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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.11.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19101121020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910112102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910112102
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-21
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
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BezuqS-Preit Itr tki»t>a un» «ororce durch nnk" lräger und SpedOeure 2»al ttaltch »« Hau« gebrachl: 20 uouaü., >.70 oierlrULbrl Vrt nnler» I'Unko n. Ln» nahmeslellen adgeholu 7S »»naU., L.US vlerleljLhrl. Durch bk v»>: Im<«r-ald Deullchlaud« und der deutschen Kolonien vieneliLtzri U.K6 aouall. I^iv aurichl. Postvrslellgeld. ferner m Belgien, Dänemark den Tonaullaaten, Italien. Uurembuia, Niederlande, d!or- wegen. Orslerreich: Ungarn, Nudland, Schweden, Schwerz u. Epankn I» allen übrigen Ltaatev nur direkt durch di« Geichüittiielk de« «laue« erhtlUich. Ta« Lediger laAediatl ericheau 2 mal itglich. Sonn» a. Fetcriag« nur morgen«. dloonnement-Aunabm« Änguüudplatz 8, t>« unteren Trägern, Frluuen Suediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Singelverkaul «vre»« »er Morgen» luchgade 10 der Abendautgab« a ch. Wbe«d-A«sgabe ripMer Tageblaü Handelszeitirng. Amtsvlatt -es Rates und des Nokizeiamtcs Ser Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis Wr Inferate au« Lelp»ig und Umgedunq di» Sgeipalten« SO mm brrik Petttzeik D bk 7« mm breit« «eklamezeile l de» auiwärt« llO 2^ dkklamen 1.20 Inserat« »»» «ebbrden '« amtliche» Teil dk 74 mm brrit« Petitzeile 40 «rschäitian,eigen mit P agvorschristen und m der Abendautaabe >m Breite erhäht. biabali auch Laris. Beilagegedllhr L p. Lautend exkl. Postgebühr. Jester!eilk «usträge können nicht zurück» gezogen werden, gür da« Erscheinen ,n bestimmten Lagen und Plätzen wird kein« iSaranti« übernommen. Antigen-Annahme: Uugustu-pla, 8, bei ttmtticheu Filialen u. allen Annoncru- «trveditiouen de» In» und Auriande«. Stetaktioa und Geschäst-ftelle: Iobannkgaste 8. Fernsprecher l4«SL 1461», 14604. Hauvt-Atliale Lretzden. Seestratze 4, t (Telephon 4621). Nr. 32 l. Montag, üen LI. November ISIS. 104. Jahrgang. Spanien in Marokko. Spaniens niedergehende Sonne entsendet aus schwarzem Gewölk heraus ihren letzten wärmenden Abendstrahl. Am 15. November ist mit Marokko ein Vertrag zustande gekommen, welcher den Staat Alphons Xltl. in den vertraglichen Besitz des wich tigen Gebietes einsetzt, das er vor 16 Monaten mit den Waffen gewonnen hatte. Das Ministerium Canalejas darf mit einem ansehnlichen Erfolge vor die Corres treten. Zwar ist im Vertrage Spaniens Besetzungsrecht blotz bis zur Abzahlung der vereinbarten Kriegs entschädigung bemessen. Da aber für die Abwicklung dieses Finanzgeschäftes von vornherein sage und schreibe 75 Jahre in Aussicht genommen sind, so darf man diese Vereinbarung gewiß mit Fug den chine sischen Pachtverträgen von Hongkong, Kiautschau und Port Arthur an die Seite setzen, welche eine rein jormelle Zeitgrenze der Verpachtung von 99 Jahren festgesetzt haben. 