat, gefun den zu haben. Zuvor aber wird von einem der davon eilen den Räuber der Müllerbursche durch einen Pistolenschuß am Hals und am Arm nicht unbedeutend verwundet und befindet sich zur Cur. Beim Ucbcrsteigen über einen Zaun bleibt jedoch ei ner der Bösewichter mit den Beinkleidern hängen und wird von den verfolgenden Dorfbewohnern gefangen und zunächst an die Zittauer Polizei abgeliefert. Die übrigen wenden sich nach Böhmen zurück und fallen gegen 5 Uhr Morgens, noch 5 an der Zahl, einen von Gabel kommenden Holzfuhrmann auf der Gabler Straße an, dem sie die Pistole auf die Brust'setzen und seine gesammte Baarschaft, bestehend in 17 Gulden, abnehmen. Der eingefangene Räuber soll übrigens umfassende Geständnisse gemacht und seine Mitschuldigen angegeben haben. Dieselben sollen vorzugsweise Böhmen und in dem bei Reichenberg gelt- genen Städtchen Liebenau wohnhaft sein. Infolge dessen hat sich unsre Polizei sogleich mit den böhmischen Behörden in Ver nehmen gesetzt. Hoffentlich wird es gelingen, die Verbrecher zur wohlverdienten Strafe zu ziehen. Vielleicht trägt auch dieser Vorfall dazu bei, daß ein strengeres Auge auf die zahllosen böhmischen Bettler und sonstiges zweideutiges Gesindel aus Böh- men geworfen werde, daß die ganze Umgegend durchschweift. (Dr. I.) Wien, 12. Juni. Die Stellung, welche Oesterreich in Folge Les Schlusses der Wiener Conferenzen eingenommen, ist ganz zum Vortheile Rußlands. Nicht genug, daß Oester reich sich nicht zur Action gegen Rußland entschlossen hat, wie es in der Absicht der Alliirten beim Abschluß des December- bündnisses und beim Beginn der Conferenzen lag, daß folglich dessen Neutralität fortdauert und der Czaar einen Hauptfeind weniger zu bekämpfen hat, so kann Rußland die Ueberzeugung gewinnen, daß Oesterreich den Krieg scheut und nur im äußer sten Falle denselben beginnen wird. Diese Ueberzeugung aber muß entscheidende Folgen nach sich ziehen. Bisher mußten die Russen jeden Augenblick die österreichische Kriegserklärung ge wärtigen. Denn die österreichischen Heere hatten sie aus den Donaufürstenthümern herausmanövn'rt und standen von Krakä« bis Galacz zum Einfall ins russische Gebiet bereit. Ueberdieß hatte Oesterreich mit den Westmächten das Bündniß vom 2. December geschlossen und drang beim Beginn der Conferenzen auf einen kurzen peremtorischen Termin. Jetzt erklärt Oester reich, es wolle die Vermittlerrolle spielen, d. h. sich nicht chat sächlich in den Streit mischen. Ist dies nun auch noch keine Zusicherung an Rußland, den Frieden beibehalten zu wollen, so gilt sie doch thatsächlich einer solchen gleich. Denn zu einer neuen Vermittelung, für welche übrigens setze noch kein Anfang zu ersehen ist, gehört wieder ein Zeitraum von Monaten. Jetzt haben wir den Juni, d. h. den Monat, in weichem spätestens ein Feldzug gegen das mittlere und nördliche Rußland begon nen werden muß, wenn er einigen Erfolg versprechen soll. Der