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Nr. LS« — L0. Jahrgang DtenStag de« LV. August 1VLL «r<4eini «Sgltch nach». mti «lurnahme der Sonn- und Festtage. «u«qad» 4 mit .Die gelt In ISort und Bild' vierteljShrlich «,I» 4t, In Dre-ben durch Boten 2.40 In gang Deutschland sret Hau- S 8S in Oesterreich 4,4» 8. rk»«,ade » ohne illustrierte Beilage dierlelilihrlich I,tM In Dre»den durch Boten it.Iv ^l^ ^n gan^Deutschland frei Hau« it.iDt in Oesterreich 4,0? iinzel-Nr. I« 4. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die Ngelpaltene Petitzeile oder deren Raum mit 4L 4, Reklamen mit 80 ^ die geile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt Vnchdraikerei, Redaktion nnd Geschäf»«ft»ll«, 2»re«deu, Pillnttzer Strafte 4». — Fernsprecher I»««» Für Rückgabe unverlangt. Schriftstücke keine Verbindlich»««» Redaltionti-Sprechstundc: 41 biti lii Uhr. Für ven Monat September abonniert man auf die „Sächsische Volks« zeitung" mit der täglichen Romanbeilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise von «v Pfg. (ohne Bestellgeld), durch den Boten ins Haus VO Pfg. Der Bezugspreis auf die Ausgabe X mit der illustrierten Unter haltungsbeilage „Die Zeit i« Wort und Bild" erhöht sich monattich um 10 Pfennig. Lin englischer Diplomat in Wien gegen Deutschland. Dresden, den 24 August 1911. Da hat man vor einigen Jahren Verbrüderungs- Versuche zwischen Deutschland und England gemacht. Jaurna- listen, Geistliche, Parlamentarier der englischen und deutschen Nationalität machten Gastreisen durch Deutsch land und England. Besonders wurden die Engländer in Deutschland mit warmer Herzlichkeit begrüßt. Wir nennen »ur den Empfang der englischen Journalisten hier in Dres den durch die Stadt nnd die hiesige Presse. Auch die Deutschen fanden in England eine frei»idlnl)e Aufnahme. Allerdings sah die Jingopresse dieser Annäherung der Ver treter beider Nationen mit verhülltein Grimme zu und fuhr mit der Verdächtigung der Deutschen fort. Eine mächtige Partei steht hinter diesen Quertreibereien. Was nützen die Fahrten, um die Nationen näher zu bringen, wenn die maß gebenden Personen diese Bestrebungen nicht unterstützen, ja, sogar fortgesetzt dagegen arbeiten? Nun fällt man auch noch von Wien ans Anlaß der französisch-deutschen Verhand lungen in der Marokkofrage dem Deutschen Reiche in den Rücken. Die „Neue Freie Presse, dieses Hauptorgan der judenliberalcn und börsenliberalen Parteien, schämt sich nicht, einer solchen englischen Stimme Raum zu geben. Ter Autor soll ein englischer Diplomat sein. Man bezeichnet« sofort den englischen Botschafter in Wien als den Diplo maten. Er schwieg zu dieser Anschuldigung. Die „Köln. Ztg." will sich zwar vorläufig diese Ansicht nicht aneignen, denn sie kann nicht glauben, daß ein Staatsmann in so her- vorragender Stellung über die Politik einer Macht, mit der seine Regierung nicht im Kriege steht, derartige Aeuße- rungen getan hat, die sich sachlich als ein Gemisch von Haß, Unkenntnis und Leichtfertigkeit dar- stcllen und ebenso gut in irgendeinem Pariser Hetzblatt hätten erscheinen können. Ist der Diplomat der „Neuen Freien Presse" wirklich der Botschafter, nnd hat er sich wirk lich so geäußert, wie das Blatt sagt, so gewinnt die Ange legenheit natürlich ein sehr ernstes Gesicht. Die Auslassungen dieses Diplomaten sind sehr ge hässiger Statur. Zunächst behauptet er, Frankreich habe den Algecirasvertrag und die Begünstigung der offenen Tür in keiner Weise verletzt. Deutschland habe ohne jedes Motiv den „Panther" nach Agadir dirigiert. Deutschland habe die Gesetze der Mäßigung verletzt und Frankreich direkt heraus gefordert. Allerdings nicht das deutsche Volk, sondern nur eine Clique, die gleich rücksichtslos in verschiedenen euro päischen Zentren vorgeht. Dann heißt es weiter: „Von Deutschland gilt heute in gewissem Sinne