75 und 99 Jahre sind eben zu lange Perioden, um im Ernste bei vorübergehend gedachten Abmachungen zugrunde gelegt werden zu dürfen. In Wahrheit mutz gesagt werden, daß Marokko den von Spanien besetzten Teil des Riffgebietes abge treten hat und insofern ein viel schlechteres Geschäft macht denn China, als es noch Geld hinzuzahlen soll. Denn es hat noch einen Teil seiner Bergwerks einkünfte ausserdem verpfänden müssen: die „Sicher heit" des überlassenen Gebietes war nicht als aus reichend befunden. Spaniens erster Rechtstitel auf diese Erwerbung war übrigens schon in der Algeciras-Akte enthalten. Es hat aber schwer ringen müssen um seine Verwirk lichung. Die Riffstämme sind bekannt als die streitbarsten und kriegslustigsten aller „Untertanen" Seiner Scherifischen Majestät. Tatsächlich hatte die Majestät bei ihnen nicht mehr zu sagen als der Schah seit einigen Jahren in Täbris. Spanien aber will ein Herr werden im Lande, und das voraus sehend haben die Riffleute im Vorjahre seinen Truppen einen Widerstand entgegengesetzt, gegen den alle Kämpfe der Franzosen ein Kinderspiel waren. Spanien ist bei der Teilung zwar die räumlich kleinere, aber zweifellos weit schwierigere Halbscheid der Aufgabe zugefallen, Marokko „friedlich zu pazi- sizieren", diejenige, bei der die „Friedlichkeit" ihren allergeringsten Grad entwickeln kann. Trotzalledem gönnt Frankreich seinem Nach bar den Erfolg nicht. Gleich im Vorjahre machten die unverblümten Aeutzerungen des Generals d'Amade so unliebsames Aufsehen, daß der militärische Vertreter der Marokko friedlich durchdringenden Republik Schimpfs und Ehren halber abberufen werden mutzte. Ein ganzes Jahr gelegentlicher Preß- ausfälle hat seitdem bewiesen, daß es sich um keine einzeln stehende Privatanficht des Herrn Generals gehandelt hat. Die einflußreichen Kreise des großen Freistaates sind nun einmal so veranlagt, daß die Gloire, welche unter den Bonapartes die Hauptrolle in den politischen Rücksichten spielte, bei ihnen zu einem fürs Leben nicht unbedingt nötigen Schmuck stücke herabgesetzt ist, die wirtschaftlichen Vor teile aber an die erste Stelle gerückt find. In den an der Küste hinstreichenden Ausläufern des Atlas liegen aber jene überreichen Eisengruben, die den Besitz Marokkos vor allem so erstrebenswert machen. Es ist nur zu natürlich, daß dasselbe Uebelwollen, welches die Anerkennung der Mannesmannschen Ansprüche verhindert hat, sich auch gegen Spaniens neuerworbene politische Hoheitsrechte geltend macht- Dazu tritt die ungemein strategische Wichtig keit des von Spanien erworbenen Gebietes. Diese Wichtigkeit ist um so größer, als es unmittelbar an das Mutterland angrenzt, von ihm nur durch eine schmale Meerenge getrennt: während Frankreichs Basis Casablanca bildet, dessen Verbindung mit den Stapelplätzen der französischen Kriegsmittel allen Gefahren eines längeren Seeweges bloß liegt. Auch drängt jeder Fortschritt Spaniens auf afrikanischem Boden, jede Ausweiterung der Klafterung seiner militärischen Stützpunkte den Arm zurück, der so gern die Iberische Halbinsel auch von der anderen Seite umschlingen möchte. Spaniens Gewinn durch seinen vorjährigen Feld zug, der so schwere Anfeindungen in dem tatenschwach gewordenen Volke erfuhr, ist nach keiner Richtung hin zu unterschätzen. Aber wird es seiner froh wer den? Es wird gewaltiger, fortgesetzter Opfer an Gut und Blut brauchen, um die Riffstämme nieder zuhalten, die sich schwerlich bedeutend um das mit arabischen