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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000925029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900092502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900092502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-25
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags nm ä Uhr. Redaclion und Expedition: JohauntSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununtrrbrochrI geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Cortim. UuiversitätSsttabe 3 (Paulinum» Laut» Lösche, Daihaeimaftr. z«. pur. med Sönigsplrrtz 7. Dezag-'Prekß c' d« Hauptexpedittou oder den im Gbl-tz» ße»trl und den Bororten errichteten Aus- Vorsteven abgeholt: vierteljährlich^4.50, «i zweimaliger täglicher Zustellung in« Haus b.5O. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vtertel>ährlich «^l 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandlendung in» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. Wger. Tag Malt Anzeiger. Nmtsvtatt des H'o'nigkichert Land- nnd Ämtsgerichtes Leipzig, -es Natljes und Nolizei-ÄmLes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRedactionSstrich (4a— spalten) 50^j, vor den Familiennachrichte« (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Prei»- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferusatz uach höherem Tarif. ^?tra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbeförderunA 60.—, mit Postbeförderuag 70.—. ^nnahmeschlnß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anreise« sind stets an die Erprdttt»« z« richten. Druck und vertag von L. Pof« t, Leipzig 189. Dienstag den 25. September 1900. 91. Jahrgang. Die Wirren in China. Tas Ausscheiden Amerikas aus dem Concert der Mächte. Im Einklang mit der Entscheidung, welche die amerika nische Regierung infolge der deutschen Nundnote unv mit Rücksicht auf die neuerdings kritischer gewordene Lage aus den Philippinen getroffen hat, erließ Präsident Mac Kinley, laut einer Meldung der „Exchange-Telegraph Company", folgende Weisungen: 1) Die in China stehenden amerika nischen Truppen sind mit Ausnahme eines Regiments, einer Schwadron und einer Batterie zurückzuziehen; 2) während des Aufenthalts des amerikanischen Gesandten in Peking solle» diese Truppen zu ihm stehen und ihn begleiten, wohin er reisen mag; 3) die Friedensverhandlungen sollen sofort beginnen. Präsident Mac Kinley erkennt den Prinzen Tsching und Li-Hung-Tschang als Unter händler an; 4) sämmtliche Marinelruppen sollen sich wieder aus ihre Schiffe begeben. Die abgezogenen See- und Land streitkräfte werden nach den Philippinen gesandt. Als eine erste Folge dieser Befehle ist zu verzeichnen, daß der Marineminister Long Befehl erlassen hat, die durch den Abzug der Landtruppen geschwächte amerikanische Streitmacht in Ostasien durch eine Anzahl Schisse wieder zu verstärken. Zu diesem Zweck haben die vor Norfolk liegende „Annapolis" (ungeschützter kleiner Kreuzer) und die in League Island stationirte „Dorothea" (Dacht, als Hilsskanonenboot armirt) Befehl zur Abfahrt, um zur asiatischen Station zu stoßen. Dieselbe Bestimmung hat der ungeschützte kleine Kreuzer „Wilmington", der durch das Mittelmeer fahren soll. Ter im PiräuS liegende geschützte Kreuzer „Albany" hat Befehl nach Manila erhalten. Das Linienschiff „Kentucki" und der ungeschützte Kreuzer „Vicksburg" sollen nach dem New Dorker Dock, um für die Fahrt zur asiatischen Station bereit gestellt zu werden. Was die politische Bedeutung der Entscheidung Amerikas betrifft, so giebt der Hilfösckretär Hill darüber folgende