das, was von Frankreich vor dem Jahrs 1870 galt. Danials machten die Tuilerien die Politik, und auch die gesetzgebenden Körperschaften waren Kreaturen der Tuilerien. Tie Tuilerien haben den unsinnigen Krieg gegen Deutschland gemacht. In Deutschland wird die Poli tik heute von oben gemacht, nicht vom Volke. Die deutsche Reichsregierung repräsentiert nicht wie die englische Re gierung die öffentliche Meinung des Landes. Die Umgebung des Kaisers hat offenbar zu der Tat von Agadir inspiriert. Wenn Deutschland eine Negierung hätte, welche die öffent liche Meinung in Wahrheit repräsentiert, so würde cs nicht die unglückliche Marokkopolitik machen. Haben wir nicht seit Bülows Sturz an eine ernste Besserung unserer Be ziehungen zu Deutschland glauben wollen? Da schlägt die deutsche Diplomatie drein, hinter der nicht Deutschland steht — ich meine das deutsche Volk — sonder» eine Oligarchie, die eine weise Staatsleitung behindert und wirklichen Staatsmännern ihre Selbständigkeit nimmt. Diese Marokkopolitik hat bereits manche gefährliche Phase hinter sich. Ich erinnere an die Affäre von Casablanca. Hätte Deutschland damals nicht nachge geben, so hätte es zum Konflikt kommen können. In einem ähnlichen Stadium sind wir jetzt. Wird Deutschland sich nicht mäßigen, so bedeutet das einen Konflikt, in welchem England Frankreich zur Seite sein wird. Glauben Sie, daß es Oesterreich-Ungarn bequem sein kann, jetzt seinen intimen Verbündeten mit dein Marokkofeuer wieder spielen zu sehen? Was interessiert Oesterreich- Ungarn Marokko? Oesterreich-Ungarn steht die Türkei viel näher, und je Nxmiger man in Ocsterreich-Ungarn von Marokko spricht, desto lieber muß es den Staatsmännern in Wien sein. Oder glauben Sie, daß Italien sich über die etwaige Aufrollung des Marokkoproblems durch Deutsch land freut? Auch den Italienern steht die Türkei viel näher. Glauben Sie, daß Italien sich einen Zustand herbciwünschen kann, in welchem es genötigt wäre, innerhalb der Tripel allianz gegen die Tripelcntente sich zu entscheiden?" Die reichsdeutschen Hetzer gegen die Habsburger Mon archie nahmen diese in der „Neuen Freien Presse" er schienenen Auslassungen sofort zur Veranlassung, um über die Unzuverlässigkeit der österreichischen Treue zu klagen. Sie ignorieren die Tatsache, daß dieses jüdische Organ zu allem zu haben ist. Es erklärt sich zwar mit den Ansichten des englischen Diplomaten nicht einverstanden, sieht aber in der Veröffentlichung dieses englischen Exzesses eine „Pflicht" und „Notwendigkeit". Das christlichsoziale Hmcptorgan, die „Neichspost", das Beziehungen zu dem österreichischen Thronfolger haben soll, bringt einen geharnischten Artikel sowohl gegen die „Neue Freie Presse", als auch den Diplo maten; sie schreibt: „Eine pflichtbewußte östcrreichisclie Presse darf sich nie mals und zurzeit weniger als je zur Rolle eines Sekun danten der englischen Diplomatie bei deren Attacken gegen unseren Verbündeten hcrgeben. Eine publizistische „Pflicht", Maßlosigkeiten eines ausländischen Diplomaten gegen einen befreundeten Staat zu verbreiten und so allenfalls dem Demagogentum solcher Aeußerungen einen Teil der öffent lichen Meinung zu erobern und in seiner bündnistreuen Ge sinnung zu erschüttern, gibt es nicht. Man kann nicht zwei Herren dienen, der englischen Diplomatie und der Bündnis- treue. Wenn es über die Stränge schlagenden englischen Diplomaten gestattet würde, die österreichische Presse — einerlei, ob mit oder ohne redaktionellen Vorbehalt — mit Giftspritzereien gegen das Deutsche Reich zu füllen, was müßte man sich im Reiche von der Bündnistrene der öster reichischen Presse denken! Und Giftspritzereien schlimmster Art sind es, was der englische Diplomat in den, Wiener Blatte gegen Deutschland Vorbringen durfte. Er nimmt sich heraus, zwischen Volk und Dynastie eine Scheidelinie zu