Lettern beklexte Papier kümmern werden, daß der Machsen mit ihren Erbfeinden zusammen geschriftstellert hat. Es wird mit Frankreichs offenem und heimlichem Widerstreben in immer erhöhtem Maße zu rechnen haben, je enger die französischen Waffen an seine äußersten Posten heranrücken. Eine solche Lage treibt mit geradezu zwingender Notwendigkeit Spanien an die Seite einer stär keren Macht, die allein seiner militärischen und politischen, besonders aber auch wirtschaftlichen Unvollkommenheit den Rücken stärken kann. Von England aber, seinem einstigen Rückhalte, hat es nichts mehr zu erhoffen. England hat sich in Marokko „desinteressiert", hat für eine ziemlich über flüssig gewordene Einstimmung Frankreichs in seine ägyptischen Zukunftspläne seinen nicht nur Liebhaberei gewesenen Widerspruch gegen Frankreichs Machtaus dehnung in Afrikas äußerstem Nordwesten geopfert. Aber Deutschland ist zwar von seiner unvergleichlich günstigen Stellung freiwillig hervntergetreten, die ihm der Vertrag von Algeciras zugewiesen hatte; es hat aber dem Rechte einer Begünstigung der spanischen Ansprüche bis jetzt nichts vergeben. Spanien hat wiederholt in den letzten Jahrzehnten den durch die Entwicklung der Dinge ihm so nahe gelegten Anschluß an Deutschland verpaßt und diese Versäumnis mit den schwersten Verlusten bezahlen müssen. Wird es weiterhin seinem eigenen Vorteil taub bleiben, weiter dem gänzlich haltlosen Traum bilds eines politischen Zusammengehens mit seinem „romanischen Brudervolks" nachjagen, dem es seit zwei Jahrhunderten so unendliche, nie wieder gut zu machende Schädigungen verdankt? Der Gefehrntwurf rur Beseitigung von Mißständen im Heilgrwerbe. Der vom Bundesrat verabschiedete Entwurf will dem in letzter Zeit überhandnehmenden Kurpfuscher tum einen Riegel vorschieben. Der Entwurf beab sichtigt nicht das Praktizieren aller Nichtmediziner zu verbieten, will aber den größten Teil der soge ¬ nannten Heilbeflissenen unter staatliche Auf sicht stellen. Für diese Heilbeflissenen, die sich ge werbsmäßig mit der Behandlung von Krankheiten und Leiden jeder Art beschäftigen, also alle Nichtmedi ziner, sieht der Entwurf eine Anmeldung ihrer Betriebe bei der Polizei vor, auch ist die Polizei be rechtigt, Informationen über die persönlichen Ver hältnisse dieser Heilbeflissenen einzuziehen, auch kann die Polizei das Verlangen stellen, ihr Einblick in die Geschäftsbücher zu gewähren, deren Führung beson deren Vorschriften unterliegt. Die Behandlung von gemeingefährlichen Krankheiten Ee- schlechtsleiden, Krebs und andere in diesen Kreisen beliebte Behandlungsmethoden sollen verboten sein, der Verkauf von Arzneien wird diesen Heilbeflisscnen auch nicht mehr gestattet werden, desgl. der Verkauf von Geheim Mitteln und anderen Gegenständen zur Verhütung und Heilung von Krankheiten. Durch diese Vorschriften soll dem Verbrechen gegen das keimendeLeben entgegengetreten werden und vor allem eine Ausbeutung der Käufer verhindert werden. Von den übrigen Bestimmungen des Entwurfes seien noch erwähnt: Strafbestimmungen gegen wissentlich unwahre Angaben in öffentlichen Ankündigungen und über den Wert der angcpriesenen Artikel. Eine Kommission, die dem kaiserlichen Gesundheitsamt an gegliedert werden soll, wird dem Bundesrat bei Er laß von Ausführungsbestimmungen, die