Er klärung: ES können keine Strafmaßregcl» als Mittel zum Ausgleich des erlittenen Schadens und als abschreckende Bei spiele für die Zukunft so wirksam sein wie die Absetzung und Bestrafung der verantwortlichen Thätcr durch die chinesischen Behörden selbst. Es erscheint ter amerikanischen Regierung nur gerecht, daß man zuerst China Gelegenheit gebe, in diesem Sinne zu handeln. In dieser Ueberzeugung und ohne von dem festen Entschluß abzustehen, von den Urhebern der Verbrechen volle Verantwortung zu fordern, findet sich die Regierung der Vereinigten Staaten nicht ge neigt, als Vorbedingung zum Beginn diplomatischer Beziehungen mit der chinesischen Negierung dem Verlangen zuzustimmen, daß China den Mächten diejenigen Personen ausliefere, die nach dem Ermessen der Mächte selbst für die wahren Urheber der Verbrechen zu halten wären. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist der Ansicht, daß die Bestrafung der hochgestellten Verantwortlichen als eine wesentliche Bedingung in die Verhandlungen über die end- giltige Regelung mit China aufzunehmen ist. Die Negie rung der Vereinigten Staaten beabsichtigt Daher, sobald tbunlich Bevollmächtigte behufs Unterhandlungen mit China zu ernennen. ES wird denn auch bereits bekannt ge macht, daß der frühere Staatssekretär John Forster zum Mitglied der amerikanischen FriedenScommission ernannt werden soll neben dem Gesandte» Co»ger, der, wie aus drücklich der russischen Regierung mitgetheilt wurde, Peking nicht verlassen soll, und dem inzwischen in Peking eingetrof fenen Commissar Nockhill. Auch der bekannte Präsident der Columbia-Universität, Seth Low, wird bereits als Friedensunterhändler ernannt. SobaldLi-Hung-Tschang in Peking eingetroffen ist, werde» die einstweilen abgebrochenen Unterhandlungen mit dem Prinzen Tsching wieder auf genommen. Für die Würdigung der amerikanischen Beschlüsse verweist die „Köln. Zlg." aus die nachfolgenden officiösen Aeußerungen ihres Berliner Berichterstatters, welche mit unserer Auf fassung vollkommen iibereinstimineu: „Anläßlich der von Deutschland gestellten Forderung, die Auslieferung der Schuldigen als Vorbedingung des Friedensschlusses zu verlangen, ist als auf einen er schwerenden Umstand daraus hingewiesen worden, daß die Gesandten gar nicht in der Lage sein würden, mit Sicherheit die Schuldigen zu bezeichnen oder die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß die von ihnen angeklagten Männer aus ihre Anklage bin ohne Weiteres hingerichtet würden. WaS den ersten Punct anbelangt, nämlich die Wissenschaft der Gesandten über die Schuld bestimmter Persönlichkeiten, so glauben wir, daß man dessen Beantwortung ruhig den Gesandten überlassen kann. Unseres Wissens haben sie über Schuld oder Nichtschuld gewisser Großmandarine sehr bestimmte Auffassungen. Es ließe sich, so wird gesagt, auf der Grundlage von Hinrichtungen ohne richterlichen Spruch eine Einmüthigkcit der Mächte kaum erzielen. Auch deutscherseits wird diese Auffassung getbeilt, und man ist weit davon entfernt, eine solche Art der Sühne zu verlangen. Die Gesandten sollen vielmehr in diesem Falle nur sozusagen den öffentlichen Ankläger vertreten, und Sache eines internationalen Gerichtshofes würde eS dann sein, in förmlicher Weise die Schuldfrage zu beant worten und die Strafe auszusprechen. In welcher Weise dieser Gerichtshof zusammengesetzt sein soll, ob etwa ein Kriegsgericht, das ist eine Einzelfrage, über die eine spätere Vereinbarung nicht schwer fallen kann. Die Hauptsache ist, daß die Verurt Heilung nicht durch Chinesen, sondern durch die Mächte erfolgt. Es ist