ziehen und den deutschen Kaiser samt seiner Regierung in der Marokkofrage als gänzlich isoliert von der öffentlichen Meinung Deutschlands hinzustellen. Er erdreistet sich, das heutige Deutsche Reich mit dem Frankreich von 1870 zu ver gleichen, dessen Politik ausschließlich von den Tuilerien und deren Kreaturen gemacht wurde. Es fehlt nur noch, daß der englische Diplomat von der Tribüne des österreichischen Blattes ans offen die Entthronung der Dynastie Hohen- zollern propagiert." Dann wendet sich die „Neichspost" gegen jene Leute in Deutschland, welche den Vorfall benützen, um Oesterreich zu verdächtigen und schreibt: „Im verbündeten Nachbarreiche aber möge man sich nicht beunruhigen lassen. Wenn auch das pflichtvergessene „Journal", das sich dem englischen Diplomaten als Tribüne hergcgcben hat, das Hanptorgan der börsenliberalen Par tei ist, die in Wien mit Hilfe der Umstürzler bei den letzten Wahle» einige vorübergehende Erfolge zu erringen ver mochte, wenn es sich auch gerne als führendes Organ des Nationalverbandes, der Standardpartci des neuen Parla mentes, geriert. Oesterreichs öffentliche Meinung ist es ebenso wenig als etwa die „Rheinisch-Westfälische" und deren austrophoben Gesinnnngsschwestern die öffentliclze Meinung Deutschlands sind. Oesterreich ist und bleibt bündnistreu und läßt sich hierin durch keinerlei Machenschaften internationaler Wühler »vankend machen." Diese entschiedene Abschüttelung wird hier mit Dank zur Kenntnis genommen werden. — Die Stellung des Bot schafters Cartwright aber ist unhaltbar geworden. Zwar sollen seine Gehässigkeiten gegen Deutschland nicht für die Oeffentlichkeit bestimmte Aeußerungen in Privatgesprächen gewesen sein und das Gespräch nur durch Indiskretion an die Oeffentlichkeit gekommen sein. In Kreisen der hiesigen englischen Botsck>aft herrscht über die Veröffentlichung große Bestürzung. Das Interview ist dem professionellen Aus- frager des Blattes in Maricnbad nach einem Dejeuner, zu dem ihn Herr Cartwright eigens eingeladen hatte, gegeben worden. Es ist mehrere Tage alt und wurde nach dem Stocken der Marokkoverhandlimgen gegeben. Man erklärt jetzt in Kreisen, die der englischen Botschaft nahcstehen, daß Cartwright dem Ansfragcr das Recht zur Veröffentlichung nicht gegeben habe. Daß die Aeußerungen von englischer Seite aber gemacht wurden, wird nicht in Abrede gestellt, Tie Stellung Eartwrights als Botschafter am Wiener Hose wird daher mit Recht als unhaltbar bezeichnet. Religion Sache des Gefühls? Eines der vielen Jrrtümer, an denen unsere Zeit krankt, ist die Meinung, die Religion sei Sache des Gefühls. Nicht mit einem Komplex von Wahrheiten, die der mensch lichen Erkenntnis zur Bereicherung und Erweiterung ihres Ausblickes zwecks richtiger Würdigung der Dinge des Dies seits dargeboten werden, habe cs die Religion zu tun; ivaS an religiösen Vorstellungen vorhanden sei, daS seien Erzeug nisse des Gefühlslebens der Menschheit. Aus dieser Vor stellung entspringt dann die Anschauung, die Religion sei mehr Sache der Frauen mit ihrem tieferen Gefühlsleben, als des männlichen Geschlechtes, das mehr mit dem Ver stände arbeite; daher aber auch die weitere Idee, Religion sei Privatsache, denn wen interessiere das Gefühlsleben des anderen nnd die Schöpfungen seiner Phantasie, mit denen er sich über die Jämmerlichkeit des Lebens hinwcgzn- belfen suche! Solche Auffassung bedeutet eine tiefe Verkennung der Religion. Denn diese will eben die menschliche Erkenntnis bereichern, indem sie dem Menscl)cn Antwort gibt auf die ernsten und schweren, niemals abzuweisenden Fragen nach dem Sinn und Zwecke des Daseins. Eine Leuchte für die Füße des durch die Wirrsale des Erdcndaseins hindurchschrei tenden Menschen will die Religion sein. Und wie der See- fahrer sich seinen Weg sucht und ihn findet durch die Orten- ticrung nach den