jederzeit geändert werden können, mit Rat und Tat zur Seite stehen. Der Zentralausschuß der Fortschritt lichen Volkspartri trat am Sonntag, wie bereits gemeldet, zu seiner ersten Sitzung nach der Begründung der Partei zu sammen. Aus allen Teilen Deutschlands waren die Mitglieder des Ausschusses zahlreich erschienen, auch die Abgeordneten des Reichstages und des preußi schen Landtages waren saft vollzählig anwesend. Landtagsabgeordneter F u n ck - Frankfurt a. M., der Vorsitzende des Zentralausschusses, begrüßte die Mit glieder und die erschienenen Stellvertreter, gedachte in ehrenden Worten der Verstorbenen und schilderte die Aussichten der Partei, die bei tüchtiger Arbeit durchaus günstig seien. Abg. Fischbeck gab Len Tätigkeitsbericht der Partei, wobei er die eifrige Vereins-, Verjammlungs- und Parteitags tätigkeit hervorhob und die Finanzlage der Partei eingehend erörterte. In der Diskussion wurden ver schiedene wertvolle Anregungen zum Ausbau der Organisation und zur finanziellen Ausgestaltung ge geben. . Abg. Dr. Wiemer sprach alsdann über das Ver hältnis der Partei zu den anderen Parteien. Er führte aus, daß die Fortschrittliche Volkspartei auch trotz ihrer jetzigen Oppositionsstellung nach wie vor positiv Mitarbeiten werde (Reichsversicherungsord nung, Strafprozeßreform), bei der Verfassung für Elsaß-Loth ringen werde die Partei voraus sichtlich den Ausschlag geben. Die Partei werde aber nicht die Hand zu einem faulen Frieden bieten, es werde nicht eher besser werden, als nicht der schwarzblaue Block niedergerungen sei. Die Samm lung im Sinne des Herrn v. Bethmann Hollweg sei abzulehnen, andererseits aber zu beton.n, daß die Erenzscheide gegenüber der Sozial demokratie mit Deutlichkeit hervorzukehren sei. Redner betonte, daß die Partei ein takti sches Abkommen für möglichst viele Wahlkreise mit den Nationalliberalen wünsche, eine einheitliche Front aller Liberalen sei ersprießlich. Diesem taktischen Zusammengehen setzten sich aber erhebliche Schwierigkeiten entgegen, wie Redner an dem Beispiel verschiedener Provinzen und Wahl kreise darlegte. Die Partei sei bereit zum taktischen Abkommen, aber sie werde nicht aus ihrer Haut nationalliberale Riemen schneiden lassen. Zn allen Wahlkreisen kommt es darauf an, die eigenen Orga nisationen zu festigen. Abg. Dr. Pach nicke hob als zweiter Referent hervor, daß uns sowohl von rechts als auch von links ein tiefer Graben trenne, kennzeichnete die Not wendigkeit und Möglichkeit eines taktisch geschickten Aufmarsches und betonte, daß gemäß dem Organi sationsstatut bei Stichwahlen die Organisation des Wahlkreises die Entscheidung zu treffen habe. Abg. Haußmann referierte über die Wahlvor bereitungen und gab tatsächliche Mitteilungen über die Lage in den einzelnen Ländern, Abg. Kopsch über organisatorische Fragen. Eine lebhafte Debatte knüpfte sich an, in der vor allem wahltaktische Fragen behandelt wurden. — Die Verhandlungen wurden am Montag fortgesetzt und beendet. Um 3 Nhi schloß sich ein Festmahl im „Rheingold" den Be ratungen an politische Nachrichten. Der Kaiser in Kiel. Kiel, 21. November. (Tel.) Der Kaiser ist heute früh 6,30 Uhr an Bord der „Deutschland" nach Mür - w ick zur Einweihung der dortigen neuen Marine schule abgereist. Der Kreuzer „Hela" und das De- peschenboot „Sleipner" bilden