be'annt, daß die Chinesen sich nicht das mindeste Gc.vissen daraus machen, unschuldige Menschen als Verbrecher hinzu richten, wenn sie unter europäischem Druck zur Statuirung eines Exempelö gezwungen werden. DaS ist schon oft ge schehen, und auch als wir Kiautschau besetzten und die Hin richtung der Mörder der Missionare verlangten, hat man, um diesem Verlangen »achzukvmmen, Leute zur Verfügung gestellt, die mit diesen Mordthaten nichts zu thun batten. Auffallenderweise geht nun die amerikanische Negierung von der Auffassung aus, daß keine Strafmaßregcl so wirksam sein werde, wie die Bestrafung durch die kaiserliche Gewalt selbst. Tic Washingtoner Note hält eS für billig, daß man China Gelegenheit zu einer Ehrenrettung gebe. Wenn irgendwelche Aussichten vorhanden wären, daß China das Strafgericht an den Rädelsführern in einer Weise vollziehen würde, die sein Ansehen wirklich in den Augen der civilisirten Welt retten könnte, so würden wohl alle Mächte damit einverstanden sein, ihm diese Aufgabe zu über lassen. Worauf sie aber nicht eingehen können, trotz des besten Wunsches, sich soweit wie möglich den amerikanischen Anschauungen anzubequemen, das ist die Betheiligung an einer gerichtlichen Farce, denn das und nichts Anderes würde eine chinesische, gegen die Rädelsführer gerichtete Ge richtsverhandlung sein. Es wäre dabei sehr möglich, daß die eigentlichen Rädelsführer als Richter aufträten und die willkommene Gelegenheit benutzten, um sich einer Anzahl persönlicher Gegner zu entledigen. Wenn die Mächte, wie es jetzt Amerika will, einem solchen Hohn ruhig ru- schauten, würden damit alle Bürgschaften gegeben sein für eine baldige Wiederholung der Gemetzel, bei denen An gehörige aller Nationen abgeschlachtet wurden und noch ab geschlachtet werden, da nach den letzten Nachrichten die Christen ermordung fortdauert. Nach allen Erklärungen, die die amerikanischen Vertreter Nockhill und Conger in großer Oesfentlichkeit abgegeben haben, ist eS nicht anzunebmen, daß die amerikanische Negierung darüber in Zweifel sein kann, daß durch ihr jetziges Abweichen von der Haltung der Mehrheit der Mächte der Wiederherstellung dauernd befriedigender Verhältnisse in China kein guter Dienst geleistet wird. Nicht weniger als die der andern Mächte würden auch die Handels interessen Amerikas in Mitleidenschaft gezogen werden durch die Unsicherheit, die eine ungenügende Austragung der jetzigen chinesischen Wirren nach sich ziehen müßte. Wenn Amerika trotzdem die jetzt von ihm gewählte Politik eingeschlagcn bat, so müssen dafür sehr starke Gründe vor liegen, die nicht allein in der innern Politik zu suchen sind, sondern auch in dem dringenden Bedürfniß, auf den Philippinen größere Truppenmengen zusammenzuziehen, da die Entblößung der Inselgruppe durch die nach China gesandten Truppen sich setzt schon durch eine Neubelebung der aufständischen Bewegung gestraft zu haben scheint. Wenn es demnach wahrscheinlich ist. Laß Amerika unter einer militärischen Zwangslage handelt, so können für die anderen Mächte gleiche Gründe nicht maßgebend sein, und sie werden ihr Werk auch ohne Amerika fortführen müssen, wenn auch mit Bedauern, so doch mit aller Bestimmt heit. ES mag ja sein, daß Amerika früher als die Mächte zu einem Abkommen mit China gelangt, wenn es jetzt gleich mit dem Prinzen Tsching und Li-Hung-Tschang verhandelt; was aber diese diplomatische Arbeit an Schnelligkeit vor der ber anderen Mächte voraushaben kann, das wird ihr sicherlich an Gründlichkeit und Nachhaltigkeit fehlen. Schließlich werden die Bürgschaften, die die Verbündeten Mächte