Standsternen am Himmel, so wollen die religiösen Wahrheiten dem Menschen Orientierung geben durch sein Leben. Die Sterne am Himmel können aber nur dann Wegweiser sein, wenn sie wirklich existieren und nicht bloß Erzeugnisse einer lebhaften Phantasie sind; ebenso kön- nen die religiösen Wahrheiten nur dann Wegweiser sein, wenn sie unberührt vom Wandel der Meinungen der Men schen sind und nicht dem ewigen Wechsel des menschlichen Ge fühlslebens überantwortet sind. „Was ist," so fragt mit Recht Eohauß in seinem brillant geschriebenen Büchlein „Das moderne Denken" stKöln 1011, Bachem), „unsicherer als das Gefühl? Dem Meere gleicht es, das bald spiegelglatt im Glanze der Sonne, bald trüb von Regenschauern, bald von linden Lüsten lieblich gekräu selt, bald von Donner und Blitz umtobt, vom Orkan durch wühlt, bald sanft znm Bade ladet, bald vor Wnt schäumt, bald sonnig, bald trüb, bald milde, bald streng, — immer aber voll Wechsel, voll Tasten und unsicherem Schwanken nnd nie sich gleichbleibt. Und auf Wogen nnd Wellen eine Weltanschauung aufbauen, wäre männlich? Nein, nur vor Gründen beugt sich der Mann, nicht vertraut er sich tanzen den Wellen an; auf Felsgrund baut er sein Hans ... in den religiösen Lebensban steckt der Mensch sein Alles hinein, darum bedarf er, wenn je hier, der genügenden Sicherung. Der Gcfühlsglaube ist unmännlich, der Vcrstandesglanbe dagegen deckt sich allein mit der Manneseinsicht. Auch ein Beleg für die beliebte Phrase, der Protestantismus stelle das männliche, der Katholizismus das „feministische" Element der Christenheit dar." (S. 78 f.) Wenn wir jetzt wieder anläßlich eines vielerörterten Falles das Wort hören: „Ich predige Gott, so wie ich ihn erlebt habe," und wenn dieses Wort so vielen imponiert, so ist das lediglich ein Beweis für die Macht der Phrase. Denn was soll der Menschheit gedient sein, wenn sie erfährt, wie der Herr L Gott „erlebt" hat; nicht das kann ihr Kraft und Stärke für den Kampf mit dem Leben geben, sondern lediglich die sichere Erkenntnis, wie Gott wirklich ist, und was der einzelne zu tun hat, um seine Gnade und sein Er barmen zu erfahren. Wer dagegen die Religion in das Ge fühlsleben verweist, der degradiert sie zu einer Spielerei. einer Nippsache gleich den tausend anderen wertlosen Din gen, an denen oberflächliche Menschen von Zeit zu Zeit vor- übergehend sich ergötzen für — Augenblicke. Die so von der Religio» denken, werden mit Recht an das Wort des protestantische» Denkers Encken (Jena) er innert: „Diese Art der Religion dringt über seine und zarte Stimmungen nicht vor zur Tatsächlichkeit; statt dem Men schen eine neue Welt zu eröffnen, stellt sie ihm mir die vor handene in liebenswürdige Beleuchtung, oder »msäiimt sic- sein Leben mit gefälligen Stimmungen, welche Mußestunden angenehm ausfüllen mögen, die aber gegenüber dem Ernste des Lebens in kläglicher Weise versagen. Denn nun und nimmer wird damit eine Weiterbildung der Seele erreicht, werden Kräfte entbunden, die von Not »»d Schuld befreien, wird dem Leben ein fester Halt geboten, wird die Mensch heit durch eine bei sich selbst befindliche Innenwelt zusam- mengesiihrt. — Schöne Bilder, schöne Ansichten, aber Bildep, die den bloßen Entwurf nicht überschreiten können! Die hier erwachsende ästhetisch-pantheistische Stimmung mag wertvolle Anregungen und Vorbereitungen liefern, der Hauptaufgabe der Religion ist sie nicht gewachsen." (Geistige Strömungen S. 400.) Soll aber die Religion etwas anderes sein als ein schö nes Spiel für ein paar Augenblicke, soll sie dem Menschen in Sturm nnd Drang seines Erdenkämpfens eine feste Stütze bieten, dann muß sie die Erkenntnis des Menschen erweitern und diesem ein Ziel zeigen, das des Einsatzes seines Lebens wert ist. Nie aber kann daS ein noch so schönes Phantasicspicl sein, sonderen nur die allersicherste Erkenntnis.