das Gefolge. Eine Interpellation wegen der letzten Kaiserreden. Wie verlautet, beabsichtigt die sozialdemo kratische Reichstagsfraktion unmittelbar nach Zu sammentritt des Reichstags eine Interpella tion wegen der letzten Kaiserreden einzu bringen. Hauptversammlung des Verbandes preußischer Weinbaugebiete. Koblenz, 21. November. (Tel.) Hier hat gestern der Verband preußischer Weinbau gebiete eine Hauptversammlung abgehaltcn, in der u. a. erprobte Mittel für die H e u - und S a u c r wurmbekämpfung empfohlen worden sind. Kommerzienrat Heyligenstädt f. Sießen, 21. Nooember. (Tel.) Ko.nme:,sicurat Ludwig Heyligenstä dt erlitt gestern nachmittag während einer Automobilfahrt einen Schlag' a nfall und war sofort tot. Heyligenstädt war von 1903 bis 1907 nationalliberaler Reichstagsabgeordneter für den hiesigen Wahlkreis. Das Befinden der belgischen Königin. Brüssel, 21. November. (Tel.) Nach der „Eloilc Beige" hat die Königin, die an Bronchitis leidet, die verflossene Nacht sehr unruhig verbracht. Der Zustand der Königin flößt, ohne besonders crnit zu sein, Loch einige Beunruhigung ein. Brüssel, 21. Nooember. lTel.) Nach dein gestern abend ausgegebenen K r a n k h ei t s b e r i ch t ist die Königin außer an Influenza noch an einer Brust fellentzündung auf der rechten Seite und an Bronchialkatarrh erkrankt. Zum Attentat aus Briand. Wie wir in der heutigen Morgennummer meloe ten, hat der Camelot du Roi Lacour bei der Ein weihung eines Denkmals für Zules Ferry in Paris einen tätlichen Angriff auf den Ministerpräsidenten Briand unternommen. Briand blieb unverletzt. Es Grledmlle einer Stecknadel. ts Von Maxim. Rudolph Schenck (Leipzig). Ich fühlte wohl: mit meiner Schönheit war es für immer vorbei. Oft weinte ich vor Heimweh nach dem blauen Atlaskissen, nach meiner kleinen Direktrice, und davon lief mein blauer Stahl immer mehr an, und ich wurde so rostig und rot. Nimmer hätte ich wieder für weißen Atlas oder silbergrauen Kaschmir getaugt. Auch Nadeln werden alt. — Aber eines Tages wurde es wieLer lebendig um mich her. Zwei Leute zogen ein, — ein Mann und eine Frau, die sich recht lieb hatten — und machten sich's heimlich in dem großen Zimmer. Ein Stoffstück hing der Mann vor die Tür — da sah er mich. Er zog mich heraus. Oh, oh! wie tat es so weh. Es war viel schlimmer mit mir, als ich dachte, und meine Spitze brach ab. — So wurde ich ein Krüppel. Ein Glück für mich, daß meine neue Herrin eine gute, kluge, sparsame Frau war, die alle Nadeln von jeder Sorte in Ehren hielt. Unten rief der Schleifer, und zu ihren Scheren gab sie mich mit. Für das gleiche Geld machte mich sein Stein wieder blank, und ich bekam eine neue Spitze obendrein. Kurz war ich freilich geworden, und die gute Frau konnte nichts mit mir anfangen; ich hielt nirgends wehr. Darum kam ich in die Dienst« des Mannes — ich wurde Zettelnadel. Auf dem Schreibtische fand ich meinen Platz, denn mein Herr war einer, der Verse macht und Geschichten schreibt. Zwischen aller hand Gerat und vielerlei Andenken, Bildern und Blumen hielt ich auf einem Kissen — nicht aus blauem Atlas, sondern aus Tuch und mit Sand ge füllt — kleine Papiere fest, darauf Gedichte und andere schöne Sachen standen, die ich alle lesen durste. Jeden Tag kam etwas Neues hinzu. Aber die liebsten waren mir die letzten