später von China verlangen und erhalten werden, auch Amerika zu Gnte kommen, es wird aber die Thatsache bestehen bleiben, daß die amerikanische Kraft bei dem ersten Ver suche, sich bei einer großen internationalen Unternehmung als Weltmacht neben die anderen Großmächte zu stellen, in einer fast überraschenden Weise versagt hat. Wir sind ferner dem Einwande begegnet, eS sei völker rechtlich unzulässig, an einen Staat die Forderung zu stellen, seine Unterthanen einem anderen Staate zur Vollstreckung einer Strafe auszuliefcrn, man könne vielmehr nur bean spruchen, daß die Strafe von China selbst an seinen Unter thanen vollzogen würde. Wir geben zu, daß das hierauf gerichtete deutsche Verlangen ungewöhnlich ist; mehr als un gewöhnlich sind aber auch die neuesten Vorgänge in China und die Verschuldung, für die hohe chinesische Würdenträger die Verantwortung tragen. Demgegenüber sich an eine pein liche völkerrechtliche Etikette zu binden, hieße nur den Chinesen neue Mittel an die Hand geben und den Erfolg des ganzen Unternehmens der Mächte gefährden." * Washington, 24. September. („Neuter's Bureau.") Tas Staatsdepartement beschäftigte sich damit, die Instructionen für den amerikanischen Gesandten in Peking, Conger, fest zustellen, der sich mit Li-Hung-Tschang und dem Prinzen Tsching über den Ort einigen wird, wo sie mit den Vertreter« der übrigen Mächte Zusammentreffen werden, um die ersten Ver« handlungspuncte zu erledigen und gewisse große Gesichts« puncte für die Conferenz aufzustellen. Das Programm wird den Mächten zur Genehmigung unterbreitet werden. Die Kaiserin-Regentin. Die „Köln. Ztg." enthält ferner folgende, durch den offic lösen Draht verbreitete Berliner Information: Durch die Presse wird die Behauptung verbreitet, daß von einer der Mächte gegen den deutschen Vorschlag Bedenken ausgesprochen seien, weil nach ihm auch die Person der Kaiserin von China für die Bestrafung in Betracht käme. Ein solcher Einwand ist unseres Mistens von keiner der Mächte erhoben worden, ja eS geht sogar ganz im Gegentheil aus der Note hervor, daß Deutsch land für die Geschehnisse nicht die Kaiserin, sondern deren Rathgeber verantwortlich macht. Ein Zurückgreifen auf die Kaiserin selbst würde, wie wir neulich schon aus- sührten, nur dann ins Auge zu fasten sein, wenn sie durch eine Weigerung, die Hauptverbrecher zur gebührenden Strafe auszuliefern, die Verantwortung für die begangenen Ver brechen auf sich nehmen würde. Ein solckes Verlangen auf Auslieferung ist aber noch nicht gestellt worden, hat also auch nicht abgelehnt werden können, so daß bis jetzt die Person der Kaiserin in diesem Sinne noch nicht in Frage kommt. In den Blättern ist ferner davon die Rede gewesen, die deutsche Gesandtschaft solle nach Shanghai verlegt werden. Ob sie in Peking bleibt oder nach Tientsin kommt, ist noch nicht entschieden, Shanghai ist aber jedenfalls nicht in Aussicht genommen. Uncontrolirbar wird aus Peking, 20. September, berichtet: Prinz Tsching erklärte den Botschaftern, die Kaiserin sei bereit, die Regentschaft niederzulegen, sowie dem Kaiser die Annahme der Vorbedingungen der Großmächte behufs Abschluß der Präliminarien anzurathen, einschließlich der Bestrafung der Rädelsführer der Boxer, ausgenommen die Auslieferung irgend eines Mitgliedes des Kaiserhauses, eines kaiserlichen Prinzen oder Groß Mandarinen. Prinz Tuan. Nach einem Telegramm des „Standard" auS Shanghai ist es klar, daß die Kaiserin-Wittwe ganz unter dem Einflüsse des Prinzen Tuan steht. Letzterer versucht allen Tadel für das Vorgefallene einem gewissen Taotai Manwenhuan, der militärischer Berather der Boxer war, aufzubürden. Der Mörder des deutschen Ge sandten Ketteler in Peking, der Fähnrich Enhai, welcher die Soldaten auf der Straße befehligte, hatte von einem Prinzen Len Befehl erhalten, alle passirenden Fremden zu tödten, er weigert sich jedoch, den Namen des Prinzen an zugeben. Es gilt aber für sicher, Laß eS Prinz Tuan war. Dem „Expreß" wird aus Shanghai gemeldet: Li-Hung-Tschang telegraphirte an die chinesischen Beamten in Shanghai, daß die Auslieferung des Prinzen Tuan, sowie der Generale Kangyi und Tungfuhsiang und des Gouverneurs vonSchansi außer Frage, ein Friede Feuilleton. 101 Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verboten. „Armes Ding! Da sitzt sie nun in ihrem goldenen Käfig, beneidet um des schönen Glanzes willen, und das arme Köpfchen stößt sich wund am Gitter. Warum in aller Welt brennst Du nicht durch?" Die Frage kam so überzeugt aus Eva's tiefstem Herzen, daß Anny ein leises Lachen nicht unterdrücken konnte. „Scheint Dir das das Natürlichste?" „Unbedingt!" „Nun sieh mal, da würden Deine irdische und meine — wie Du meinst — idealere Auffassung ganz einig sein. Freilich, — ich müßte theure Pflichten brechen, die gegen den Vater, die gegen meine jungen Brüder! — Dennoch! — Aber es steht ein größeres Hemmniß zwischen uns, ein Schatten, so groß und gewaltig, daß unsere Willenskraft nicht darüber hinweg kommt! Bitte, frage nicht", fuhr sie flehend fort, „ich darf ja nicht sprechen." Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit sagte Eva ernst: „Nein, ich frage nicht. Weder jetzt, noch künftig, sei nur ganz ruhig. Willst Du Dein schweres Herz ein wenig lösen, mich mit Dir empfinden und tragen lassen, was Dich drückt, so hast Du mich ganz. An Dein Geheimniß werde ich niemals tasten. Es ist Dir heilig, — also ist es das auch mir." „Liebe, liebe Eva! Wie reich bin ich doch! Zum ersten Male, daß Du mir Dein goldenes Herz so ganz enthüllst und schenkst! Geringes habe ich verloren nud Großes dafür ein getauscht." In herzlicher Uebereinstimmung schieden die beiden Freundinnen von einander. III. Innsbruck! — du stolze Schöne! Hochragend im gewaltigen Alpengebiete, umrauscht vom brausenden Inn und der flinken, plaudernden Sille, du Bielumworbene, Niegewährendc, was sind deine Tröstungen für ein wundes Menschenherz? — Nicht mit schönheitstrunkenen Künstleraugen schaut Fred Heyl auf deine Reize, die, umwoben vom Dämmerschein deS scheidenden Tages, Vie unter leichten Schleiern zärtlich winken. In der prächtigen Maria-Theresienstraße flammen schon die elektrischen Lampen auf, unwirsch, ihrem Glanz entfliehend, wendet Fred seine Schritte in eine dunkle Nebenstraße. Er wandert ziellos. Was er sucht, mit aller Willenskraft erringen will, die innere Ruhe, er findet sie nicht. Vor kaum einer Stunde hat er Pinsel und Palette hingeworfen, das scheidende Tageslicht warf wie in schneidendem Hohne seine verzerrenden Reflexe auf Fred's Arbeit, daß ihn ein jäher Schreck erfaßte: „Es wird nichts daraus!" — Unsinn! — Dieser nervösen Stimmung wird und muß er doch Herr werden! Wie lange geht das nun schon, daß er Morgen um Morgen vor sein Bild tritt mit dem festen Entschluß in der Seele: „Heute zwing' ich's!" Diese Unlust, diese Müdigkeit und dieser Unglaube an sein Werk, die plötzlich über ihn gekommen sind, so nahe vor der Vollendung, er muß sie ja überwinden. Aehnliche Stimmungen hat er ja auch früher schon gehabt! Die frohe Zuversicht hatte sich schon manches Mal nabe in Verzweiflung gewandelt, wenn das innerlich geschaute Ideal nicht hervortreten wollte in seiner ganzen Klarheit, aus