Zettel, denn sie erzählten mir so manches, was ich so gern längst schon gewußt hätte. Meine schöne Frau aus dem blauen Boudoir war ein selbstsüchtiges Weib gewesen; di« beiden Kinder hatte sie bald vernachlässigt, und sie waren gestorben, der Mann war von ihr gegangen. — Sünde ist ein morsches Band. — Meine klein« Direktrice halt« das Magazin der Madame DirLt ererbt und hatte einen braven Mann bekommen. Und Fred? Zm Manöver war er so unglücklich gestürzt — das Pferd hatte ihn erdrückt. Kaum van der Reise heimgekehrt, ward Gerti Witwe. — Die böse Frau aber? Große, bunte Plakate mit einem Frauen- und einem Männer porträt kündigten eines Tages das Konzert im Chateau d'eaux in Nizza an. Als Elitenummer: Auf treten der Lady Crofton und ihres Gemahls, des Markgrafen Pallalontana. Sein Bildnis zeigte ihn mit der schwarzen Binde um das verlorene Auge. Und die Leute erzählten sich: im Duell habe er das Auge verloren um — sie! — Nur von meinem armen Knaben hörte und sah ich nichts. Wenn mir das auch leid tat, so war ich im ganzen recht glücklich und zufrieden. Ich hatte eine gute Stelle bei guten Menschen, und das ist etwas wert, wenn man in ein gewisses Alter kommt und gebrechlich wird. Auch schien mir die Sache von Dauer zu sein. Herrendienst — das merkte ich — ist doch sicherer als Frauendienst, der Wechselfälle von Gnade und Un gnade gibt es nicht so viele. Dennoch hatte ich auch meine neue Herrin recht lieb; ihr schuldete ich ja mein Leben, und sie war so gut mit mir. Jeden Morgen wischte sie mir den Staub vom schwarzen Kopfe und schob mich ein paarmal auf und nieder in dem Sande des Kissens, „damit ich nicht wieder Rost ansetze", sagte sie; denn es war feucht hier, und ein ganzes Päckchen Nähnadeln waren ihr schon rostig geworden. Am meisten aber verehrte ich sie weil sie mit mir denselben Wunsch hatte: sie sehnte sich von ganzem Herzen nach der Heimat. Ach, ich HSble jubeln mögen vor Freude, wenn sie immer wieder die Fremde schmäht«, die Menschen, die da das ganze Leben lang planlos und haltlos umherzogen. Längst schon hatte ich den Geschmack an dem fremden Lande verloren, und des Handwerksburschn Lied von damals wollte mir gar nicht mehr gefallen. — Ja zieh' hinaus! Die Welt kost' au»! Genieße das Fremde, das Ferne! Hock' nicht am Herd, hock' nicht im Haus', Erstrebe, erraffe, erlerne! Dann komme zurück und schlage tief Die Wurzeln in heimischen Grenzen, Sonst stehst du. wie sie alle, schief Entwurzelte Existenzen! Das hatte eines Tages mein guter Herr ge schrieben, und das war mir das sicherste Zeichen, daß er gewiß nun bald meiner lieben Frau nachgcben werde. Heisa! dann ging es nach Hause! Nach Hause? — Wohin? Wo war mein Zuhause? Es ging mir ja wie so vielen, die nicht wissen, wohin sie gehören. Nun denn, ich meine, wo mir der Kopf gemacht wurde, war am Ende doch meine Heimat. Aber gleichviel, wenn cs nur wieder hinüber ging über die Berge nach Deutschland, — es schien mir, als wenn es dort noch immer am besten wäre. Freilich, einige Wochen würde es wohl noch dauern, aber — Gewiß heit gibt Mut. Und zudem war es jetzt gar nicht mehr so lang weilig, — auch meinem alten Paare nicht. Das hatte einen jungen Freund gefunden, mit dem es sich recht gut unterhielt; einen jungen Mann von ein nehmendem, lieoenswürdigem Wesen. Er war schon hier gewesen, vor sechs Jahren, sagte er, sogar im selben Zimmer, und wollte sich jetzt erholen, einige Wochen ausruhen an dem köstlichen Gestade. Mit Freuden führte er die beiden in die schöne Umgebung, und seit einigen Tagen waren sich die Männer so nahegetreten, daß der junge Herr jeden Abend zu uns kam. Er spielte und sang reizend, und der alte Flügel klang wieder so wie damals, als ihm meine kleine Frau so seelenvolle Töne entlockt hatte. Und — wunderbar! es war dasselbe schöne Lied, was sie sang, und wobei ihr immer die Tränen in die lieben Augen traten, als sie dann durch mich so unglücklich geworden war. Mond, weißt du noch, als letztes Mal Zum Fenster kam dein goldner Strahl, Wie mir das Herz vor Jubel sprang, Und wie es klang und wieder klang: Poch — poch! — Weißt du noch? Weißt du es noch? Besinnst du dich? Als ich fie fragte: Liebst du mich? Und als sie mir mit langem Kuß so süß gestand: „Ich muß, ich muß Ja doch!" — Weißt du noch? Du weißt es noch! Du weißt es noch! — Du, lieber Mond, geh' klopfe doch Für mich am fernen Fensterlein, Und frage leis': „Gedenkst du fein?" Poch — poch! Weißt du noch? Wie innig klang es! Mein altes Pärchen stand in der tiefen Fensternische und schaut« hinaus auf das weite, weite Meer, in dem der Vollmond seine lange goldene Straße warf, und ich sah es wohl, bei den letzten Tönen, da neigte er sich zu ihr und küßte sie herzlich auf die Stirn! Weißt du noch? Alte Erinnerungen wurden wach. — Man setzte sich um den Tisch un- mein guter Herr las vor; endlich auch die neuesten kleinen Schöpjun- gen, die ich auf meinem Kiffen zu halten hatte. Der junge Freund war aufmerksamer Zuhörer gewesen; plötzlich aber richteten sich seine Blicke aus mich, un verwandt! Was hatte er an mir? Er drehte mich in den Fingern, und es war mir, als streichle er mit der Daumenspitze gerade das, was ich so gern ver barg, — mein kleines Zipfelchen, und schließlich bat er meinen Herrn, ob er mich ihm wohl überlassen wolle. Was hatte er an mir? Ach, wie schnitt mir das leicht und achtlos gc. sprochene „Recht gern!" ins Herz, und wie traurig ward ich, als ich nun auch mein festes Sandkiffen und meine lieben Leute wieder verlassen mußte. Ja, was wollte er mit mir? Sicherlich würde cr mich gar nicht achten, denn was weiß ein solcher Zunggesell, was einer gebrechlichen Stecknadel gut ist! Vielleicht benutzt« er mich eines schönen Tages als Nagel, zerschlug mir mit seinem großen Taschenmesser meinen gläsernen Kopf, dann war's für immer aus mit mir, und ich fand ein schmähliches Ende auf der Gaffe, im Schmutze! Aber wie hatte ich mich geirrt! (Schluß folgt.) Der neue Numan mm ü'Kmmsto. Rapaanetta, der auf hohem Meere der Adria ge borene „Bote einer neuen Kunst", wie er sich selbst bewußt benannte, beherrschte stets dreierlei im Leben mit meisterhafter Geschicklichkeit: die italienische Sprache, die seit Dante in keines Dichters Hand so sehr zum klingenden, blinkenden Golde ward, die Sensation und die Reklame. Dieser feinnervige Aesthet fühlt sich nirgends wohler als im Munde der Leute, mögen sie nun über seine Schlipse, seine Schul den oder seine Schrullen sprechen. Er beherrscht die mißtönige große Trommel nicht minder gut als da, wohlklingende Instrument seiner vaterländischen
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