dem an haftenden Stofflichen der Idee! — Es war vorübergegangen. Und mit einem Jauchzen der Befreiung hatte er seiner Seele Kind empfangen aus den Händen seiner geliebten Kunst! So würde es auch diesmal gehen. Nur daß ihm der Körper Stand hielt. Diese Nächte, diese qualvollen Nächte! „Anny, Anny! — Gieb mich frei für meine Kunst", stöhnte er vor sich hin, „nimm Deine todttraurigcn Augen von mir, ich fühle sie ja auf meinen blassen Wangen ruhen, ich höre Deinen wehen, zitternden Liebesruf und kann Dir doch nicht helfen — ich kann nicht! Wozu diese Verlängerung der Qual? Es muß zu Ende sein. Worauf sollten wir noch hoffen? Auf ihres Vaters Tod? O pfui, solch' ein Kerl bin ich nimmer! Hätt' ich ihm Äug' in Auge abtrotzen dürfen, was mir das Liebste ist auf der Welt, könnt' ich mir's erringen mit der Waffe in der Hand, ja dann! Aber so. Feige fliehen, um der Ge liebten willen den Schimpf ruhig tragen und warten im heim lichen Versteck, bis ein Anderer, gleichviel ob Tod oder Schicksal, das Rächeramt für mich übernimmt, nein, das kann ich nicht! Daß sie das nicht begreifen kann, die Liebe, Süße, Thörichte! O Du, o Du! Wie hab' ich Dich lieb! Himmel, Sakra, ich will nicht, — will nicht immer das Gleiche denken. Man wird ganz verrückt dabei. — Jetzt geh i heim!" Das war doch wenigstens ein Entschluß. — Rasch schritt er zu und gelangte über die breite Jnnbrücke nach dem Vorort Maria-Hilf, in dem seine Wohnung lag. — Auf der Brücke blieb er stehen. Aber er sah nicht aufwärts zu den schneegekrönten Bergen, die leuchtend vom dunklen Himmel sich abhoben — nieder in den Strom tauchten seine Blicke, sie folgten den raschen Wellen, und un willkürlich seufzte er: „Wohin? — Wozu?" — Hastig warf er den Kopf in den Nacken und schritt vorwärts. Nun stand er vor dem großen Eckhaus in der Höttingergasse, das hoch oben sein schmales Nestchen barg. — Richtig, da drüben vor dem Hotel Kaiserhof brannten die beiden elektrischen Kugellampen, die die ganze Straße erhellten und gerade in seine Mansarde den stetigen lichten Schein gossen. — Er wollte es wieder einmal versuchen, wie so oft schon, bei diesem weichen Halblicht den Theil seines Bildes auszuarbeiten, der mit den Verschwimmenden Umrissen sich auflösen soll in unabsehbare Formen. Heute mußte es gelingen. Getragen von der lebhaften Begier, an sein Werk zu gelangen, stürmte er die Treppen empor. Er schloß die Vorthür auf und sah mit Befriedigung, daß das Nachbar atelier, das mit dem seinigen den schmalen Flur theilte, dunkel war. Gottlob, Kunz war ausgegangen, er brauchte keinen Gruß mehr mit ihm zu tauschen. — Nun schnell die Straßenkleider abgelegt und hinein in den grauen Malerkittel. Auf dem Fenstersimse, vor dem breiten schrägen Fenster, stand ein be deckter Krug mit Milch, daneben eine blumengeschmückte Tasse. Er goß mechanisch die Tasse voll Milch und leerte sie auf einen Zug. Dann nahm er die Hülle von dem Bilde. Plastisch trat aus der freien, weiten Wiistenlandschaft die Gestalt eines zum Jüngling heranreifenden Knaben hervor, der, den Bogen in der Hand, auf die Zehen gereckt, von einem niederen Felsvor sprunge aus dem Pfeile nachspäht, der ihm die erhoffte Beute bringen soll. Ucberwältigend war die Formensprache deS jungen, völlig nackten Leibes. Das Leid und die bittere Noth der ganzen Menschheit spiegelte er wider. Ismael ist es, der, im harten Kampf mit der Natur, die dem Enterbten und Verstoßenen feindlich gegeniibersteht, sein Lebensrecht sich ertrotzen muß. — Unvollendet nur ist das Haupt des Knaben und die letzten Töne des Hintergrundes der Landschaft. Mit Eifer ging Fred an die Arbeit. Das fahle Licht be günstigte sein Schaffen. — Drohend und menschenfeindlich, düster und schicksalsschwer quoll es hervor aus den verrinnenden Formen und Linien der bleichen Ferne. — Fred arbeitete mit voller Hingabe, sein Herz pochte, die Schläfen zitterten ihm vor innerer Erregung, schwere, feuchte Perlen kränzten seine Stirne, er achtete es nicht. — Stunden vergingen. Da kam es wie eine Hallucination über den Schaffenden. Dort, weit, weit in un- absechbarer Fern«, dahin sein G«istesauge schaute, regte es sich, leise, gespensterhaft! Es löste sich aus nebelhaften Umrissen und trat hervor, immer näher und näher, in weißen, wehenden Gewänden, bis es dicht vor Ismael stand und mit verlangenden Händen nach seinem Bogen griff. Mit begeisterten Blicken schaute Fred auf den Spuk, den seine eigene Phantasie ihm vor zauberte, und bebend flüsterten seine Lippen: „Bleibe fern, komme nicht zu mir, wenn ich arbeite, sieh, es ist in der weiten, feind lichen Welt meine einzige Waffe!" Und allmählich verblaßte die Erscheinung, leise wich sie zurück, verschwindend im Grenzenlosen, im Nichts! Fred's Hände bebten, daß ihnen Pinsel und Palette entfiel. Hastig bedeckte er sein Bild und schritt in das nebenan liegende schmale Kämmerchen, das sein dürftiges Lager enthielt. Ohne den ölbefleckten Kittel abzulegen, warf er sich darauf. Nun kamen sie wieder, die quälenden Träume, in die seine marternden Gedanken sich flüchteten: „Was bist Du, Du Armseliger, der Du nicht einmal vermagst, ein Weib an Dich zu reißen, das Dir ge hört, Dir allein auf der Welt! Eine Liebe zu lohnen, die groß und stark ist, wie keine andere. Und wärs unmöglich für ein langes Leben, so wärs doch möglich für ein seliges Sterben! Du aber bist feige, feige!" Als die Friihsonne ihn weckte, war sein erster Gedanke: „Mein Bild!" Rasch tauchte er den Kopf in die Waschschüssel, die mit Wasser gefüllt auf einer Holzkiste an der Wand stand, bürstete und putzte Kopf und Hände und kühlte den fieberheißen Körper durch eine kalte Abwaschung, dann trat er frisch und kräftig in sein Atelier. Die kalte Wintersonne! Wie mißgünstig beleuchtete sie seinen Wüstentraum! Das waren keine verhaltenen Gluthen, die aus der sonnverbrannten Erde strömten, kalt und matt erschien jHin Alles! Und Ismael? Sein Menschheitsideal? Eine todte Gliederpuppe, nichts weiter! — Fred fuhr sich zornig über die wildblickendcn Augen. — Er war doch wach? — Er sah doch mit seinen eigenen Augen, nicht mit denen seiner bösen Träume! — Es pochte. Das Modell war cs, das Einlaß begehrte. Fred öffnete die Thür nur einen Spalt breit. „Geh nur heim", rief er hinaus. „Kann Dich heut' nicht brauchen. Werd's Dir sagen, wann's Du wiederkommen sollst!" So hart hatte der Bursche seinen „gnädigen Herrn" noch nie gekannt. Mißmuthig entfernte er sich. Fred stand wieder vor seinem Bilde. Mit kalten, kritischen Augen sah und prüfte er. Dann lachte er auf. Grauenhaft klang dies Lachen. „So weit wären wir also", stieß er grimmig hervor; „ver pfuscht, verschmiert, das ganze Ding ein Schmarren! Seit Wochen hab' ich nun Tag für Tag mein eigen Werk zu Grunde gerichtet und hab's nimmer sehen können, wie ich mit allem Eifer nix weiter war als ein Todtschläger. Und dafür haben's mir geborgt, die paar Gutgläubigen, die noch zu mir hielten! Nu freili — freili, jetzt is er halt fertig — der Lump. Wicdergeben kann ich nicht. Soll i halt mit einer Kugel zahlen, die ich mir ins Gehirn jag'? 's wär freili 's Beste! Aber nein — ich will nicht! Ich will nicht! Bin kein schwaches
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